Die Welle rassistischer Gewalt gegen Flüchtlingsunterkünfte und die rechten Mobilisierungen gegen Flüchtlinge bedürfen einer revolutionären Antwort. Wenn Polizisten tagelang einen rassistischen Mob in Heidenau wüten lassen und erst dann ihr staatliches Gewaltmonopol zeigen, wenn antirassistische Aktivisten demonstrieren, sagt das viel über die Rolle von Staat und Polizei. Revolutionäre haben kein Vertrauen, dass dieser Staat die Flüchtlinge vor Hetze, Übergriffen und Pogromen schützen wird. Ganz im Gegenteil, die rassistische Politik hat eine lange Kontinuität und daran ändert sich auch nichts, wenn ein Teil der bürgerlichen Eliten humanistische Yoga-Übungen im Fernsehen präsentiert.
Die Forderung von Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen und Partei Die Linke (PdL), Flüchtlinge nach ethnischer Herkunft zu trennen, nachdem es in einer überfüllten Unterkunft zu Ausschreitungen kam, zeigt die Hilflosigkeit der PdL im Kampf gegen den staatlichen Rassismus. Viele Mitglieder und Aktivisten der PdL beteiligen sich an Mobilisierungen, wenn es gegen Rassisten und Faschisten geht, aber die Partei ist überall dort, wo sie regiert und mitregiert, Teil der Unterdrückungs- und Abschiebemaschinerie.
Die 50-60 Millionen Flüchtlinge, die in den letzten Monaten und Jahren Zuflucht in einem anderen Land suchten, sind ein trauriger Höhepunkt der imperialistischen Weltordnung. Die weltweite Ausbeutung und Unterdrückung durch die imperialistischen Mächte und ihre lokalen Statthalter in Form von Diktatoren, Terrormilizen und bewusst geschürten Konflikten sind Auslöser dieser Tragödien. Das massenhafte Ertrinken von Menschen, die von Afrika, dem Nahen Osten oder Südostasien kommen und ein besseres Leben in Europa oder Australien suchen, sowie die gestiegenen Zahlen von Flüchtlingen, die es doch irgendwie geschafft haben an ihrem Zielland anzukommen, sind der Auslöser einer Debatte, welche die Frage nach dem Umgang mit Flüchtlingen stellt, und die für uns die Rolle der revolutionären Politik und die Mobilisierung der internationalen Solidarität der Arbeiterklasse im Kampf gegen die Festung Europa auf die Agenda setzt.
Die Aufgabe revolutionärer Politik ist in der Flüchtlingsfrage mehrschichtig. Neben dem offenen Kampf gegen die Festung Europa im Inneren und an den Außengrenzen, ist es notwendig, antirassistische Positionen gegen den Rassismus in der Arbeiterklasse, geschürt von der Bourgeoisie und ihren politischen Agenturen SPD und Gewerkschaftsführung, zu propagieren. Auch gilt es, die aktive Solidarität der Arbeiterklasse mit den Flüchtlingen zu organisieren. Die Flüchtlinge gehören in überwältigender Mehrheit zur weltweiten Arbeiterklasse. Nur durch eine Kombination von Wort und Tat kann das Bewusstsein entstehen, dass der Kapitalismus, und seine Art, sich diese Welt Untertan zu machen, das Problem ist, und nicht die Menschen, die Schutz vor Verfolgung, Unterdrückung und Armut suchen.
Das deutsche Bürgertum ist in der Flüchtlingsfrage mehrfach gespalten. Liberale und christliche Flüchtlingsunterstützer argumentieren mit der bürgerlichen Moral, wenn es um das Elend von Flüchtlingen geht. Europa sei reich, man müsse geltende Gesetze konsequent nutzen, um die Hürden für eine Flucht so niedrig wie möglich zu machen. Weiterhin argumentieren sie mit den vermeintlich offenen und toleranten Werten Europas, als auch mit der Geschichte von Flucht und Vertreibung in Europa, vor allem nach dem 2. Weltkrieg. Ein anderer Teil des Bürgertums sieht in den ankommenden Menschen vor allem billiges Ausbeutungsmaterial, und stellt sich daher gegen rassistische Mobilisierungen von Rechtspopulisten und Faschisten.Tote oder verletzte Flüchtlinge sind halt schlecht für die Mehrwert-Produktion.
Rechtspopulisten und Faschisten versuchen das rassistische Bewusstsein, das in Teilen der Arbeiterklasse besteht, mit ihrer menschenfeindlichen Propaganda abzuschöpfen. So kommt es immer wieder zu Übergriffen auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte, welche an die Pogrome der 90er Jahre erinnern. Heidenau und Nauen sind nun über die Grenzen Sachsens hinaus bekannt. Dies kann nicht wundern, wenn man bedenkt welchen Erfolg die Pegida – Bewegung bis zu ihrer Spaltung feiern konnte oder wie die Wahlergebnisse der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) aussahen. Es ist nur folgerichtig, wenn Pegida-Führer Lutz Bachmann sich an die Spitze eines rassistischen Mobs in der sächsischen Stadt Freital stellt, der gegen eine Flüchtlingsunterkunft hetzt und Unterstützer der Flüchtlinge physisch attackiert. Auch ein Teil der herrschenden Klasse, wie etwa die AfD-Unterstützer, weiss wie praktisch es ist, die Schuld an Arbeitslosigkeit, sozialem Abstieg und niedrigen Löhnen, welche die Herrschenden selbst verursacht haben, auf Flüchtlinge abzuwälzen. Aber auch die CSU versucht die rassistische Stimmung in Teilen der Arbeiterklasse auszunutzen, wenn CSU-Chef Horst Seehofer erklärt, dass massenhafter Asylmissbrauch betrieben würde. Zwar sind die Teile der herrschenden Klasse, welche Rechtspopulisten und Faschisten unterstützen, gering, dennoch darf man die Gefahr, die von diesen ausgeht, nicht unterschätzen. Es ist die Aufgabe von Revolutionären, sich aktiv Faschisten und Rechtspopulisten entgegen zu stellen und Flüchtlinge und ihre Unterkünfte zu schützen.
Die rassistische Festung Europa ist ein Versuch der EU, durch Abriegelung und Grenzsicherung möglichst viele Flüchtlinge von der Einreise abzuhalten. Und sie ist daher ein Milliardengeschäft für die Rüstungs- und Sicherheitsindustrie, die einen erbitterten Krieg gegen Flüchtlinge führt. Die jüngste Debatte um ein militärisches Eingreifen der EU im Mittelmeer, damit Schiffe, die von Flüchtlingen genutzt werden könnten, zerstört werden, ist nur eine von vielen reaktionären Ideen. Die Aufrüstung an den EU-Außengrenzen verschlingt zu Lande, zu Wasser und in der Luft Milliarden von Euros. Aktuell gibt es für Flüchtlinge keinen legalen Weg, um von ihrem Heimatland aus in Europa Asyl zu beantragen. Flüchtlinge und Fluchtwege sind längst zu einer Ware geworden, deren Preis durch die Abschottungspolitik angestiegen ist. Für Flüchtlinge ist es die einzige ernstzunehmende Chance, mit Hilfe von Fluchthelfern die Festung Europa zu betreten. Und je höher die Zäune, je gefährlicher das letzte Teilstück durch militärische Aufrüstung wird, umso mehr werden die Flüchtlinge auf Fluchthelfer angewiesen sein. Die Gefahren bei einer Flucht sind extrem hoch:
Die Journalisten des „Migrant Files“-Projekts gehen davon aus, dass seit der Jahrtausendwende über 23.000 Menschen auf dem Weg nach Europa ums Leben gekommen sind.
—Wolfgang Grenz, Julian Lehmann, Stefan Keßler, „Schiffbruch – Das Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik“, Knaur Verlag, 2015, Seite 12
Die EU-Außengrenzen wurden und werden systematisch mit militärischen Mitteln zu einer Festung ausgebaut. Federführend ist hierbei die EU-Grenzschutzorganisation Frontex mit Hauptsitz in Warschau. Frontex ist der Versuch einer gemeinsam koordinierten EU-Grenzschutzpolitik. Frontex liefert Daten und Analysen, fordert die einzelnen Nationalstaaten auf, dieses oder jenes zu tun, um die Grenzen dicht zu machen, um dann die Verantwortung für diese Maßnahmen auf den jeweiligen Nationalstaat zu schieben. Revolutionäre sind für die Zerschlagung von Frontex. Sie ist eine rassistische Institution, die nicht reformiert werden kann.
Wie zynisch der europäische Grenzschutz funktioniert, konnte man im Spätsommer 2014 bei der Diskussion um die Operation Mare Nostrum sehen. Die italienische Marine hatte mit der Operation Mare Nostrum mehr als 140.000 Menschen aus Seenot gerettet. Da nun die italienische Regierung für diese selbstverständliche Arbeit von der EU Geld sehen wollte, und dieses nicht bekam, wurde diese Operation eingestellt und Frontex sollte die Arbeit übernehmen. Frontex Plus nannte man die Operation mit dem Schönheitsfehler, dass Frontex per Verordnung gar keine Seenotrettung machen sollte.
Wie sah es an den EU-Außengrenzen aus, bevor ertrunkene Flüchtlinge in die Schlagzeilen kamen?
NGOs und andere Organisationen berichten dennoch seit Jahren von Fällen, in denen Militär oder Küstenwache Flüchtlingsboote auf dem Meer abfangen und die Menschen an Bord so an der Einreise nach Europa hindern. Mal geschieht das unter Einsatz von Waffengewalt, dann wieder indem man die Boote in Gewässer zurückschleppt, die nicht zur EU gehören. Push Backs werden solche Operationen genannt – und sie können tödlich enden.
—ebenda, Seite 86
Die Praxis der Push Backs gehört zur rassistischen Festung Europa. Italien, Griechenland und Spanien bedienen sich ihrer, obwohl sie gegen das geltende Recht der EU verstößt.
Auf dem Landweg ist es beliebt, ankommende Flüchtlinge, die die Fluchtroute über Bulgarien oder Griechenland wählen, wieder in die Türkei zu jagen. Spanien attackiert die Menschen, die den Grenzzaun bei Ceuta und Melilla überwinden wollen, mit Gummigeschossen und Schlagstöcken. Verletzte und Tote sind dabei einkalkuliert. Diese ungehemmte staatliche Gewalt soll Menschen abschrecken, Schutz in Europa zu suchen.
Pull Back nennt man die Praxis, wenn Transitländer mit den EU-Grenzschützern zusammenarbeiten. Dabei fordern die EU-Staaten diese sogenannten Drittländer auf, die Flüchtlinge schon auf ihrem Territorium aufzuhalten. Die Krönung dieser Abschottungspolitik sind sogenannte Rücknahmeabkommen mit Drittstaaten.
Es gibt keine amtliche Übersicht darüber, welcher einzelne EU-Mitgliedsstaat mit welchem Drittland derartige Abkommen geschlossen hat. Zum Teil werden die Texte nicht einmal offiziell bekanntgemacht. Jeder EU-Staat kann hier schalten und walten, wie er will.
—ebenda, Seite 93
Innerhalb der EU gibt es Streit um die Verteilung von Flüchtlingen. Vor allem die Mittelmeeranrainer-Staaten Griechenland und Italien wollen eine andere Verteilung, bei der es aber nicht um den Schutz von Flüchtlingen oder ihr Recht auf Aufnahme geht. Rechte und rassistische Parolen bestimmen die EU-Politik, wenn Flüchtlinge als Lasten und Kostenfaktoren angesehen werden, aber ihr Recht auf Asyl mit Schnellverfahren und Massenabschiebungen noch weiter aufgeweicht wird.
Innerhalb der EU gilt das Schengener Abkommen, das besagt, dass sich alle EU-Bürger frei in den EU-Staaten bewegen und niederlassen dürfen. Flüchtlinge dagegen dürfen sich aufgrund des Dublin-Abkommens nur in dem Land aufhalten, in dem sie ihren Asylantrag gestellt haben. Die Debatte um die Unterbringung von Flüchtlingen, den bürokratischen Aufwand, sowie den Umgang mit den Flüchtlingen während ihr Asyl-Antrag behandelt wird, ist ein von Zynismus, Rassismus und anti-demokratischen Positionen verseuchtes Spektakel.
Die reaktionäre Regierung in Ungarn versucht, unter dem Jubel des deutschen rassistischen Lagers, sich mit einem Zaun gegen die ankommenden Flüchtlinge zu wehren. Das Bekanntwerden von Misshandlungen der Flüchtlinge durch Polizisten in Ungarn lenkt von den Misshandlungen durch einen Bundespolizisten in Hannover ab und zeigt wie verlogen die gespielte Großzügigkeit der herrschenden Klasse ist, wenn sie darauf aufmerksam machen wollen, wie viel doch Deutschland für Flüchtlinge tut. In einigen Teilen Deutschlands sind private Sicherheitsdienste bei Nazis und Rassisten beliebte Arbeitsplätze. Diese Sicherheitsdienste werden nun beauftragt die Flüchtlingsunterkünfte zu bewachen. So ist es leider keine Überraschung, wenn Bilder und Berichte von Angriffen und Beleidigungen immer wieder publik werden.
Viele Flüchtlinge kommen aus Krisen- und Kriegsgebieten und brauchen psychologische Betreuung. Es sind die deutschen Behörden, die solche zwingend notwendigen Maßnahmen verweigern. Das Asylbewerberleistungsgesetz ist dabei ein „nützlicher“ Leitfaden. Auch bei der Behandlung von Krankheiten wird nur auf minimaler Sparflamme gehandelt oder durch inkompetente Entscheidungen oft gar nicht.
Die immer wiederkehrende Forderung nach der „hochqualifizierten Zuwanderung“, bzw. das Durchsieben der Flüchtlingsströme nach genau diesem Kriterium, ist verlogen und rassistisch zugleich. Zunächst werden Flüchtlinge in einem quälend langen Verfahren so gut wie möglich vom Arbeitsmarkt abgeschottet. Und selbst wenn ein Unternehmer einem Flüchtling einen Arbeitsplatz anbieten möchte, wird erst geprüft, ob nicht ein EU-Bürger oder ein bereits anerkannter Flüchtling diese Stelle haben möchte. Auch ist das Abschöpfen der hochqualifizierten Flüchtlinge eine imperialistische Strategie, um die Herkunftsländer systematisch zu schwächen. Brain Drain nennt sich diese Politik, die darauf abzielt, eben nicht nur die Rohstoffe auszubeuten, sondern sich auch die andernorts erworbenen Qualifikationen zu Nutzen zu machen.
Flüchtlinge nehmen seit einiger Zeit diese systematischen Schikanierungen nicht mehr hin. Sie erheben ihre Stimme und formen politische Protestbewegungen. In Berlin sorgten diverse Platzbesetzungen für Aufsehen. In Hamburg gingen Zehntausende in Solidarität mit der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ auf die Straße, die selbstbewusst und kämpferisch für eine Perspektive jenseits von behördlicher Willkür, rassistischen Straßenkontrollen der Polizei und menschenfeindlichen Asylverfahren kämpfen.
Bis heute verwehrt der SPD-Senat, seit Anfang 2015 in Komplizenschaft mit den Grünen, die sich teilweise an den Protesten der Flüchtlinge und ihrer antirassistischen Unterstützer beteiligt haben, den Geflüchteten eine politische Lösung. Dieses Beispiel zeigt, dass die SPD mit ihrer aktuellen Symphathie für Flüchtlinge nur heuchelt, damit das Ansehen Deutschlands, das ja nach dem imperialistischen Diktat gegen die griechische Regierung etwas gelitten hat, wieder aufpoliert wird.
Revolutionäre solidarisieren sich mit den Kämpfen dieser Flüchtlinge. Die soziale Macht der Arbeiterklasse ist der Schlüssel für einen Kampf gegen die Festung Europa. Internationale Solidarität bedeutet, sich nicht nur abstrakt mit den Opfern des Imperialismus in der Welt zu solidarisieren, sondern muss auch heißen, den Menschen, die hierher geflüchtet sind, konkret zu helfen. Den Versuchen des deutschen Kapitals, Flüchtlinge als billige Arbeitskräfte auszubeuten, müssen Revolutionäre mit deren gewerkschaftlicher Organisierung entgegentreten. Nur so kann ein „race to the bottom“ verhindert werden, in denen Flüchtlinge von einheimischen Arbeitern für Niedriglöhne und Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht werden.
Wir treten ein für einen Wegfall aller rassistischen Einwanderungsgesetze und der systematischen Sonderbehandlung von Nicht-EU-Bürgern. Rassismus und Nationalismus sind das Gift, mit dem die weltweite Arbeiterklasse gespaltet und erniedrigt wird, und auf deren ideologischen Säulen der Kapitalismus thronen kann.
Die Festung Europa muss von innen zerstört werden. Sie ist eine Festung für die imperialistischen Interessen der europäischen Bourgeoisien. Eine revolutionäre Partei und Internationale hat die Aufgabe, die gemeinsamen Interessen der vom Kapitalismus ausgebeuteten Massen jenseits und diesseits der Festungsmauern aufzuzeigen. Die tagtäglichen Tragödien der Flüchtlinge können letztendlich nur durch eine weltweite Beseitigung des kapitalistischen Systems gestoppt werden.