Der Hauptfeind steht im eigenen Land

Die militärische Verteidigung der deformierten Arbeiterstaaten ist die eine Seite revolutionärer Politik; den deutschen Imperialismus, repräsentiert in der jeweiligen Regierung, als zentralen Klassengegner zu bekämpfen, die andere. „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“: Diese Parole Karl Liebknechts und der Gruppe Internationale am 1. Mai 1915, die verbunden wurde mit der Forderung „Krieg dem Krieg“ und „Sturz der Regierung“, ist heute bei der Linken in Vergessenheit geraten. Keine der vorgeblich revolutionären Organisationen verbindet den Kampf gegen die imperialistische Aufrüstung mit der Perspektive der Revolution, mit der Forderung einer Arbeiterregierung. Das ist kein Zufall: Alle „revolutionären Sozialisten“ sind Vertreter eines Minimalprogramms, um die Einheit mit der Friedensbewegung und der SPD nicht zu gefährden. Aufgrund dieser Kapitulation vor dem bürgerlichen Einfluß werden sie zur linken Flankendeckung chauvinistischer Propaganda und geraten in Konflikt mit ihrem eigenen Anspruch, für eine revolutionäre Perspektive einzustehen.

Während des 1. Weltkrieges konkretisierte Lenin seine Imperialismus­analyse durch die Feststellung, daß die Niederlage der eigenen Bourgeoisie das kleinere Übel sei. Dies muß auch der Grundgedanke in Zeiten imperialistischer Kriegsvorbereitungen sein, hängt doch das Überleben der Menschheit von der Verhinderung des imperialistischen atomaren Erstschlages ab. Die BRD ist die stärkste imperialistische Macht Europas, Eckpfeiler der NATO mit uneingelösten Gebietsansprüchen gegenüber DDR und Polen. Ihr wachsender ökonomischer Einfluß treibt sie zusehends in einen Konflikt mit den USA, ohne daß die herrschenden Kreise in der BRD aktuell den Austritt aus der NATO betrieben. Noch überwiegen nämlich die gemeinsamen Interessen, vor allem die Sowjetunion atomar in Schach zu halten und zu erpressen. So unterstützt die Kohl-Regierung SDI im Rahmen der NATO und kombiniert diese mit der Europäischen Verteidigungsinitiative (EVI). Das Ziel dieses europäischen Weltraum-Abwehrsystems besteht darin, die Kurz- und Mittelstreckenraketen der Sowjetunion auszuschalten. Mit EVI wird hier die Grundlage geschaffen, auf hohem technologischem Niveau militärisch den Ausbau der deutschen Vorherrschaft in Europa bei weltweiten Ambitionen abzusichern.

In der Unterstützung von EVI und EUREKA treffen sich Regierung und Opposition. Die SPD-Führung kritisiert die „Vasallentreue“ der Christlich-Liberalen gegenüber den USA und warnt – unberechtigterweise – vor dem Ausverkauf „deutscher Interessen“. Ihre Ablehnung von SDI verbindet die Sozialdemokratie mit einer uneingeschränkten Unterstützung des europäischen Kriegsprogramms, einer neuen Etappe der „Entspannungspolitik“. Der rationelle Kern der SPD-Politik im Unterschied zur Regierung liegt also in einer stärkeren Differenzierung vom amerikanischen Kapital; die SPD formuliert deutlicher die Unabhängigkeitsbestrebungen des deutschen Imperialismus hinsichtlich der Organisierung eines kapitalistischen Europas unter deutscher Vorherrschaft.[1]Trotzki, Nationalsozialismus, S. 69

Deutsche imperialistische Politik hat also nicht nur ein anti-sowjetisches, sondern auch ein anti-amerikanisches Gesicht. Zwar haben die Organisationen der Beilagenkonferenz versucht, dem deutschen Imperialismus Flagge zu zeigen; zu einer wirklichen Klärung des Verhältnisses BRD-USA ist es jedoch nicht gekommen. Vielmehr betrieben z.B. die KG(NHT) 1984 eine Verharmlosung des deutschen Imperialismus mit dem „Resümee: So wenig sich die deutsche Frage auf die Wiedervereinigung reduziert, sondern im Kern die Frage des ‚demokratischen Friedensvertrages‘ ist, so wenig betreibt die eigene Bourgeoisie heute eine Kriegspolitik mit den eingangs zitierten Überfallabsichten (‚DDR, VR Polen, CSSR, SU usw.‘)“.[2]Gemeinsame Beilage, 30. November 1984 Natürlich betreibt die BRD eine Kriegspolitik – vorerst noch im Rahmen der NATO. Die von den KG angeführte militärische Schwäche der BRD – im Klartext: ohne fremde Hilfe mit der UdSSR fertigzuwerden – soll gerade mit dem Ausbau der Bundeswehr und der Stärkung des deutschen Militarismus durch EVI und EUREKA behoben werden. Auch die KPD schrieb 1984 nach ihrer widerlich deutsch-nationalistischen Propaganda während der Blütezeit der Friedensbewegung: „Es bleibt jedoch eine Tatsache, daß die wesentlichen Impulse zur Entfesselung lokaler Kriege und schließlich eines neuen Weltkriegs heute vom Hegemoniestreben des US-Imperialismus ausgehen, daß die Vorbereitung dieser Kriege hauptsächlich über die NATO-Schiene läuft und folglich der Kampf gegen die Kriegsgefahr und gegen die Kriegsziele des BRD-Imperialismus im besonderen in erster Linie gegen die NATO-Mitgliedschaft der BRD gerichtet werden muß“.[3]Gemeinsame Beilage, 20. April 1984 Hierin ist sie sich mit der GIM einig, die in ihrem Fusionsvorschlag analysierte: „Infolge der Nachwirkungen des Ergebnisses des Zweiten Weltkriegs … und angesichts der Zersplitterung des europäischen Kapitals in national-staatlich operierende Kapitalien – bleibt der BRD-Imperialismus strukturell unfähig, eine vom US-Imperialismus tatsächlich unabhängige Außen- und Militärpolitik zu betreiben“.[4]Vereinigungsverhandlungen …,S. 19 „Strukturell unfähig“ – für die GIM bleibt die BRD eine „Bananenrepublik"; dabei liegt es gerade an der „Struktur“ dieses Systems, eines der stärksten imperialistischen Mächte der Welt, aus der Rolle des „Kriegsverlierers“ herauszukommen. Für Kommunisten wäre die Loslösung des BRD-Kapitals aus dem NATO-Verband keine „progressive Zwischenetappe“, sondern bedeutete nur eine andere Variante deutscher imperialistischer Politik, ohne NATO den Traum von deutscher Vorherrschaft „von Portugal bis zum Ural“ Wirklichkeit werden zu lassen. Diese innere Logik des deutschen Nationalismus gilt es aufzuzeigen!

"Nieder mit der NATO, nieder mit der Bundeswehr – der Hauptfeind steht im eigenen Land!"; diese Parolen geben die Stoßrichtung zur Mobilisierung der Arbeiterbewegung gegen imperialistische Kriegsvorbereitungen an.

Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund entwickelte sich die kleinbürgerliche Friedensbewegung. Ihre Funktion besteht darin, Pazifismus , Nationalismus und Anti-Sowjetismus massenhaft zu verankern und den Protest gegen die Aufrüstung zu kanalisieren. Der Zenit dieser Bewegung ist seit langem überschritten. Sie fraktionierte sich entlang deutsch-nationaler Positionen in das sozialdemokratische pro-EUREKA Spektrum von KOFAZ (in der sich die DKP nicht entblödet, den Stalljungen zu spielen) und die GRÜNEN, die mit ihren „blockübergreifenden Aktionen“ bevorzugt auf Anti-Sowjetismus machen. Die Frustration ist groß, da jedermann sah, daß mit gewaltfreien symbolischen Aktionen oder Gottesdiensten der NATO-Militärmaschine nicht beizukommen ist. Der Shultz-Besuch in Westberlin im Dezember 1985 zeigte drastisch den Niedergang des kleinbürgerlichen Protestes. Die Hauptparole der Demonstration lautete: „Reagan(!), Shultz(!), das hätten sie gerne – unser(!) Geld für den Krieg der Sterne!“ Na denn!

Es ist bezeichnend, daß alle Sozialisten sich über die Tradition des revolutionären Antimilitarismus der internationalen Arbeiterbewegung ausschweigen. Schon vor 1914 wurde in den Debatten innerhalb der Sozialdemokratie der grundsätzliche Trennungsstrich zwischen revolutionärer und kleinbürgerlicher Politik in der Friedensfrage gezogen. Lenin wandte sich gegen die Instrumentalisierung der Friedenssehnsucht der Massen, gegen kleinbürgerliche Hoffnungen auf „friedliche“ Kreise des Kapitals und gegen pazifistische Illusionen, daß ohne einen Sturz des kapitalistischen Systems Frieden zwischen den Nationen herrschen könne.

Ganz anders dagegen z.B. die KPD, die sich als Bestandteil der Friedensbewegung gegen deren „offizielle“ Positionen zur Abrüstung folgendermaßen profilieren möchte: „Demgegenüber vertreten wir als Kommunisten in der BRD und Westberlin den Standpunkt radikaler Einseitigkeit“.[5]Roter Morgen (RM) 51/52, 1985 Damit wiederholt sie doch nur die sozialpazifistische Propaganda der Bernstein, Kautsky, Haase und Ledebour, die Rosa Luxemburg in den programmatischen Leitsätzen zur Gründung des Spartakusbundes scharf kritisierte: „Der Weltfriede kann nicht gesichert werden durch utopische oder im Grunde reaktionäre Pläne wie internationale Schiedsgerichte kapitalistischer Diplomaten, diplomatische Abmachungen über ‚Abrüstung‘, ‚Freiheit der Meere‘ … und dergl. Imperialismus. Militarismus und Kriege sind nicht zu beseitigen oder einzudämmen, solange die kapitalistischen Klassen unbestritten ihre Klassenherrschaft ausüben. Das einzige Mittel, ihnen erfolgreich Widerstand zu leisten, und die einzige Sicherung des Weltfriedens ist die politische Aktionsfähigkeit und der revolutionäre Wille des internationalen Proletariats, seine Macht in die Waagschale zu werfen“.[6]Spartakusbriefe, S. 114 ‚Abrüstung‘? – Aber die Frage ist hier, wer wen entwaffnen wird. Die einzige Abrüstung, die den Krieg abwenden oder beenden kann, ist die Entwaffnung der Bourgeoisie durch die Arbeiter. Um aber die Bourgeoisie zu entwaffnen, müssen sich die Arbeiter selbst bewaffnen“ (Übergangsprogramm).[7]Trotzki, Übergangsprogramm, S. 33

Im nachhinein wird versucht, die kritiklose Unterstützung gegenüber der Friedensbewegung mit dem Argument zu entschuldigen, daß diese erst nach der erfolgten Raketenstationierung 1983 eine grundsätzliche Positionsänderung vollzogen habe. Zwar richtete sich zu Beginn der 80er Jahre die Hauptforderung gegen die Cruise-Missile und Pershing II-Stationierung, aber schon der Krefelder Appell (November 1980) argumentierte für eine „friedensstiftende“ Politik im Rahmen des NATO-Bündnisses bei Beibehaltung der Bundeswehr. Die Parole „Abrüstung in West und Ost“ war von Beginn an Programm dieser Bewegung, wobei es dagegen nur am „Zeitgeist“ liegt, daß sich die Reihenfolge der Adressaten der Abrüstungsforderung geändert hat.

Kommunisten hatten in einer solchen Bewegung nichts verloren; umgekehrt ging und geht es darum, in diese Bewegung zu intervenieren, um Militante für eine revolutionäre Perspektive, für Arbeiteraktionen gegen Aufrüstung zu gewinnen.[8]siehe Gruppe IV. Internationale, Flugblatt Schwarz Rot Goldene Friedensbewegung: Alternativer Marsch für die BRD, 15.09.1983 Stattdessen verloren sich unsere „revolutionären Sozialisten“ in die Bewegung und büßten mit der Anpassung an deren kleinbürgerliche Grundlage einen Teil ihrer Kader an die GRÜNEN ein.

Nachdem der Zersplitterungsprozeß der Friedensbewegung unübersehbar, die Vereinnahmung dieser „sozialen Bewegung“ auch nicht ansatzweise gelungen ist, bemüht sich die Linke wenigstens die letzten Reste in einer Anti-NATO-Plattform zu sammeln. In einem Aufruf schreiben KB und GIM (neben anderen Unterzeichnern wie der BUF): „Auch die Entspannungspolitik stößt innerhalb der NATO an ihre Grenzen. Im Rahmen des Bündnisses würde sogar die Entwicklung einer eigenständigen westeuropäischen ‚Sicherheitspolitik‘ nur zu einer größeren Effektivität der NATO-Arbeitsteilung und damit weltweit zur Erhöhung der Kriegsgefahr führen. Konsequente Friedenspolitik ist in und mit der NATO nicht durchsetzbar“.[9]Arbeiterkampf (AK) 265 Etwa außerhalb des Bündnisses? Nehmen die Genossen sich etwa ein Vorbild an der „konsequenten Friedenspolitik“ des NATO-unabhängigeren imperialistischen Frankreichs?

Alle vorgeblichen Revolutionäre vereinigen sich jetzt unter der Forderung „BRD raus aus der NATO, NATO-Truppen raus aus der BRD“ und wiederholen damit nur von links die chauvinistische Propaganda „europaweit“ denkender imperialistischer Politiker. Wieder einmal findet die reaktionäre Ideologie von der deutschen Unterdrückung durch die amerikanische „Besatzungsmacht“ ein Echo.

Parallel zur wachsenden Aggressivität des deutschen Imperialismus wurde nämlich vor allem durch die Friedensbewegung der deutsche Nationalismus in der Linken hoffähig gemacht. Nationalismus impliziert gerade in der BRD Antikommunismus in Gestalt von Anti-Sowjetismus. Da die „revolutionären Sozialisten“ die militärische Verteidigung von DDR und Sowjetunion ablehnen und in dieser oder jener Form vor der sozialdemokratischen Anti-DDR-Propaganda kapitulieren, kennen sie auch keine revolutionäre Lösung der ungelösten nationalen Frage zwischen den beiden deutschen Staaten.

So wiederholt die GIM nur die bürgerlich-neutralistische Logik der staatskapitalistischen Position der KPD: „Erst die Erschütterung des DDR-Regimes durch die Arbeiterklasse in der DDR selbst und ihr Schulterschluß mit der Arbeiterklasse in der BRD eröffnen die Möglichkeit einer demokratischen(!) Wiedervereinigung Deutschlands … Die bedingungslose völkerrechtliche Anerkennung der DDR; der Abschluß eines Friedensvertrags zwischen der BRD und der DDR, in dem alle Rechtsansprüche auf frühere deutsche Ostgebiete verneint werden; der Abzug aller fremder Truppen aus beiden deutschen Staaten; der Austritt aus der NATO und aus dem Warschauer Pakt; ganz Deutschland eine atomwaffenfreie Zone – all das sind gemeinsame Forderungen der deutschen Arbeiterklasse“.[10]Vereinigungsverhandlungen…, S. 22

Mit dieser demokratischen Wiedervereinigungspolitik will der BWK nichts zu tun haben. Zwar vertritt auch er im noch gültigen KBW-Programm „Restloser Abzug aller fremden Truppen aus Westdeutschland und Aufhebung aller Überreste des Besatzungsstatus“ (um im gleichen Atemzug die Garantie „voller Souveränitätsrechte beider deutscher Staaten“ zu fordern). Aber an der Grenze ist für ihn Schluß! „Gegen Wiedervereinigung! Für die Anerkennung der DDR!“ lauten seine hilflosen Parolen gegen den deutschen Nationalismus. Da er die militärische Verteidigung der deformierten Arbeiterstaaten ablehnt, eine internationalistische Strategie nicht kennt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als seine Hoffnung auf einen Friedensvertrag der westdeutschen Bourgeoisie mit der „werktätigen Intelligenz“ der DDR zu setzen. „Im Gegenteil muß es uns darum gehen, diese Souveränität der westdeutschen imperialistischen Bourgeoisie zu beschränken , ihr bei der Propaganda und Anhanggewinnung für einen neuen Eroberungskrieg gen Osten Fesseln anzulegen und einen völkerrechtlichen Vertrag zu erzwingen, der dieser Eroberungsabsicht im Wege steht“.[11]Gemeinsame Beilage, 23. August 1984 Der Aggression des deutschen Imperialismus, seiner Souveränität möchte der BWK also durch Mobilisierung für einen Vertrag in die Quere kommen! Das Gegenstück an Vertragspolitik bietet die KPD an mit der Perspektive der Wiedervereinigung auf demokratischer Grundlage – zwischen der imperialistischen BRD und der „staatskapitalistischen“ DDR. Sie folgt in der Konsequenz der Stalin-Note von 1952, in der Stalin zum Ausverkauf der DDR bereit war, um der Illusion eines friedliebenden Imperialismus, dem „neutralen, wiedervereinigten Deutschland“ Tribut zu zollen.

"Friedensvertrag“ wie „Anerkennung der DDR“ als Aufgipfelung einer Perspektive zur deutschen Frage bedeuten, eine strategische Frage des deutschen und europäischen Proletariats auf eine diplomatische Frage der friedlichen Koexistenz zu reduzieren. Verträge zwischen Klassengegnern sind immer Ausdruck eines bestimmten Kräfteverhältnisses – nicht mehr und nicht weniger. Eine völkerrechtliche Anerkennung der DDR wäre in diesem Zusammenhang (im Gegensatz zur demokratischen Wiedervereinigung) Ausdruck der Stärke des Proletariats und von daher zu begrüßen. Damit Koexistenz-Illusionen zu verbreiten hilft nur der eigenen Bourgeoisie. Einzig und allein die revolutionäre Arbeiterklasse wird durch Klassenkampfaktionen den Eroberungsabsichten des deutschen Imperialismus effektiv entgegentreten können!

Eine deutsche Nation – trotz unterschiedlicher gesellschaftlicher Systeme – kann jedoch der BWK genausowenig wegdiskutieren, wie die SED per Parteitagsbeschluß zwei Nationen erfand. Jede gesellschaftliche Entwicklung in Westdeutschland hat sofortige Auswirkungen auf den Osten, genauso wie sozialdemokratische Illusionen der westdeutschen Arbeiterklasse ihre Entsprechungen in der ostdeutschen finden. Eine sozialistische Revolution im Westen ohne ihre proletarische politische Ergänzung im Osten halten wir für undenkbar. Eine revolutionäre Politik für den Sturz der imperialistischen Ausbeutergesellschaft in Westdeutschland kommt so an der Perspektive der revolutionären Wiedervereinigung Deutschlands nicht vorbei.

Wir meinen revolutionäre Wiedervereinigung und keine (imperialistisch-)demokratische, wobei wir es für opportunistisch verfehlt halten, mit kleinbürgerlichen Nationalisten wie den GRÜNEN um die Wiedervereinigung der deutschen Nation zu streiten. Gegen offenen wie verdeckten Revanchismus bleibt die Forderung der militärischen Verteidigung der deformierten Arbeiterstaaten zentral, sie zieht die Klassenlinie in Ost und West gegen den deutschen Imperialismus. Erst in dieser Zuordnung erhält die revolutionäre Wiedervereinigung ihren Sinn und wird zu einem unverzichtbaren Bestandteil des revolutionären Programms für die Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa.



Die bürgerliche Arbeiterpartei SPD

Die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den deutschen Imperialismus, gegen Nationalismus, gegen die Unterdrückung der Frau, gegen die Verfolgung der ausländischen Minderheiten trifft immer auf eine entscheidende Barriere: die deutsche Sozialdemokratie. Durch ihre politische Hegemonie in der Arbeiterbewegung ist sie in der Lage, spontane Bewegungen zu ersticken oder ihnen die Spitze zu nehmen, um sie in das kapitalistische System zu integrieren. In der politischen Entwicklung nach 1945 ist es der SPD gelungen, ihren Anspruch als alleinige Vertreterin des westdeutschen Proletariats durchzusetzen. Die von den „revolutionären Sozialisten“ so oft beschworene „Arbeitereinheit“ ist schon seit langem Fakt: Die SPD vereinigt die Lohnabhängigen – vor allem über die sozialdemokratische Richtungsgewerkschaft DGB.

Die SPD, die 1914 endgültig auf die Seite der Bourgeoisie überging, ist eine bürgerliche Arbeiterpartei : Arbeiterpartei, insofern sie sich historisch aus der Arbeiterbewegung entwickelte und ihre Basis als auch ihre politische Macht im westdeutschen Proletariat liegt; bürgerlich, insofern sie ausgehend von der Politik der Klassenversöhnung die Interessen der Bourgeoisie vertritt. Das Proletariat dient der Arbeiterbürokratie als Material, ihre eigene Integration in den bürgerlichen Staat – unter tendenzieller Berücksichtigung von Arbeiterinteressen – zu betreiben. Damit wird jedoch die Verwundbarkeit der SPD deutlich: Als bürgerliche Agentur in den Reihen der Arbeiterklasse der Bourgeoisie verpflichtet, gerät sie durch die Offensive des Kapitals in Konflikt mit ihrer eigenen Basis, so daß der Spielraum reformistischer Politik immer enger wird. In diesem sich entwickelnden Widerspruch liegt die Chance kommunistischer Politik, den massenhaften Bruch des Proletariats mit der SPD voranzutreiben. Unser Ziel ist die Zerstörung des politischen Einflusses der SPD, Vorbedingung jedes ernsthaften Versuches, die proletarische Revolution in Westdeutschland durchzuführen.

Dagegen vertreten alle linken Gruppierungen außerhalb der SPD einen ultralinken Standpunkt oder ein Konzept der Anpassung. Die Methode der Anpassung ist die Verlängerung, Vertiefung, Radikalisierung der sozialdemokratischen Politik durch solidarische Kritik an ihrer.Führung, wodurch eine Reformierung bzw. – zu einem späteren Zeitpunkt, sofern überhaupt vorgesehen – eine Spaltung der Partei erwartet wird. Eine andere Variante sieht einen organischen Rückgang des Masseneinflusses der SPD voraus. Ihre Programmatik unterscheidet sich nicht wesentlich vom Reformismus der SPD, ihre Politik bedeutet vielmehr objektiv eine linke Flankendeckung, und so findet das beschriebene Elend des „offiziellen“ Reformismus seine Entsprechung in der Linken: Warum den Aufbau einer eigenständigen Organisation, wenn diese doch nur im Windschatten der SPD wachsen bzw. verdorren soll?

Die KPD begann in ihrer über zwanzigjährigen Geschichte mit der ultralinken Einschätzung der SPD als einer Partei, die „offen zur Partei des Monopolkapitals geworden ist“. Die Große Koalition war wie geschaffen, die Funktionen von CDU/CSU als auch SPD für das kapitalistische System als im wesentlichen identisch einzuschätzen; mit ultralinker Politik (RGO) gedachte man sich an der SPD und der von ihr kontrollierten Arbeiterbewegung vorbeizumogeln. Die Zeiten der Studentenbewegung und „wilden“ Streiks sind jedoch vorbei, und die KPD entdeckte nach langjähriger Anpassung an die sozialdemokratische Betriebsarbeit den Charme der SPD. Unterschlug sie früher deren proletarische Basis, so negiert sie heute tendenziell den imperialistischen Charakter der offiziellen SPD-Politik. „Im Hinblick auf die Arbeiterbewegung ist es , auch wenn CDU/CSU und SPD prokapitalistische Parteien sind, keineswegs egal, welche Partei die Regierung stellt. In den Unionsparteien suchen sich heute jene finanzkapitalistischen Bestrebungen führenden politischen Einfluß zu verschaffen, die der Arbeiterbewegung am feindseligsten und aggressivsten entgegenstehen. Wir haben das spätestens seit der Strauß-Kandidatur begriffen. Zusehends ist die Frontbildung gegen die Reaktion zu einem bestimmenden Moment der Politik der Partei geworden“.[1]RM 51/52, 1985 Vom Regen in die Traufe!

Die KPD sieht also in der SPD immer noch die bürgerliche Partei, allerdings seit dem Strauß-Wahlkampf als Bestandteil einer Frontbildung gegen „die Reaktion“. Sie erkennt somit gar nicht, daß die Sozialdemokratie das interne Problem der westdeutschen Arbeiterbewegung darstellt, nämlich der politische und organisatorische Ausdruck der reformistischen Hegemonie innerhalb des Proletariats. Oder anders ausgedrückt: Sie kann nicht den Charakter der SPD als bürgerliche Arbeiterpartei verstehen (im Gegensatz zu Teilen der GIM), die politische Barriere zur Bildung von Klassenbewußtsein.

Heraus kommt keine Taktik gegenüber der Sozialdemokratie, sondern ein reformistisches Etappenmodell für den Kampf um die proletarische Revolution: „Der Kampf der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern ist notwendig auch immer darauf gerichtet … eine andere Regierung, die größere Bereitschaft zur Erfüllung von Arbeiterforderungen zeigt, durchzusetzen“.[2]KH 10, S. 13

Hinsichtlich der SPD bedeutet dies nichts anderes als die bekannte Nachtrabpolitik, deren Unterstützung als „kleineres Übel“. Im Vergleich zur jetzigen Regierungskoalition soll eine SPD-Regierung weniger aggressiv sein, zumindest in ihrer Haltung gegenüber der Arbeiterbewegung. Die sechzehnjährige Regierungsbilanz der SPD/FDP-Regierung beweist jedoch das Gegenteil: Im Zuge der sogenannten „Entspannungspolitik“ wurde die Bundeswehr zur mächtigsten europäischen NATO-Armee ausgebaut. In dieser Periode legte die SPD (zusammen mit der FDP) die Grundlagen für den Abbau sozialer Errungenschaften und demokratischer Rechte, für Arbeitslosigkeit und chauvinistische Verfolgung der Ausländer, für deutschen Nationalismus. Das angeblich kleinere Übel war übel genug.

Die SPD an den Schalthebeln des imperialistischen Staates bedeutete offensichtlich keine progressive Lösung für das Proletariat. Der Begriff der „Wende-Regierung“ ist gerade von sozialdemokratischer Seite gerne aufgegriffen worden, um von der SPD-Vorarbeit unter Brandt und Schmidt für die reaktionäre Kohl-Regierung abzulenken. Der „Anstand wahrende Kanzler aller Deutschen“ Rau verspricht keine andere als deutsch-imperialistische Politik. Das Argument, Rau wolle die Integration statt Konfrontation mit den Gewerkschaften, relativiert sich sofort, zieht man etwa die Politik des französischen Sozialisten Mitterand in Betracht. Die KPD ist dem konjunkturell niedrigen Klassenkampfniveau in Westdeutschland aufgesessen: Auch sozialdemokratische Regierungen stehen in Konfrontation mit der Arbeiterbewegung. Noske dürfte den Genossen der KPD doch noch ein Begriff sein!

Entscheidend ist, daß Sozialdemokraten an der Regierung immer die Arbeiterbewegung demoralisieren. Durch ihre Politik bereiten sie so anderen bürgerlichen Regierungskonstellationen den Weg, sollten sie sich selber als unfähig erweisen, den Anforderungen des Kapitals gegenüber der Arbeiterbewegung politisch zu genügen. Wie immer die Konturen einer SPD-Regierungspolitik auch konkret aussehen mögen: eine gemeinsame „Volks-Front gegen die Reaktion“ anzustreben, heißt das Proletariat dem bürgerlichen Einfluß auszuliefern. Ob Rau oder Kohl, die Regierung der BRD bleibt der zentrale Klassengegner des Proletariats.

Die Herangehensweise des BWK an die SPD ist ähnlich der der KPD. Für ihn ist die SPD zwar eine imperialistische Partei, jedoch – je nach aktueller Lage – sowohl Bestandteil der Reaktion als auch der „Opposition“. „Die SPD ist eine imperialistische Partei. Ihre Sozialkritik ordnet sie bedingungslos der Förderung der imperialistischen Expansion der Kapitalisten unter“.[3]Gemeinsame Beilage, 1/1986 „Obwohl die SPD bereit ist, gegen die Politik von Faschismus und Reaktion an einzelnen Punkten aufzutreten, verteidigt sie die kapitalistische Wirtschaft und unterstützt die imperialistische Wirtschaftsexpansion“.[4]BWK-Erklärung zu den Bundestagswahlen, Brief vom 3.3.1986

Als Bestandteil der Reaktion kämpft die SPD gegen dieselbe! Diese Konfusion des BWK über eine quasi „besondere imperialistische Partei SPD“ führt zum einen zur Konzeption der bloßen Kritik imperialistischer SPD-Politik, zum anderen zur kritiklosen Unterordnung im Kampf gegen die „Reaktion“. So leugnet auch der BWK die Notwendigkeit der Spaltung der SPD entlang der Klassenlinie in pro-bürgerliche Führung und proletarische Basis. Mit seinem Konzept der „Arbeitereinheit“, immer verstanden im Kontext der Volksfrontpolitik, glaubt er sich an der SPD in der Arbeiterbewegung vorbeischleichen zu können.

Mit der gleichen Konzeption operieren auch die KG(NHT), wenngleich sie im Gegensatz zur KPD, aber auch des BWK die Zugehörigkeit der SPD zur Reaktion mit einer recht radikal klingenden Rhetorik unterstreichen. Mag diese Seite der KG-Politik als ihre positivste erscheinen, so wird doch schnell deutlich, daß sie sich auf ein schlicht entlarvendes Aufklärungsmodell reduziert. Hintergrund ist der objektivistische Glaube an die organische Zurückentwicklung sozialdemokratischen Einflusses: „So sicher das Entstehen des Bruchs mit sozialpartnerschaftlichen Vorstellungen im Wesentlichen ein objektiver Prozeß ist, der nur unwesentlich durch Agitation und Aufklärung befördert werden kann, so sicher ist, daß diese Wende bisher noch in keinem bedeutenden Teil der Arbeiterbewegung eingetreten ist“.[5]Gemeinsame Beilage, 2/1985 Jetzt wissen wir, für wie wesentlich die KG(NHT) sich selber einschätzen. Sie beschränken sich einerseits auf „kommunistische“ Kritik und hoffen andererseits auf das spontane Erwachen der Massen.

Die sozialdemokratische Partei stellt eine Barriere dar, an der sich die spontanen Bewegungen des Proletariats brechen, wenn es nicht gelingt, sie zu überwinden. Dazu bedarf es der Intervention einer revolutionären Arbeiterpartei. Das Proletariat wird in seiner Mehrheit jedoch weder über die Schultreppen zu Klassenbewußtsein kommen, noch spontan-organisch die SPD hinter sich lassen.

Es bedarf einer trotzkistischen Arbeiterpartei, die neben der allgemeinen Propaganda gegen die SPD fähig ist, über Taktiken anhand praktischer Notwendigkeiten des Klassenkampfes den sozialdemokratischen Einfluß zu brechen. Ein historisches Beispiel ist die 1920 von der Komintern angeleitete Spaltung der USPD in einen kommunistischen Mehrheits- und einen sozialdemokratischen Minderheitsflügel. Zwar reduzieren sich beim jetzigen Kräfteverhältnis die Anwendungsmöglichkeiten von kommunistischen Taktiken, nichtsdestoweniger haben die Thesen der Kommunistischen Internationale über die Anwendung z.B. der Einheitsfront eine Bedeutung selbst für eine kämpfende Propagandagruppe.

Schauen wir uns diese Herangehensweise anhand der einzuschlagenden Wahlkampftaktik in der BRD an und konfrontieren sie mit den Positionen der Beilagen-Organisationen. Für die KG existiert dieses Problem nicht, sie theoretisieren nur ihr eigenes Theoriedefizit, wenn sie schreiben: „Ein nennenswerter Anteil von Werktätigen, die eine sozialistische Alternative befürworten, ist bisher bei keiner Wahl der letzten Jahre auszumachen gewesen. Die politische Notwendigkeit einer selbständigen Kandidatur der revolutionären Sozialisten kann somit aus dem Entwicklungsstand der Arbeiterbewegung nicht hergeleitet werden. Wir halten weiterhin eine eigenständige Kandidatur der revolutionären Sozialisten weder ihrem organisatorischen Entwicklungsstand noch dem vorhandenen Maß an politischer Klarheit für angemessen“.[6]zit. nach: RM 3, 1986 So fügt sich wundersam das eine in das andere: Die Arbeiterklasse sieht keine Notwendigkeit in den Sozialisten, und diese besitzen noch keine politische Klarheit. In beiden Feststellungen scheint für diese MG des Maoismus ein zu theoretisierender Zusammenhang zu bestehen. Anti-SPD-Aufklärungsarbeit ist für die KG(NHT) im kommenden Wahlkampf angesagt. Einem Propagandablock mit BWK, GIM und KPD sind sie jedoch nicht abgeneigt, obwohl deren Stoßrichtung gegen die CDU/CSU/FDP-Regierung gerichtet ist. Für die KG ist das aber nicht weiter schlimm, sondern nur Ausdruck „revolutionär-sozialistischer Arbeitsteilung“.

Der BWK konkretisiert sein Verhältnis zur SPD anläßlich der Wahlen folgendermaßen: „Nur eine klare Fassung politischer und wirtschaftlicher Interessen der Arbeiterklasse kann die Verfügbarkeit der Arbeiterbewegung für die SPD und die Verfügbarkeit der SPD für die Bourgeoisie mindern“.[7]BWK-Erklärung … Das dürfte ihm schwerfallen, da die SPD seit 1914 ihre Verteidigungsbereitschaft des kapitalistischen Systems tagtäglich unter Beweis stellt. Der BWK leugnet die Bedeutung der SPD als interne Barriere der Arbeiterbewegung; sein zentrales Anliegen ist daher die „Kritik der Reaktion“ (daher auch seine Sorgen um den politischen Bestand der GRÜNEN). Er hält deshalb die Frage, wie und mit welchen Mitteln z.B. während des Wahlkampfes die SPD-Basis gegen ihre bürgerliche Spitze gekehrt werden könnte, schon für ein Sakrileg, Ausdruck eines illusionären Versuchs, der SPD ihren eigenen Anhang von links zu organisieren.

Genau diesen Versuch unternehmen GIM und KPD: „Deshalb wird der Kampf gegen die derzeitige Bonner Regierung, für ihre Beseitigung und ihre Ersetzung durch eine andere Regierung, die nach bedauerlicher Lage der Dinge, die sich bis zur Bundestagswahl kaum dramatisch verändern dürfte, nur eine sozialdemokratisch geführte sein kann, die allgemeine politische Orientierung der Arbeiterbewegung sein. Gegenüber diesem allgemeinen politischen Streben der Arbeiterbewegung, die derzeitige Bonner Regierung zu beseitigen, stehen wir Kommunisten durchaus nicht in Opposition“.[8]RM 50, 1985 Mit Händen und Füßen wehrt sich die KPD jedoch gegen die logische Schlußfolgerung, direkt zur Wahl der SPD aufzurufen. Die GIM unterstützt diese Inkonsequenz; mit ihrer „taktischen Wende“ weg von der offeneren SPD-Kapitulation konnte so die Fusion in greifbare Nähe rücken: „Die Regierungsfrage kann nur negativ beantwortet werden: Gegen Regierungen der Wendeparteien CDU-CSU-FDP. Wir rufen bei den kommenden Wahlen nicht direkt(!) zur Wahl von SPD und Grünen auf …“.[9]zit. nach: RM 3, 1986

Ob die Mehrheit der GIM oder führende Genossen der KPD die logische Schlußfolgerung ihrer Position letztendlich nun ziehen werden oder nicht, ist dabei nur Nebensache. Denn andere – auch in ihren eigenen Organisationen – nehmen ihnen diese Arbeit bereits ab: „Eine Eigenkandidatur schadet in diesem Punkt unseren eigenen Zielen. Außerdem machen wir uns unglaubwürdig, wenn wir einerseits die Forderung nach Sturz der Wenderegierung erheben, bei der konkreten Abstimmung den Leuten aber empfehlen, uns zu wählen, d.h. ihre Stimme wegzuwerfen“.[10]RM 8, 1986 Hier wird nur die Logik der KPD- und GIM-Konzeption weitergetrieben, aufgrund der Angriffe der „Reaktion“ mit der Kritik an der SPD-Führung zurückzuhalten und sich immer weiter der Sozialdemokratie unterzuordnen. Endpunkt einer solchen Konzeption ist dann die organisatorische Auflösung in die SPD.

Revolutionäre Taktik gegenüber der SPD muß dagegen auch im Wahlkampf die prinzipielle Opposition gegenüber der pro-imperialistischen SPD-Spitze zum Ausdruck bringen. Sie muß eine Konkretisierung des leninistischen Verständnisses vom Bruch der Basis mit der SPD-Führung bzw. der Loslösung der Arbeiterbewegung von der SPD generell darstellen. So setzen Kommunisten an den vorhandenen Illusionen in die Vertretung von Arbeiterinteressen durch die SPD an. Eine kritische Wahlunterstützung der SPD ist deshalb für Kommunisten prinzipiell möglich, wobei Lenin recht drastisch die Art der Unterstützung von Sozialdemokraten durch Kommunisten verdeutlicht hat: „Und ich werde nicht nur in populärer Weise erklären können, warum die Sowjets besser sind als das Parlament … sondern ich werde auch erklären können, daß ich Henderson (britischer Sozialdemokrat) durch meine Stimmabgabe ebenso stützen möchte, wie der Strick den Gehängten stützt; …“[11]Lenin, AW Bd. V, S. 542 f Dies ist etwas anderes als „Frontbildung gegen die Reaktion“. Dabei hat die kritische Wahlunterstützung der SPD allerdings zur Voraussetzung, daß sich in den Klassenkämpfen eine Polarisierung auch und gerade gegen die bürgerliche SPD-Führung bereits abzeichnet. Statt als Bewährungshelfer der Sozialdemokratie zu erscheinen, kommt es darauf an, „daß man es versteht , diese Taktik so anzuwenden, daß sie zur Hebung und nicht zur Senkung des allgemeinen Niveaus des proletarischen Klassenbewußtseins, des revolutionären Geistes, der Kampf- und Siegesfähigkeit beiträgt“.[12]ebenda, S. 527

Diese Taktik zur Spaltung der SPD kann nicht angewandt werden, wenn in vergleichbar ruhigeren Zeiten des Klassenkampfes die SPD-Führung unangefochten, mit breiter Unterstützung in der Arbeiterbewegung, Stimmen für ihr bürgerliches Programm sammelt. Wo sich nichts bewegt, kann man auch nichts polarisieren! Die Wahlunterstützung der SPD durch die GIM 1983 z.B., in der man zudem noch die SPD auf den eigenen sozialdemokratischen Programmverschnitt zu verpflichten suchte, drückte nur die strategische Affinität der Opportunisten zu den Sozialdemokraten aus.

Aus diesen Erwägungen ergibt sich, daß man heute über eine kritische Wahlunterstützung der SPD 1987 noch keine definitive Antwort geben kann. Diese Taktik ist nur legitim, wenn sie aufgrund der objektiven Klassenkampfsituation hilft, den Spaltungsprozeß der SPD voranzutreiben. Verbreitung von Illusionen in eine SPD-Regierung, so wie sie BWK, GIM und KPD in unterschiedlicher Weise betreiben, ist dem Aufbau einer revolutionären Partei jedoch direkt entgegengesetzt.[13]siehe auch Gruppe IV. Internationale, Kandidatur des Beilagen-Kreises? Sowieso keine Alternative zur SPD, Gemeinsame Beilage 1/1986



Volksfront contra Einheitsfrontpolitik

Die Politik der Einheitsfront hat ihre klassenmäßige Grundlage im Proletariat. Sie geht aus von der vorhandenen Spaltung der Arbeiterbewegung und will im gemeinsamen Kampf gegen den gemeinsamen Klassenfeind Arbeiter von ihrer reformistischen Führung brechen und für die eigene revolutionäre Perspektive gewinnen.

Die Debatten des 3. und 4. Weltkongresses der Komintern konzentrierten sich genau um diese Herangehensweise gegenüber den sozialdemokratischen bürgerlichen Arbeiterparteien Europas (s. Resolutionen …). Die Einheitsfront-Perspektive ist keine Strategie, welche Einheit um jeden Preis auf ihr Banner schreibt, sondern eine revolutionäre Taktik, um das Vertrauen des Proletariats in Programm und Praxis der Kommunisten zu stärken und organisatorisch zu wenden. Die Spaltung der Arbeiterbewegung und die eigenständige Organisierung ihres revolutionären, kommunistischen Teils war eine historische Notwendigkeit; in Rußland war Lenins Spaltung der Sozialdemokratie Voraussetzung zum Sieg der Oktoberrevolution. Die revolutionäre Komintern ihrerseits verkörperte die Kontinuität dieser Politik, die gegen das Selbstverständnis der II. Internationale als „Partei der Gesamtklasse“ (Kautsky) gerichtet war.

Die Kommunisten müssen in der Praxis beweisen , daß sie „der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder“ sind. Die von Marx im Kommunistischen Manifest gestellte Aufgabe revolutionärer Politik: Bildung des Proletariats zur Klasse, Sturz der Bourgeoisherrschaft, Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, kann nur gelöst werden, wenn Taktiken gegenüber dem Reformismus angewandt werden. Der revolutionäre Pol muß in der Klassenaktion die politische Hegemonie erkämpfen, um die proletarische Basis des Reformismus zu gewinnen. Die Einheitsfrontpolitik ist der Hebel hierzu; indem die revolutionäre Partei die Schwankungen und Halbheiten der bürgerlichen Führung der Arbeiterbewegung ausnutzt, bereit ist, mit dieser zeitweilige Vereinbarungen und Bündnisse für Teilziele zu schließen, erreicht sie zweierlei: Die Kampfkraft des Proletariats wird durch die gemeinsame Aktion gestärkt, während andererseits die revolutionäre Partei konkret zeigen kann, wie die SPD-Führung (entweder von Anfang an oder im Verlaufe der Einheitsfront) den Kampf sabotiert. Das Recht auf Freiheit der Propaganda – das sich in der Parole „Getrennt marschieren – vereint schlagen!“ ausdrückt -, die offene Kritik an den Bündnispartnern ist Bedingung der Einheitsfront.

Die leninistische Einheitsfronttaktik ist etwas vollkommen anderes, als die Rechnung „Fortschritt contra Reaktion“ aufzumachen, worin die Politik der Volksfront seit den 30er Jahren besteht und an der KPD und BWK mit ihrer Volksfront-Karikatur sich heute orientieren. Die Einheitsfront wird ersetzt durch die Unterordnung des Proletariats unter die Bourgeoisie bzw. „Reaktion“, die in die Nähe des Faschismus gerückt wird. So findet die „klassische“ Volksfrontbegründung vom angeblich qualitativen Gegensatz von bürgerlicher Demokratie und Faschismus ihre aktuelle Ergänzung in der These der Faschisierung der BRD bei Teilen der „revolutionären Sozialisten“. Vor allem mit dem Kampf gegen die „Faschisierung“ durch die „Reaktion“ begründet die „Volksfront gegen Reaktion, Faschismus und Krieg“ ihre Kapitulation vor der Bourgeoisie und der Sozialdemokratie. Um hier Klarheit zu schaffen, ist es notwendig, auf die Ursprünge der Volksfrontpolitik zu verweisen, die mit einer Charakterisierung des Faschismus beginnen muß.

Der Faschismus ist eine kleinbürgerliche Massenbewegung zur Zerschlagung der Arbeiterbewegung. Demokratie und Faschismus sind nur unterschiedliche Formen bürgerlicher Herrschaft. Ziel des Faschismus ist die dauernde Atomisierung des Proletariats als Klasse. Die Bourgeoisie selbst setzt nur in der Stunde der höchsten Gefahr für ihre Klassenherrschaft auf den Faschismus, nämlich dann, wenn die bürgerliche Demokratie ihren Aufgaben der Unterdrückung der Arbeiterklasse nicht mehr nachkommen kann und die proletarische Revolution bereits an die Parlamentstür klopft.

Entgegen der „normalen“ blutigen Repression der bürgerlichen Demokratie (oder Militärdiktatur) kann der Faschismus seine Aufgabe nur durch die Mobilisierung des Kleinbürgertums lösen. Blockwartsystem, Betriebsorganisation und Korporativsysteme in jeder gesellschaftlichen Einheit ermöglichen ihm eine Mobilisierung, welche die bürgerliche Demokratie nie erreichen kann. Der Faschismus an der Macht führt so zur direkten Eingliederung der Massenbewegung in den bürgerlichen Staatsapparat, und richtet diesen aus, modifiziert ihn entlang seiner Politik.

"Der Faschismus ist nicht einfach ein System von Repressionen, Gewalttaten, Polizeiterror“, schrieb Trotzki 1932. „Der Faschismus ist ein besonderes Staatssystem, begründet auf der Ausrottung aller Elemente proletarischer Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Aufgabe des Faschismus besteht nicht allein in der Zerschlagung der proletarischen Avantgarde, sondern auch darin, die ganze Klasse im Zustand erzwungener Zersplitterung zu halten. Dazu ist die physische Vertilgung der revolutionärsten Arbeiterschicht ungenügend. Es heißt, alle selbständigen und freiwilligen Organisationen zu zertrümmern, alle Stützpunkte des Proletariats zu zerstören und die Ergebnisse eines dreiviertel Jahrhunderts Arbeit der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften zu vernichten. Denn auf diese Arbeit stützt sich in letzter Instanz auch die Kommunistische Partei“.[1]Trotzki, Nationalsozialismus, S. 69

Trotzkisten kämpften in Deutschland bis 1933 als Linke Opposition der KPD für die Einheitsfront von KPD und SPD, um den Faschismus zu zerschlagen. Trotzki konkretisierte die Methode der Einheitsfront: „Ohne um ein Haar unsere Meinung über die sozialdemokratischen Führer zu verbergen oder zu mildern, können und müssen wir den sozialdemokratischen Arbeitern sagen: da Ihr einerseits bereit seid, gemeinsam mit uns zu kämpfen, andererseits noch immer nicht mit Euren Führern brechen wollt, schlagen wir Euch vor: ‚Zwingt sie, gemeinsam mit uns für diese und jene praktischen Aufgaben mit diesen und jenen Mitteln den Kampf zu beginnen; was uns Kommunisten anlangt, wir sind bereit.‘ Was kann es Einfacheres, Klareres, Überzeugenderes geben?“[2]ebenda, S. 98 f

Ziel der Einheitsfront war es nicht, den Faschismus mit der Demokratie zu bekämpfen. Die Alternative hieß Demokratie oder Faschismus auf Seiten der Bourgeoisie contra proletarische Revolution. Wenn die Bourgeoisie selbst bereits offen auf den Faschismus setzt und den Kapitalismus nur mit der Methode der faschistischen Reaktion zu schützen weiß, gilt es umgekehrt umso mehr, daß man einen wirklichen Kampf gegen den Faschismus nur mittels den Methoden der proletarischen Revolution erfolgreich führen kann.

Dies ist nicht zu verwechseln mit Ignoranz gegenüber den Unterschieden zwischen beiden Systemen bürgerlicher Herrschaft, welche die KPD vor 1933 an den Tag legte. Mit ihrer Sozialfaschismus-These verwischte sie diesen und desorientierte dadurch das Proletariat in seinem Abwehrkampf, was am katastrophalsten in der KPD-Orientierung „Nach Hitler wir!“ zum Ausdruck kam. Die historische Niederlage des deutschen Proletariats 1933, mitverschuldet von der bürokratisch-zentristischen Politik Stalins und der KPD, markierte den „endgültigen Übergang der Komintern auf die Seite der bürgerlichen Ordnung“ (Übergangsprogramm), vergleichbar dem 4. August 1914 der Sozialdemokratie. Ohne Diskussion und Analyse ging die Stalintern zur Tagesordnung, zum Burgfrieden in Form der Volksfront über.

Faschismus auf der einen, Volksfront auf der anderen Seite sind die letzten Instrumente der Bourgeoisie, ihre Klassenherrschaft über das Proletariat zu behaupten: durch Zerschlagung der Arbeiterbewegung oder durch deren Unterordnung unter die bürgerliche Demokratie in der Volksfront.

1935 wurde die Abwendung vom ultralinken Kurs formell auf dem 7. Weltkongreß der Komintern vollzogen. Dimitroffs Thesen über den Faschismus bezeichnen diesen als „die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals … Der Machtantritt des Faschismus ist keine einfache Ersetzung der einen bürgerlichen Regierung durch eine andere, sondern eine Ablösung der einen Staatsform der Klassenherrschaft der Bourgeoisie – der bürgerlichen Demokratie – durch eine andere Form – durch die offene terroristische Diktatur“.[3]Dimitroff, Ausgewählte Schriften 1933-1945, S. 97 f Hieraus entwickelte der Stalinismus das Konzept der Volksfront, nämlich den Rest der Bourgeoisie als Bündnispartner zu gewinnen; entsprechend ist das politische Ziel der Volksfront demokratisch, anti-faschistisch, kurz: Es richtet sich nicht nur gegen den Faschismus, sondern im Namen einer nicht vorhandenen liberalen Bourgeoisie auch gegen die Arbeiterklasse.

Die Politik der Volksfront sorgte in Frankreich wie in Spanien in den 30er Jahren für die Ankettung des Proletariats an den bürgerlichen Staat. In bezug auf Spanien umriß Trotzki die Konstellationen des republikanischen Lagers: „Auf dem Territorium des republikanischer. Spaniens rangen auf diese Weise zwei unversöhnliche Programme miteinander. Einerseits das Programm der Rettung des Privateigentums vor dem Proletariat, koste es was es wolle , und – soweit es möglich ist – Rettung der Demokratie vor Franco. Auf der anderen Seite das Programm der Vernichtung des Privateigentums auf dem Wege der Machteroberung durch das Proletariat. Das erste Programm bringt, durch Vermittlung der Arbeiteraristokratie, der Spitzen des Kleinbürgertums und insbesondere der Sowjetbürokratie, die Interessen des Kapitals zum Ausdruck. Das zweite Programm übersetzte in die Sprache des Marxismus die nicht voll bewußten, aber mächtigen Tendenzen der revolutionären Massenbewegung. Zum Unglück für die Revolution stand zwischen der Handvoll Bolschewiki und dem revolutionären Proletariat die konterrevolutionäre Scheidewand der Volksfront“.[4]Trotzki, Spanische Lehren, Revolution und Bürgerkrieg in Spanien 1931-39, S. 301. Die GIM verwandelte bei der Übersetzung die „Bolschewiki“ in „Menschewiki“.

Die „demokratische Etappe“ im Kampf gegen den Faschismus – vom Stalinismus heute unter dem Begriff „anti-monopolistische Demokratie“, „neue Demokratie“ etc. als Etappe im Kampf gegen den Kapitalismus insgesamt vertreten – bedeutete in der Realität des Klassenkampfes eine Unterordnung unter Teile der Bourgeoisie. In deren Namen unterdrückte der Stalinismus blutig die proletarische Revolution und bereitete so letztendlich den Sieg des Faschismus vor.

Volksfrontpolitik insgesamt bedeutet also nicht, ineffektiv gegen den Faschismus zu kämpfen, sondern heißt, diesen Kampf zu verhindern und die Niederlage der Arbeiterklasse vorzubereiten.

BWK und KPD knüpfen an dieser Volksfrontpolitik des Stalinismus an, ergänzt durch eine Theorie der Faschisierung der bürgerlichen Gesellschaft.

Die KPD gründete 1979 als Bestandteil ihres Anti-Strauß-Wahlkampfes die „Volksfront gegen Reaktion, Faschismus und Krieg“, die inzwischen neben der KPD vor allem vom BWK mitgetragen wird. Spätestens seit 1983 addiert die KPD die Sozialdemokratie auf die Plusseite im Kampf gegen die Reaktion und orientiert sich zusammen mit der GIM auf ihr „Stoppt die Wende"-Programm. Sie konstatiert – wenn auch vorsichtig – einen Prozeß der Faschisierung, gegen den sie mit dem demokratischen Programm der Volksfront – „Verbot“ des Faschismus – als auch mit der erwähnten Orientierung auf „eine andere Regierung, die größere Bereitschaft zur Erfüllung von Arbeiterforderungen“ zeigt, ankämpfen will.[5]KH 10, S. 13

Für den BWK ist die „Volksfrontpolitik Zentralfrage der Programmdiskussion“.[6]zit. nach: Politische Berichte (PB) April 1985, Ergebnisse der 5. o. BWK-Delegiertenkonferenz Diese umfasst Bündnisse und Zusammenschlüsse der verschiedensten Art, die alle eine Verschiebung des gesellschaftlichen Gleichgewichts zugunsten der Arbeiterklasse – und organisch deren Partei – bringen sollen. Er unterscheidet insgesamt drei Typen der Volksfrontpolitik: die reformistische, ökologistische und schließlich revolutionäre.

Die reformistische Volksfrontpolitik spricht laut BWK der Kapitalistenklasse eine Führungsrolle und dem Proletariat lediglich Mitspracherecht zu – offensichtlich im BWK-Verständnis die SPD-Politik.

Die ökologistische „entwickelt aus dem gesellschaftlichen Führungsanspruch der Intelligenz eine Abgrenzung zum Kapitalismus und bietet so eine Oppositionslinie an, die allerdings Unterordnung proletarischer Interessen vorsieht“.[7]ebenda Hier schlägt sich also die BWK-Theorie der neuen Mittelklasse nieder, die einerseits durch einen Interessengegensatz zum proletarischen Klassenkampf geprägt sein soll; auf der anderen Seite jedoch stellt „die Tatsache der Kapitalistenherrschaft ( ) die lohnabhängige Mittelklasse in eine Front mit der Arbeiterklasse im Kampf gegen die Unterdrückung durch den bürgerlichen Staat. Sie ist an einer Einschränkung der staatlichen Allmacht interessiert. Das schafft in der praktischen Politik eine Vielzahl von Interessenverbindungen“.[8]zit. nach: AK 236, Die Grüne Partei, Die Partei der Mittelklasse

Diese Mittelklasse ist für den BWK Bündnispartner per se; „von der Richtigkeit der Propaganda und der Politik der Revolutionäre“ hängt es ab, ob sie auf die Seite der Arbeiterklasse gezogen werden kann oder eigene Klasseninteressen entwickelt.[9]ebenda Ersteres ist wahrscheinlicher, zumal sich „die Grenzen des Okologismus ( ) bereits erahnen (lassen)“.[10]PB April 1985, Ergebnisse … Genau hier setzt für den BWK die revolutionäre Volksfrontpolitik an, um „den Gegensatz zwischen den Werktätigen und der herrschenden Klasse bewußt zu machen und so den Anhang der Reaktion in den werktätigen Klassen zu schwächen“.[11]ebenda Der BWK nennt in einem Atemzug Volksfront, Einheitsfront und antifaschistische Blockbildung und meint den Block aller „fortschrittlichen Menschen“ gegen die „Reaktion“.

Diese steht für die Faschisierung der bürgerlichen Gesellschaft, dem nur als abenteuerlich zu bezeichnenden Faschismus-Begriff des BWK. Zum einen konstatiert er nämlich in der Arbeits- und Einkommenshierarchie des existierenden Lohnsystems einen zunehmenden gesellschaftlichen Druck; stattfindende „Differenzierungen des Gesamtarbeiters“ sind „unmenschlich und ein Ausgangspunkt des Faschismus, in dem das Direktionsrecht der Kapitalisten auf die gesamte Gesellschaft erstreckt und der Zwang des Hungers, der zum Gehorsam treibt, durch den offenen Terror ergänzt und geschärft wird“.[12]ebenda Zum anderen subsumiert der BWK die wachsende staatliche Unterdrückung, die eine Politik der „offiziellen Angleichung von Faschismus und Neokonservatismus“ impliziert, unter Faschisierung, die somit eine bestimmte Quantität von Unterdrückung ausmacht. In der „theoretischen und praktischen Kritik dieser Tendenz der Bourgeoisie zum Faschismus(!)“ soll sich Volksfrontpolitik bilden.[13]ebenda „Eigentlich(!) wäre die Frage zu klären, wie weit der BRD-Imperialismus überhaupt noch eine bürgerliche Republik ist und was daraus für den Kampf gegen Faschismus und Reaktion heute folgt“, konkretisiert der BWK die Aufgabe der Volksfrontpolitik.[14]ebenda

Diese Fragestellung wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die gesamte These der Faschisierung: Mit ihr wird einerseits die reale faschistische Gefahr heruntergespielt, andererseits die bürgerliche Demokratie aufgewertet! Als würde letztere nicht auf der Ausbeutung und blutigen Unterdrückung der Arbeiterklasse beruhen und sich ihre staatlichen Instrumente zu diesem Zweck beständig ausbauen, und zwar in ihrer demokratischen Gestalt. Die vom BWK festgestellte Tendenz zum „permanenten ‚normierten Ausnahmezustand‘ (ein Anklang an den in Ulrike Meinhofs falscher Faschismusanalyse gern benutzten Ausspruch, die Tradition der Unterdrückten lehre, daß der Ausnahmezustand der Normalfall sei) führt eben nicht weiter in der Beantwortung der Frage nach der konkreten Herrschaftsform der Bourgeoisie. Der Ausbau der staatlichen Repressionsorgane, Polizei, Militär und Staatsschutz, inklusive ihrer „Vorbeuge"-Strategien, steht nicht für eine Faschisierung, sondern vielmehr für die bürgerliche Demokratie, deren Wesen eben die Diktatur der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse ist.

Eine unmittelbare Ableitung des Faschismus aus der Lohnsklaverei selbst ist objektivistischer Unfug. Aus der Ökonomie direkt lassen sich überhaupt keine politischen Herrschaftsformen der Bourgeoisie ableiten. Die „normale“ Herrschaftsform ist die bürgerliche Demokratie (mit immer mehr oder weniger bonapartistischen Zügen), da über die Integration der Arbeiterklasse vermittels des Reformismus der Klassenfrieden am besten garantiert werden kann. Erst wenn die herkömmlichen Mittel staatlicher Repression versagen, kann Faschismus ins Spiel gebracht werden.

Nun bemühen sich die KG(NHT) anhand der Kritik der Faschisierungsthesen im Beilagen-Kreis um eine linke Position. Sie stellen zurecht fest, „daß die der Kapitalbewegung entsprechende Staatsform nach wie vor die bürgerliche Demokratie ist“ und die Orientierung der Beilagen-Organisationen unter dem Vorwand der Faschisierung der BRD querbeet eine „Hinwendung zur Sozialdemokratie“ bedeutet.[15]ebenda

Daß aber die KG(NHT) die gleiche Methode der stalinistischen Volksfrontkonzeption von KPD und BWK teilen, wird durch ihre weiteren Ausführungen belegt. Als erstes geht die Vereinnahmung der Faschismus-Analyse Trotzkis für eine Art trotzkistischer Faschisierungs-These vollkommen daneben.[16]siehe ebenda Davon einmal abgesehen, daß fälschlicherweise die GIM-Positionen mit der Trotzkis gleichgesetzt werden, obwohl die GIM nicht Gegnerin der Volksfrontpolitik ist: Trotzki geht 1938 nicht nur vom Faschismus als letzte Zuflucht der Bourgeoisie aus, wie Genosse Karuscheit unterstellt. „Die Volksfront(!) auf der einen Seite – der Faschismus auf der anderen: dies sind die letzten politischen(!) Hilfsmittel des Imperialismus im Kampf gegen die proletarische Revolution“, heißt es im Übergangsprogramm.[17]Trotzki, Übergangsprogramm, S. 16 Und 1938 hieß die Alternative allerdings proletarische Revolution oder Faschismus und nicht Demokratie im Block mit der Arbeiterklasse gegen Faschismus.

Die KG(NHT) meinen, daß sich „die behauptete Faschisierung der BRD ( ) bestenfalls auf einen falschen Analogieschluß zu der Zeit vor 1933“ gründet. Jedoch: „der Hauptschlag (ist) heute nicht gegen die angebliche Faschisierung zu richten, sondern gegen die bürgerliche Demokratie und ihre Träger – das sind die bürgerlichen Parteien von CDU bis SPD. ‚Vor 1933‘ wäre es richtig gewesen(!), mit der SPD – und den anderen demokratischen Parteien – gegen den heraufziehenden Faschismus anzutreten. Eine derartige Orientierung ist unter den heutigen, ganz anders gelagerten Bedingungen grundverkehrt. Sie öffnet den Weg an die Seite der Sozialdemokratie und auf den Boden des bürgerlichen Staatswesens“.[18]Gemeinsame Beilage, 1/1986

Vor 1933 wäre es also richtig gewesen, mit den bürgerlichen Parteien einen Block zu bilden und den Weg „auf den Boden des bürgerlichen Staatswesens“ einzuschlagen! Oder gibt es einen qualitativen Unterschied zwischen der Demokratie 1932 und 1986? Der richtige Ansatz der Kritik an der These von Faschisierung löst sich auf in eine Ignoranz gegenüber der nach wie vor existierenden Möglichkeit eines Faschismus heute und ein Nachplappern der Volksfrontpolitik. Halten die KG(NHT) das Anwachsen der faschistischen Bewegung in Frankreich unter Le Pen etwa für „historisch überholt"? Mit dieser Position ist an eine grundsätzliche Kritik der pro-sozialdemokratischen Ausrichtung des Beilagen-Kreises nicht zu denken. Vielmehr wird die organische Nähe zur Volksfront-Methode dann offensichtlich, wenn man die Illusionen der KG(NHT) in die bürgerliche Demokratie – trotz aller verbalen Kritik – in Rechnung stellt. Z.B. die, „in der Außen- und Militärpolitik gegenwärtig die Vorbereitung eines Angriffskrieges“ nicht zu entdecken, da man sich diesen nur zusammen mit einem Übergang zum Faschismus vorstellen kann. Fragt sich, was die NATO-Politik, mit dem BRD-Imperialismus in Europa vorneweg, für einen Zweck verfolgt; Frieden schaffen mit immer weniger Waffen oder demokratische Kriegsvorbereitung gegen die Sowjetunion?

Die Volksfrontpolitik des BWK reduziert sich auf die Verteidigung jener Demokratie, deren Existenz er selbst in Frage stellt. Die Volkstümelei alter KBW-Schule bricht sich hier Bahn, wo alle Demokraten inklusive der „Basis“ der bürgerlichen Parteien zusammengeschlossen werden sollen.

Mit der Forderung nach dem „Verbot der NPD und aller faschistischen Organisationen!“ soll so die Mobilisierung gegen die Faschisten erleichtert werden, andererseits die „Auseinandersetzung in der sozialen Basis der CDU/CSU/FDP und unter den Christen befördert (werden), was zur Sicherung und Ausweitung der Herrschaft des Imperialismus, also des ‚freien Westens‘, gesetzlich vorgesehen sein soll und darf, und was nicht“.[19]Gemeinsame Beilage, 23. August 1984

Diese Perspektive des „sauberen Imperialismus“ wird als Teil eines Aktionsprogramms verstanden, wobei beim Rest des Programms unterm Strich „breit gefächerte Kritik, Aufklärungsarbeit“ bleibt. Zwar fragt sich der BWK, wie der „Politik der ‚antifaschistischen Sozialpädagogik‘ der SPD“ beizukommen ist; er selbst bietet jedoch nichts anderes an mit seiner Forderung „insbesondere an den Schulen die Wahrheit über den Hitlerfaschismus“ zu verbreiten.

Aufklärung und Kritik am Faschismus, betrieben durch eine Volksfront, die als solche Krieg und Faschismus verhindern soll, verbreiten Illusionen in die bürgerliche Demokratie und lenken ab von der entscheidenden Klassenfrage, daß nur das Proletariat den Faschismus zerschlagen kann. Nur durch seine Mobilisierung gegen die faschistische Gefahr wird es gelingen, auch Teile des Kleinbürgertums zu neutralisieren bzw. auf die Seite der Arbeiterklasse zu ziehen. Genauso wie generell nur der Klassenkampf gegen die Bourgeoisie, die Polarisierung der Gesellschaft entlang der Klassenlinie zur Ein- und Unterordnung des Kleinbürgertums gegenüber der Arbeitermobilisierung führen kann.

Faschisierungs-These und Volksfront-Perspektive stellen ein Hindernis dar, sowohl gegen die bürgerliche Demokratie als auch gegen die faschistischen Banden, d.h, gegen die tatsächliche Herrschaft der Bourgeoisie und ihre potentielle Form zu kämpfen.

Die Zerschlagung faschistischer Banden umfasst weder eine eigene demokratische Etappe, noch eine besondere demokratische Frontorganisation. Vielmehr ist die Einheitsfronttaktik die Grundlage für Mobilisierungen gegen faschistische Gruppen und Bewegungen, mit dem Ziel, diese zu zerschlagen. Die Verbotsforderungen lenken genau ab von dieser Aufgabe und wecken Illusionen in den bürgerlichen Staat, der die Faschisten schützt. Gegen eine antifaschistische Aufklärungskonzeption gilt es, im Kern Klassenaktionen durchzuführen, die darüberhinaus auch solche Organisationen und Bewegungen einschließen, die neben den Arbeiterorganisationen wieder direkte Opfer des Faschismus sind: ethnische und religiöse Minderheiten, Frauen, Homosexuelle etc..

Zentral ist hierbei die Orientierung, die Gewerkschaften als Einheitsfrontorganisationen der Arbeiterbewegung über die Forderung nach gewerkschaftlich organisierten Selbstverteidigungsgruppen zu mobilisieren; nur sie haben die soziale Macht, den Faschismus zu zerschlagen. Diese Perspektive gilt es auch, in die notwendigen Aktionseinheiten der Linken und Arbeiterbewegung gegen die heute noch isolierten, von der Polizei geschützten Nazis, hineinzutragen.

Faschismus läßt sich nicht „zurückdrängen“ über die Herstellung einer Volksfront aller Menschen guten Willens. Letztendlich ausgerottet werden kann er nur durch den Sturz der Herrschaft des Kapitals, das sich der faschistischen Banden im Klassenkampf bedient. Nur in dieser Perspektive kann der Kampf gegen den Faschismus heute erfolgreich geführt werden.



Revolutionäre Arbeit in den Gewerkschaften

Die DGB-Gewerkschaften sind der Transmissionsriemen der Sozialdemokratie. Die Politik der Beilagen-Organisationen orientiert sich entsprechend an ihrem eigenen Versuch, die SPD nach links zu drücken: auf Gewerkschaftsebene wollen sie die linke Beraterfunktion für die DGB-Bürokratie einnehmen. Ihnen geht es um den Aufbau „klassenkämpferischer Arbeitsgemeinschaften“ auf kleinstem gemeinsamem programmatischem Nenner, die von „unten“ die offizielle Politik von oben ergänzen oder, wie es beim BWK heißt, um die Herstellung der „Gewerkschaftseinheit“. Die Auseinandersetzung mit der DGB-Bürokratie wird nicht als Vorbedingung für die Erreichung selbst noch so minimaler Arbeiterforderungen gesehen; sondern umgekehrt zeigen die Argumente der GIM oder KPD gerade in diesem Bereich nur am klarsten die allgemeine opportunistische Nachtrabpolitik gegenüber der SPD. Da bleiben die „DGB-Beschlüsse weit hinter der Kampfbereitschaft zurück"; da „wäre es klug und notwendig gewesen schon vorher zu demonstrieren"; da kommt es „auf den Druck von unten an“, um die linken Bürokraten um Preiß und Jansen (früher Steinkühler) gegen die Rechten wie Rappe zu unterstützen. Da man also „seine Nützlichkeit beweisen“ will, muß manchmal schon klarer ausgesprochen werden, für welche Art von Tätigkeit man bei den oberen Chargen eine Verwendung bekommen könnte: „Hört nicht auf diejenigen, die sagen, der Mißerfolg sei auf ein ‚Komplott‘ von ‚Verrätern‘ an der Spitze der Organisation zurückzuführen. Sie haben Fehler gemacht. Und wir sollten das offen diskutieren. Auf allen Ebenen der Organisation sollten diejenigen ausgewechselt werden, deren Schwäche dieser Kampf aufgedeckt hat“, meinte der ehemalige Metall-Chefredakteur Jakob Moneta in Was Tunnach der Niederlage der 35-Stunden-Wochen-Auseinandersetzung.[1]Was Tun 386

Mittlerweile läßt man aufsteigende Betriebsratsfürsten den jüngsten Verrat der ÖTV-Führung im „Gastkommentar“ abfeiern („Der Abschluß entspricht den Erwartungen der Basis“, meint der Personalratsvorsitzende Zimmermann), wo selbst die KPD sich noch zu einigen kritischen Bemerkungen hinreißen ließ.

Revolutionäre Gewerkschaftspolitik ist dem Aufbau der revolutionären Partei zugeordnet. Der Kampf gegen die Bourgeoisie muß auch mit dem Mittel der Einheitsfront gegenüber der Sozialdemokratie die Polarisierung der Arbeiterbewegung vorantreiben, um ihre fortschrittlichen Teile für die sozialistische Revolution zu gewinnen. In den Gewerkschaften heißt das, kommunistische Gewerkschaftsfraktionen aufzubauen, die entgegen der allgemeinen „Klassenkampf contra Sozialpartnerschafts"-Konzeption der Klassenkampf GmbH & Co. KG von GIM und KPD eine Alternative zur DGB-Bürokratie entwickeln und für die revolutionäre Gewerkschaftsführung kämpfen. „Wenn es kriminell ist, wegen sektiererischer Fiktionen den Massenorganisationen den Rücken zu kehren, dann ist es nicht weniger kriminell, die Unterordnung der revolutionären Massenbewegung unter die Kontrolle offen reaktionärer oder versteckt konservativer (‚progressiver‘) bürokratischer Kliquen passiv zu dulden. Gewerkschaften sind kein Selbstzweck; sie sind nur ein Mittel auf dem Weg zur proletarischen Revolution“.[2]Trotzki, Übergangsprogramm, S. 21 Was für die revolutionäre Massenbewegung laut Trotzki zutrifft, gilt erst recht für die unter sozialdemokratischer Kontrolle.

Anders bei GIM und KPD: Die Gewerkschaftsarbeit beider Organisationen hat eine große Bedeutung für ihren Annäherungsprozeß gespielt; hier wird schon seit Jahren im kleinen die pro-sozialdemokratische Linie geprobt, die durch die Fusion nun auf eine allgemeinere Ebene gehoben werden soll. Wir wollen anhand der Auseinandersetzung um die 35-Stunden-Woche wie des Kampfes gegen die Verschärfung des § 116 die unterschiedlichen Positionen der „revolutionären Sozialisten“ sowie unsere Kritik und Alternative deutlich machen.

Trotz Konjunkturaufschwung hat sich an der strukturellen Arbeitslosigkeit mit ca. 2,5 Millionen Arbeitslosen in der BRD nichts geändert. Sie ist ein Grund für die geschwächte Stellung der Gewerkschaften, deren Kampfkraft zudem noch gelähmt wird durch die bürokratischen Apparate. Deren Konzepte erweisen sich in Zeiten der kapitalistischen Krise immer offensichtlicher als untauglich, selbst die bisherigen sozialen Errungenschaften der Arbeiterklasse zu verteidigen; sie zeigen das Elend des Reformismus im Zeitalter des Imperialismus. In scharfem Gegensatz zur sozialdemokratischen Politik ist es notwendig, an der Grenze des kapitalistischen Systems nicht halt zu machen: nur so kann die Arbeiterklasse neue Ziele erkämpfen und alte Errungenschaften verteidigen.

Im Streik 1984 standen Revolutionäre auf Seiten der Arbeiter ohne die offizielle IG Metall-Kampagne zu unterstützen. Im Gegenteil: An der Kritik der 35-Stunden-Wochen-Perspektive war nicht ein Jota zurückzunehmen. Es galt an den Streiks anzusetzen und (gegen die Bürokratie) die Perspektive der gleitenden Skala der Arbeitszeit in diese hineinzutragen. Denn selbst nach eigenen DGB-Berechnungen hätte die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche die Arbeitslosigkeit nur gestoppt – bis zur nächsten Rationalisierungswelle -, während die Arbeitslosen selber draußen vor der Tür bleiben sollten. Die 35-Stunden-Wochen-Forderung sanktionierte von gewerkschaftlicher Seite die bevorzugte Entlassungspolitik der unterdrücktesten Schichten des Proletariats – Frauen und nationale Minderheiten; sie ist ein Hindernis für die gemeinsame Mobilisierung von Arbeitslosen und Arbeitern. Konservativ ausgerichtet auf den (illusionären) status quo, zementiert diese Perspektive die Spaltung der Arbeiterklasse und beläßt sie in der Defensive. Angesichts der Rationalisierungstendenzen, der Intensivierung der Arbeit und Flexibilisierung der Arbeitszeit bei ständig steigenden Arbeitslosenzahlen wird ihr Anachronismus immer deutlicher.

Gegen diese reformistische Bankrottpolitik argumentierten wir 1984: „Dabei kann es nicht im Interesse der Arbeiterklasse liegen, die Verteidigung des reaktionären kapitalistischen status quo zu übernehmen … Das Ziel Arbeit für alle , bessere Lebensbedingungen sind nur gegen die kapitalistische Lohnsklaverei und diesen Staat durchzusetzen. Nötig ist, die gesamte vorhandene Arbeit auf alle Hände zu verteilen , woraus sich die durchschnittliche Arbeitszeit bestimmen würde, während die Löhne bei einem garantierten Mindestlohn der Preisbewegung folgen müssen … ‚Die Besitzenden und ihre Anwälte werden die ‚Unrealisierbarkeit‘ dieser Forderungen beweisen‘ … Nur, ‚wenn der Kapitalismus unfähig ist, die Forderungen zu erfüllen, die sich unvermeidlich aus dem durch ihn geschaffenen Elend ergeben, dann soll er zugrundegehen. ‚Realisierbarkeit‘ oder ‚Unrealisierbarkeit‘ ist in diesem Fall eine Frage des Kräfteverhältnisses, das nur durch den Kampf entschieden werden kann‘ (aus dem Programm der IV. Internationale). Der Kampf für öffentliche Arbeitsprogramme , gleitende Lohnskala und die Verteilung der Arbeit auf alle Hände bei vollem Lohnausgleich wird die entschädigungslose Enteignung des Kapitals auf die Tagesordnung setzen. Die Wirtschaft muß nach den Bedürfnissen der Gesellschaft geplant werden, in der das Profitprinzip zerschlagen wird durch eine Regierung der Arbeiterklasse “.[3]Gruppe IV. Internationale, Flugblatt Verteilung der Arbeit auf alle Hände bei vollem Lohnausgleich, 30.01.1984

GIM und KPD (wie andere Organisationen der Betriebslinken) vertreten dagegen bis heute die bankrotte Forderung der 35-Stunden-Woche. Sie bemühten sich nach Kräften, die offizielle Politik von oben durch eine 35-Stunden-Wochen-Bewegung von unten zu ergänzen. Ihr reformistisches Kalkül: erst 35, dann 30, dann … Stunden bei vollem Lohnausgleich führte sie zur Unterstützung von Steinkühler & Co. Zusammen mit diesem machten sie dann auch die Bruchlandung: 38,5 Stunden plus Flexibilisierung – eine klare Niederlage für das westdeutsche Proletariat.

An dieser Verratspolitik von 1984, Meilenstein für den Prozeß der Sozialdemokratisierung der GIM, darf nicht gerüttelt werden. Die GIM besitzt sogar die Unverfrorenheit, mit dieser Forderung der KPD Nachhilfeunterricht in Sachen „Übergangsprogramm“ zu erteilen: „Das ‚fortschrittliche‘ an dieser Forderung war offenbar, daß sie eine deutlich antikapitalistische Stoßrichtung beinhaltet – im Unterschied z.B. zum Vorruhestand oder reinen Lohnerhöhungsforderungen – und im Kampf um diese Forderung deshalb das politische Bewußtsein erweitert werden konnte, bis zur Regierungsfrage“.[4]Vereinigungsverhandlungen…, S. 13 Die GIM meinte die SPD-Regierung, gestützt auf die GRÜNEN.

Im Unterschied zur üblichen Kapitulation der Gewerkschaftslinken vor der DGB-Bürokratie teilt der BWK die Forderung nach der 35-Stunden-Woche erst einmal so nicht. 1984 kritisierte er (korrekterweise) vor allem die Öffnung zur Arbeitszeitflexibilisierung durch den SPD-Parteivorstand und stellte dieser die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung bzw. Begrenzung des Normalarbeitstages entgegen, entlang der Linie: 7-Stundentag an 5 Wochentagen von Montag bis Freitag.[5]siehe Gemeinsame Beilage, 23. August 1984 (Am Rande sei hier nur auf die „Ernsthaftigkeit“ seiner Kritik hingewiesen, da der BWK es sieh trotz seiner Einwände nicht nehmen ließ, u.a. mit der Forderung der 35-Stunden-Woche zu den Bundestagswahlen 1983 zu kandidieren).

Arbeitslosigkeit scheint für den BWK jedoch kein zentraler Punkt zu sein. In seiner Kritik der gewerkschaftlichen Öffnung zur Arbeitszeitflexibilisierung dreht der BWK die Fragestellung einfach um: „Entsprechend der inzwischen von der SPD propagierten Losung ‚Arbeit für alle‘ wird der Schwerpunkt der gewerkschaftlichen Agitation auf die Auswirkung auf die Beschäftigung konzentriert, alles andere wird zur mehr oder weniger nebensächlichen Begleitmusik“.[6]ebenda

So ist der BWK zwar für Arbeitszeitverkürzung, allerdings meint er ein dreiviertel Jahr später: „In der heutigen, eingangs skizzierten Lage sollte das (gemeint ist hier die Sammlung der Kräfte gegen die Reaktion, unsere Anmerkung) u.E. im Kampf um einen gesetzlichen Normalarbeitstag geschehen, der für alle Bereiche der Lohnarbeit Vorteile brächte“. Und er betont im folgenden die positiven Momente der Arbeitszeitordnungsentwürfe von SPD und GRÜNEN, u.a. „eine gesetzliche Festschreibung der 40-Stunden- und 5-Tage-Woche“.[7]Gemeinsame Beilage, 1/1985 Das ist zumindest etwas anderes als die 1984 erhobene Forderung nach dem 7-Stundentag!

So verheddert sich der BWK beim Kampf gegen die „Reaktion“, seine Perspektive gegen die Offensive des Kapitals greift notwendigerweise zu kurz. Da er über den vergilbten Rand seines Erfurter Programms nicht hinausschauen kann, muß er in einer reformistischen Sackgasse landen: Der BWK hat kein Programm zur Wiedereingliederung der Arbeitslosen in die Produktion, er orientiert sich vielmehr an den Grenzen des kapitalistischen Systems. Ein System von Übergangsforderungen, die wie z.B. „Verteilung der Arbeit auf alle Hände“ an den Bedürfnissen der Arbeiterklasse ansetzend, zur Konsequenz der Revolution führt, kennt er nicht.

Nur der Kampf um die gleitende Skala der Arbeitszeit, die das Prinzip der sozialistischen Planwirtschaft gegenüber der kapitalistischen Mißwirtschaft verdeutlicht, stellt erst den Rahmen her, in dem auch gegen die drückende Arbeitszeitflexibilisierung sowie die Intensivierung der Arbeit angegangen werden kann. Mit der Forderung nach dem 7-Stundentag bzw. der 40-Stunden-Arbeitswoche ist der Arbeitslosigkeit allerdings nicht beizukommen. Ein Problem des Klassenkampfes, dessen Lösung ans Eingemachte des kapitalistischen Systems gehen soll, wird beim BWK … zu einer Kampagne für eine neue Arbeitszeitordnung: „In der besonderen Situation in der BRD sollte also darauf hingearbeitet werden, daß SPD und GRÜNE an ihren Arbeitszeitgesetzentwürfen Änderungen vornehmen und zu einem einheitlichen Entwurf kommen. Die revolutionären Sozialisten müßten eine Diskussion in Gang bringen, einzeln oder gemeinsam, über die positiven Momente, die in den AZO-Entwürfen von SPD und GRÜNEN enthalten sind“.[8]ebenda Auf der Grundlage dieses demokratischen Fetischismus trifft er sich dann wieder bei der SPD mit der 35-Stunden-Wochen-Linken GIM und KPD.

Die Auseinandersetzungen um den § 116 haben dort dieselben Gebrechen wie beim Kampf um die 35-Stunden-Woche offenbart. Ihre Methode ist wieder die gleiche: Unter dem Vorwand der „Arbeitereinheit“ wird die Kritik an der Gewerkschaftsbürokratie zum Luxus, an die Stelle des Kampfes um eine revolutionäre Gewerkschaftsführung tritt der kritische Schulterschluß mit den pro-kapitalistischen Bonzen. So formuliert z.B. die KPD ihren Ausgangspunkt für ihre § 116-Intervention: „Mobilisierung für den Kampf um das Streikrecht muß deshalb von den inhaltlichen Zielen der Gewerkschaftsbewegung ausgehen“.[9]KPD-Thesen: Aufgaben und Anknüpfungspunkte für das Eingreifen von Revolutionären Sozialisten in den Kampf um § 116 AFG Diese Inhalte werden jedoch noch immer von den sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern bestimmt. Für den „Erhalt des § 116“, die „schwarz-rot-goldene Demokratie sichern“ sind Forderungen, die kommunistischen Positionen jedoch direkt entgegengesetzt sind. Revolutionäre sind gegen die Verschärfung des § 116 durch die bürgerliche Regierung, weil wir zusammen mit allen anderen Gewerkschaftern das Streikrecht, die Streikfähigkeit der Arbeiterbewegung sichern wollen. Das hat nichts zu tun mit dem Kampf um den Erhalt des § 116, der Aussperrung sanktioniert, indem er für selbst am Streik nicht Beteiligte das Arbeitslosengeld sperrt, „wenn die Gewährung des Arbeitslosengeldes den Arbeitskampf beeinflussen würde“. Das juristische Hick-Hack, ob und wann denn die „Neutralität“ des bürgerlichen Staates gefährdet sei, überlassen wir der Gewerkschaftsbürokratie, die um den Erhalt ihrer demobilisierenden Mini-Max-Strategie fürchtet. Entscheidend ist, daß die Kapitalisten zu ihren Gunsten eine Verschiebung des Kräfteverhältnisses versuchen, und daß Kommunisten zusammen mit dem DGB auf die Straße gehen, ohne politisch vor der Bürokratie zu kapitulieren.

Streikrecht kann man nur durch Streik verteidigen, während die Gewerkschaftsführung mit dem Druck der Straße drohte, die Mobilisierungen begrenzte und so die Kollegen demoralisiert. Das mußte man laut und deutlich sagen, die schwarz-rot-goldene Sabotage der Spitze angreifen, die Notwendigkeit einer revolutionären Gewerkschaftsführung erläutern.

GIM und KPD bemühten dagegen die Meinungsforschungsinstitute und Verfassungsrichter, beschworen den demokratischen Willen der Bevölkerung und Jakob Moneta organisierte eine Unterschriftenaktion an alle Fraktionen des Bundestages – an die, die den § 116 durchzogen als auch an die, die den Widerstand gerade kräftig sabotierten. Bewußt wurde jedoch das bürokratische Kalkül bei den halben Mobilisierungen verschwiegen. „Jetzt muß Entschlossenheit an den Tag gelegt werden!“ tönten sie und forderten den DGB-Vorstand und die Führungen der Einzelgewerkschaften auf, „endlich den Mut zu der überfälligen Erklärung auf(zu)bringen, daß der Anschlag auf Streikrecht und Gewerkschaftsfreiheit nötigenfalls(!) auch mit umfassenden Streiks vereitelt werden wird“.[10]GIM/KPD, Flugblatt Blitzgesetz gegen Mehrheit der Bevölkerung Als ob es um eine Mutprobe für die Herrschaften in den Gewerkschaftsetagen gegangen wäre! KPD und GIM wissen es besser; ihr Zynismus besteht darin, daß sie sich über den Charakter der sozialdemokratischen Taktik bewußt ausschweigen, und stattdessen es „schwer verständlich (finden), warum der IGM-Vorstand sich auf seiner letzten Klausurtagung … nicht klarer zu den nächsten Mobilisierungs- und Aktionsschritten geäußert hat … Um es vorsichtig auszudrücken: es gibt leider keine Hinweise darauf, daß die ÖTV-Führung an die hervorragende Warnstreiktaktion im Kölner Nahverkehr vor Weihnachten anknüpfen will …“.[11]RM 5, 1986 Couragiert gab sich die KPD lediglich in geschlossener Veranstaltung, wo sie u.a. feststellte: „In diesem Kampf gibt es eine klare Verbindung zur proletarischen Revolution, dem strategischen Ziel der revolutionären Sozialisten. Die Revolution steht an, wenn größere Teile der Arbeiterklasse bereit sind für eine Regierung und einen Staat zu kämpfen, die im Interesse und nicht gegen die Interessen der arbeitenden Menschen handelt“.[12]KPD-Thesen: Aufgaben …

Die nach vorne komplimentierte DGB-Bürokratie wollte jedoch aus der so angedeuteten revolutionären Situation keine allzu gewagten Konsequenzen ziehen. Nach all den Kamin-Treffen beim Kanzler, dem Hoffen auf die Gerichte, dem Bangen um die Sozialausschüsse, mutet sie jetzt der Arbeiterklasse eine Befragungsaktion zu, die sie mit dem Rühren der SPD-Wahltrommel verbindet. Diese dreiste Sabotage unterstreicht nur: Der Bruch mit der DGB/SPD-Führung wird zur Vorbedingung der effektiven Sicherung des Streikrechts, ja der gewerkschaftlichen Existenz selbst. Die 18 Milliarden Mark Miese der Neuen Heimat, in die die Sozialdemokraten die Gewerkschaftsbewegung hineingeritten haben, könnten ein Ansporn sein, die Rechnung auch von links aufzumachen: für kommunistische Gewerkschaftsfraktionen im Kampf für eine revolutionäre Gewerkschaftsführung .



Frauenbefreiung durch sozialistische Revolution

KPD und BWK entdecken die Frauenbewegung. Die KPD warf die traditionelle stalinistische These des „Nebenwiderspruchs“ über Bord, und die KPDlerinnen fordern „Her mit dem ganzen Leben!"; der BWK richtet einstweilen Forschungsgruppen ein, da es erforderlich sei, daß die Fragen der Frauenunterdrückung „weiter bearbeitet werden“. Die GIM, Vorreiterin der Anpassung an den Feminismus, gibt die Vorlagen und Tips für die Autonomie der „antikapitalistischen Frauenbewegung“ und die Feminisierung der Arbeiterbewegung. Eine revolutionäre Perspektive der Frauenbefreiung wird man bei diesen Organisationen vergeblich suchen.

Alle Frauen aller Klassen der bürgerlichen Gesellschaft trifft ein extremer Chauvinismus, der ihnen eine gesellschaftliche Gleichberechtigung selbst da verweigert, wo sie rechtlich festgeschrieben ist. Die materielle Ursache der Frauenunterdrückung liegt in der bürgerlichen Familie, welche die gesellschaftliche Reproduktion – Haushalt, Kindererziehung etc. – über die Frau garantiert; die drei Ks – Kinder, Küche, Kirche – stehen und fallen mit dieser Keimzelle der bürgerlichen Gesellschaft, die unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes steht. Sie ist ein entscheidendes Hindernis für die Beteiligung der Frau am gesellschaftlichen Leben.

Neben dieser allgemeinen Unterdrückung trifft die Arbeiterin im Kapitalismus eine besondere: Aufgrund des herrschenden Sexismus des kapitalistischen Ausbildungssystems erhalten Frauen generell die am schlechtesten bezahlten Arbeitsstellen und werden als erste gefeuert; bei gleichen Qualifikationen wie die Männer müssen sie eine diskriminierende Einstellungspraxis über sich ergehen lassen und erhalten in vielen Bereichen bei gleicher Arbeit nicht den gleichen Lohn wie ihre männlichen Kollegen. Für den Kapitalisten sind sie Objekt einer Extra-Ausbeutung. Die Lohnabhängige trifft die Unterdrückung also doppelt durch Knechtung in der Familie und Ausbeutung im Betrieb, zumal sie im Gegensatz zu den Frauen der Bourgeoisie nicht über die finanziellen Mittel und gesellschaftlichen Positionen verfügt, dieser individuell zu begegnen.

Die Frauenfrage ist nicht identisch mit der Klassenfrage, wird aber im wesentlichen von dieser überlagert. Nur der Sozialismus, die qualitative Entfaltung der Produktivkräfte, schafft die materielle Grundlage für die Aufhebung der Familie durch Vergesellschaftung der Hausarbeit; erst hier ist die Befreiung der Frau letztendlich gesichert. Deshalb ist der Sturz des Kapitalismus notwendige Bedingung und insofern der Klassenkampf die entscheidende Achse ihrer Emanzipation.

Von daher lehnen wir eine Spaltung der Arbeiterklasse in Männer und Frauen ab, da nur der gemeinsame Kampf die materielle Grundlage der allgemeinen Befreiung – und somit auch die der Frauen – schaffen kann. Der Kampf gegen Chauvinismus und Frauenunterdrückung muß heute beginnen; er ist Bestandteil des kommunistischen Programms, das in einem kommunistischen Frauenprogramm konkretisiert werden muß. Ausgehend von der besonderen Lage der Frau und den sich daraus ergebenden Forderungen stellt es die Verbindung zur gesamten Arbeiterbewegung her. So ist die Schaffung einer kommunistischen Frauenbewegung Bestandteil des Aufbaus der trotzkistischen Arbeiterpartei. Diese Bewegung ist entschiedene Gegnerin der Versuche reformistischer und kleinbürgerlicher Organisationen, den Kampf gegen die Frauenunterdrückung in eine bürgerliche Sackgasse zu lenken.

Feminismus ist die falsche Antwort auf die richtige Frage, wie die Unterdrückung der Frau bekämpft werden soll. Da dieser die Geschlechtertrennung zum alles entscheidenden Widerspruch der Gesellschaft erklärt, die Klassenscheidung leugnet bzw. als unwesentlich hintanstellt, muß er eine Interessensidentität aller Frauen aller Klassen der Gesellschaft unterstellen. Den Kern der Ideologie dieser kleinbürgerlichen Bewegung macht die Illusion der Selbstbestimmung als Frau hier und heute aus; ein Idealismus, der nicht mehr Gehalt dadurch bekommt, daß er im Namen der Hälfte der Menschheit auftritt.

Als Marxisten gehen wir davon aus, daß der Mensch (also auch der weibliche) als „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ existiert, d.h. als Angehöriger einer Klasse. Die Existenzweise des Menschen ist gesellschaftliche Tätigkeit: „… jedes Verhältnis, in dem der Mensch zu sich selbst steht, ist erst verwirklicht, drückt sich aus in dem Verhältnis, in welchem der Mensch zu dem anderen Menschen steht“.[1]Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW Ergänzungsband 1, S. 518 Losgelöst von dieser gesellschaftlichen Wirklichkeit besagt der Bezug auf das Frausein gar nichts, da es an sich nicht existiert, sondern nur im Verhältnis zum – ebenfalls gesellschaftlich bestimmten – Mannsein.

Das heißt nicht, von einer Identität der Klassen- und Frauenunterdrückung auszugehen, sondern die Knechtung der Frau der existierenden Klassengesellschaft zuzuordnen und mit Fourier zu sehen, daß der Grad der weiblichen Emanzipation das natürliche Maß der allgemeinen Emanzipation ist.

Diese ist jedoch nicht per Selbstbestimmung als Frau zu erreichen, da sich dieser Idealismus des Feminismus im wesentlichen auf die Bestätigung der Verschiedenartigkeit vom Mann reduziert. Die Parole der Frauenbewegung „Mein Bauch gehört mir!“ war z.B. Ausdruck dieses idealistischen Verständnisses. Es abstrahiert von der Tatsache, daß der bürgerliche Staat ein Wörtchen über Leben und Tod seiner „Bürger“ mitzureden gedenkt. Was sich allerdings änderte, war die inhaltliche Bestimmung der Selbstbestimmung: War die Parole Anfang der 70er Jahre Vehikel im Kampf gegen den Klassenparagraphen 218, so wurde mit der gleichen Parole Ende der 70er Jahre die „neue Mütterlichkeit“ begründet. So finden Teile der Frauenbewegung heute ihren Ausdruck in den GRUNEN (und deren Wählerschaft) und treffen sich mit den Sachwalterinnen des „alternativen Schutzes des ungeborenen Lebens“.

Die in den letzten Jahren stattgefundene Annäherung anderer Teile der Frauenbewegung an die Arbeiterbewegung stellte auch hier die absolute Autonomie der Frauen in Frage. Die Zielsetzung der Frauenbewegung gegen eine Männerherrschaft wurde relativiert durch das Ziel der Feminisierung, d.h. die Einflußnahme auf und in bestehende(n) Organisationen und Gruppierungen, um der Emanzipation ein Stück näher zu kommen.

Die Mobilisierungen gegen die Politik der CDU/CSU/FDP-Regierung – insbesondere deren versuchte Angriffe auf die SPD-Reformruine des § 218 – beschleunigte diesen Prozeß, indem der Reformismus seinerseits Teilaspekte der autonomen, alternativen Frauenbewegung aufgriff (Aktionsformen, Quotierungsdiskussionen etc.). Die Walpurgisnacht bekam Konkurrenz durch den Internationalen Frauentag, der in den 80er Jahren wieder vom DGB gefeiert wird, und durch den Muttertag, der sinnigerweise zum Datum reformistischer Frauenpolitik gewählt wurde.

Ausgehend von dem Zusammenhang der Frauenbefreiung mit der sozialistischen Revolution verteidigen Kommunisten demokratische Rechte der Frauen und Frauenbewegung, andererseits unterstützen wir z.B. die Gewerkschaften – trotz der sozialdemokratischen Dominanz auch in den DGB-Frauenorganisationen – im Kampf für die ersatzlose Streichung des § 218; dieser Kampf ist auch unser Kampf. Allerdings bleiben wir hierbei nicht stehen; gegen Reformismus und Feminismus bleibt zentraler Aspekt der Frauenbefreiung die sozialistische Revolution: die Schaffung der materiellen Grundlage der Frauenemanzipation über die Vergesellschaftung der Hausarbeit und die Ersetzung der Familie.

BWK und KPD verhalten sich dagegen zögernd bei der Einschätzung der Familie als Keimzelle der bürgerlichen Gesellschaft. Der BWK schätzt die existierende Frauenbewegung als eine „sich maßgeblich auf die Interessenlage von Frauen der lohnabhängigen Mittelklasse“ beziehende ein.[2]PB April 1985, Ergebnisse der 5. o. BWK-Delegiertenkonferenz Er will prüfen, „inwieweit die Forderungen, die sie aus eigener Interessenlage stellt, gegen die Reaktion gerichtet und deshalb im Sinne der Politik der Frontbildung gegen die Reaktion zu unterstützen oder inwiefern sie der Reaktion dienlich und deshalb zu bekämpfen sind“.[3]ebenda Ansonsten wird auf eigene „theoretische und praktische Bemühungen“ verwiesen, welche die Frage der Frauenunterdrückung generell klären und diese in einen Kontext mit der Emanzipation der Arbeiterklasse stellen sollen.

Also kein Programm zur Frauenbefreiung beim BWK, sondern lediglich Bemühungen, Teile der autonomen Frauenbewegung in den „Block der fortschrittlichen Menschen gegen die Reaktion“ zu integrieren, denen dann Versuche folgen sollen, die „Interessenlage der weiblichen Arbeiterbevölkerung“ zu analysieren.

Hintergrund der diesbezüglichen Schwierigkeiten, z.B. bei der anstehenden Untersuchung zur „Überwindung der Ehe“, ist die maoistische Tradition, zwischen bürgerlicher und „sozialistischer Familie“ zu unterscheiden. Die Ideologie der „sozialistischen Familie“ hat ihren Ursprung im Sowjetthermidor unter Stalin, der viele Ansätze der Frauenbefreiung in der Sowjetunion – sowohl auf materieller wie juristischer Ebene – wieder rückgängig machte, Abtreibung unter Strafe stellte und die „sozialistische Familie“ gegen Vergesellschaftung der Hausarbeit und sexuelle Befreiung der Frau setzte. Die gleiche Politik übernahm die chinesische Bürokratie und verkaufte als Ausdruck des Sozialismus in einem Land den Sozialismus in einer Familie. Die Maoisten müssen sich also auf das „Hinterfragen“ der Familie beschränken, anstatt deren Aufhebung auf sozialistischer Grundlage zu propagieren.

Dabei ist die Kapitulation vor dem Feminismus für den BWK bereits beschlossene Sache, denn vor Beginn seiner Untersuchungen weiß er: „Soviel scheint uns aber auch klar zu sein: derartige Bemühungen (die Interessenlage der weiblichen Arbeiterbevölkerung zu erfassen) müssen nicht in Konfrontation zur existierenden Frauenbewegung betrieben werden“.[4]ebenda

Und wieso nicht? Weil das Verständnis des BWK ausgeht von einer Trennung der Arbeiterbewegung, inklusive der Arbeiterinnen, von der Frauenbefreiung. Letztere ist nicht Programm, das Kommunisten in das Proletariat – auch in „Konfrontation zur existierenden Frauenbewegung“ – hineintragen und verankern müssen, sondern bleibt Anliegen eines der vielen Bündnispartner der Arbeiterklasse.

Ähnlich schwer tut sich die KPD, die sich auf ihrem Sonderparteitag für das „Infragestellen der Familie“ ausgesprochen hat.[5]Dokumente vom Sonderparteitag der KPD, S. 8 Auf der anderen Seite erleichtert ihr die GIM den Abschied von ihrer Konstruktion des „Nebenwiderspruchs“. Daß „der Kampf der Frauen gegen ihre besondere Unterdrückung durch patriarchalische Strukturen der kapitalistischen Gesellschaft nicht umstandslos dem Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit unterzuordnen ist“, wird dann in einer 180-Grad-Wendung verwechselt mit einer „eigenständigen Rolle“ der Frauenbewegung.[6]zit. nach: Was Tun 418 „Natürlich beteiligen wir uns vor allem an den politischen Kämpfen gegen Konservatismus und Reaktion und erarbeiten uns unsere Standpunkte auf der Grundlage unserer sozialistischen Auffassungen.(Was wohl sonst?)“, schreibt Carmen Hansen im Roten Morgen. Was wohl sonst? Die Mitarbeit der ML-Frauen „in den Gewerkschaften und in Frauengruppen unter feministischen Aspekten(!)“, wodurch die KPD den Stalinismus mit der Autonomie der Frauenbewegung eintauscht.[7]RM 8, 1986

Mentor dieser Politik ist die GIM, die Marxismus und Feminismus als komplementäre Bewegung ansieht und einen feministischen Reformismus praktiziert. Zentral erscheint ihr das Bündnis zwischen Frauen- und Arbeiterbewegung in der Perspektive der Selbstbestimmung und Feminisierung der Gewerkschaften: „Die vereinigte Organisation wird Kämpfe der Frauen gegen ihre Unterdrückung und besondere Betroffenheit von der Krise, für ihr Selbstbestimmungsrecht unterstützen und ihren Beitrag zum Aufbau einer autonomen Frauenbewegung leisten. Sie wird sich dafür einsetzen, diese Inhalte in die gewerkschaftlichen Kämpfe, in die gewerkschaftliche Arbeit zu integrieren und das feministische mit dem sozialistischen Bewußtsein und einer entsprechenden Praxis zu verbinden“.[8]Dokumente der Delegiertenkonferenz der GIM, S. 5

Anstatt die Feminisierung in die Gewerkschaften hineinzutragen und eine „autonome Frauenbewegung“ aufzubauen, ist es Aufgabe von Kommunisten, mit einem kommunistischen Programm der Frauenbefreiung zu intervenieren. Die z.B. von der GIM begrüßten „einschneidenden, teilweise auch gegen die Interessen der Männer“ gerichteten Maßnahmen der 12. IGM-Bundesfrauenkonferenz sind wesentlich Ersatz, die Frauenarbeitslosigkeit in der Perspektive der „Verteilung der Arbeit auf alle Hände“ anzugehen. So plappert die GIM die Beschlüsse der Frauenkonferenz nach und landet bei der 35-Stunden-Woche für alle und Selbstbestimmung für die Frau. So heißt es etwa in der Was Tun: „Die Gleichstellungsforderungen, heute vor allem konkretisiert in Frauenförderplänen und Quotierungsmodellen, gelten den Gewerkschafterinnen mehr als Schritte zu Selbstbestimmung“, denn, „auch wenn Gewerkschaftsfrauen heute noch vorwiegend ‚Gleichstellung‘ fordern und nicht offen von Frauenbefreiung sprechen, sie meinen doch immer häufiger Selbstbestimmung “.[9]Was Tun 420 Die Genossinnen der GIM wissen, was Frauen wünschen: Sie reden von Gleichstellung, aber meinen Selbstbestimmung.

Für das „Programm“ der GIM zur Frauenbefreiung trifft aber im besonderen das zu, was für ihre Politik im allgemeinen gültig ist: Es ist ein schaler Aufguß der jeweils aktuellen Tendenzen des Kleinbürgertums, vermischt mit reformistischer Tagespolitik. Die Perspektive der Frauenbefreiung durch sozialistische Revolution wird ersetzt durch die Selbstbestimmung, wenigstens in der eigenen Organisation – die Quotierung erblickt das Licht der Welt.

Diese Regelung bedeutet zum einen eine Revision der bolschewistischen Parteikonzeption, die davon ausgeht, daß sich die Führung einer revolutionären Partei aus der Mitgliedschaft auf der Grundlage von politischen Kämpfen, Erfahrungen und Bewußtsein herausbildet und nicht bestimmt wird entlang der Geschlechterzugehörigkeit. Quotierung ist darüber hinaus bürokratisch, da sie entweder Frauen mit noch geringen Erfahrungen verheizt und überfordert, andererseits Genossinnen in Leitungen als „Quotierte“ abstempelt, da diese sich nicht auf das Vertrauen der gesamten Mitgliedschaft durch allgemeine Wahlen stützen können.

Diese formalistische Absicherung der Genossinnen sagt einiges über den Zustand der Organisation aus, die eine systematische Förderung von Frauen in der Partei nicht kennt, die ja nur entwickelt werden kann auf der Grundlage einer kommunistischen Arbeit unter Frauen durch die gesamte Partei. Auf dem 3. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale umriß Clara Zetkin die Voraussetzungen einer solchen Arbeit: „Es gibt nur eine Bewegung, es gibt nur eine Organisation der Kommunistinnen innerhalb der Kommunistischen Partei zusammen mit den Kommunisten. Die Auf-laben und Ziele der Kommunisten sind unsere Aufgaben, unsere Ziele. Keine Sonderbündelei, keine Eigenbrötelei, die irgendwie geeignet wäre, die revolutionären Kräfte zu zersplittern und abzulenken von ihren großen Zielen der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat und dem Aufbau der kommunistischen Gesellschaft“.[10]Protokoll des III. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, S. 916

Zetkin begründete ihre Politik mit den Erfahrungen des revolutionären Flügels der deutschen Sozialdemokratie, an denen wiederum die Komintern ansetzte. Diese revolutionäre Tradition steht in einem direktem Gegensatz zur „Sonderbündelei“ bzw. zur Spielwiese der Autonomie innerhalb der Parteiorganisation. Die Komintern gründete – keineswegs unter Ausschluß von Männern – gesonderte Frauenkommissionen auf allen Ebener. der Partei, die die Arbeit unter Frauen anleiteten. Diese Kommissionen, vertikal miteinander verbunden, können zu einer entsprechenden Frauen-Übergangsorganisation ausgebildet werden, in der Frauen organisatorisch eigenständig, politisch auf der Grundlage des gemeinsamen Programms als Teil der kommunistischen Bewegung arbeiten.

Gemeinsames Ziel aller Parteimitglieder ist die proletarische Revolution. Der Aufbau der kommunistischen Frauenbewegung drückt also eine spezifische Arbeitsteilung der gesamten Partei aus, die für die „Frauenbefreiung durch sozialistische Revolution“ kämpft.



Zur leninistischen Parteikonzeption

Grundlage der trotzkistischen Intervention in die Linke und Arbeiterbewegung ist das Programm der IV. Internationale von 1938 Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der IV. Internationale, das Übergangsprogramm. Es bietet den allgemeinen Rahmen für revolutionäres Handeln, in ihm werden zentrale Forderungen entwickelt, die zur Schlußfolgerung der Diktatur des Proletariats, zur Arbeiterregierung führen: „Man muß den Massen im Prozeß des täglichen Kampfes helfen, die Brücke zwischen gegenwärtigen Forderungen und dem Programm der sozialistischen Revolution zu finden. Diese Brücke sollte aus einem System von Übergangsforderungen bestehen, das von den jetzigen Bedingungen und dem heutigen Bewußtsein weiter Schichten der Arbeiterklasse ausgeht und unausweichlich zu ein und derselben Schlußfolgerung führt: der Eroberung der Macht durch das Proletariat … Dort, wo die alten ‚minimalen‘ Teilforderungen der Massen mit den zerstörerischen und erniedrigenden Tendenzen des dekadenten Kapitalismus zusammenprallen – und das geschieht auf Schritt und Tritt -, stellt die Vierte Internationale ein System von Übergangsforderungen auf, deren Sinn es ist, sich immer offener und entschiedener gegen die Grundlagen des bürgerlichen Regimes selbst zu richten“.[1]Trotzki, Übergangsprogramm, S. 16-18

Festzuhalten ist, daß die GIM, die sich in der trotzkistischen Tradition wähnt, immer von irgendeinem Übergangsprogramm spricht, das Programm von 1938 also wegschiebt und in ihrer „Offenheit“ gegenüber anderen Organisationen die Notwendigkeit einer Neuerarbeitung betont.[2]siehe Gemeinsame Beilage, 1/1986 Diese „Offenheit“ hat sie auch nötig, da die KPD aufgrund ihrer stalinistisch-reformistischen Vergangenheit die aktuelle Notwendigkeit des Übergangsprogramms leugnet: „Wir halten es etwa nicht für möglich, gegenwärtig ein wirkliches Übergangsprogramm zu formulieren, obwohl es ein zentraler Punkt in einer revolutionären Strategie sein muß … Unser Programmentwurf beschränkt sich darauf, einen gewissen Orientierungsrahmen darzulegen, innerhalb dessen mit der weiteren Entwicklung des Klassenkampfes die weitere Konkretisierung der politischen Strategie geleistet werden müßte“r.[3]Gemeinsame Beilage, 3/1985

Statt der Anwendung des Übergangsprogramms hilft die GIM also bei der Erstellung eines „Orientierungsrahmens“, um diesen wiederum in der Öffentlichkeit als Übergangsprogramm oder Teile desselben zu verkaufen. Wir haben schon entwickelt, wie „praktisch“ Revolutionäre mit der Übergangslosung „Verteilung der Arbeit auf alle Hände bei vollem Lohnausgleich“ am Klassenkampf ansetzen und das Übergangsprogramm entwickeln können und wie stattdessen die GIM mit der „Übergangslosung“ 35-Stunden-Woche versucht, die Kapitulation vor der Sozialdemokratie mit trotzkistischer Terminologie zu kaschieren.

In einer Polemik gegen die KG(NHT) betont Genosse Kellner von der GIM die Praxis (die er bezeichnenderweise immer im Sinne von „die Hände schmutzig machen“ versteht) im Gegensatz zur Propaganda eines Systems von Übergangslosungen: „Das ist der tiefere Grund auch dafür, daß die Vierte Internationale sich bei ihrer Gründung mit einem(!) ‚Übergangsprogramm‘ bewaffnete. Die ‚Propagierung‘ solcher Prinzipien nützt natürlich nicht, widerspricht geradezu ihrem Sinn“.[4]Gemeinsame Beilage, 1/1986 Propaganda ist ein wesentlicher Bestandteil revolutionärer Praxis, umso mehr in einer Situation, in der die Revolutionäre zu einer verschwindend kleinen Minderheit in der Arbeiterbewegung geworden sind. Die Gegenüberstellung von Praxis und Propaganda hat für die GIM dagegen nur die Funktion, über den reformistischen Gehalt ihrer Politik hinweggehen zu wollen. Man möge uns schließlich einmal zeigen, wann und wo die GIM ihre Interventionen in die Arbeiterbewegung mit der Perspektive der Machtergreifung des Proletariats verbunden hat. „Abstrakte Sektiererei“ wirft uns die GIM vor, die an der „Realität“ vorbeigehe. Ihr geht es stattdessen um die „organische Verschmelzung mit der real existierenden Vorhut“, und da muß sich eben die Praxis fügen.

Das trotzkistische Übergangsprogramm geht aus von der Zuspitzung der Krise des Imperialismus, kodifiziert die bis dahin gemachten Erfahrungen der revolutionären Arbeiterbewegung und weist in allgemeiner Form durch ein System von Übergangslosungen auf die Notwendigkeit der internationalen Revolution hin. Sowenig wie der Sozialismus in einem Lande aufgebaut werden kann, sowenig können Revolutionäre ihre nationale Politik ohne Zuordnung zu einer internationalistischen Strategie entwickeln. Diese muß organisatorisch in der Schaffung einer Internationalen gewendet werden, und es ist schon bezeichnend, daß die Diskussionen des Beilagen-Kreises sich ausschließlich um nationale Angelegenheiten drehen, bei der internationale Verweise lediglich zur Rechtfertigung der bornierten nationalen Politik dienen. Im Unterschied zur rein platonischen internationalen Solidarität bei BWK und KPD kann eine notwendige Umgruppierung revolutionärer Kader nicht nur im nationalen Rahmen angegangen werden.

Das revolutionäre internationale Programm ist im wesentlichen kein Ausdruck der stattfindenden Klassenkämpfe; Kommunisten müssen stattdessen ihre Ziele in Konkurrenz zu sozialdemokratischer oder stalinistischer Politik in die Arbeiterklasse hineintragen. Sowenig der spontane Klassenkampf aus sich heraus zur Revolution führen kann, sowenig ist die revolutionäre Partei organischer Ausdruck stattfindender Kämpfe. Wie revolutionäres Klassenbewußtsein (und nur das meinte Lenin in Was Tun nur von außen in die Arbeiterbewegung hineingetragen werden kann, sammelt sich eine revolutionäre Partei „außerhalb“ des aktuellen Klassenkampfes und interveniert auf der Basis des kommunistischen Programms in die Arbeiterbewegung.

Die Relativierung der Leninschen Iskra-Konzeption bei Kellner dient dagegen nur der Rechtfertigung der reformistischen Handwerkelei. Hintergrund ist das Verständnis vom organischen Aufbau der Partei aus den aktuell stattfindenden Kämpfen heraus, dem der organische Zusammenschluß der Linken bzw. „revolutionären Sozialisten“ vorgeschaltet wird. Es findet seinen Ausdruck im faulen Propagandablock : der Suche nach gemeinsamer Programmatik auf kleinstem Nenner trotz entgegengesetzter Positionen.

Der BWK, der mit seinem demokratischen (Minimal-)Programm irgendwo in Erfurt zwischen Kautsky und Stalin sitzen geblieben ist, beschreibt das Etappenkonzept dann so: „Unserer Meinung nach müssen die Revolutionäre kommunistischer Zielsetzung zunächst in ihrer politischen Arbeit die bestehenden Verbindungen festigen, um Schritt für Schritt und indem sie zu Festlegungen … kommen, einen Bund zu schaffen, der ihnen den Kampf gegen alles ermöglicht, was die Bildung des Proletariats zur revolutionären Klasse hindert“.[5]Gemeinsame Beilage, 2/1985 Also einen Bund, eine Dachorganisation hält der BWK im Unterschied zum Aufbau einer leninistischen Avantgardepartei für wünschenswert.

Wir sind uns darüber im klaren, daß besonders die Genossen in der maoistischen Tradition einen leninistischen Avantgardeanspruch in der Tendenz mit stalinistischem Parteianspruch (analog ihren eigenen Erfahrungen) identifizieren. Mit dessen Ersetzung durch eine liberale, kleinbürgerliche Auffassung der Partei, etwa als Ausdruck des „revolutionären Pluralismus“ in programmatischen Fragen à la Beilagen-Kreis ist man der Schaffung einer revolutionären Arbeiterpartei jedoch noch keinen Schritt näher gekommen.

"Die Kommunisten unterscheiden sich von den übrigen proletarischen Parteien nur dadurch, daß sie einerseits in den verschiedenen nationalen Kämpfen der Proletarier die gemeinsamen, von der Nationalität unabhängigen Interessen des gesamten Proletariats hervorheben und zur Geltung bringen, andrerseits dadurch, daß sie in den verschiedenen Entwicklungsstufen, welche der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durchläuft, stets das Interesse der Gesamtbewegung vertreten. Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus“, beschrieben Marx und Engels das Selbstverständnis der kommunistischen Partei.[6]Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 474 An Marx und Engels ansetzend entwickelte Lenin im Kontext der russischen Verhältnisse die Avantgardekonzeption. Die gesonderte Organisierung der Kommunisten von den übrigen politischer_ Strömungen in der Arbeiterbewegung wurde mit dem Verrat der II. Internationale 1914 auf internationaler Ebene zur zwingenden Notwendigkeit. Die Gründung der Komintern in Konkurrenz zur sozialdemokratischen Internationale bedeutete die Zurückweisung der bis 1914 gültigen, von Kautsky entwickelten Konzeption der „Partei der Gesamtklasse“, die in der deutschen Sozialdemokratie die legitime Vereinigung aller Richtungen der Arbeiterbewegung sah. Die Gründung der internationalen kommunistischen Avantgarde fand ihre Ergänzung in der theoretischen Fassung der Einheitsfronttaktik, um trotz der politischen Spaltung der Klasse den kommunistischen Positionen in der Arbeiterbewegung zur Durchsetzung zu verhelfen.

Nun beschreibt die KPD ihr neues Selbstverständnis, indem sie u.a. selbstkritisch feststellt: „Damit wenden wir uns ausdrücklich gegen alle Vorstellungen über das Verhältnis von Partei und Klasse, die darauf hinauslaufen, die Arbeiterbewegung zur Manövriermasse einer politischen Partei zu degradieren“.[7]Dokumente vom Sonderparteitag der KPD, S. 13 Für Leninisten steht die Frage so nicht. Gelingt es uns nicht, das Proletariat in seinen Kämpfen von der Korrektheit unserer „allgemeinen theoretischen Einsichten“, also unseres Programms zu überzeugen, bleibt es Manövriermasse der Sozialdemokratie. Der kommunistische Avantgardeanspruch muß sich durch die Praxis beweisen. Er ist kein Ultimatum , keine Vorbedingung für gemeinsames Handeln, um bestimmte Verteidigungsmaßnahmen des Proletariats durchzuführen. Das Problem mit der KPD/ML bestand ja u.a. darin, daß sie wie weiland Thälmann immer schon im vorhinein ihren Führungsanspruch anerkannt wissen wollte. Diese stalinistische Praxis war jedoch kein Argument gegen die Bedeutung der bolschewistischen Partei: „Durch einen elementaren Aufstand kann das Proletariat die Macht nicht erobern; selbst in dem hochkulturellen und industriellen Deutschland hat der elementare Aufstand vom November 1918 nur zur Folge gehabt, daß die Macht in die Hände der Bourgeoisie gelangte. Eine besitzende Klasse ist imstande, die Macht, die einer anderen besitzenden Klasse entrissen wurde, zu erobern, indem sie sich auf ihren Reichtum, ihre ‚Kultur‘, ihre unzähligen Verbindungen mit dem alten Staatsapparat stützt. Dem Proletariat jedoch kann seine Partei durch nichts ersetzt werden“ … unterstrich Trotzki die Rolle der Partei, indem er die erfolgreiche Revolution in Rußland mit den Ereignissen in Deutschland 1918 verglich.[8]Trotzki, Die Lehren des Oktober, S. 13

Diese Bedeutung ergibt sich erst recht für die Periode der Diktatur des Proletariats. Die kommunistische Partei muß Kern der proletarischen Staatsmacht sein, wird aber diesen Führungsanspruch nur in der Praxis auf Grundlage der Arbeiterdemokratie immer wieder einlösen können. Die Ablehnung des Zentralismus sowie die analysierten syndikalistischen Tendenzen der KPD bezüglich der Planwirtschaft finden ihr Pendant in dem Herunterspielen der Funktion der kommunistischen Partei: „Ziel und Zweck der revolutionären Partei ist es, die Arbeiterbewegung politisch, ideologisch und organisatorisch zur Führung des Klassenkampfes zu befähigen(!), damit die Klasse den Kampf um ihre Interessen gegen Kapital und bürgerlichen Staat führen und politisch selber(!) die Macht nach einer revolutionären Umwälzung im Sozialismus ausüben kann“.[9]Dokumente vom Sonderparteitag der KPD, S. 13 Die Partei soll also lediglich das Proletariat befähigen, erziehen zur Führung des Klassenkampfes, während sie in Wirklichkeit sich selbst befähigen muß, den Klassenkampf zu führen. Die Gegenüberstellung von Partei und Klasse – mittlerweile nach dem Motto „Die Klasse hat immer recht“ – wird bei der KPD zum Eintrittsbillet in die sozialdemokratische Runde der „Totalitarismus-Kritiker“.

Auch wir verstehen uns nicht als der Kern der zu bildenden internationalen Arbeiterpartei; allerdings haben wir ein anderes Verständnis als die KPD. Unsere Selbsteinschätzung umfaßt die nationale wie internationale Isolation; daraus gedenken wir jedoch nicht die Konsequenz einer Vereinigungspolitik unter Ausschluß der notwendigen hohen programmatischen Homogenität zu ziehen. Als kämpfende Propagandaorganisation wollen wir unseren Teil zur internationalen wie nationalen Umgruppierung der subjektiv revolutionären Militanten und der Arbeitervorhut beitragen. Unsere Politik in der Perspektive der Wiederschaffung der IV. Internationale heißt vorrangig Konzentration auf die Propaganda: „Solange es sich darum handelte (und insoweit es sich noch darum handelt), die Avantgarde des Proletariats für den Kommunismus zu gewinnen, solange und insoweit tritt die Propaganda an die erste Stelle …“ (Lenin).[10]Lenin. AW Bd. V, S. 548 f Kämpfende Propagandaorganisation des Iskra-Typs heißt jedoch nicht noch einen Bildungsverein wie die KG(NHT) aufzumachen. Denn ohne Versuche der exemplarischen Intervention in die Massenkämpfe des Proletariats, ohne programmatische Auseinandersetzung mit gegnerischen Organisationen entlang der zentralen Probleme des nationalen und internationalen Klassenkampfes müßte eine revolutionäre Organisation im seminaristischen Zirkelwesen ersticken.

In der Auseinandersetzung mit dem Beilagen-Kreis sind dabei folgende Punkte zentral, den Unterschied von revolutionärer zu reformistischer Politik zu bestimmen:

1. die Einschätzung der UdSSR als bürokratisch-degenerierter Arbeiterstaat; die Notwendigkeit der bedingungslosen militärischen Verteidigung gegenüber imperialistischen Angriffen; für proletarische politische Revolution zum Sturz der Bürokratie

2. das konsequente Festhalten an der Losung Karl Liebknechts „Der Hauptfeind steht im eigenen Land"; gegen alle Schattierungen des deutschen Nationalismus für den Sturz des BRD-Imperialismus

3. die Einschätzung der SPD als bürgerliche Arbeiterpartei; für den Aufbau kommunistischer Gewerkschaftsfraktionen in der Perspektive der revolutionären Gewerkschaftsführung

4. für die Frauenbefreiung durch sozialistische Revolution; für den Aufbau einer kommunistischen Frauenbewegung

5. für eine leninistische Avantgardepartei; für die Wiederschaffung der IV. Internationale.

 



Anmerkungen

Der Hauptfeind steht im eigenen Land

1) siehe Gruppe IV. Internationale, Flugblatt Herbsttheater der DGB-Führung, 25.09.1985

2) Gemeinsame Beilage, 30. November 1984

3) Gemeinsame Beilage, 20. April 1984

4) Vereinigungsverhandlungen …,S. 19

5) Roter Morgen (RM) 51/52, 1985

6) Spartakusbriefe, S. 114

7) Trotzki, Übergangsprogramm, S. 33

8) siehe Gruppe IV. Internationale, Flugblatt Schwarz Rot Goldene Friedensbewegung: Alternativer Marsch für die BRD, 15.09.1983

9) Arbeiterkampf (AK) 265

10) Vereinigungsverhandlungen…, S. 22

11) Gemeinsame Beilage, 23. August 1984

Die bürgerliche Arbeiterpartei SPD

1) RM 51/52, 1985

2) KH 10, S. 13

3) Gemeinsame Beilage, 1/1986

4) BWK-Erklärung zu den Bundestagswahlen, Brief vom 3.3.1986

5) Gemeinsame Beilage, 2/1985

6) zit. nach: RM 3, 1986

7) BWK-Erklärung …

8) RM 50, 1985

9) zit. nach: RM 3, 1986

10) RM 8, 1986

11) Lenin, AW Bd. V, S. 542 f

12) ebenda, S. 527

13) siehe auch Gruppe IV. Internationale, Kandidatur des Beilagen-Kreises? Sowieso keine Alternative zur SPD, Gemeinsame Beilage 1/1986

Volksfront contra Einheitsfrontpolitik

1) Trotzki, Nationalsozialismus, S. 69

2) ebenda, S. 98 f

3) Dimitroff, Ausgewählte Schriften 1933-1945, S. 97 f

4) Trotzki, Spanische Lehren, Revolution und Bürgerkrieg in Spanien 1931-39, S. 301. Die GIM verwandelte bei der Übersetzung die „Bolschewiki“ in „Menschewiki“.

5) KH 10, S. 13

6) zit. nach: Politische Berichte (PB) April 1985, Ergebnisse der 5. o. BWK-Delegiertenkonferenz

7) ebenda

8) zit. nach: AK 236, Die Grüne Partei, Die Partei der Mittelklasse

9) ebenda

10) PB April 1985, Ergebnisse …

11) ebenda

12) ebenda

13) ebenda

14) Gemeinsame Beilage, 1/1986

15) ebenda

16) siehe ebenda

17) Trotzki, Übergangsprogramm, S. 16

18) Gemeinsame Beilage, 1/1986

19) Gemeinsame Beilage, 23. August 1984

Revolutionäre Arbeit in den Gewerkschaften

1) Was Tun 386

2) Trotzki, Übergangsprogramm, S. 21

3) Gruppe IV. Internationale, Flugblatt Verteilung der Arbeit auf alle Hände bei vollem Lohnausgleich, 30.01.1984

4) Vereinigungsverhandlungen…, S. 13

5) siehe Gemeinsame Beilage, 23. August 1984

6) ebenda

7) Gemeinsame Beilage, 1/1985

8) ebenda

9) KPD-Thesen: Aufgaben und Anknüpfungspunkte für das Eingreifen von Revolutionären Sozialisten in den Kampf um § 116 AFG

10) GIM/KPD, Flugblatt Blitzgesetz gegen Mehrheit der Bevölkerung

11) RM 5, 1986

12) KPD-Thesen: Aufgaben …

Frauenbefreiung durch sozialistische Revolution

1) Marx, Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW Ergänzungsband 1, S. 518

2) PB April 1985, Ergebnisse der 5. o. BWK-Delegiertenkonferenz

3) ebenda

4) ebenda

5) Dokumente vom Sonderparteitag der KPD, S. 8

6) zit. nach: Was Tun 418

7) RM 8, 1986

8) Dokumente der Delegiertenkonferenz der GIM, S. 5

9) Was Tun 420

10) Protokoll des III. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, S. 916

Zur leninistischen Parteikonzeption

1) Trotzki, Übergangsprogramm, S. 16-18

2) siehe Gemeinsame Beilage, 1/1986

3) Gemeinsame Beilage, 3/1985

4) Gemeinsame Beilage, 1/1986

5) Gemeinsame Beilage, 2/1985

6) Marx/Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 474

7) Dokumente vom Sonderparteitag der KPD, S. 13

8) Trotzki, Die Lehren des Oktober, S. 13

9) Dokumente vom Sonderparteitag der KPD, S. 13

10) Lenin. AW Bd. V, S. 548 f