Die Regierung Merkel/Seehofer/Gabriel verlor bei der Wahl 14%. Das Wahlergebnis und die daraus folgende Sitzverteilung schufen das politische und mathematische Problem der Mehrheitsfindung für eine Regierung unter der Führung von Angela Merkel. Profitiert haben vom Verlust der Parteien der Großen Koalition vor allem zwei, die nicht mehr oder noch nie im Bundestag vertreten waren. Die Freien Demokraten (FDP) des Christian Lindner traten so radikal neoliberal wie noch nie auf und gewannen so 1,36 Millionen Stimmen von der CDU und die Rassisten und Nationalisten der Alternative für Deutschland (AfD) nahmen fast 1 Million Stimmen von der CDU.
Gerade im Osten, auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, konnte die AfD unter den Arbeitern riesige Stimmengewinne verbuchen. In Ostdeutschland insgesamt ist die AfD die zweitstärkste Partei nach der CDU; in Sachsen ist sie stärkste Partei geworden. Dabei ist auffällig, dass sie (natürlich) überall dort, wo die NPD einmal stark war, diese Stimmen für sich verbuchen konnte. Sie bekam aber durchaus auch Stimmen von der Partei die Linke (PdL) und aus der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft. Dabei spielte sicherlich der soziale Niedergang eine Rolle, der, eingeleitet durch die De-Industrialisierung durch die Treuhand, vor allem in Dörfern und Kleinstädten Tristesse und Arbeitslosigkeit hinterließ. Die AfD mobilisierte mit ihren fremdenfeindlichen Parolen, ihrer rassistischen Anti-Flüchtlingshetze und der völkischen nationalistischen Perspektive deklassierte und frustrierte Arbeiter, während die PdL bemerkenswert viele Stimmen im Osten verloren hat. Wen wundert das, wenn sie doch immer dann, wenn sie Teil einer Landesregierung war, bewiesen hat, dass sie nicht für die Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiterklasse steht.
Auf dem Bundesparteitag Anfang Dezember 2017 fällte die AfD nur personelle Entscheidungen. Es war klar, dass die Konfliktlinie zwischen einem Mehrheitsflügel, der eine völkisch-nationalistische Bewegung sein möchte, und einem kleineren Teil, der nur zu gerne irgendwie mitregieren wollte, verläuft. Kurz vor dem Parteitag hatten sich Vertreter der völkischen Nationalisten, allen voran Björn Höcke, auf einer Konferenz der Elsässer-Zeitung Compact getroffen, um eine Strategiedebatte zu führen. Man fragte sich, was mit den Wahlerfolgen der AfD anzufangen sei. Mit dabei waren auch Faschisten. Zum einen die aktionistische, völkisch orientierte Identitäre Bewegung, die kulturrassistische Konzepte vertritt, und zum anderen der Rest von Pegida (siehe Reaktionäre Offensive: Hogesa, Pegida, Mahnwachen). Auf dieser Konferenz wurde eine Orientierung auf die deutsche Arbeiterschaft diskutiert. Die rechtspopulistische Partei will diese Wähler gezielt ansprechen, hat die AfD doch unter den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern mit 15% einen beachtlichen Anteil gewonnen. Bei weiblichen Gewerkschaftsmitgliedern hat die AfD nur unterdurchschnittlichen Erfolg.
Bei dem Zuspruch unter Gewerkschaftsmitgliedern ist es nicht verwunderlich, dass Thüringens AfD-Chef Björn Höcke, der parlamentarische Geschäftsführer Stefan Möller und die Abgeordneten Olaf Kießling und Thomas Rudy auf einer IG Metall-Demonstration in Erfurt gegen die Standortschließungen von Siemens auftraten. Zwischen den 1.200 Demonstranten fielen sie mit ihren aufgespannten Regenschirmen auf, besonders da es nicht regnete. In einer Pressemitteilung vom 22. November 2017 erklärten Jörg Köhlinger, Bezirksleiter der IG Metall Mitte, und Bernd Spitzbarth, 1. Bevollmächtigter IG Metall Erfurt:
Gegen den Willen der Anmelder und gegen die Interessenlage der Siemens-Beschäftigten haben sich auch AfD-Politiker medienwirksam mit Symbolen ihrer Partei unter die Demonstranten gemischt. Davon existieren zahlreiche Fotos im Internet.
Wir betonen: Niemals hat Herr Höcke das Fronttransparent der Demonstration getragen, das hätten wir selbst¬ver¬ständlich niemals zugelassen. Unsere Versuche, die AfD-Politiker vom Schweigemarsch auszuschließen, sind leider gescheitert. In den Redebeiträgen haben sich alle Redner wiederholt und deutlich von der Teilnahme der AfD ab¬gegrenzt.
Die IG Metall Erfurt und die IG Metall im Bezirk Mitte akzeptieren keine Vereinnahmung ihrer Aktivitäten durch die AfD oder andere rechte und rechtsextreme Gruppierungen. Die IG Metall hat mit der AfD-Politik keinerlei inhaltliche Schnittmenge. Die AfD ist für die Kämpfe und Konflikte, die die IG Metall Erfurt und die IG Metall, Bezirk Mitte führen, kein Bündnispartner. Gegen Versuche der Vereinnahmung werden wir mit allen Mitteln vorgehen.
—www.igmetall-bezirk-mitte.de
Dies ist nicht die erste Konfrontation der AfD mit einer Gewerkschaft. Zuvor hatte es bereits Auseinandersetzungen mit ver.di gegeben. Der ver.di-Landesbezirk Niedersachsen hatte eine „Handlungshilfe für den Umgang mit Rechtspopulisten in Betrieb und Verwaltung“ veröffentlicht, welche noch am selben Tag wieder aus den sozialen Medien entfernt wurde. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske hatte sich von dem Flugblatt distanziert, nachdem Mobbing-Vorwürfe und Vergleiche mit Stasi-Methoden aufgetaucht waren, und erklärt, ver.di stünde für eine inhaltliche Auseinandersetzung.
Die AfD hat drei neue Gruppierungen gegründet. Die „Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer e.V.“ (AVA), die Interessengemeinschaft für Arbeitnehmer innerhalb der AfD (AidA) und die sogenannte Arbeitnehmervertretung „ALARM!“.
In einem Interview der Rheinischen Post erklärte Uwe Witt, Bundesvorsitzender der AVA, dass viele seiner Mitglieder zugleich auch Mitglied in Gewerkschaften seien. Die AVA habe jedoch nicht vor, als Gewerkschaft anzutreten, sondern verstehe sich als Interessenvertretung ihrer Mitglieder, ähnlich wie CDA oder CSA (von der CDU und CSU). In einem offenen Brief an ver.di erkärt die AfD „Das neue Rot der Arbeitnehmer ist Blau“ und fordert auf „Es wird Zeit, aus Ver.di auszutreten“.
Die Gewerkschaften werden versuchen, mit bürokratischen Tricks und dem Einbeziehen von bürgerlichen Gerichten oder handzahmen Erklärungen wie der obigen der IG-Metall Thüringen das Problem in den Griff zu bekommen. Sie unterschätzen den allgemeinen Frust und die nationalistische Bewusstseinsverblendung, auf die derzeit die AfD in breiten Teilen der Bevölkerung zählen kann. Der Kampf gegen die weitere Schwächung durch die Intervention der Rechten in Betrieben kann nur gewonnen werden, wenn die Gewerkschaften zum einen offensiv die arbeiterfeindliche Politik der AfD aufzeigen, und zum anderen ihren sozialpartnerschaftlichen Klassenverrat aufgeben.
Auch die AidA sieht sich nicht als Gewerkschaft, sondern als Interessengemeinschaft, um „Menschen innerhalb der AfD miteinander zu vernetzen und sich innerparteilich am politischen Diskurs zu beteiligen.“ [aidabund.de]
2016 hat der DGB die Kampagne „Stop Union Busting!“ eröffnet. Das war sehr spät und richtete sich zudem nur halbherzig gegen die systematische Zermürbung von Betriebsräten. Im Gegensatz dazu fordert AidA die
Stärkung von gelben Mobs aus der Belegschaft, die vom Management und von Union Busting-Beratern dazu angeleitet und angestachelt werden, während der Arbeitszeit Unterschriften gegen demokratisch gewählte Betriebsräte zu sammeln und Stimmung gegen eine allzu selbstbewusste und konfliktbereite Politik ihrer InteressenvertreterInnen zu machen.
—arbeitsunrecht.de
Diese neurechte Strategie fällt auf fruchtbaren Boden, da es Schnittmengen zwischen den Rechten und der sozialdemokratischen nationalistischen Standortpolitik gibt und weil die Gewerkschaftsführung mitgeholfen hat, dass ein Teil der Industriearbeitsplätze für Leiharbeit und andere prekäre Modelle geöffnet wurde. Während die Firmen und Konzerne ihre Profitmaximierung immer weiter vorantreiben, verschlechtert sich die Lage der arbeitenden Klasse zuneh¬mend. Die Kritik der AfD und besonders des Höcke-Flügels wird auf fruchtbaren Boden bei den sozialdemokratischen Arbeitern fallen, weil die Führungen von SPD und Gewerkschaften aktiv die arbeiterfeindliche Gestaltung der Globalisierung mitgetragen haben, und sogar noch ihre nationalistischen protektionistischen Positionen verstärkten.
Höcke und seine Strategie einer neuen Arbeitsfront kann darauf aufbauen. Aber dem globalen Kapitalismus einen Nationalismus entgegenzusetzen, völkisch und mit Blut und Boden-Ideologie durchtränkt, hat für die Lebensqualität des Proletariats eine ähnliche Wirkung, als würde man den Betroffenen Menschen in den Küstenregionen der Weltmeere als Antwort auf die bevorstehende Erhöhung der Meeresspiegel ein paar warme Worte und einen Eimer zum Wasserschöpfen in die Hand drücken. Konkrete Beispiele gibt es genug:
Nach Trumps Ankündigung, in den von Armut und Resignation betroffenen Gebieten der USA mit nationalistischer Standortpolitik wieder für Jobs zu sorgen, passierte in Wirklichkeit nichts. In Österreich tritt eine ÖVP-FPÖ-Regierung an, um mit den Stimmen der wütenden und frustrierten Arbeiter eine durch und durch arbeiterfeindliche Politik durchzusetzen.
Die AfD wird sich etablieren, auf welchem Niveau wird sich zeigen. Nationalismus und Rassismus haben bereits hohe Zustimmungswerte, was darauf schließen lässt, dass die AfD schon jetzt über eine beträchtliche Stammwählerschaft verfügt.
Linke und Arbeiter: Brecht mit dem Reformismus; brecht mit der Illusion, ein bürgerlicher Nationalstaat sei die Lösung angesichts der politischen und ökonomischen Verwerfungen des weltweiten Kapitalismus. Der Kampf um den Wiederaufbau oder die Erweiterung des Sozialstaats, gegen Altersarmut, Kinderarmut, Chancenungleichheit bei Bildung, Job und Lebensperspektive, die Forderung nach öffentlichem Wohnungsbau, damit der Wohnraum für die Arbeiterklasse bezahlbar bleibt, und niemand in Randgebiete verdrängt wird, macht nur dann Sinn, wenn auch klar vermittelt wird, dass es hierbei immer gegen das Interesse der besitzenden Klasse, aus allem so viel Profit wie nur irgend möglich herauszuziehen, geht.
Reformisten predigen nun seit über 100 Jahren, dass man den Kapitalismus bändigen und ihn in das Interesse der gesamten Gesellschaft stellen kann. Die Ernte, die nun die Rechten von AfD, der französischen Front National, der österreichischen FPÖ oder andere einfahren können, ist aus dieser illusionären Saat gewachsen. Sozialstaatliche Zugeständnisse entsprangen aber immer aus dem Klassenkampf. Die Existenz der Sowjetunion und die Ausweitung ihres Einflusses nach 1945 in Europa nötigte das Kapital zu Zugeständnissen an die Arbeiterklasse. Es ist kein Zufall, dass die sogenannte neoliberale Offensive mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zeitlich zusammenfällt.
Internationaler Klassenkampf, gegen jegliche nationalistische oder rassistische Politik, ist eine wichtige Perspektive im Kampf gegen den Rechtsruck.
Die Sozialistische Alternative (SAV) ist immer noch in der PdL eingebettet. Diesem Umstand zum Trotz fordert die SAV eine sozialistische Ausrichtung des Kampfes gegen die AfD; mit einem sehr linken Reformprogramm interveniert man als Teil der AKL (Anti-Kapitalistischen Linken) in der PdL.
Denn um die AfD zurückzudrängen, werden nicht nur antirassistische Mobilisierungen ausreichen. Soziale Kämpfe werden nötig sein, um die öffentliche Debatte auf die drängenden Fragen zu richten und die AfD und die etablierten Parteien zu entlarven. Die LINKE kann dabei eine wichtige Rolle spielen, wenn sie solche Bewegungen vor Ort aktiv unterstützt und wahrgenommen wird.
—sozialismus.info
Das ist insoweit richtig als Klassenkampf in der Tat die wesentliche Alternative darstellt. Gerade noch haben die Aktivisten der SAV munter Wahlkampf für die PdL gemacht, um dann festzustellen:
Der LINKEN und auch den Gewerkschaften ist es nicht gelungen, als echte Alternative wahrgenommen und angenommen zu werden. Warum? Sie haben es verpasst, den Sozialabbau zu verhindern bzw. den Kampf dagegen zu organisieren.
—sozialismus.info
Auch diese Aussage ist vollkommen korrekt: die PdL ist nutzlos im Kampf gegen AfD und Sozialabbau. Es ist der SAV leider nicht gelungen, ihre eigenen Argumente zum konsequenten Schluss zu bringen, d.h. den politischen Kampf gegen die PdL zu beginnen. Solange die SAV nur linke Deckung für die PdL liefert, bleiben sie nützlich für die PdL, und eine Karikatur des Trotzkismus.
Die Revolutionär Internationalistische Organisation (RIO) fordert von den Gewerkschaften im Zusammenhang mit dem oben erwähnten Auftreten von Höcke bei einer IG Metall-Demo:
Mit einer Kampagne gegen Rechtsruck und Prekarisierung könnten die Gewerkschaften in Zukunft verhindern, dass Nazis wie Höcke überhaupt erst auftauchen und sie im Zweifelsfall schneller von der Demo werfen.
—klassegegenklasse.org
Moralisch motivierte antirassistische Kampagnen gibt es im DGB bereits viele. Der DGB hat aber seit Jahrzehnten gepredigt, dass eine Politik der Sozialpartnerschaft allen nützt, d.h. dem Kapital und den Arbeitern. Siemens ist aber nur der letzte in einer langen Reihe von Konzernen, die von einer Sozialpartnerschaft nichts mehr hören wollen, wenn es um ihre Profite geht. Wer die AfD über solche Auseinandersetzungen bekämpfen will, muss die Arbeiter gegen die Komplizenschaft der DGB-Führung mobilisieren und klar aufzeigen, dass die AfD auf dem Rücken der pro-kapitalistischen Politik des Standortnationalismus groß geworden ist, und Sozialpartnerschaft die Fessel der Arbeiter ist.
Wir haben in der letzten Ausgabe des Bolschewik geschrieben:
„Aufstehen gegen Rassismus“ ist ein breites, klassenübergreifendes Bündnis, das sich ausschließlich gegen den Aufstieg der AfD richtet. So mobilisierten sie vor den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zu Demonstrationen, die sich gegen die Politik der AfD richteten. Der Rassismus der bestehenden Regierungsparteien oder der anhaltende Sozialabbau wurden jedoch nicht thematisiert. Den Aufruf von „Aufstehen gegen Rassismus“ haben mittlerweile viele Organisationen und Einzelpersonen unterschrieben. Da dieses Bündnis bewusst breit sein möchte und auch betont, dass es mehr bürgerliche Kräfte einbinden möchte, ist es vor allem ein Mittel, das die Empörung über die Wahlerfolge der AfD nutzt, um den Widerstand in bürgerliches, ruhiges Fahrwasser zu lotsen.
—„Widerstand gegen Rassismus“, Bolschewik Nr. 34
Die politische Ausrichtung von „Aufstehen gegen Rassismus“ während des Wahlkampfes und der Proteste danach bestätigt diese Kritik. Wer die AfD zurückdrängen will, muss sich klar werden, dass ein gemeinsamer Kampf der Linken und Arbeiterbewegung nötig ist, aber dass dies nicht bedeutet, vor den falschen Führungen von PdL und DGB zu kuschen.