Eine Krise revolutionärer Führung

Ägyptische Massen in Aufruhr

Der Sturz von Zine el-Abidine Ben Ali, des langjährigen Diktators von Tunesien, löste Schockwellen in der gesamten arabischen Welt aus und entfachte einen Volksaufstand in Ägypten, dem bevölkerungsreichsten und politisch wichtigsten Land der Region. Die starke ägyptische Arbeiterklasse, die im vergangenen Jahrzehnt militante Kämpfe austrug, hat eine große Rolle in den Massendemonstrationen gespielt, die das Land ins Wanken bringen. Arbeiter, die dem vom Staat kontrollierten Ägyptischen Gewerkschaftsbund angehören, trotzten ihren Führern und inszenierten eine landesweite „illegale“ Arbeitsniederlegung.

Der Zorn der Massen und ihre Bereitschaft, das eigene Leben im Kampf zum Sturz der verhassten Diktatur Husni Mubaraks zu riskieren, wurden in den vergangenen zwei Wochen wiederholt demonstriert. Die objektive gesellschaftliche Macht des Proletariats macht es zum natürlichen Führer aller Unterdrückten im Kampf zur Zerschlagung des ägyptischen Polizeistaats und damit zugleich der Sprengung der Ketten des globalen Imperialismus. Aber um diese Rolle zu erfüllen, braucht die Arbeiterbewegung revolutionäre Führung - eine leninistische Partei, die mit dem Programm der permanenten Revolution bewaffnet ist. Leider existiert eine solche Partei noch nicht, nicht einmal im Keimstadium.

Mubarak ist seit langem einer der wertvollsten regionalen Aktivposten des US-Imperialismus. Die (überwiegend militärische) „Hilfe“ in Höhe von $1,5 Milliarden, die Ägypten jährlich von Washington gewährt wird, steht an zweiter Stelle nach Israel. Zunächst versuchte die US-Politik so zu tun, als sei nichts geschehen, beispielsweise in der Erklärung von Außenministerin Hillary Clinton am 25. Januar, dass das Mubarak-Regime „stabil“ sei. Als jugendliche Demonstranten ein paar Tage später Sicherheitskräfte überwältigten und es ihnen gelang eine Reihe von Polizeiwachen (sowie das politische Hauptquartier von Mubaraks Partei) abzufackeln, kamen die Gönner des ägyptischen Machthabers widerwillig zu dem Schluss, dass es Zeit sei über einen „geordneten Übergang“ zu reden. An diesem Punkt favorisieren sie ein „neues“ Regime unter Führung Omar Suleimans, Mubaraks oberstem Handlanger und langjährigem Leiter des ägyptischen Geheimdienstes, der mit der reaktionären Moslembruderschaft und anderen Figuren verhandelt, die angeblich gegen die Diktatur sind.

Wenn es mit Suleiman nicht klappt, wird die ägyptische herrschende Klasse vielleicht in ein Experiment mit einer Art Pseudodemokratie unter Führung von Mohammed ElBaradei (dem ehemaligen Leiter der Internationalen UN-Atomenergiebehörde) oder einer vergleichbaren Galionsfigur hinein gezogen. Ein solches Regime wäre kaum mehr als ein Feigenblatt für den furchteinflößenden militärisch-polizeilichen Staatsapparat. Falls sich die Gestaltung einer „demokratischen“ Lösung als zu schwierig erweisen sollte, wäre ein Militärputsch die letzte Option für die Herrscher Ägyptens.

Am 2. Februar führte Mubaraks politische Polizei, in einem Versuch, der wachsenden Dynamik der Proteste zu begegnen, mehrere tausend Schläger in einem organisierten Angriff gegen Dissidenten auf Kairos Tahrir-Platz, das Zentrum des Aufruhrs. Zahlreiche Menschen wurden getötet und viele weitere verwundet, aber die Demonstranten wehrten sich mit improvisierten Selbstverteidigungseinheiten und konnten sich behaupten. Die ägyptische Armee, die zuvor erklärt hatte, nicht auf die Protestierenden zu feuern, tat nichts, um die mörderischen Schläger für das Regime zu hindern. Dies war zweifellos eine Offenbarung für manche der naiveren Demonstranten, die nur einige Tage vorher gesungen hatten „das Volk und die Armee sind eins“. Die Vorstellung, dass die Armee, deren oberste Militärs die Diktatur über Jahrzehnte unterstützt hatten, stehe an der Seite des Volkes und der Demokratie ist eine gefährliche Illusion. Mubaraks Herrschaft beruhte immer auf der Polizei, den Geheimdiensten und dem Militär. Zusammengenommen bilden diese Institutionen den Kern des Staates. Jede wesentliche Verbesserung der Lebensbedingungen für die Massen erfordert die Zerstörung (oder „Zerschlagung“) des Unterdrückungsapparates der Kapitalisten. Die Zerschlagung des kapitalistischen Staates wird die Spaltung der Wehrpflichtigenarmee durch die Gewinnung eines Teils beinhalten, vor allem aus den Reihen der Mannschaften für die Seite des Aufstandes.

Viele, die unter Mubarak gelitten haben, stellen sich vor, dass freie Wahlen ihre Probleme lösen werden. Einige haben zu einer Verfassunggebenden Versammlung für die Ausarbeitung einer neuen demokratischen Verfassung aufgerufen. Marxisten unterstützen die Sehnsucht der Massen nach Demokratie, während sie gleichzeitig darauf bestehen, dass eine Verfassunggebende Versammlung, die fähig ist, die autokratische Herrschaft hinwegzufegen, den revolutionären Sturz des derzeitigen Regimes verlangt. Die grundsätzliche Frage, die sich heute in Ägypten stellt, lautet: Welche Klasse soll herrschen? Um weiter zu kommen, muss die Anti-Mubarak-Revolte beginnen, Institutionen zu schaffen, die Arbeitern und Armen erlaubt, ihrem Willen Geltung zu verschaffen. Ein wesentlicher Schritt besteht darin, neue Gewerkschaften zu bilden, die unabhängig von den Bossen und ihrem Staat sind. Es ist ebenso notwendig, Räte mit Delegierten von verschiedenen Arbeitsplätzen und Arbeitervierteln im ganzen Land zu bilden, genauso wie es russische Arbeiter in den Revolutionen von 1905 und 1917 taten. Ein weiterer offensichtlicher Schritt ist die Organisierung bewaffneter Selbstverteidigungswachen in jedem Unternehmen und Arbeiterviertel sowie lokale Ausschüsse zur Beschaffung und Verteilung von Lebensmitteln, Wasser und anderen notwendigen Dingen. Solche Einrichtungen können die Basis für einen neuen Staatsapparat bilden, einem, der dem Dienst und dem Schutz der Interessen der arbeitenden Menschen und aller Unterdrückten gewidmet ist. Zwei zentrale Forderungen im Kampf gegen die Tyrannei Mubaraks sind, dass sofort all jene freigelassen werden, die aus politischer Opposition gegen die Diktatur zu ihren Opfern wurden und dass zentrale Figuren des alten Regimes vor Arbeitertribunale gestellt werden.

Das grundlegende Problem, mit dem die ägyptischen Massen konfrontiert werden, kann als „Krise der Führung“ beschrieben werden. Arbeiter und Jugend an der Spitze des Kampfes sind entschlossen, nicht nur das derzeitige Regime los zu werden, sondern sich von der toten Hand der Oligarchen zu befreien, die die überwiegende Mehrheit der Reichtümer des Landes ihr Eigen nennen und kontrollieren. Diese Entschlossenheit ist eine notwendige, aber keine ausreichende Bedingung für die grundsätzliche (d.h. revolutionäre) Rekonstruktion der ägyptischen Gesellschaft. Die wesentliche Voraussetzung für die soziale Revolution ist die Schaffung einer revolutionären Arbeiterpartei, die dem Kampf die Richtung geben kann, um das soziale System, das Mubarak hervorgebracht hat, zu entwurzeln.

Eine revolutionäre Partei in Ägypten würde sich bemühen, die materiellen Entbehrungen der Massen anzusprechen, beginnend mit der Forderung nach sofortiger Enteignung von Mubarak (der es geschafft hat, ein persönliches Vermögen von rund $40 Milliarden in einem Land anzuhäufen, in dem 40 Prozent der Bevölkerung ihr Dasein fristen mit weniger als $2 pro Tag). Während die unrechtmäßig erworbenen Gewinne von korrupten bürgerlichen Freunden Mubaraks ebenfalls sofort beschlagnahmt werden sollten, ist es notwendig, über den brutalen Diktator und seinen engsten Kreis hinauszugehen und die kapitalistische Klasse als Ganze zu enteignen. Damit wäre es möglich, sich um die chronische Arbeitslosigkeit zu kümmern, unter der die ägyptische Jugend leidet, sowie die Sorgen der Bevölkerung wegen Nahrung, Wohnung, Gesundheitsversorgung und Bildung durch die Einführung rationaler Wirtschaftsplanung zu thematisieren.

Die Behörden versuchen, gegenüber den Demonstranten auf Zeit zu spielen, um die Kontrolle über die Straßen zurück zu gewinnen, während sie gleichzeitig verschiedene bedeutungslose kosmetische Zugeständnisse anbieten. Washington ist alarmiert durch die Aussicht, dass sich Instabilität in der Region ausbreitet und möchte deshalb eher einen politischen als einen militärischen Weg finden, um die Proteste herunter zu schrauben. Der einzige Weg für Ägyptens Arbeiter und Jugend liegt in der Schaffung einer disziplinierten bolschewistischen Kampforganisation wie die Partei unter der Führung Lenins und Trotzkis, die die russischen Arbeiter im Oktober 1917 zum Sieg führte.

Nieder mit der Diktatur von Mubarak und Suleiman!

Keine Unterstützung für ElBaradei oder die Moslembruderschaft!

Imperialisten: Hände weg von Ägypten!

Für Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von den Bossen und ihrem Staat!

Für eine revolutionäre Arbeiterpartei in Ägypten!

Vorwärts zu einem ägyptischen Arbeiterstaat in einer Sozialistischen Föderation des Nahen Ostens!