Die maßgeblichste Gruppe [von Anarchisten im Jahre 1917], in dem Sinne, dass sie als einzige den Anschein einer Doktrin, eine wertvolle Anzahl von Kämpfern und das weitverbreitete Journal Golos Truda (Stimme der Arbeit [Eig. Übers.]) besaß, das eine Zeit lang mit der Prawda in den Fabriken Petrograds konkurrierte, veröffentlichte zwei oder drei Tage vor der Oktoberrevolution eine Erklärung, die […] voraussah, dass der Aufstand nur in der Herausbildung einer neuen Macht enden konnte. Da sie Gegner jeder Macht wären, würden sie verzichten damit anzufangen. Aber falls die arbeitenden Massen der Bewegung folgten, würden sie ihrerseits den arbeitenden Massen folgen. […] Eine vollständigere und erbärmlichere politische Absage wäre kaum vorstellbar.
— Serge 1994 [Eig. Übers.]Serge, Victor: Lenin in 1917. In: The Century of the Unexpected : Essays on Revolution and Counter-Revolution. Revolutionary History Bd. 5 (1994) 3. London : Socialist Platform
Die bolschewistische Revolution führte der ganzen Welt vor Augen, dass die Arbeiterklasse mit einer disziplinierten revolutionären Organisation an ihrer Spitze den Kapitalismus überwinden und ihre eigene Herrschaft errichten konnte. Wie schon die frühere Erfahrung der Pariser Kommune demonstrierte der Oktober 1917, dass es nicht ausreichte, die alte Ordnung und ihren Repressionsapparat zu zerschlagen. Neue Organe zur Ausübung der Arbeiterherrschaft (d. h. ein neuer proletarischer Staatsapparat) mussten geschaffen werden. Dies war nicht mit anarchistischen „antiautoritären“ Vorstellungen in Einklang zu bringen, was dazu führte, dass sich viele der besten russischen Anarchisten den Bolschewiki anschlossen, und viele, die dies nicht taten, nichtsdestoweniger die Revolution unterstützten.
Um den Schein libertärer Orthodoxie zu wahren, versuchten einige anarchistische Theoretiker einen Unterschied zwischen der sozialen Revolution auf der einen Seite und der Machtergreifung durch die Bolschewiki auf der anderen Seite herzustellen. Die Ausgabe der Golos Truda („Arbeiterstimme“, herausgegeben von Wsevolod Eichenbaum, aka Voline oder Volin) vom 6. November 1917 gab den Arbeitern zu bedenken, dass sich
[…] die „Machtergreifung“ und die soziale Revolution diametral gegenüberstehen. Die grundlegende Position des Anarchismus ist auf diese Weise bestätigt: Die Aktion von Parteien ist kein Ersatz für die soziale Revolution.
— Avrich 1973, S. 96 [Eig. Übers.]Avrich, Paul [Hrsg]: The anarchists in the Russian Revolution. Ithaca, NY : Cornell University Press, 1973. 179 S.
Die überwältigende Mehrheit der russischen Arbeiter zog jedoch eine andere Schlussfolgerung. Weit von einer Bestätigung der Doktrin des „Antiautoritarismus“ entfernt, widerlegte die Erfahrung der russischen Oktoberrevolution sie definitiv. Der Bürgerkrieg gegen die Weißen (deren Sieg eine tödliche Gefahr für jeden Linken und proletarischen Kämpfer dargestellt hätte) ließ wenig Raum für ein „drittes Lager“.
Im zweiten Band seiner monumentalen Studie der Russischen Revolution identifizierte Trotzki den fundamentalen Widerspruch des Anarchismus:
Die Prinzipien des Liberalismus existieren in der Wirklichkeit nicht anders als in Verbindung mit dem Polizeigeist. Der Anarchismus ist der Versuch, den Liberalismus von Polizeigeist zu säubern. Aber wie Sauerstoff im reinen Zustande für die Atmung unerträglich ist, so bedeuten die vom Polizeigeist gereinigten Prinzipien des Liberalismus den Tod der Gesellschaft. Als karikaturenhafter Schatten des Liberalismus teilt der Anarchismus im Allgemeinen dessen Schicksal. Die Entwicklung der Klassengegensitze, die den Liberalismus tötet, tötet auch den Anarchismus. Wie jede Sekte, die ihre Lehre nicht auf die wirkliche Entwicklung der menschlichen Gesellschaft stützt, sondern auf die ad-absurdum-Führung einer ihrer Eigenschaften, verflüchtigt sich der Anarchismus wie eine Seifenblase in dem Augenblick in die Luft, wo die sozialen Gegensätze zu Krieg oder Revolution führen.
— Trockij 1982, S. 553Trockij, Leo D.: Geschichte der russischen Revolution / Leo Trotzki Bd. 2,1: Oktoberrevolution, Fischer-Taschenbücher. Bd. Bd. 2,1: Oktoberrevolution, 2. Frankfurt am Main : Fischer Taschenbuch-Verl., 1973. S. 401-719
Heute, fast 85 Jahre nach der Oktoberrevolution und mehr als ein Jahrzehnt seit der Zerstörung der Sowjetunion, verleugnen viele Anarchisten gern die gesamte Erfahrung der Russischen Revolution. Die seither verstrichene Zeit in Verbindung mit dem Verrat und der Brutalität des Stalinismus machte dies allzu leicht. Um jedoch eine revolutionäre Bewegung aufzubauen, ist es notwendig, sorgfältig die Vergangenheit zu studieren und insbesondere die Lehren aus der sowjetischen Erfahrung zu ziehen. Die vom russischen Proletariat unter der Führung der bolschewistischen Partei entfesselte eindrucksvolle Macht „erschütterte die Welt“ und gewann Herz und Verstand von Abermillionen. Sie war ein welthistorisches Ereignis, das man nicht einfach abtun kann, wenn man ernsthaft den Kapitalismus beseitigen will.
Der „Plattformismus“, eine eher linke Strömung innerhalb des Anarchismus jener Zeit, entstand als eine Reaktion auf den Zusammenbruch des russischen Anarchismus infolge der Oktoberrevolution. Die ursprüngliche „Plattform“ wurde 1926 in Paris von einer Gruppe russischer anarchistischer Emigranten veröffentlicht, die mit der Zeitung Delo Truda (Sache der Arbeit [Eig. Übers.]) verbunden waren, und war unterzeichnet von Nestor Machno [1][1] Machno war der ehemalige Führer einer mächtigen, aufständischen Armee, die während des Bürgerkriegs sowohl Weiße als auch Rote in der Ukraine bekämpfte. , Peter Arschinow [2][2] Arschinow, ein ehemaliger Bolschewik, der im Jahr 1906 zum Anarchismus konvertierte, traf Machno erstmals 1910 in einem zaristischen Gefängnis. Er schloss sich später, genauso wie Voline, Machnos Bewegung in der Ukraine an. 1924 veröffentlichte er die Geschichte der Machno-Bewegung, die lange Zeit als anarchistischer Klassiker angesehen wurde. In den 30er Jahren war Arschinow vom Streit unter emigrierten Anarchisten in Paris enttäuscht und kehrte in Stalins Russland zurück, wo er in der Großen Säuberung verschwand. , Ida Mett [3][3] Der Text von Johannes Agnoli, Cajo Brendel und Ida Mett aus dem Jahr 1938 La commune de Cronstadt (deutschsprachige Ausgabe: Die revolutionären Aktionen der russischen Arbeiter und Bauern : Die Kommune von Kronstadt. Berlin : Kramer, 1974) ist bei Anarchisten jeder Couleur beliebt. sowie zwei weiteren, Walewski und Linski.
Die Plattform von 1926 beginnt mit der Skizzierung „des miserablen Zustands, in dem die anarchistische Bewegung vegetiert“ bis hin zum „Fehlen organisatorischer Prinzipien und Praktiken in der anarchistischen Bewegung“, was zu einem Zustand „chronischer allgemeiner Desorganisation“ geführt habe. Die Autoren des Dokuments schlugen hierfür als Abhilfe vor, ernsthafte libertäre Kommunisten in eine Organisation umzugruppieren, die auf einer revolutionären „Plattform“ basiere. Aber im Laufe der Jahre haben sich Versuche, ein gemeinsames Programm zu definieren, um sich auf dessen Basis zu organisieren, als schwierig erwiesen. Volin, der heute als „Synthetiker" eingeordnet würde, wies den Plattformismus schnell zurück und schrieb, laut Paul Avrich, eine vernichtende Antwort mit der Beschuldigung:
Ihr Ruf nach einem Zentralkomitee kollidierte nicht nur mit dem grundlegenden anarchistischen Prinzip der lokalen Initiative, sondern war eine klare Widerspiegelung des „Parteigeistes“ ihrer Führer. […] Kurz gesagt trachtete die Delo Truda-Gruppe danach, eine anarchistische Partei zu schaffen, deren Mission darin bestünde, die Massen zu führen, anstatt sie dabei zu unterstützen, ihre eigene Revolution vorzubereiten.
— Avrich 1967, S. 241f [Eig. Übers.]Avrich, Paul: The Russian anarchists / by Paul Avrich, Studies of the Russian Institute, Columbia University. Princeton, NJ : Princeton Univ. Press, 1967
Arschinow wies Volins Kritik als sterile Streiterei ab und sein Verbündeter Machno deutete an, dass Volin in Wirklichkeit ein bolschewistischer Agent sein könnte. Dies veranlasste Alexander Berkman, Emma Goldman und Ericco Malatesta sich am Kampf gegen die Plattformisten zu beteiligen. Berkman lamentierte, dass die Plattformisten
[…] nicht sehen wollen, dass bolschewistische Methoden nicht zur Freiheit führen können, dass Methoden und Themen in Wesen und Wirkungen identisch seien.
— Avrich 1967, S. 242f [Eig. Übers.]Avrich, Paul: The Russian anarchists / by Paul Avrich, Studies of the Russian Institute, Columbia University. Princeton, NJ : Princeton Univ. Press, 1967
Wenn es einige Überschneidungen in den „Methoden“ gäbe, so bestünde doch eine tiefe Kluft zwischen der Plattform von 1926 und dem Bolschewismus. Dies ist sofort deutlich erkennbar an der „gleich großen Gewichtung“ von Bauern und Arbeitern:
Da sie hauptsächlich eine Organisation der sozialen Revolution und außerdem eine antiautoritäre Organisation ist, die die unmittelbare Zerstörung der Klassengesellschaft auf ihre Fahnen geschrieben hat, stützt sich die Allgemeine Anarchistische Union gleichmäßig auf die zwei grundlegenden arbeitenden Klassen der heutigen Gesellschaft – die Arbeiter und die Bauern – und dient im gleichen Maße der Befreiung beider.
Gegenüber den städtischen Arbeitern und revolutionären Gewerkschaftsorganisationen muss die Allgemeine Anarchistische Union alle Anstrengungen unternehmen, um ihr Wegbereiter und ideeller Anführer zu werden.
Die gleichen Aufgaben setzt sich die Allgemeine Anarchistische Union auch in Bezug auf die unterdrückte Bauernschaft, wobei sie danach streben muss, ein Netzwerk revolutionärer wirtschaftlicher Organisationen der Bauernschaft zu entwickeln, die als Bollwerk im Kampf die gleiche Rolle wie die revolutionären Gewerkschaften der städtischen Arbeiterklasse spielen. Sehr sinnvoll wäre darüber hinaus die Gründung einer spezifischen Bauernunion, die auf freiheitlichen Grundsätzen basiert.
— Arschinow 1926 [Eig. Übers.]Arschinow, Pjotr A. ; Linski ; Machno, Nestor ; Mett, Ida ; Walewski, I. G.: Organisationsplattform der Allgemeinen Anarchistischen Union (Entwurf) : Gruppe russischer Anarchisten im Ausland ; 1926. 2007
In der wirklichen Welt klaffen die Interessen von Arbeitern und dem Kleinbürgertum (das die Groß- und Kleinbauern einschließt) häufig auseinander. Arbeiter haben Interesse an billiger Nahrung, während Bauern hohe Preise für ihre Erzeugnisse wollen. Bauern wollen billigen Transport, billige Arbeitskraft und niedrige Preise für Industriegüter, während Arbeiter (einschließlich Landarbeiter) höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten haben wollen. Der Widerspruch zwischen diesen zwei sozialen Klassen kann besonders akut in Situationen werden, wenn beispielsweise Eisenbahn- oder Erntearbeiter zur Erntezeit streiken. Während die Bolschewiki große Zugeständnisse gegenüber dem Bauerntum machten und erkannten, dass der Gewinn der Unterstützung (oder zumindest Neutralität) der mittleren und armen Bauern von zentraler Bedeutung ist, war ihre Haltung immer klar, dass die Interessen des Proletariats an erster Stelle standen.
Es gab Aspekte in der Plattform von 1926, die eine Abkehr von den traditionellen Positionen des Anarchismus darstellten, insbesondere der Aufruf zur Schaffung einer „revolutionären Armee“, die charakterisiert werde durch „Einheit eines Operationsplans und Einheit eines gemeinsamen Kommandos“:
[Das] Organ zur Verteidigung der Revolution, verantwortlich für die Bekämpfung der Konterrevolution an großen militärischen Fronten ebenso wie an der inneren Front (Verschwörungen der Bourgeoisie, Vorbereitung konterrevolutionärer Aktion), wird vollständig in der Zuständigkeit der Produktivorganisationen der Arbeiter und Bauern liegen, denen es untersteht und von denen es auch die politische Ausrichtung erhält.
— Arschinow 1926Arschinow, Pjotr A. ; Linski ; Machno, Nestor ; Mett, Ida ; Walewski, I. G.: Organisationsplattform der Allgemeinen Anarchistischen Union (Entwurf) : Gruppe russischer Anarchisten im Ausland ; 1926. 2007
Die Plattform plante auch, dass Nahrungsmittel und Ressourcen von den Arbeiter- und Bauernkooperativen verteilt werden sollten, die „“in ständige Organe der Versorgung von Stadt und Dorf umgewandelt“ würden. Plattformisten bestehen darauf, dass eine solche „Arbeiterselbstverwaltung“ antistaatlich sei, aber das hängt davon ab, ob die geplanten Versorgungskomitees, Arbeiterräte und revolutionäre Armee die Autorität haben, ihre Entscheidungen durchzusetzen. Eine „revolutionäre Armee“, fähig zur Unterdrückung der Bourgeoisie, würde faktisch den Embryo einer neuen Staatsmacht repräsentieren, zu welchen terminologischen Tricks ihre Führer auch immer greifen mögen. Wenn umgekehrt die Organe der Arbeitermacht nicht die Städte verpflegen, die Konterrevolution unterdrücken und die Produktion organisieren können, wird eine spontan regenerierte Bourgeoisie bald das Vakuum füllen.
Plattformisten befinden sich daher in einer unangenehmen und letztlich unhaltbaren Position: Zu anarchistisch für Bolschewiken und zu „bolschewistisch“ für viele Anarchisten. Während das Ausmaß des Bruchs der Plattformisten mit ihrer libertären Herkunft von ihren anarchistischen Kritikern oft überschätzt wird, steckt ein Körnchen Wahrheit in dem Vorwurf, sie wären aktiv, um den „Anarchismus zu bolschewisieren“, genauso, wie ein Körnchen Wahrheit im Vorwurf des „Anarchismus“ steckt, der Lenin von den zahmen „Marxisten“ der Zweiten Internationale entgegen geschleudert wurde, denen die offenkundige Feindschaft der Bolschewiki gegenüber der Bourgeoisie unangenehm war.
Plattformistischer Anarchismus kann leicht von „individualistischem“ Anarchismus oder Anarchismus als „Lebensstil“ unterschieden werden, genauso wie von den „Primitivisten“ die sich vorstellen, dass die Menschheit irgendwie zu ihrer präindustriellen Existenz zurückkehrt. Plattformisten können auch klar von den „Synthetikern“ abgegrenzt werden, die an eine Art Familie des Anarchismus glauben, und von den Anarcho-Syndikalisten mit ihrer Ausrichtung auf betriebliche Arbeit. Plattformisten sind „politische“ Anarchisten, aber nicht fixiert auf Wahlen. Sie anerkennen die Notwendigkeit eines ideologischen Kampfes, um arbeitende und unterdrückte Menschen für eine revolutionäre Weltanschauung zu gewinnen. Die italienische plattformistische Gruppe, Federazione dei Communisti Anarchici [deutsch: Föderation der kommunistischen Anarchisten (Anm. d. Übers.)], beschreibt sich selbst als eine Repräsentantin des „historischen Gedächtnisses und revolutionären Bewusstseins“ (FdCA 1994) der Arbeiterklasse.
Die irische Workers Solidarity Movement [deutsch: Arbeitersolidaritätsbewegung (Anm. d. Übers.)], derzeit die einflussreichste englischsprachige plattformistische Gruppe scheut sich nicht, „unsere Rolle innerhalb der Klasse als eine «Führung von Ideen» zu erkennen“ und behauptet:
Die Rolle der anarchistischen Organisation und der anarchistischen Idee in [einer Revolution] ist offensichtlich. Anarchistische Ideen verbinden die Kritik der kapitalistischen Gesellschaft mit der Vision einer neuen Art, die Gesellschaft zu organisieren. Diese Verbindung beinhaltet ein praktisches Verständnis der Mittel, die notwendig und akzeptabel sind, um Ergebnisse zu erreichen, die aber auch dabei helfen, das Vertrauen der Klasse in ihre eigenen Fähigkeiten und ihre Entscheidungskraft aufzubauen. Klar ist unsere Rolle, den Einfluss unserer Ideen so [weit] und breit wie möglich zu verbreiten.
— WSM 1991a, General Principles [Eig. Übers.]Workers Solidarity Movement (WSM): The role of the anarchist organisation a Workers Solidarity Movement position paper. (1991-01-02)
Viele der anarchistischen Kritiker des Plattformismus haben darauf hingewiesen, dass solche Vorstellungen eine auffallende Ähnlichkeit mit der leninistischen Avantgarde-Partei haben, ein Eindruck, der durch die Tatsache verstärkt wird, dass moderne Plattformisten, im Gegensatz zu Synthetikern, nicht alle Anarchisten zusammenbringen wollen, sondern eher versuchen, eine ausschließlich revolutionäre Tendenz aufzubauen. Dies ist eine Parallele zu Lenins Ablehnung von Karl Kautskys Begriff einer „Partei der ganzen Klasse“.
Um anarchistische Kritiker abzuwehren, die Plattformismus als „einen Schritt vom Bolschewismus entfernt“ denunzieren, greift die WSM auf eine Karikatur zurück:
Wir haben nicht den Wunsch, das zu sein, was die Leninisten „Die revolutionäre Führung“ nennen. Das impliziert, dass ihre Partei ein Stadium erreicht hat, wo sie das „Recht“ hat, Entscheidungen für die Klasse zu treffen (ob es ihnen gefällt oder nicht). Wir weisen diese Art der Führung als autoritär und zerstörerisch für Arbeiterdemokratie zurück.
— WSM 1991a, The organisation of the class [Eig. Übers.]Workers Solidarity Movement (WSM): The role of the anarchist organisation a Workers Solidarity Movement position paper. (1991-01-02)
Leninisten streben nicht danach, „Entscheidungen für die Klasse zu treffen“, aber sie vergessen auch nicht, dass „die Klasse“ alle Schattierungen politischer Meinungen enthält, von prokapitalistisch bis ultralinks. Bolschewiken erklären offen ihre Absicht, die Anhängerschaft der klassenbewusstesten Elemente durch politischen Kampf zu gewinnen, sowohl gegen offene als auch kaschierte Beschaffer bürgerlicher Ideologie innerhalb der Linken und der Arbeiterbewegung. Dieser Prozess politischer Differenzierung ist eine wesentliche Vorbedingung für die Transformation des Proletariats von einer Klasse an sich zu einer Klasse für sich.
Eine neuere Ausgabe der Publikation von Nordamerikas führender plattformistischer Gruppe, der Northeastern Federation of Anarcho-Communists (NEFAC) [Nordöstliche Föderation der Anarchokommunisten] enthält einen Artikel von Wayne Price, der anmerkt, dass, sowie einige Arbeiter, unvermeidlich vor der Mehrheit, die Notwendigkeit eines revolutionären Wechsels erkennen werden, es für diese Schicht Sinn machen wird,
[…] sich selbst zu organisieren, um den Prozess auf andere auszuweiten, die ihr Bewusstsein ändern.
— Price 2001Price, Wayne: Comments on Gordon's and Klassen's “Anarchism, Marxism And Renewing Socialism From Below”. In: The Northeastern Anarchist (2002), Nr. Issue 3, Fall/Winter 2001
Genosse Price beobachtet:
Dies stimmt mit Lenins Konzept der Avantgardepartei überein, aber es passt auch in die proorganisatorische Tendenz innerhalb des Anarchismus. Das schließt die frühen Bakuninisten, die Organisatorische Plattform der Libertären Kommunisten, die spanische FAI mit ihrer Föderation verwandter Gruppen sowie die derzeitige Plattform-Tendenz innerhalb des internationalen Anarchismus ein.
— Price 2001Price, Wayne: Comments on Gordon's and Klassen's “Anarchism, Marxism And Renewing Socialism From Below”. In: The Northeastern Anarchist (2002), Nr. Issue 3, Fall/Winter 2001
Price bietet die folgende Beschreibung einer anarchistischen Herangehensweise an Arbeiterräte an:
Die anarchistische politische Organisation besteht nur, um die Massenorganisationen zu fördern. Ihre Mitglieder dürfen in Gewerkschafts- oder Rätepositionen gewählt werden, aber sie zielt nicht darauf ab, in ein bürgerliches Parlament gewählt zu werden oder die während einer Revolution die Macht zu erobern, das heißt, sie ist keine Partei.
— Price 2001Price, Wayne: Comments on Gordon's and Klassen's “Anarchism, Marxism And Renewing Socialism From Below”. In: The Northeastern Anarchist (2002), Nr. Issue 3, Fall/Winter 2001
Warum sollten Revolutionäre nicht versuchen, die Führung der Arbeitermassenorganisationen zu gewinnen? Und warum sollten sie nicht, wenn sie Erfolg hätten, mit anderen Revolutionären zusammenarbeiten, um diese Positionen zu nutzen, den Kampf um die revolutionäre Eroberung der Macht von den Kapitalisten voranzutreiben? Dies sind keine abstrakten Fragen. In Zeiten vorrevolutionären Aufruhrs entstanden Arbeiterräte oft mehr oder weniger spontan. Die WSM schlägt vor:
Innerhalb [der Arbeiterräte] müssen Mitglieder der revolutionären Organisation die „treibende Kraft“ sein. Dies bedeutet, die Schlacht der Ideen zu gewinnen. Es bedeutet NICHT, die führenden Positionen zu besetzen, sie mit ungerechtfertigter Autorität zu bekleiden und dies dann unaufrichtig als ein Mandat zur Erteilung von Befehlen zu interpretieren.
— WSM 1991a, The organisation of the class [Eig. Übers.]Workers Solidarity Movement (WSM): The role of the anarchist organisation a Workers Solidarity Movement position paper. (1991-01-02)
Kein Leninist würde für „ungerechtfertigte Vollmacht“ oder „unaufrichtige Interpretation“ streiten, aber schlägt die WSM vor, als „treibende Kraft“ für die Revolution zu agieren, ohne die Arbeiterräte in den Kampf gegen die Kapitalisten und ihre Agenten zu führen? Stellt sich die WSM vor, dass die repressive Staatsmaschine der Kapitalisten zerschlagen werden kann durch etwas anderes als eine organisierte (d. h. disziplinierte) Gegenmacht oder dass solche Formationen nicht von Revolutionären geführt werden sollten? Eine solche Sichtweise würde praktisch den Sieg der Ausbeuter garantieren.
Wenn die WSM anzudeuten versucht, dass die Arbeitermacht auf Sowjets und nicht auf einer einzelnen Partei basieren sollte, ist dem nicht zu widersprechen, zumindest im Prinzip. Aber wir kritisieren die Bolschewiken nicht dafür, den Sieg über die Weißen im Bürgerkrieg verfolgt zu haben, trotz der Tatsache, dass sie in großen Teilen des Landes nicht länger die Unterstützung der Bevölkerung beanspruchen konnten oder gar der Arbeiterklasse.
Drei Jahre Bürgerkrieg und Blockade, die auf fast vier Jahre Weltkrieg folgten, verwüsteten die russische Gesellschaft. Hunger grassierte, da die landwirtschaftliche Produktion bei ungefähr einem Drittel ihres Vorkriegsniveaus lag, während die industrielle Produktion (mit Ausnahme von Munition) weniger als ein Fünftel betrug. Die Bauernschaft hatte die erzwungenen Lebensmittelrequisitionen (einfügen: nur) ertragen, um die Rote Armee und die Städte zu ernähren, weil sie wusste, dass der Sieg der Weißen die Rückkehr der Großgrundbesitzer bedeutet hätte. Die industrielle Arbeiterklasse, die die Revolution gemacht hatte, war dezimiert worden. Die klassenbewusstesten Elemente waren entweder im Kampf gegen die Weißen getötet worden oder vom Militär- oder Zivilapparat absorbiert worden, wo sie neben einer großen Anzahl vertriebener kleinbürgerlicher Elemente arbeitete, einschließlich vieler ehemaliger zaristischer Funktionäre.
Der Erfolg der Oktoberrevolution drängte viele Linke, einschließlich Menschewiki, Anarchisten und Linke Sozialrevolutionäre (SRs), sich den Bolschewiki anzuschließen. Im Verlauf des Bürgerkriegs setzten die (streichen: Bolschewiki, einfügen: Kommunisten) Bolschewiki zunehmend strengere Restriktionen durch und verboten schließlich ohne Umschweife oppositionelle politische Formationen. In den meisten Fällen wurden diese durch die Verwicklung ihrer Opponenten in bewaffneten Widerstand gegen den jungen Arbeiterstaat veranlasst. Schließlich wurden 1921 „vorübergehend“ Fraktionen innerhalb der bolschewistischen Partei selbst verboten. Dies waren verzweifelte Maßnahmen, notwendig geworden durch eine verzweifelte Situation. 1938 erinnerte sich Victor Serge, ein Anarchist, der zum Parteigänger der Oktoberrevolution wurde, wie die Zustände während des Bürgerkriegs aussahen:
In Wirklichkeit reichte ein kleiner direkter Kontakt mit den Leuten, um eine Vorstellung von dem Drama zu bekommen, das während der Revolution die Kommunistische Partei (und mit ihr den Staub der anderen revolutionären Gruppen) von den Massen trennte. Zu keiner Zeit formten die revolutionären Arbeiter mehr als einen unbedeutenden Prozentsatz der Massen selbst. 1920-21 waren alle, die tatkräftig, militant und wenigstens ein bisschen sozialistisch waren in der arbeitenden Bevölkerung und unter den fortschrittlichen Elementen auf dem Lande, schon in die kommunistische Partei geströmt, die während der vier Jahre des Bürgerkrieges die Mobilisierung nicht stoppte, von den Bereitwilligen bis hin zu den Schwankendsten. […] Und weil es nötig ist, immer weitere Opfer zu bringen, um die Revolution fortzuführen, kommt es so weit, dass die Partei in Konflikt mit der eigenen Mitgliedschaft gerät. Es ist nicht der Konflikt zwischen der Bürokratie und den revolutionären Arbeitern, es ist der Konflikt zwischen der Organisation der Revolutionäre – und den Rückständigen, den Nachzüglern, den am wenigsten bewussten Elementen der arbeitenden Massen. Unter dem Deckmantel dieses Konfliktes und der Gefahr verfestigt sich die Bürokratie ohne Zweifel.
— Serge 1939 (Antwort an Ciliga) [Eig. Übers.]Serge, Victor: A Letter and Some Notes. In: New International : a Marxist review 5 (1939).
Die Wahrheit ist immer konkret und die notwendige Taktik für Revolutionäre muss in jedem Stadium des Kampfes mit den real existierenden Möglichkeiten im Einklang stehen. In Russland 1920 gab es nur zwei Optionen, den Sieg der Roten oder den der Weißen. Neuwahlen zu den Sowjets hätten Mehrheiten für jene Parteien geschaffen, die sofort Schritte unternommen hätten, um den Kapitalismus wiedereinzuführen. Wie Serge, und viele andere Anarchisten, erkannten, war die Aufrechterhaltung der Herrschaft der Kommunistischen Partei die einzige Alternative zur Wiederherstellung der russischen Bourgeoisie.
Die WSM beschwert sich während der Vorstellung der Plattform von 1926, dass die Bolschewiken die Anarchisten verfolgt haben:
Im April 1918 wurden die anarchistischen Zentren Moskaus angegriffen, 600 Anarchisten inhaftiert und Dutzende getötet. Die Entschuldigung war, dass die Anarchisten „unkontrollierbar“ waren, was immer das bedeutetet haben könnte, wenn nicht, dass sie sich einfach weigerten, den bolschewistischen Führern Folge zu leisten. Der wirkliche Grund war die Formierung der Schwarzen Garden, die aufgebaut wurden, um die brutalen Provokationen und Missbräuche durch die Tscheka zu bekämpfen (die Vorläuferin des heutigen KGB).
Anarchisten mussten sich entscheiden, wo sie standen. Eine Sektion arbeitete mit den Bolschewiki und schloss sich ihnen aus Sorge um Effizienz und Einheit gegen die Reaktion an. Eine andere Sektion kämpfte hart, um die Errungenschaften der Revolution gegen das zu verteidigen, was sich, wie sie richtig sahen, zu einer neuen herrschenden Klasse entwickeln würde.
— MacSimoin 1989 [Eig. Übers.]MacSimoin, Alan: The Organizational Platform of the Libertarian Communists: Preface (WSM). 1989
Der Oktoberaufstand 1917 wurde von den Bolschewiken geführt, aber Anarchisten und Linke Sozialrevolutionäre nahmen ebenfalls teil:
In der zweiten Oktoberwoche etablierte der Petrograder Sowjet ein militärisch-revolutionäres Komitee, das unter Trotzkis fähiger Führung bald den Sturz der Provisorischen Regierung in die Wege leitete. Obwohl die Bolschewiki mit 48 Mitgliedern vorherrschten, waren 14 Linke Sozialrevolutionäre und 4 Anarchisten, unter ihnen Shatow, tatkräftige Teilnehmer. Eines der anarchistischen Mitglieder, ein Arbeiter des Obuchow-Stahlwerks wiederholte die bekannte Forderung nach „Taten statt Worten“, Taten, die die Kapitalisten wie „Abschaum vom Antlitz der Erde“ fegen würden. Aktionen standen kurz bevor.
— Avrich 1967, S. 158f [Eig. Übers.]Avrich, Paul: The Russian anarchists / by Paul Avrich, Studies of the Russian Institute, Columbia University. Princeton, NJ : Princeton Univ. Press, 1967
Ein paar Monate später wurden die Beziehungen zwischen den Bolschewiken, den
linken Sozialrevolutionären und den Anarchisten durch den Brest-Litowsker Vertrag
(unterzeichnet im März 1918) ernsthaft belastet, der eine große Fläche des
produktivsten Territoriums des ehemaligen russischen Reiches Deutschland
überließ[4][4] In seiner Stalin-Biographie schrieb Trotzki :
„Aber die Linken
Sozialrevolutionäre verließen die Regierung aus Protest gegen den Frieden von
Brest-Litowsk im März 1918 und im Juli stachen sie der sowjetischen Regierung in den
Rücken, indem sie jene mit der vollendeten Tatsache der Ermordung des deutschen
Botschafters Mirbach und einem versuchten Staatsstreich konfrontierte. Was hätten uns
die Herren Liberalen unter den gegebenen Umständen tun lassen: die Oktoberrevolution,
das Land und uns durch unsere verräterischen ehemaligen Partner in der
Koalitionsregierung völlig zerstören und unter den Marschstiefeln der deutschen
kaiserlichen Armee zertrampeln lassen? Fakten sind hartnäckig. Die Geschichte hat
dokumentiert, dass die Partei der Linken Sozialrevolutionäre unter dem Einfluss der
bevorstehenden Ereignisse zu Staub zerfiel und viele der tapfersten Mitglieder wurden
unerschütterliche Bolschewiki, unter ihnen Blumkin, der Attentäter gegen den
Grafen von Mirbach. Waren die Bolschewiki nur rachsüchtig oder waren sie
„liberal“, als sie die revolutionäre Motivation hinter Blumkins dumm
desaströsem Akt der Provokation wahrnahmen und als sie ihn als volles Parteimitglied
aufnahmen und mit sehr verantwortungsvoller Arbeit betrauten?“
— Trockij 1947 [Eig. Übers.]). Lenin, Trotzki
und die Mehrheit der bolschewistischen Führung bestanden darauf, dass dies notwendig
sei, um eine Atempause zu bekommen zur Konsolidierung des jungen Arbeiterstaates, aber die
Anarchisten, die Linken Sozialrevolutionäre und eine linke bolschewistische
Minderheitsfraktion sahen dies als schmachvolle Kapitulation. Laut Aussagen von
Avrich:
Gegenüber Lenins Behauptung, dass die Rote Armee zu müde sei, um länger zu kämpfen, erwiderten die Anarchisten, dass professionelle Armeen ohnehin obsolet seien und das die Verteidigung der Revolution nun die Aufgabe der Volksmassen sei, organisiert in Partisanenverbänden.
[…]
Ferner begannen die Anarchisten, neben ihren lästigen verbalen Angriffen, eine konkretere Gefahr darzustellen. Teils in der Vorbereitung für den zu erwartenden Guerilla-Krieg gegen die Deutschen, und teils um feindliche Manöver der Sowjetregierung zu hemmen, hatten die lokalen Klubs der Moskauer Föderation der Anarchisten Abteilungen der „Schwarzen Garden“ organisiert (die schwarze Fahne war das anarchistische Emblem), bewaffnet mit Gewehren, Pistolen und Granaten. Von ihren Hauptquartieren im Haus der Anarchie aus versuchten die Führer der Föderation Maßnahmen zur Disziplinierung der Schwarzen Garden zu ergreifen und die Aktivitäten der lokalen Klubs auf die Herausgabe von Propaganda und die „Requisition“ privater Residenzen zu beschränken. Dies erwies sich als eine unmögliche Aufgabe. Einmal bewaffnet, erlag eine Anzahl von Gruppen und isolierten Individuen der Versuchung, „Enteignungen“ durchzuführen […] .
Nach der eigensinnigen anarchistischen Kampagne gegen das Abkommen von Brest-Litowsk brachten die bewaffneten Garden und ihre Unterweltsausflüge das Fass zum Überlaufen. Die bolschewistische Führung beschloss zu handeln. Ein passender Vorwand wurde am 9. April geliefert, als eine Bande Moskauer Anarchisten das Automobil von Colonel Raymond Robbins stahlen, dem Repräsentanten des Amerikanischen Roten Kreuzes und verständnisvollem Kontakt zur US-Regierung.
— Avrich 1967, S. 182ff [Eig. Übers.]Avrich, Paul: The Russian anarchists / by Paul Avrich, Studies of the Russian Institute, Columbia University. Princeton, NJ : Princeton Univ. Press, 1967
In der Nacht vom 11. zum 12. April stürmte die Tscheka (der sowjetische Sicherheitsdienst) die anarchistischen Hauptquartiere und eine wilde Schießerei brach aus. Laut Avrich wurde
„ein Dutzend Tscheka-Agenten getötet, ungefähr 40 Anarchisten wurden getötet oder verwundet und mehr als 500 wurden gefangen genommen“
— Avrich 1967, S. 184 [Eig. Übers.]Avrich, Paul: The Russian anarchists / by Paul Avrich, Studies of the Russian Institute, Columbia University. Princeton, NJ : Princeton Univ. Press, 1967
In den folgenden Monaten suchten die Sozialrevolutionäre und Anarchisten Vergeltung durch Attentate und Bombenanschläge. Lenin wurde angeschossen und ernsthaft verwundet. Am 25. September 1918 sprengte ein gemeinsames Kommando von Linken Sozialrevolutionären und Anarchisten das Hauptquartier des Moskauer Komitees der Kommunistischen Partei während eines Treffens der Führung in die Luft. Zwölf Komiteemitglieder wurden getötet und 55 weitere verwundet. (vgl. Avrich 1967, S. 188 [Eig. Übers.])Avrich, Paul: The Russian anarchists / by Paul Avrich, Studies of the Russian Institute, Columbia University. Princeton, NJ : Princeton Univ. Press, 1967
Die Bolschewiken konnten letztendlich erfolgreich die Anarchisten und Sozialrevolutionäre unterdrücken und die Macht behalten, aber sie waren sich wohl bewusst, dass die Revolution nicht durch Polizeimaßnahmen triumphieren könne. Die Wirtschaftsproduktion musste wiederbelebt und die direkte politische Herrschaft der Arbeiterräte wiederhergestellt werden. Aber dies konnte durch keine vorstellbare Politik in den Grenzen des rückständigen, erschöpften und vom Krieg verwüsteten Russlands erreicht werden. Es war nur möglich, durch revolutionäre Durchbrüche auf internationaler Ebene, besonders in Westeuropa, dessen waren sich Lenin, Trotzki und der Rest der bolschewistischen Führung akut bewusst. Für sie war die Russische Revolution nicht allein ein russisches Ereignis, sondern vielmehr das erste in einer internationalen Kette proletarischer Revolutionen. Lenin schloss seine Rede zum Petrograder Sowjet, mit der er am 7. November 1917 die Entstehung der Sowjetmacht mit den Worten proklamierte: „Lang lebe die sozialistische Weltrevolution!“
Der Sieg der stalinistischen Fraktion 1924 wurde unter der autarken nationalistischen Überschrift „Sozialismus in einem Land“ organisiert. Dies signalisierte das Ende der bolschewistischen Partei als ein revolutionäres Instrument. Die bürokratische politische Konterrevolution war letzten Endes ein Produkt der abebbenden revolutionären Nachkriegswelle in Europa und der Niederlagen, die die Linke international erlitten hatte, besonders in Deutschland im Oktober 1923.
Selbst wenn wir von den historischen Erfahrungen der Russischen Revolution abstrahieren, ist es eine Tatsache, dass Macht sich nicht gegen sich selbst richtet (es muss heißen: dass Macht sich nicht von selbst ausübt). Wenn es Arbeiterräte gibt, werden Repräsentanten des einen oder anderen Programms politische Oberhand gewinnen. In Situationen von Doppelherrschaft werden die Reformisten immer so agieren, dass sie die bürgerliche Herrschaft restabilisieren, gewöhnlich im Namen einer klassenlosen, abstrakten Demokratie. In solchen Situationen müssen Revolutionäre danach trachten, die Frage, welche Klasse herrschen wird, durch die Enteignung der Kapitalisten, die Auflösung ihrer Prätorianergarden und die Schaffung bewaffneter Einheiten zu lösen, die gegenüber den Arbeiterorganisationen loyal sind. Dies war die Politik, die von den Bolschewiki (unterstützt von den Linken Sozialrevolutionären und vielen Anarchisten) im Oktober 1917 verfolgt wurde. Wo hätten die Plattformisten gestanden?
In vorrevolutionären Situationen tendieren Arbeiter zunächst dazu, auf ihre alten, etablierten Führungen zu schauen (ob sozialdemokratisch, stalinistisch oder gewerkschaftsbürokratisch. Hätte die plattformistische „Avantgarde der Ideen“ in Russland 1917 die Unterstützung der Mehrheit der Arbeiterklasse gewonnen und wäre sie in führende Positionen der Arbeiterorganisationen gewählt worden, wäre es dann nicht ihre Pflicht gewesen, ihre ganze moralische und politische Autorität dafür zu nutzen, die Unterstützung für Maßnahmen zu gewinnen, die sie als notwendig beurteilt hätte, um die Revolution zu fördern?
Um ihre „fundamentale Differenz“ mit Lenin vorzutragen, schreibt die WSM:
Wir stimmen mit Lenin überein, dass Autorität nur von Autorität geschlagen werden kann, dass die Autorität der Bosse nur durch die Autorität der Arbeiter geschlagen werden kann. Wir stimmen darin überein, dass eine Führung innerhalb der Massen gebraucht wird, aber während unsere Führung eine der Überzeugung und Bildung ist, geht die leninistische Partei darüber hinaus und versucht, nach der Macht durch die Kontrolle des Staates zu greifen. Sie strebt danach, die Autorität der Partei über die Arbeiter auszuüben. Dadurch, dass sie dass tut, bereitet sie den Weg für das Wachstum einer neuen unterdrückenden herrschenden Klasse.
— WSM 1991a, The organisation of the class [Eig. Übers.]Workers Solidarity Movement (WSM): The role of the anarchist organisation a Workers Solidarity Movement position paper. (1991-01-02)
In einer revolutionären Situation kann die Arbeiterklasse über diejenigen, die die alte Ordnung unterstützen, nur durch die Agentur einer revolutionären Organisation „ihre Herrschaft ausüben“.
Der Grund, warum die Bolschewiki 1917 die Unterstützung der Mehrheit hatten, war, dass sie sich offen für „Alle Macht den Sowjets“ einsetzten. Sie versuchten nicht, Kontrolle über den kapitalistischen Staat zu erringen, sondern ihn zu zerstören und ihn durch Organe zu ersetzen, die in der Lage waren, die Autorität der Arbeiter über die Bourgeoisie zu behaupten. Unter normalen Umständen in einer bürgerlichen Gesellschaft betrachtet nur eine geringe Minderheit von Arbeitern den Sturz der Ausbeuter als möglich oder sogar als wünschenswert. Aber wenn diese Stimmung die Masse des Proletariats ergreift, schrecken Revolutionäre nicht davor zurück, den Willen der radikalisierten Mehrheit dem Kleinbürgertum oder rückständigeren Schichten der Arbeiterklasse aufzuzwingen.
Plattformisten stehen der anarcho-syndikalistischen Vorstellung kritisch gegenüber, dass kapitalistische Herrschaft durch Kämpfe am Arbeitsplatz beendet werden kann:
Syndikalismus selbst schafft keine politische revolutionäre Organisation. Er schafft Industriegewerkschaften. Er ist unpolitisch, indem er argumentiert, dass alles, was für die Arbeiter notwendig sei, um die Revolution zu machen, die Eroberung der Fabriken und des Landes sei. Zudem schürt er den Glauben, der Staat und all die anderen Organisationen der herrschenden Klasse würden zusammenstürzen. Sie akzeptieren nicht, dass die Arbeiterklasse politische Macht übernehmen muss. Für sie muss alle Macht sofort am Tag Eins der Revolution abgeschafft werden. […] Die Grenzen des Syndikalismus wurzeln in seiner Sicht, warum Arbeiter an den Kapitalismus gebunden sind und seiner Auffassung davon, was notwendig sei, um die Revolution durchzuführen.
— WSM 2006 [Eig. Übers.]Workers Solidarity Movement (WSM): The Trade Unions. (2006-04)
Die WSM zitiert die elende politische Kapitulation der anarcho-syndikalistischen Confederación Nacional del Trabajo (CNT) und der mit ihr verbündeten Federación Anarquista Ibérica (FAI) in der Spanischen Revolution:
Spanien repräsentierte 1936/37 die Spitze anarcho-syndikalistischer Organisation und Errungenschaft. Aufgrund ihrer apolitischen Haltung waren sie unfähig, ein Programm für Arbeitermacht zu entwickeln, eine politische Schlacht gegen andere Strömungen innerhalb der Arbeiterbewegung zu führen (wie Reformismus und Stalinismus) und der ganzen Klasse eine Führung im Kampf für vollständige Arbeitermacht zu geben.
Stattdessen wurden sie in die Unterstützung für die Volksfrontregierung gesogen, was im Gegenzug zu ihrem Stillschweigen und ihrer Komplizenschaft führte, als sich der republikanische Staat gegen die Kollektive und Milizen wandte.
— WSM 2006 [Eig. Übers.]Workers Solidarity Movement (WSM): The Trade Unions. (2006-04)
Während die Plattformisten die CNT/FAI ablehnen, identifizieren sie sich mit den links-anarchistischen „Freunden Durrutis“ (FD), benannt nach Buenaventura Durruti, einem heroischen anarchistischen Milizenführer, der bei der Verteidigung Madrids gegen Francos Truppen 1936 getötet wurde. Die FD denunzierten die Beteiligung der CNT/FAI-Führung an der bürgerlichen Volksfrontregierung mit Begriffen, ähnlich jenen, die von den spanischen Trotzkisten benutzt wurden, als sie Andres Nins pseudoleninistische Partido Obrero de Unificación Marxista (POUM) kritisierten, die ebenfalls der Volksfront beigetreten war.
Die FD kritisierten die CNT-Führung vernichtend für ihre politische
Kapitulation im Juli 1936
[5][5] Nachdem die
Arbeiterklasse den Versuch der Armee, die Macht zu ergreifen, niedergeschlagen hatte,
wurden die Führer der CNT/FAI am 21. Juli 1936 in den Palast von Kataloniens
Präsident gerufen. Diego Abad de Santillán, ein prominenter Führer der
FAI, berichtete, daß Präsident Companys, der keinen Militär- oder
Polizeiapparat hatte, zu ihnen sagte:
„Ihr seid jetzt die Herren der Stadt und
Kataloniens, denn ihr allein habt die faschistischen Soldaten besiegt… Ihr habt
gesiegt, und alles steht in eurer Macht. Wenn ihr mich als Präsidenten nicht braucht
oder nicht wollt, sagt es jetzt, und ich werde nur noch wie jeder andere ein Soldat im
antifaschistischen Kampf sein. Glaubt ihr aber, daß ich auch auf diesem Posten, den
ich nur als Leiche einem Siegreichen geräumt hätte, mit meinen Parteikameraden,
meinem Namen und meinem Prestige in diesem Kampf von Nutzen sein kann, so könnt ihr
mit mir… rechnen…“
— Broué &
Témime 1968, S. 155
[6][6]
Santillán lieferte das folgende zeitlose Beispiel für die Logik von
„apolitischem“ Anarchismus:
„Wir hätten allein bleiben, unseren
absoluten Willen allen aufzwingen, die Regionalregierung für erloschen erklären
und an ihre Stelle die wirkliche Macht des Volkes setzen können; aber wir hatten
nicht an die Diktatur geglaubt, als sie gegen uns ausgeübt wurde, und wir wollten sie
nicht, als wir nun die Möglichkeit hatten, sie auf Kosten anderer auszuüben. Die
Regionalregierung mit dem Präsidenten Companys an der Spitze sollte auf ihrem Posten
bleiben, […].“
— Broué &
Témime 1968, S. 156.
Im Maikampf 1937 in Barcelona kooperierten die Freunde Durrutis und die spanischen Trotzkisten auf den Barrikaden eng miteinander, um die Versuche der Stalinisten zu stoppen, die letzten Funken revolutionären Widerstandes gegen kapitalistische Herrschaft auszulöschen. Die Hauptlehre, die die FD aus ihrer Erfahrung zogen, war, dass es notwendig ist, den bürgerlichen Staat zu zerschlagen und ihn durch eine revolutionäre proletarische „Junta“ zu ersetzen -- eine Position, die viele Anarchisten für gleichbedeutend mit Leninismus halten. Ein Buch, für das auf der WSM-Website geworben wird, bietet folgende Erklärung für diese «leichte Variation des Anarchismus» an:
Ihr mögt von der Idee der Anarchisten, die nach einer „Junta“ rufen, überrascht sein, aber was war damit gemeint? In ihrer Broschüre „Hin zu einer Frischen Revolution“, erschienen Mitte 1938, erklärten die FD, was die Junta sein würde. Sie beschrieben sie als eine leichte Variation des Anarchismus. „Das Gremium wird folgendermaßen organisiert: Mitglieder der revolutionären Junta werden durch demokratische Abstimmung in den Gewerkschaftsorganisationen gewählt. Es muss Rücksicht genommen werden auf die Anzahl der Genossen, die an der Front sind. Diese Genossen müssen ein Recht auf Repräsentation haben.
[…]
Posten werden für Neubesetzung zur Wahl gestellt, um zu vermeiden, dass sich jemand zunehmend daran gewöhnt. Und die Gewerkschaftsversammlungen werden Kontrolle über die „Aktivitäten“ der Junta ausüben.“
Dies war keine selbsternannte Gruppe von Führern, sondern ein demokratisches Organ, wodurch Arbeiter die Gesellschaft leiten und die Revolution vollenden können. Es gab keine Repräsentation für nicht zur Arbeiterklasse gehörende Organisationen oder politische Parteien. Dies war weit entfernt von Lenins Idee der Diktatur des Proletariats (lies Partei), die solch desaströse Folgen in Russland hatte.
— Conlon 2001 [Eig. Übers.]Conlon, E.: The Spanish Civil War: Anarchism in Action. PDF edition. Dublin : Workers Solidarity Movement, 2001.
Die skizzenhafte Beschreibung der Mechanismen ihrer vorgeschlagenen „Junta“ durch die Freunde Durrutis schlug eindeutig ein Gremium vor, das bereit und in der Lage wäre, Klassenfeinden, Verrätern und sogar rückständigen Elementen der Arbeiterklasse ihre Entscheidungen aufzuzwingen. Man muss sehr zu ihrer Ehre sagen, dass sich die Freunde Durrutis, wie die Besten der russischen Anarchisten, als sie mit der Entscheidung zwischen dem Sieg der Kapitalisten und der Notwendigkeit revolutionärer Autorität konfrontiert wurden, sich für die Letztere entschieden. In ihrer großen politischen Erklärung, „Hin zu einer Frischen Revolution“, sprachen sich die Freunde Durrutis in allem, nur nicht dem Namen nach, für die Diktatur des Proletariats aus:
Wenn die ganze Existenz einer Organisation damit verbracht wurde, die Revolution zu predigen, hat sie die Pflicht zu handeln, wann immer günstige Umstände auftauchen. Und im Juli [1936] trat dieser Fall ein. Die CNT hätte auf den Fahrersitz des Landes springen sollen, um allem einen ernsthaften Gnadenstoß zu versetzen, was veraltet und archaisch war. Auf diese Weise hätten wir den Krieg gewonnen und die Revolution gerettet.
Aber sie tat das Gegenteil. Sie kollaborierte mit der Bourgeoisie in Staatsangelegenheiten, genau in dem Moment, als der Staat zu allen Seiten weg bröckelte. Sie stärkte Companys und Co. den Rücken. Sie versorgte eine blutarme, zu Tode erschrockene Bourgeoisie mit frischer Energie.
Einer der unmittelbarsten Gründe, warum die Revolution erstickt und die CNT beseitigt wurde, ist, dass sie sich wie eine Minderheitsgruppe verhielt, auch wenn sie die Mehrheit auf der Straße hatte.
[…]
Andererseits würden wir behaupten, dass Revolutionen totalitär sind [Eig. Hervorhebung], ganz gleich, ob jemand etwas anderes sagt. Was passiert ist, dass man sich mit den zahlreichen Aspekten der Revolution fortschrittlich auseinandersetzt, aber unter dem Vorbehalt, dass die Klasse, die die neue Ordnung repräsentiert, diejenige mit der meisten Verantwortung ist. Und wenn die Angelegenheiten nur halb erledigt werden, haben wir das, was uns derzeit beunruhigt, das Desaster des Juli.
— FoD 2005 [Eig. Übers.]The Friends of Durruti Group: Towards a Fresh Revolution. 2005. Anarkismo.net. S.7f
Plattformismus repräsentiert einen Schritt vorwärts gegenüber dem undifferenzierten Individualismus des klassischen Anarchismus. NEFAC zum Beispiel begründet Mitgliedschaft auf politischer Übereinstimmung:
Die Föderation identifiziert sich mit anarchistisch-kommunistischen Prinzipien und organisiert sich auf der Basis dieser spezifischen Tradition und dieses Programmes. Das Dokument mit dem Titel „Aims and Principles“ [Ziele und Prinzipien (Eig. Übers.)] konstituiert die Basis unserer theoretischen und taktischen Einheit.
— NEFAC 2002 [Eig. Übers.]Northeastern Federation of Anarcho-Communists (NEFAC): Constitution (English), 2002.
Die WSM sagt, sie erwartet ein ernsthaftes Maß an Hingabe von ihren Mitgliedern:
Es reicht nicht aus, eine kleine Organisation mit vielen Sympathisanten aufzubauen. Wo es keine klare Grenze zwischen Mitgliedern und Sympathisanten gibt, wird ein massiver Zentralapparat benötigt, um die Masse von halb politisierten Mitgliedern in einer Reihe politischer Aktivitäten zusammenzuhalten. Die politische Diskussion geht zurück und ein Mangel an Ernsthaftigkeit schleicht sich ein. Dies wiederum reduziert die Fähigkeit der Mitglieder, unabhängige Bewertungen vorzunehmen und liefert die Grundlage für die Abhängigkeit von einer zentralen Bürokratie. Dies stünde im absoluten Widerspruch zu unseren anarchistischen Werten.
— WSM 1991a, The organisation of the class [Eig. Übers.]Workers Solidarity Movement (WSM): The role of the anarchist organisation a Workers Solidarity Movement position paper. (1991-01-02)
Dies gleicht Lenins Position von 1903 in der Zeit der Spaltung mit den Menschewiki in der Russischen Sozialdemokratischen Arbeitspartei. Die Menschewiki sprachen sich für eine breitere, allumfassende Organisation aus, aber Lenin argumentierte für eine Gruppe, lediglich aus engagierten Revolutionären zusammengesetzt und für den Ausschluss derjenigen, die nicht damit einverstanden sind, Direktiven der Organisation auszuführen. Aktuelle plattformistische Gruppen fordern von ihren Mitgliedern, Aufgaben zu erfüllen und sich an Mehrheitsentscheidungen zu halten. Beispielsweise macht die WSM klar, dass:
Jeder, der der WSM beitritt, übernimmt die Verantwortung, zu Gruppentreffen zu kommen, in Aktivitäten involviert zu sein und der Organisation den benötigten Mitgliedsbeitrag zu zahlen (zur Zeit 5% des gesamten Einkommens).
Ebenso, wie wir uns mit der „plattformistischen“ Tradition im Anarchismus identifizieren, bedeutet dies für Mitglieder der Workers Solidarity Movement in ihrer politischen Arbeit die „Positionspapiere“ und politischen Erklärungen umzusetzen und für sie zu argumentieren. Alle Mitglieder dürfen auf der nationalen Konferenz Änderungsanträge zu diesen Papieren einbringen, aber bis diese verändert sind, wird von ihm/ihr erwartet, sie umzusetzen.
— WSM 2005 [Eig. Übers.]Workers Solidarity Movement (WSM): Why You Should Join the Workers Solidarity Movement: a Workers Solidarity Movement position paper. 2005.
NEFAC hat ähnliche Erwartungen an ihre Mitglieder und die angeschlossenen Kollektive. „Revolutionäre Politik nicht als Hobby, sondern als Entscheidung fürs Leben“ verlangt diszipliniertes Funktionieren:
Durch die Akzeptanz kollektiver politischer Positionen und einer bestimmten Linie des Handelns ist es klar, dass jedes Mitglied sie in seiner oder ihrer politischen Arbeit anwendet. Es ist auch klar, dass kein Mitglied im Namen der NEFAC ohne föderale Zustimmung handeln darf. Wenn wir uns entschieden haben, welche Arbeit zu tun ist und auf welche Art sie zu tun ist, sind wir alle gegenseitig für ihre Ausführung verantwortlich. Diese kollektive Verantwortung ist nicht mehr, als die kollektive Methode der Aktion.
— NEFAC 2002 [Eig. Übers.]Northeastern Federation of Anarcho-Communists (NEFAC): Constitution (English), 2002.
Jenen, die es nicht schaffen, sich mit diesen Regeln abzufinden, kann die Mitgliedschaft entzogen werden.
Es ist nicht schwer zu sehen, warum einige Anarchisten die Plattformisten beschuldigen, die libertären Traditionen des Anarchismus aufgegeben zu haben, um sich an „Autorität“ zu klammern. Plattformismus ist in der Tat ein Mittelding zwischen Leninismus und Anarchismus. Plattformismus scheint von einer Gruppe zur andern zu variieren und einige plattformistische Gruppen scheinen gegenüber internen abweichenden Meinungen weniger tolerant zu sein als leninistische. Die irische Workers Solidarity Movement erklärt beispielsweise deutlich, dass sie sich jener entledigen möchte, die mit der politischen Linie der Gruppe nicht übereinstimmen:
[Wenn] Mitglieder sich in bedeutenden Meinungsverschiedenheiten auf verschiedenen bedeutenden Gebieten der Politik befinden, ermutigen wir sie, auszutreten. Wir sind keine Gruppe, die versucht, Leute mit weit auseinanderklaffenden Ideen zusammenzuhalten.
— WSM 2011 [Eig. Übers.]Workers Solidarity Movement (WSM): Position Papers of the WSM. The current 'Position Papers' of the Workers Solidarity Movement. 2011.
Was nicht verdeutlicht wird, ist die Methode, um zu bestimmen, wann die Meinungsverschiedenheiten von jemandem zu umfangreich oder zu ernsthaft sind, um in der Gruppe zu bleiben. Gesunde leninistische Organisationen versuchen im Unterschied dazu nicht, Umfang oder Tiefe interner Kritik zu begrenzen. Statt jene auszuschließen, die Differenzen mit der Mehrheit der Organisation entwickeln, gibt eine bolschewistische Organisation Andersdenkenden die Möglichkeit, intern zu kämpfen, um eine Mehrheit für ihre Auffassung zu gewinnen. Die einzige Bedingung ist, dass sie in der Zwischenzeit die Mehrheitsposition vertreten müssen. Während die WSM vorschlägt, jene mit „größeren Meinungsverschiedenheiten“ loszuwerden, erlaubt sie weniger ernsten Abweichlern, zu „handeln, wie sie es für angebracht halten“ innerhalb der vage definierten Grenzen der Gruppensatzung:
„Minderheiten, die mit irgendeiner politischen Position nicht übereinstimmen oder Mitglieder, die in einer Angelegenheit handeln wollen, für die keine politische Position existiert, haben das Recht zu handeln wie sie es für angebracht halten, solange sie klar machen, dass ihre Position nicht die der Organisation widerspiegelt und solange eine solche Position sie nicht außerhalb der Satzung der WSM stellt.“
— WSM 2011 [Eig. Übers.]Workers Solidarity Movement (WSM): Position Papers of the WSM. The current 'Position Papers' of the Workers Solidarity Movement. 2011.
Organisationen, in denen es jedem frei steht zu tun, was er fühlt, ohne eine Weisung vom Kollektiv anzunehmen, haben begrenzte revolutionäre Fähigkeiten, wie Plattformisten richtigerweise anerkennen. Umgekehrt sind hoch bürokratisierte, vorgeblich leninistische Gruppen (wie z. B. die Spartacist League) oft ziemlich gut darin, ihren Mitgliedern beizubringen, Instruktionen auszuführen, sind aber generell unfähig, politisch selbstbewusste Kader aufzubauen, die eigenständig denken.
Im Gegensatz zu individuellen Anarchisten schrecken Plattformisten nicht vor einer expliziten Führerstruktur zurück. Die nationale Konferenz der WSM hat die höchste Autorität mit einem Nationalkomitee auf Delegiertenbasis, dass damit betraut ist, zwischen Konferenzen Entscheidungen zu treffen und, wenn nötig, die Vorstandsmitglieder der Gruppen abzuberufen (nationaler Sekretär, Schatzmeister, internationale Sekretäre). NEFAC hat ein gewähltes „Generalsekretariat“, das Teil ihres „Koordinationskomitees“ ist, und auch einen „Föderalrat“. Diese Strukturen kommen ungefähr jenen nahe, die von der frühen Kommunistischen Internationale für ihre nationalen Sektionen angeordnet wurden.
Plattformisten haben die Sowjetunion praktisch von Anfang an für „staatskapitalistisch“ gehalten:
1. Seit den frühen Zwanziger Jahren haben die Anarchisten erkannt, dass die russische Ökonomie kapitalistisch ist, weil sie die Trennung der Produzenten von ihren Produktionsmitteln aufrechterhält und ihre Arbeit unterbewertet, um einen Mehrwert für eine herrschende Klasse herauszuziehen, wie in allen kapitalistischen Ländern.
[…]
10. 1921 hatte die entstehende herrschende Klasse (Bolschewiki und die Überreste der zaristischen Mittelklasse) die Macht den Arbeitern abgerungen. Dieser Prozess war 1918 im Kern vollzogen und wurde durch den «Kriegskommunismus» während des Bürgerkriegs und Trotzkis «Militarisierung der Arbeit» direkt danach beschleunigt. Der Bürgerkrieg dezimierte die Arbeiter und hinterließ sie ohne Macht, um Widerstand zu leisten und an den Errungenschaften der Revolution festzuhalten.
— WSM 1991b [Eig. Übers.]Workers Solidarity Movement (WSM): State Capitalism in Russia: a Workers Solidarity Movement position paper. (1991-01) [7][7]
Im Gegensatz zur WSM verstand die internationale Bourgeoisie, dass die Enteignung des heimischen und ausländischen Kapitals und die Schaffung einer kollektivierten Ökonomie einen radikalen Bruch mit dem Kapitalismus bedeuteten – ein System, das wesentlich charakterisiert ist durch allgemeine Warenproduktion, d. h., eine Produktion für Profit. Die sowjetische Ökonomie (wie China und Kuba heutzutage) lief auf der Basis bürokratischen Kommandotums. Kapitalistische Herrschaft und Überlegenheit des Marktes wurden in der ehemaligen UdSSR erst durch die soziale Konterrevolution wiederhergestellt, angeführt von Boris Jelzins Triumph über die Überbleibsel der stalinistischen Kleptokratie im August 1991[8][8] . Die plattformistische Charakterisierung der Sowjetunion als „staatskapitalistisch“ ist sowohl ein Ausdruck der Missbilligung der repressiven, arbeiterfeindlichen, stalinistischen herrschenden Kaste als auch eine Rationalisierung ihrer Weigerung, den bürokratisierten Arbeiterstaat gegen kapitalistische Konterrevolution zu verteidigen.
Das Versäumnis, zwischen bürokratisch kollektivierten Ökonomien und Kapitalismus zu unterscheiden, hat Plattformisten blind gemacht gegenüber dem qualitativen Unterschied zwischen den heroischen, prosozialistischen proletarischen Revolten gegen Stalinismus in Ostdeutschland 1953 und Ungarn drei Jahre später und den reaktionären Machenschaften der mit der CIA verbundenen klerikalistischen Solidarność in Polen um 1981. Die französischen Plattformisten behaupten:
Wir haben jeden Grund, uns über den Zusammenbruch dieses real existierenden Kommunismus zu freuen! Mehr als achtzig Jahre lang haben Libertäre die sogenannten kommunistischen Regime als blutige Diktaturen angeprangert auf staatskapitalistischer Basis, das Privateigentum ersetzt durch die Herrschaft einer Klasse von Bürokraten, die die Produktion und den Austausch zu ihrem Vorteil betrieben.
— OCL 2007 [Eig. Übers.]Organisation Communiste Libertaire: What we stand for? 2007-09-09.
Dennoch sind sich die Plattformisten, wie viele „trotzkistische“ Renegaten, bewusst, die ebenfalls die Zerstörung der degenerierten und deformierten Arbeiterstaaten bejubelten, dass die kapitalistische Wiederherstellung eine Katastrophe für die arbeitende Bevölkerung war. Zum Beispiel beobachtete ein Mitglied der tschechischen plattformistischen Gruppe, Solidarita [deutsch: Solidarität (Anm. d. Übers.)]:
Die Marktwirtschaft hat keine der Hoffnungen der Menschen auf ein anständiges und freies Leben erfüllt. Sicher können wir mehr Produkte kaufen und gibt es jetzt keinen Mangel mehr an wichtigen Güter wie Brot und Toiletten-Papier, aber alles ist sehr teuer. Generell ist unser Lebensstandard schlechter als er es unter der kommunistischen Diktatur war.
— Doyle 1998 [Eig. Übers.]Doyle, K.: Anarchism with a future - The Czech Republic / Interview with Vadim Barák. In: Red and Black Revolution : A magazine of libertarian communism (1998), Number 4, S. 4 6
Während Anarchisten historisch dazu neigten, gegenüber Fragen des Rechts (besser: Rechtsfragen) im Kapitalismus indifferent zu sein, haben Plattformisten eine Tradition der Beteiligung an Kämpfen zur Ausweitung und Verteidigung demokratischer Rechte. Zum Beispiel unterstützt die WSM in Irland den Kampf für gleiche Rechte aller ungeachtet der sexuellen Orientierung, während sie vor liberalen Illusionen warnt und unterstreicht, dass die Führer der Kampagne für homosexuelle Rechte:
[…] versagt haben, das „Recht“ des Staates anzufechten, in das Privatleben der Menschen zu intervenieren, und darin, eine nennenswerte Anzahl von Schwulen/Lesben/Bisexuellen und Unterstützern für Gleichheit in den aktiven Kampf einzubeziehen. Das hat dazu geführt, dass sie in der Realisierung einer Antidiskriminierungsgesetzgebung viel mehr Lösungen sehen, als die Realität nahelegen würde. […] Während eine solche Gesetzgebung ein Schritt nach vorne wäre, muss betont werden, dass [die] Richter und Polizei, die sich oft als Gegenspieler von Schwulen und Lesben erwiesen haben, die Leute sein werden, die mit der Umsetzung betraut sein werden.
— WSM 1999 [Eig. Übers.]Workers Solidarity Movement (WSM): Gay, Lesbian & Bisexual Oppression : a Workers Solidarity Movement position paper. Version vom 1999-05-11.
Dies demonstriert ein relativ raffiniertes Verständnis der Handlungsweise des
bürgerlichen Staates und stimmt überein mit Lenins Auffassung der Rolle von
Revolutionären als „Volkstribunen“, die bereit sind, jedes Symptom
sozialer Unterdrückung zu bekämpfen[9][9] In einer berühmten Passage seines Werks
Was tun? von 1902 schrieb Lenin [S. 118-119]:
„daß das Ideal eines
Sozialdemokraten nicht der Sekretär einer Trade-Union, sondern Volkstribun sein
muß, der es versteht auf alle Erscheinungen der Willkür und Unterdrückung
zu reagieren, wo sie auch auftreten mögen, welche Schicht oder Klasse sie auch
betreffen mögen, der es versteht, an allen diesen Erscheinungen das Gesamtbild der
Polizeiwillkür und der kapitalistischen Ausbeutung zu zeigen, der es versteht, jede
Kleinigkeit zu benutzen, um vor aller Welt seine sozialistischen Überzeugungen und
seine demokratischen Forderungen darzulegen, um allen und jedermann die welthistorische
Bedeutung des Befreiungskampfes des Proletariats klarzumachen.“
— Lenin 1902, S. 437.. Während alle
Anarchisten die Kriminalisierung von Prostitution und Abtreibung ablehnen, machen die
meisten ein Prinzip daraus, nicht an kapitalistischen Wahlen teilzunehmen. Daher ist es
bemerkenswert, dass die WSM kürzlich die Arbeiter dazu aufrief, bei einem Referendum
über Abtreibung in Irland mit „Nein“ zu stimmen. (O'Carroll 2002 [Eig. Übers.])O'Carroll, Aileen:
Vote No in Government's Anti-Choice Referendum. In: Workers Solidarity (2002) No.
68
Die plattformistische Antwort auf die letzten Fälle imperialistischer Angriffe auf Neo-Kolonien hatte den gleichen liberalen/pazifistischen Charakter wie die der Mainstream-Anarchisten. Während des US-geführten Angriffs 1991 auf den Irak zum Beispiel schrieb die WSM:
„Wir beziehen keine Seite zwischen den größeren Imperialisten, angeführt von den USA und den Möchtegern-Mini-Imperialisten geführt von Saddam Hussein.“
— WSM 1991c [Eig. Übers.]Workers Solidarity Movement (WSM): Anarchists on the Gulf War. Dublin : Workers Solidarity Movement, 1991.
Als die USA kürzlich Afghanistan angriffen, nahm die WSM eine Position der Neutralität ein und setzte absurderweise Bush Jr. und Bin Laden als zwei böse „Millionäre“ gleich. Während die WSM ihre Opposition „zu dem von Bush und Blair organisierten Krieg“ erklärte, weigerte sie sich, zur Verteidigung Afghanistans aufzurufen, trotz der Anerkennung, dass „Zehn- oder Hunderttausende Afghanen“ (WSM 2001 [Eig. Übers.])Workers Solidarity Movement (WSM): Against capitalist war and terror. Anarchist News (2001) No. 26. getötet werden könnten. Keine ernsthafte antiimperialistische Organisation kann bei solchen Konflikten neutral bleiben. Bin Laden, Mullah Omar, Saddam Hussein und andere sind Tyrannen, die gestürzt werden sollten, aber sie können nicht mit den imperialistischen Massenmördern gleichgesetzt werden. In der Tat sind alle von ihnen ehemalige imperialistische Handlanger, deren wahres „Verbrechen“ in den Augen der Imperialisten Ungehorsam ist.
Wenn imperialistische Länder Neo-Kolonien angreifen, ist es die Pflicht der internationalen Arbeiterbewegung, alles Mögliche zu tun, um die Opfer zu verteidigen. In den Dreißiger Jahren als Italien Äthiopien (damals bekannt als Abessinien) angriff, bezogen Trotzkisten militärisch die Seite Haile Selassies gegen Mussolini, trotz der Existenz von Leibeigenschaft unter der Herrschaft des Negus.
Plattformismus oder „Anarcho-Bolschewismus“ ist ein erfolgloser Versuch, sich wie ein Zaungast zu verhalten (der zweite Teil des Satzes sollte gestrichen und durch folgenden ersetzt werden: „sich nicht entscheiden zu können“). Plattformisten, die ernsthaft solch eine disziplinierte Organisation aufbauen wollen, die für einen erfolgreichen Kampf notwendig ist, um die kapitalistische Tyrannei zu stürzen, können dieses Ziel nur durch die Annahme des Leninismus erreichen. Es gibt keinen anderen Weg zur Revolution.
James P. Cannon, ein prominenter Führer der anarcho-syndikalistischen IWW (Industrial Workers of the World) [Industriearbeiter der Welt] vor dem Ersten Weltkrieg, der zum zentralen Führer des amerikanischen Trotzkismus wurde, sah mit Wohlwollen auf seine Erfahrungen als Wobbly [Spitzname für die Mitglieder der IWW (Anm. d. Übers.)] nach einem halben Jahrhundert zurück und stellte fest:
Der Anarchismus ist in Ordnung, wenn er unter der Kontrolle einer Organisation ist. Das mag wie ein Widerspruch in sich erscheinen, aber wenn es nicht den Anarchismus in uns als Individuen gäbe, würden wir nicht die Disziplin einer Organisation brauchen. Die revolutionäre Partei repräsentiert eine dialektische Einheit von Gegensätzen. In gewissem Sinne ist sie tatsächlich die Fusion rebellischer Instinkte der Individuen mit der intellektuellen Erkenntnis, dass ihre Rebellion nur effektiv sein kann, wenn sie in einer einzigen Streitmacht kombiniert und vereint werden, die nur eine disziplinierte Organisation liefern kann.
— Cannon 1973, S. 100 [Eig. Übers.]James Patrick Cannon: First Ten Years of American Communism. Report of a participant New York : Pathfinder Press, 1973, 343 S.
Für die Übersetzung der Quellen wurden möglichst deutschsprachige Veröffentlichungen herangezogen. In allen anderen Fällen handelt es sich um eigene Übersetzungen.
Abad de Santillán 1940
Abad de Santillán, Diego.
Zitiert in: Broué & Témime 1968
Arschinow 1926
Arschinow, Pjotr A. ; Linski ; Machno, Nestor ;
Mett, Ida ; Walewski, I. G.: Organisationsplattform der Allgemeinen Anarchistischen
Union (Entwurf) : Gruppe russischer Anarchisten im Ausland ; 1926. 2007.
URL http://www.nestormakhno.info/german/platform/org_plat.htm
Avrich 1967
Avrich, Paul: The Russian anarchists / by Paul
Avrich, Studies of the Russian Institute, Columbia University. Princeton, NJ :
Princeton Univ. Press, 1967
Avrich 1973
Avrich, Paul [Hrsg]: The anarchists in the Russian
Revolution. Ithaca, NY : Cornell University Press, 1973. 179 S.
Broué & Témime 1968
Broué, Pierre ;
Témime, Émile: Revolution und Krieg in Spanien. Frankfurt am Main :
Suhrkamp, 1968. 719 S.
Cannon 1973
James Patrick Cannon: First Ten Years of American
Communism. Report of a participant New York : Pathfinder Press, 1973, 343 S.
Conlon 2001
Conlon, E.: The Spanish Civil War: Anarchism in
Action. PDF edition. Dublin : Workers Solidarity Movement, 2001.
URL
http://struggle.ws/pdfs/spain.pdf
Doyle 1998
Doyle, K.: Anarchism with a future - The Czech Republic
/ Interview with Vadim Barák. In: Red and Black Revolution : A magazine of
libertarian communism (1998), Number 4, S.
4 6
URL http://www.wsm.ie/news_viewer/1886.
FdCA 1994
Federazione dei Comunisti Anarchisti: Statuto della
Federazione dei Comunisti Anarchisti / approvato al 4° Congresso della FdCA –
Florenz, Mai 1994. URL http://www.fdca.it/organizzazione/sp/statuto.htm
FoD 2005
The Friends of Durruti Group: Towards a Fresh Revolution.
2005. Anarkismo.net. S.7f
URL http://struggle.ws/pdfs/anarkismo/TowardFR.pdf
Lenin 1902
Lenin, Vladimir I.: Was tun? Brennende Fragen unserer
Bewegung. 1902. In: Lenin 1976
Lenin 1976
Lenin, Vladimir I.: Werke / W. I. Lenin. Bd. 5: Mai 1901
- Februar 1902. 7. Aufl. Berlin : Dietz, 1976. VIII, 590 S.
MacSimoin 1989
MacSimoin, Alan: The Organizational Platform of
the Libertarian Communists: Preface (WSM). 1989
NEFAC 2002
Northeastern Federation of Anarcho-Communists (NEFAC):
Constitution (English), 2002. URL http://nefac.net/node/105
O'Carroll 2002
O'Carroll, Aileen: Vote No in Government's
Anti-Choice Referendum. In: Workers Solidarity (2002) No. 68
OCL 2007
Organisation Communiste Libertaire: What we stand for?
2007-09-09.
URL http://oclibertaire.free.fr/spip.php?article8
Price 2001
Price, Wayne: Comments on Gordon's and Klassen's
“Anarchism, Marxism And Renewing Socialism From Below”. In: The
Northeastern Anarchist (2002), Nr. Issue 3, Fall/Winter 2001
Serge 1939
Serge, Victor: A Letter and Some Notes. In: New
International : a Marxist review 5 (1939)
Serge 1994
Serge, Victor: Lenin in 1917. In: The Century of the
Unexpected : Essays on Revolution and Counter-Revolution. Revolutionary History Bd.
5 (1994) 3. London : Socialist Platform
Trockij 1947
Trockij, Lev D. : Stalin : an appraisal of the man and
his influence / by Leon Trotsky. Ed. and transl. from the Russian by Charles Malamuth. -
1. ed.. - New York [u.a.] : Harper, 1941. - S. 337f
Trockij 1982
Trockij, Leo D.: Geschichte der russischen Revolution
/ Leo Trotzki Bd. 2,1: Oktoberrevolution, Fischer-Taschenbücher. Bd. Bd. 2,1:
Oktoberrevolution, 2. Frankfurt am Main : Fischer Taschenbuch-Verl., 1973. S. 401-719
WSM 1991a
Workers Solidarity Movement (WSM): The role of the
anarchist organisation a Workers Solidarity Movement position paper. (1991-01-02)
WSM 1991b
Workers Solidarity Movement (WSM): State Capitalism
in Russia: a Workers Solidarity Movement position paper. (1991-01)
WSM 1991c
Workers Solidarity Movement (WSM): Anarchists on the
Gulf War. Dublin : Workers Solidarity Movement, 1991.
URL http://struggle.ws/ppapers/gulf_war.html. - abgerufen 2010-05-08 (Datum)
WSM 1999
Workers Solidarity Movement (WSM): Gay, Lesbian &
Bisexual Oppression : a Workers Solidarity Movement position paper. Version vom
1999-05-11.
WSM 2001
Workers Solidarity Movement (WSM): Against capitalist war
and terror. Anarchist News (2001) No. 26.
WSM 2005
Workers Solidarity Movement (WSM): Why You Should Join
the Workers Solidarity Movement: a Workers Solidarity Movement position paper.
2005.
WSM 2006
Workers Solidarity Movement (WSM): The Trade Unions.
(2006-04)
WSM 2011
Workers Solidarity Movement (WSM): Position Papers of
the WSM. The current 'Position Papers' of the Workers Solidarity Movement. 2011.
URL http://www.wsm.ie/news_viewer/452?page=10&go=crystal%20defanti
1 Machno war der ehemalige Führer einer mächtigen, aufständischen Armee, die während des Bürgerkriegs sowohl Weiße als auch Rote in der Ukraine bekämpfte.
2 Arschinow, ein ehemaliger Bolschewik, der im Jahr 1906 zum Anarchismus konvertierte, traf Machno erstmals 1910 in einem zaristischen Gefängnis. Er schloss sich später, genauso wie Voline, Machnos Bewegung in der Ukraine an. 1924 veröffentlichte er die Geschichte der Machno-Bewegung, die lange Zeit als anarchistischer Klassiker angesehen wurde. In den 30er Jahren war Arschinow vom Streit unter emigrierten Anarchisten in Paris enttäuscht und kehrte in Stalins Russland zurück, wo er in der Großen Säuberung verschwand.
3 Der Text von Johannes Agnoli, Cajo Brendel und Ida Mett aus dem Jahr 1938 La commune de Cronstadt (deutschsprachige Ausgabe: Die revolutionären Aktionen der russischen Arbeiter und Bauern : Die Kommune von Kronstadt. Berlin : Kramer, 1974) ist bei Anarchisten jeder Couleur beliebt.
4 In seiner Stalin-Biographie schrieb Trotzki :
„Aber die Linken Sozialrevolutionäre verließen die
Regierung aus Protest gegen den Frieden von Brest-Litowsk im März 1918 und im Juli
stachen sie der sowjetischen Regierung in den Rücken, indem sie jene mit der
vollendeten Tatsache der Ermordung des deutschen Botschafters Mirbach und einem versuchten
Staatsstreich konfrontierte. Was hätten uns die Herren Liberalen unter den gegebenen
Umständen tun lassen: die Oktoberrevolution, das Land und uns durch unsere
verräterischen ehemaligen Partner in der Koalitionsregierung völlig
zerstören und unter den Marschstiefeln der deutschen kaiserlichen Armee zertrampeln
lassen? Fakten sind hartnäckig. Die Geschichte hat dokumentiert, dass die Partei der
Linken Sozialrevolutionäre unter dem Einfluss der bevorstehenden Ereignisse zu Staub
zerfiel und viele der tapfersten Mitglieder wurden unerschütterliche Bolschewiki,
unter ihnen Blumkin, der Attentäter gegen den Grafen von Mirbach. Waren die
Bolschewiki nur rachsüchtig oder waren sie „liberal“, als sie die
revolutionäre Motivation hinter Blumkins dumm desaströsem Akt der Provokation
wahrnahmen und als sie ihn als volles Parteimitglied aufnahmen und mit sehr
verantwortungsvoller Arbeit betrauten?“
— (Trockij 1947 [Eig.
Übers.])Trockij, Lev D. : Stalin : an appraisal of the man and his
influence / by Leon Trotsky. Ed. and transl. from the Russian by Charles Malamuth. - 1.
ed.. - New York [u.a.] : Harper, 1941. - S. 337f
5 Nachdem die Arbeiterklasse den Versuch der Armee, die Macht zu ergreifen, niedergeschlagen hatte, wurden die Führer der CNT/FAI am 21. Juli 1936 in den Palast von Kataloniens Präsident gerufen. Diego Abad de Santillán, ein prominenter Führer der FAI, berichtete, daß Präsident Companys, der keinen Militär- oder Polizeiapparat hatte, zu ihnen sagte:
„Ihr seid jetzt die Herren der Stadt und Kataloniens, denn ihr
allein habt die faschistischen Soldaten besiegt… Ihr habt gesiegt, und alles steht
in eurer Macht. Wenn ihr mich als Präsidenten nicht braucht oder nicht wollt, sagt es
jetzt, und ich werde nur noch wie jeder andere ein Soldat im antifaschistischen Kampf
sein. Glaubt ihr aber, daß ich auch auf diesem Posten, den ich nur als Leiche einem
Siegreichen geräumt hätte, mit meinen Parteikameraden, meinem Namen und meinem
Prestige in diesem Kampf von Nutzen sein kann, so könnt ihr mit mir…
rechnen…“
— Broué &
Témime 1968, S. 155Broué, Pierre ; Témime,
Émile: Revolution und Krieg in Spanien. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1968.
719 S.
6 Santillán lieferte das folgende zeitlose Beispiel für die Logik von „apolitischem“ Anarchismus:
„Wir hätten allein bleiben, unseren absoluten Willen allen
aufzwingen, die Regionalregierung für erloschen erklären und an ihre Stelle die
wirkliche Macht des Volkes setzen können; aber wir hatten nicht an die Diktatur
geglaubt, als sie gegen uns ausgeübt wurde, und wir wollten sie nicht, als wir nun
die Möglichkeit hatten, sie auf Kosten anderer auszuüben. Die Regionalregierung
mit dem Präsidenten Companys an der Spitze sollte auf ihrem Posten bleiben,
[…].“
— Broué &
Témime 1968, S. 156Broué, Pierre ; Témime,
Émile: Revolution und Krieg in Spanien. Frankfurt am Main : Suhrkamp, 1968.
719 S.
7 Im Gegensatz zur Auffassung der WSM, ist „Arbeit“ nicht „unterbewertet“ in der kapitalistischen Gesellschaft. Arbeitskraft, oder die Fähigkeit zu arbeiten, ist eine Ware, die anderen Dinge gleich, zu ihrem eigenen Wert verkauft wird. Arbeitskraft ist ein einzigartiges Gut, insofern es mehr Wert schaffen kann, als es kostet, da Personen länger arbeiten können, als notwendig ist, um ihre Fähigkeit zur Arbeit zu reproduzieren. Der soziale Mehrwert, der von der Arbeiterklasse im Kapitalismus produziert wird, unterstützt alle „nicht-produktiven“ Mitglieder der Gesellschaft, einschließlich Spekulanten der herrschenden Klasse, Faulenzer und Schmarotzer. (Im Kapitalismus nimmt der extrahierte Überschuss die Form von Mehrwert an und wird durch die Tatsache verborgen, dass die Arbeitskraft nicht unterbewertet ist.) Im Sozialismus werden alle Arbeiter nicht das Äquivalent dessen erhalten, was sie produzieren, da ein Teil des Überschussproduktes in gesellschaftlich nützlicher Weise investiert wird, wie in die Industrialisierung der ehemaligen Neo-Kolonien, Umweltschutz, Wohnungen, Gesundheitsversorgung, Bildung, Kinderbetreuung etc.
8 Zur Diskussion über den Verlauf der kapitalistischen Wiederherstellung in der UdSSR nach dem Triumph Boris Jelzins im August 1991, siehe 1917 : Journal of the International Bolshevik Tendency. (2002) No. 24.
9 In einer berühmten Passage seines Werks Was tun? von 1902 schrieb Lenin [S. 118-119]:
„daß das Ideal eines Sozialdemokraten nicht der
Sekretär einer Trade-Union, sondern Volkstribun sein muß, der es versteht auf
alle Erscheinungen der Willkür und Unterdrückung zu reagieren, wo sie auch
auftreten mögen, welche Schicht oder Klasse sie auch betreffen mögen, der es
versteht, an allen diesen Erscheinungen das Gesamtbild der Polizeiwillkür und der
kapitalistischen Ausbeutung zu zeigen, der es versteht, jede Kleinigkeit zu benutzen, um
vor aller Welt seine sozialistischen Überzeugungen und seine demokratischen
Forderungen darzulegen, um allen und jedermann die welthistorische Bedeutung des
Befreiungskampfes des Proletariats klarzumachen.“
— Lenin 1902
Lenin, Vladimir I.: Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung. 1902. In:
Lenin 1976
Lenin 1976
Lenin, Vladimir
I.: Werke / W. I. Lenin. Bd. 5: Mai 1901 - Februar 1902. 7. Aufl. Berlin : Dietz, 1976.
VIII, 590 S.