Internationale Bolschewistische Tendenz (IBT) — Die griechische Krise verwalten: Syriza & die Gefahren der Volksfront In: Bolschewik (2016) Nr. 33. — Version: 2023-04-10. — Geladen: 2024-11-07
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Die griechische Krise verwalten

Syriza & die Gefahren der Volksfront

Bereits einen Tag nach der Wahl in Griechenland hat sich Syriza für die Bildung einer Volksfrontregierung eingesetzt – ausgerechnet mit den Rechtspopulisten der Unabhängigen Griechen, einer reaktionären und rassistischen Rechtsabspaltung der konservativen Nea Demokratia. Wir veröffentlichen nachstehend unsere Erklärung zu den Wahlen in Griechenland, die am 24. Januar 2015 in englischer Sprache erschien:

Seit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und der Zumutung massiver Austeritätsmaßnahmen, diktiert von der Troika (dem Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Kommission), ist das Leben in Griechenland für die Masse der Bevölkerung bedeutend schwerer geworden. Einer von fünf Arbeitern und die Hälfte der Jugend sind arbeitslos. Regierungsausgaben, der Mindestlohn und Sozialleistungen für Arbeitslose sind um ein Fünftel gekürzt worden und die Ausgaben für Bildung und die Gehälter Angestellter im öffentlichen Dienst wurden um ein Drittel reduziert. Renten werden geringer, während die Rentenbeitragsperiode um fünf Jahre verlängert wurde. Im Durchschnitt gibt es monatlich 70 Selbstmorde und Obdachlosigkeit ist weit verbreitet.

In diesem Klima sozialer Verwüstungen, die in der Irrationalität des kapitalistischen Systems und Griechenlands Abhängigkeit von ausländischem Kapital (vorwiegend deutschem und französischem) verwurzelt sind, ist die Autorität der regierenden Koalition von Nea Demokratia und PASOK kontinuierlich gesunken. Öffentliche Unterstützung für PASOK im Besonderen ist dramatisch gefallen. Unter dem Zusammenbruch des politischen Zentrums herum haben die Neonazis der Goldenen Morgenröte an Größe gewonnen. Diese politische Polarisierung schloss einen enormen Vorstoß für Syriza ein, einer reformistischen „linksradikalen“ Organisation. Eine Woche vor den Parlamentswahlen vom 25. Januar 2015 stufte eine von der Zeitung Parapolitika durchgeführte öffentliche Meinungsumfrage Syriza bei 35 Prozent ein, Nea Demokratia bei 30 Prozent, To Potami (Der Fluss) bei 7 Prozent, die Goldene Morgenröte und die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) jeweils bei 5 Prozent, PASOK bei 4 Prozent und die Unabhängigen Griechen bei 3 Prozent.

Syriza gewann internationale Aufmerksamkeit, als sie in den Wahlen vom Juni 2012 auf der Grundlage der Befürwortung eines Reformprogramms zweite wurde, das ihre Anführer als „Europäischen New Deal“ in Anlehnung an Franklin D. Roosevelts „New Deal“ der 1930er Jahre bezeichneten. Syriza steht dafür ein, kostenlosen Strom, Lebensmittelunterstützung, Gesundheitsversorgung und öffentliche Verkehrsmittel für Menschen unterhalb der Armutsgrenze bereitzustellen und den Mindestlohn um 50 Prozent anzuheben – von weniger als €500 auf €750 pro Monat. Um diese Vorschläge zu finanzieren, verspricht sie, sich auf die Privilegien der griechischen orthodoxen Kirche und der Werftbesitzer zu stürzen (die die meisten von Griechenlands reichsten Kapitalisten repräsentieren), eine Steuer auf Einkommen oberhalb von €500.000 einzuführen und Steuern für die größten Unternehmen zu erhöhen. Syriza behauptet, dass sie nach der Amtsübernahme in der Lage sein wird, einen Handel herauszuschlagen, in dem Griechenlands internationale Schulden „drastisch reduziert und Zinsrückzahlungen gekürzt werden“ (Observer, 17. Januar 2015).

Syriza warf sich zudem als der Verfechter der Ausgebeuteten in Pose und hat Arbeiterkämpfe unterstützt, einschließlich des Streiks der Reinigungskräfte des Finanzministeriums gegen Entlassungen im vergangenen Jahr, die seitdem in Zelten in Zentral-Athen kampierten und gelegentlich mit der Polizei aneinandergerieten. Syrizas Vorsitzender Alexis Tsipras gelobte: „Wir werden ein Arbeitsrecht in Zusammenarbeit mit der World Labour Organization einführen, das die arbeiterfeindliche Gesetzgebung der Memoranden für ungültig erklärt“ (left.gr, 18. Januar 2015).

Trotz der arbeiterfreundlichen Rhetorik, je näher Syriza der Möglichkeit der Regierungsübernahme kommt, hat Tsipras sein Image gedämpft, und signalisiert, dass er keine Bedrohung für die griechischen Kapitalisten ist, deren Staat er zu verwalten hofft. Der Observer erklärt:

Im Bewusstsein, dass die große Mehrheit in der Eurozone bleiben will, hat Tsipras, der letztes Jahr 40 wurde, seine anti-europäische Rhetorik abgeschwächt. Verschwunden sind die Referenzen zum „Zerreissen“ der Memoranden der Bedingungen, die an die Rettungsprogramme des Landes geknüpft sind. Letzte Woche scheute er keine Mühen, die deutschen Steuerzahler zu besänftigen, indem er sagte, dass sie „von einer Syriza-Regierung nichts zu befürchten hätten“.
„Unser Ziel ist nicht die Konfrontation mit unseren Partnern, um mehr Kredite zu erhalten oder eine Lizenz für neue Defizite“, schrieb er in der Wirtschaftstageszeitung Handelsblatt. „Es geht darum, das Land zu stabilisieren, ein ausgeglichenes Hauptbudget zu erreichen und den Aderlass deutscher und griechischer Steuerzahler zu beenden.“

In seinem in Kürze erscheinenden Buch, Meine Linke, deutet Tsipras die Möglichkeit an, dass Syriza ihre eigene Version der Sparmaßnahmen einführen könnte: „Sich an das ausgegliche Budget-Ziel zu halten, ist wirklich ein Schlüsselpunkt in unserer Strategie, weil es uns die Möglichkeit gibt, aus einer starken Position heraus zu verhandeln. Dennoch müssen wir sagen, dass ein ausgeglichener Staatshaushalt nicht bedeutet, per se auf Sparmaßnahmen zurückzugreifen“ (Bloomberg, 8. Januar 2015).

Die Aussicht der Amtsübernahme hat Syriza auch dazu gebracht, ihre außenpolitische Rhetorik abzumildern, wie die Wirtschaftsnachrichten-Agentur Bloomberg vermerkt:

Während sie sich der Machtübernahme in Griechenland nähert, bewegt sich die Anti-Establishment-Partei Syriza, die einst einen NATO-Austritt und die Ausweisung der US-Marine von einer Basis in Kreta forderte, auf den außenpolitischen Mainstream zu. … Mit einem knappen Vorsprung der Partei in den Meinungsumfragen für die Wahlen am 25. Januar ist selbst Syrizas Zusage, die europäischen Sanktionen gegen Russland zurückzurollen, in Frage gestellt.

Keine Koalition mit kapitalistischen Parteien!

Eine Syriza-Regierung kann den griechischen Kapitalismus nicht aus seiner Krise ziehen. Die Schmerzen, die der Bevölkerung zugeführt werden, werden wahrscheinlich stärker werden – möglicherweise in Massenaufständen resultieren. Griechenlands herrschende Klasse hat eine Tradition, auf Militärdiktaturen zurückzugreifen, um „Ordnung“ wiederherzustellen und es ist durchaus vorstellbar, dass sie es wieder tun wird, wenn sie feststellt, dass parlamentarische Manöver nicht ausreichen, um den sozialen Frieden aufrechtzuerhalten. Die wachsenden Kräfte der Goldenen Morgenröte werden zweifelsohne eine Rolle in den Berechnungen der Bourgeoisie spielen. Da Syriza keine Absicht hat, einen ernsthaften Angriff auf die Macht der herrschenden Klasse durch die Enteignung des Besitzes einheimischen und ausländischen Kapitals einzuleiten und stattdessen verspricht, den Kapitalismus irgendwie für die Mehrheit der griechischen Bevölkerung funktionstüchtig zu machen, legt sie die Grundlage nicht nur für enttäuschte Wähler, sondern für einen potentiell blutigen Ausgang der Krise.

Die 35 Prozent der Griechen, die Syriza unterstützen, verstehen das noch nicht. Von den Angriffen auf vielen Fronten niedergeschlagen und ohne echte revolutionäre Alternative sehnen sie sich verzweifelt nach einigen Verbesserungen in ihrem Leben und sehen Syriza – im Amt noch ungetestet, aber mit konkreten Versprechen für Reformen – als bereit, die etablierten Mächte zu bekämpfen.

Es wird daher vielerorts erwartet, dass Syriza die Wahl gewinnen, aber es nicht schaffen wird, eine absolute Mehrheit zu erringen und daher Koalitionspartner suchen wird, um zu regieren. Die einzige andere explizite Arbeiterpartei von einiger Größe, die KKE, hat sich durchgängig geweigert, eine Teilnahme an einer Koalition in Erwägung zu ziehen. Syriza selbst hat erklärt, dass sie weder mit einer der beiden Parteien der regierenden Allianz noch mit To Potami regieren wird, einer kleinbürgerlichen „Anti-Korruptions“-Formation, die erklärt hat, eine Koalition entweder mit Syriza oder Nea Demokratia bilden zu wollen. To Potami wird von den meisten bürgerlichen Kommentatoren als wahrscheinlicher Königsmacher betrachtet und es wäre naiv, anzunehmen, besonders angesichts der Flexibilität, die Tsipras hinsichtlich der Sparmaßnahmen gezeigt hat, dass Syriza keine „pragmatischen“ Begründungen für den Wandel ihrer vorherigen Haltung finden könnte, sollte eine Regierungsbildung das erforderlich machen. Bemerkenswerterweise hat Syriza es nicht geschafft, die Möglichkeit einer Koalition mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen auszuschließen.

Tsipras spricht vage vom Anführen einer „Linksregierung“, Syriza ist aber keine Verpflichtung eingegangen, die Arbeiterparteien zu vereinigen, wodurch sie sich die Möglichkeit offenläßt, in eine Volksfront einzutreten, eine Koalition mit bürgerlichen oder kleinbürgerlichen Parteien. Die New York Times (20. Januar 2015) erwähnt, dass ein bürgerlicher Regierungspartner Tsipras sehr recht sein könnte, um erklären zu können, warum eine von Syriza angeführte Regierung unfähig ist, die Versprechen einzulösen, Arbeiterinteressen zu verteidigen:

Für Herrn Tsipras insbesondere könnte eine Allianz mit To Potami, die sich selbst als Partei der Mäßigung darstellt und der Notwendigkeit, auf alle Fälle in der Eurozone zu bleiben, politisch nützlich sein. Sie könnte helfen, die Ängste der Kreditgeber und der Finanzmärkte zu beruhigen, die durch Tsipras frühere Erklärungen zur Neuverhandlung der griechischen Rettungsabkommen aus der Fassung gebracht wurden. Und sie könnte ihm politisches Cover gewähren, sollte er von den radikaleren Forderungen des linksradikalen Flügels seiner Partei abrücken müssen und mit der sogenannten Troika Kompromisse schließen.

Immer wenn Parteien, die in der Arbeiterklasse verwurzelt sind, in Koalitionen mit bürgerlichen Parteien regiert haben, wurden Arbeiterkämpfe demobilisiert. In einigen Fällen hat das einer rechten Diktatur den Weg geebnet. 1936 gab die Kommunistische Partei Griechenlands, die eine Massenstreikwelle anführte, die klassenkämpferische Taktik auf, um die Bildung einer Regierung mit der Liberalen Partei von Eleftherios Venizelos zu suchen. Das Resultat war die brutale Militärdiktatur von Ioannis Metaxas:

Darüber hinaus standen alle großen Streikbewegungen von 1936 unter der direkten Führung der Kommunistischen Partei.… 1936 hatte sie auf Anweisung der Komintern eine Wende vollzogen und begann ihren ultraopportunistischen Volksfront-Kurs. Statt die Arbeiter für die entschiedene revolutionäre Aktion zu mobilisieren und daran zu arbeiten, die Bauern vom Land durch die schicksalhaften Monate zwischen April und August 1936 in die Kämpfe hineinzuziehen, als sich die Arbeiterklasse in tiefgreifender revolutionärer Gärung befand, beschäftigten sich die Stalinisten mit einer Kampagne, um die Liberale Partei zu zwingen, mit ihnen die Volksfront zu organisieren. Die Liberale Partei hatte aber die Stimme ihres Herren gehört und wies das stalinistische Angebot zurück. Sie war damit beschäftigt, den Weg für Metaxas zu erleichtern. Die Stalinisten verschwendeten ganze sechs Monate in diesen kriminellen Verhandlunge– sechs Monate, die dazu hätten aufgewendet werden sollen, die breiten Massen für den revolutionären Angriff auf die kapitalistische Regierung zu mobilisieren. Genau wie in Spanien war die bürgerliche Demokratie eine Illusion geworden, eine reaktionäre Falle im Griechenland von 1936. Die einzigen Alternativen waren Metaxas oder Rätemacht. Es gab 1936 in Griechenland keine Alternative.
—„Civil War in Greece“, Fourth International, Februar 1945

Würde Syriza seinen Wahlkampf als Arbeiterpartei, die einem ernsthaften Kampf gegen die Kapitalisten verpfichtet ist, führen, würde sie jegliche Möglichkeit einer Koalition mit bürgerlichen Kräften ausschließen. In dieser Situation würde der Kampf für den Aufbau einer revolutionären Partei in Griechenland am besten dadurch gefördert, dass Marxisten Syriza kritische Unterstützung in den Wahlen geben würden – das heißt, durch den Verweis auf den reformistischen Kern von Syrizas Programm und seiner Unfähigkeit, die grundlegendsten Probleme zu lösen, mit denen sich Arbeiter konfrontiert sehen, aber dennoch zu befürworten, Syriza im Amt zu testen, um sie vor den Augen der Arbeiterklasse zu demaskieren. Eine solche Taktik könnte bei der Aufgabe helfen, Syriza politisch zu besiegen und ihre militantesten Unterstützer aus der Arbeiterklasse wegzubrechen, hin zum Projekt einer revolutionären sozialistischen Partei.

Während Syriza die Möglichkeit in Erwägung zieht, mit einer der kleineren kapitalistischen Parteien zu regieren, ist es unmöglich für Marxisten, diese Form der Wahlunterstützung zu geben. Eine Koalition mit den Unabhängigen Griechen oder To Potami würde selbst den Anschein beseitigen, dass Syriza für die Interessen der Armen, der Unterdrückten und der Arbeiterklasse steht.

Vor zwei Jahren umrissen wir in „Kapitalistische Sparprogramme & griechische Arbeiterklasse“ die Perspektive, um die herum Aktivisten in Griechenland eine revolutionäre Alternative zu Syriza aufbauen können:

Die griechischen Arbeiter benötigen eine internationalistische kommunistische Partei, die dem Kampf für die Macht der Arbeiter verpflichtet ist. Dem Beispiel der Bolschewiki folgend würde eine solche Partei Übergangsforderungen erheben, die darauf abzielen, Arbeiterkämpfe zu vertiefen und die prokapitalistische Politik der Gewerkschaftsbürokraten und ihrer Partner der reformistischen Linken enthüllen. Um auf das Problem wachsende Arbeitslosigkeit einzugehen, würden Revolutionäre die Ausführung öffentlicher Arbeitsmaßnahmen in großem Stil fordern, wie auch eine Skala gleitender Löhne und Arbeitsstunden zur Verteilung der Arbeit auf all diejenigen, die fähig sind, sie auszuführen, während sie auch sicherstellen würden, dass die Kaufkraft nicht durch Inflation untergraben wird. Eine mobilisierte, militante Arbeiterbewegung würde ein Ende kapitalistischer Geheimhaltung und die Offenlegung der Bücher der Banken und kommerziellen wie industriellen Unternehmen fordern, um massive Betrügereien und unverblümten Diebstahl aufzudecken, der dabei geholfen hat, die griechische Gesellschaft an den Rand des Abgrunds bringen.
Wenn die imperialistischen Finanzagenturen die Auflösung der Unternehmen des öffentlichen Sektors als Teil ihrer „Rettungspläne“ fordern, muss die Arbeiterbewegung durch Massenmobilisierung antworten, die Produktions-, Transport- und Kommunikationsmittel an sich reißen, um die Grundlage für den Aufbau einer neuen Gesellschaft zu legen, in der Planung irrationale Spekulation ersetzt.
Eine sozialistische Revolution erfordert die Enteignung der Kapitalisten – sowohl der ausländischen wie der einheimischen. Sie kann nur durch die Demontage des Repressionsapparats der Kapitalisten gesichert werden und durch ihre Ersetzung durch neue Institutionen proletarischer Herrschaft. Auf dieser Basis steht der Weg für die Menschheit offen, die irrsinnige Wirtschaft zu eliminieren, die darauf ausgerichtet ist, Privatprofite für Wenige zu maximieren und ein gesellschatfliches System zu schaffen, das darauf ausgelegt ist, die Bedürfnisse Aller zu befriedigen.
Ein revolutionärer Durchbruch in Griechenland würde natürlich sofort von jeder imperialistischen Macht dieser Welt ins Visier genommen werden. Aber die siegreichen griechischen Arbeiter könnten auf die enorme enthusiastische Unterstützung von Milliarden Opfern kapitalistischer Kürzungen zählen – genau wie es die russischen Arbeiter nach ihrer Revolution 1917 konnten. Die Geburt einer griechischen Arbeiterrepublik würde die Weltpolitik dramatisch umgestalten und den Beginn eines Kampfes für die Schaffung der Sozialistischen Vereinigten Staaten von Europa signalisieren – einem Ereignis von weltgeschichtlicher Bedeutung.