Es ist schon bemerkenswert, wie sich diejenigen, die sich 1979 über den Einmarsch der sowjetischen Armee in Afghanistan entsetzten, heute für das Schicksal der afghanischen Frauen interessieren. Die von der pro-sowjetischen, nationalistischen DVPA-Regierung (Demokratische Volkspartei Afghanistans) durchgesetzten demokratischen Rechte wurden von den bürgerlichen Medien und selbsternannten Linken als Vergewaltigung der afghanischen Kultur gebrandmarkt. Der sowjetische Soldat, der vor einer Schule Lehrer vor drakonischen Strafen durch islamische Reaktionäre beschützte, und dadurch erzwang, dass Frauen lesen und schreiben beigebracht werden konnte, wurde aufs Schärfste als nationaler Unterdrücker verurteilt und zum sofortigen Rückzug aufgefordert.
In Kurdistan aktiv gegen die nationale Befreiung, in Kosova rhetorisch dafür, daraufhin aktiv dagegen; Afghanistan ist nur ein weiteres Beispiel dafür, dass es den Imperialisten nicht im Entferntesten um Menschenrechte, Frauenrechte und nationale Befreiung geht. Es muss nicht wiederholt werden, dass es gerade der US-Imperialismus war, der den frauenverachtenden Mujahedin den Weg an die Macht ebnete, um die Sowjetunion an ihrer instabilen Südflanke zu schwächen. Motto: „Wir haben Kuba, da sollt ihr ein erzreaktionäres Afghanistan vor der Nase haben, das antisowjetischen, islamischen Separatisten in der UdSSR ein Vorbild ist!“ Die Sowjetunion reagierte auf diese Politik und den Hilferuf der afghanischen Linksnationalisten mit dem Einmarsch der sowjetischen Armee. Dass die stalinistische Bürokratie 1979 der Geist des proletarischen Internationalismus und der internationalen Solidarität dazu bewog, in Afghanistan zu intervenieren, ist mehr als fragwürdig. Aber unabhängig davon tat die sowjetische Bürokratie etwas, was Bürokratien deformierter Arbeiterstaaten lieber vermeiden. Sie bot dem Imperialismus die Stirn und verteidigte die Existenz und Integrität der Sowjetunion dadurch, die afghanischen Reaktionäre zu schlagen und zu versuchen die Errungenschaften des sowjetischen Arbeiterstaats auf Afghanistan auszuweiten, bis Gorbatschow anderthalb Jahre vor der Konterrevolution in der UdSSR freiwillig kapitulierte und die sowjetischen Truppen abzog. Hätte damals in Afghanistan eine wirklich revolutionäre, trotzkistische KP existiert, hätte sie der DVPA-Regierung und der Sowjetarmee eine Einheitsfront zum Sieg über die reaktionären Mujahedin angeboten. Sie hätte an den proletarischen Internationalismus des sowjetischen Soldaten appelliert, für eine revolutionäre Kommune in Afghanistan zu kämpfen, erst in Kabul, dann in Moskau, um die kapitulationistische Bürokratie durch eine proletarische Revolutionen zu stürzen.
Muss der grundsätzliche Gegensatz der sowjetischen Intervention zur Intervention der NATO-Staaten wirklich erklärt werden? Die sowjetische Armee kämpfte dafür, den Vormarsch der reaktionären, vom CIA unterstützten Mujahedin und damit den Drang der Imperialisten in die zentralasiatische Region zu stoppen. Sie hatte der afghanischen Frau zumindest die Ausweitung der bescheidenen Errungenschaften des degenerierten Arbeiterstaats „UdSSR“ zu bieten. Im Gegensatz dazu nutzte der US-Imperialismus heuchlerisch die Gelegenheit des 11. Septembers, um die imperialistische Kontrolle über die zentralasiatische Region zu festigen und kontrollierbare Bedingungen für den Rohstoffaustausch zu schaffen nachdem sich die antisowjetischen Kampfhunde von damals verselbstständigt hatten. Was hat der Imperialismus der afghanischen Frau zu bieten? Ein neues despotisch-patriarchalisches Regime als imperialistisches Protektorat und ein gefestigtes Leben in Rückständigkeit und Armut! Vielleicht ein Ende der schlimmsten Exzesse gegen Frauen? Darauf sollte man sich nicht verlassen, denn dieselbe menschenverachtende Rechtsprechung im US-freundlichen Saudi-Arabien hat den US-Imperialismus noch zu keiner Intervention „gezwungen“.
Damit ist nicht im Entferntesten zu rechnen. Wir leben im imperialistischen Stadium des Kapitalismus, das sich durch periodische Überproduktionskrisen und einen unter den „großen Räubern“ bereits aufgeteilten Weltmarkt auszeichnet. Deshalb gibt es keinen Spielraum mehr für eine aufstrebende nationale Bourgeoisie und die souveräne Entwicklung rückständiger Länder zu kapitalistischen Industrienationen. Der Charakter der Bourgeoisie in den rückständigen Ländern kann deshalb auch nicht mehr revolutionär sein; wenn es ein Bürgertum gibt, handelt sich um eine „Kompradoren-Bourgeoisie“. Für die Länder der sogenannten Dritten Welt gibt es seit Anfang des letzten Jahrhunderts nur mehr folgende Alternative: Sozialismus oder Selbstbedienungsladen (für die Imperialisten). Gemeinsames strategisches Ziel der rivalisierenden Imperialisten ist es, jedes Land, das sich ihren Wünschen verweigert, unter dem Vorwand des „Kriegs gegen den Terrorismus“ oder des „Kampfes für Menschenrechte“ angreifen zu können, jeglichen Widerstand zu brechen und die Regierung zu installieren, die einen reibungslosen Betriebsablauf garantiert. Für die Volksmassen der Neokolonien heißt das: konservierte Rückständigkeit, Elend und Armut. Strategisches Ziel der revolutionären Kommunisten in den rückständigen Ländern müsste es sein, sich den Volksmassen als die einzige konsequent kämpfende, antiimperialistische Kraft zu beweisen, sie aus ihrer Verzweiflung zu reißen und zu gewinnen. Kommunisten müssten die zahlenmäßig schwache Arbeiterklasse für die Kommune (d.h. für die Diktatur des Proletariats) gewinnen, die Bauern von der nationalen Bourgeoisie trennen und unter der Führung der Kommune vereinigen.
Da es in Afghanistan selbst keine Arbeiterklasse gibt — im Übrigen das Ergebnis der letzten imperialistischen „Einmischung“ — werden die Proletariate der umliegenden industrialisierten Länder (vor allem Iran, Pakistan und Indien) eine entscheidende Rolle bei der Verwirklichung revolutionärer Strategien spielen. Es macht wenig Sinn die Afghanistan-Frage zu isolieren und außerhalb des Kontext der gesamten zentralasiatischen Region zu betrachten.
Wir verteidigen die Taliban gegen die Imperialisten, weil sie von den größten und unverschämtesten Verbrechern der Welt für die falschen Verbrechen verurteilt werden. Nicht die afghanische Frau verurteilt und bestraft die Taliban dafür, was sie ihr und der afghanischen Revolution angetan haben, sondern die Imperialisten richten kaltblütig den Kettenhund hin, der es gewagt hat, seine Herren zu beißen — und mit ihm viele unschuldige Unbeteiligte.
Es ist zwar nicht auszuschließen, dass die von den Taliban geduldeten Al-Quaida-Terroristen an den Anschlägen des 11. September beteiligt waren. Doch der wahre Grund für den Angriff ist die Tatsache, dass sich die Taliban als unfähig erwiesen, in Afghanistan für die von den Imperialisten gewünschte Stabilität zu sorgen. Den ehemaligen Erfüllungsgehilfen imperialistischer Politik war ihre Vorstellung von einem Gottesstaat wichtiger als die Durchsetzung imperialistischer Interessen. Es ist unfassbar abstoßend, wie der US-Imperialismus seine alten Handlanger behandelt, gefangene Taliban in Viehwagons zusammengepfercht, erstickt, aus der Luft verbrennt und massenhaft hinrichtet.
Darüber hinaus: Im militärischen Sinn stehen wir auf der Seite all der Kräfte, die bereit sind, gegen die imperialistische Intervention vorzugehen. Das tun wir unabhängig von Charakter der betreffenden Kräfte. Wir treten prinzipiell für die Niederlage des Imperialismus ein, selbst wenn ein imperialistisches Land ein nicht-imperialistisches Land mit einer faschistischen Regierung angreift. Die Niederlage des Imperialismus und der Sieg eines solchen Staates wäre in jedem Fall das kleinere Übel. Nehmen wir an, die Slowakei wäre heute faschistisch. Sollte das „demokratische“ Deutschland oder das „liberale“ Amerika in diesem Land einmarschieren, träten wir für die Niederlage der Interventen ein. Das bedeutet jedoch keinesfalls, dass sich Kommunisten solchen Kräften politisch unterordnen. Im Gegenteil: Die Wirren des Krieges und die Aktivität der Massen werden revolutionäre Kräfte ausnutzen, um sich als die besseren militärischen und politischen Führer zu beweisen. Marxisten sind die konsequentesten Kämpfer gegen imperialistische Inverventionen. Sie suchen keinen faulen Kompromiss mit den imperialistischen Eindringlingen und sie betteln nicht um Hilfe bei anderen imperialistischen Staaten, die mit dem Interventen gerade im Clinch liegen.
Dort wo reaktionär-fundamentalistische Kämpfer bereit sind, sich den Imperialisten entgegenzustellen, sind wir für ihren militärischen Sieg, kämpfen Kommunisten militärisch gemeinsam mit ihnen, nicht zuletzt um in diesem Prozess die verarmten Massen von der klerikalen Reaktion zu trennen und für eine proletarisch-sozialistische Perspektive in der gesamten zentralasiatischen Region zu gewinnen. Deswegen können militärische Allianzen taktisch sinnvoll sein — im Gegensatz zu prinzipienlosen politischen Bündnissen. Dabei haben wir jedoch keine Illusionen in die Ziele von Kräften wie der Taliban. Wie könnte man das auch?
Das politische Programm der erzreaktionären Taliban behindert den Sieg der afghanischen Völker über den Imperialismus, weil es die Hälfte der afghanischen Bevölkerung vom Kampf ausschließt: die Frauen! Es behindert den Kampf, weil es die nationalen „Minderheiten“ ausschließt. Es behindert den Kampf, weil die Taliban die einzige antiimperialistische Klasse, das Proletariat der umliegenden zentralasiatischen Länder, fürchten. Und zuletzt: Ihr Programm lähmt den erfolgreichen Kampf, weil nur die von den Taliban verachtete Arbeiterklasse in den imperialistischen Metropolen den Imperialismus stürzen kann. Die Taliban würden in der Praxis ein beschränktes militärisches Bündnis mit marxistischen Kräften niemals zulassen, da sie es vorzögen, den gottlosen Kampfgefährten an ihrer Seite zu liquidieren weil sich der gleichfalls „gottlose“ NATO-Pilot am Himmel außerhalb der Reichweite ihrer Gewehre befindet. So waren die Taliban unfreiwillige Wegbereiter einer Protektoratsregierung, in der eine Nord-Allianz eine ähnlich erbärmliche Rolle spielen wird wie im Protektorat Kosova die UCK, die bei der NATO-Intervention in Jugoslawien auch gedacht hatte, der Schwanz könnte mit dem Hund wedeln.
Gruppe Leo Trotzki