Am 4. November wurde mit der Entdeckung von zwei toten Bankräubern, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, ein Fass ins Rollen gebracht, das tiefe Einblicke in den Zustand Deutschlands 66 Jahre nach der militärischen Niederlage des Faschismus gibt. Aus zwei Bankräubern wird innerhalb von Tagen eine faschistische Terrorzelle: der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) mit bis zu 20 Unterstützern aus dem faschistischen Milieu, die für mindestens 10 Tote verantwortlich sind. Sie waren sowohl der Polizei wie auch dem Verfassungsschutz und dem militärischen Geheimdienst bereits seit Ende der 90er Jahre bekannt.
In den Trümmern des Wohnhauses, in dem sich Mundlos, Böhnhardt und Beate Zschäpe zuletzt aufgehalten hatten, wurden sogenannte „legale illegale Papiere“ sichergestellt. So bezeichnen Geheimdienste Ausweispapiere, die für Spionagezwecke ausgestellt werden.
Die rassistische und faschistische Gewalt ist aber keine Geheimdienstverschwörung, sondern Produkt der kapitalistischen Verhältnisse. Faschistische Organisationen, Parteien, Kameradschaften mögen vom Verfassungsschutz unterwandert sein, aber sie sind eigenständige Organisationen, mit einer eigenständigen, mörderischen Ideologie.
Wir geben dem bürgerlichen Staat keine Tipps, wie er am besten seine Spitzel in der rechten Szene einsetzen oder rekrutieren sollte. Die Aufdeckung des hessischen Verfassungsschützers, („kleiner Adolf“), der am 6. April 2006 im Kasseler "Tele-Internet-Café" anwesend war, als die Zwickauer Zelle im Nebenzimmer Halit Y. mit zwei Kopfschüssen regelrecht hinrichtete, ist ein Skandal, der bis heute ungestraft blieb.
In seiner Wohnung findet die Polizei später Hinweise auf eine rechtsradikale Gesinnung – doch die Ermittlungen gegen den Mann werden eingestellt.
— Spitzname „Kleiner Adolf“, sueddeutsche.de, 15.11.2011.
http://www.sueddeutsche.de/politik/verdacht-gegen-hessischen-verfassungsschuetzer-spitzname-kleiner-adolf-1.1190178
Über die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds wurde jahrelang behauptet, es handele sich um organisierte Kriminalität, vielleicht um eine Abrechnung in Mafiakreisen. Damit werden die Opfer und ihre Angehörigen zusätzlich verunglimpft. Auch der Begriff „Döner-Morde“ wertet die Opfer ab; hier wurden keine Döner ermordet. Von rassistischer Gewalt wird erst dann gesprochen, wenn sie sich nicht mehr leugnen lässt. Das gehört zur schützenden Hand, die vom Staat auf die rassistischen und faschistischen Strukturen gelegt wird. So geht die Bundesregierung im März 2011 davon aus, dass es in Deutschland zwischen 1990 und Anfang 2011 47 Tote durch rechte Gewalt gegeben hat. Antifaschistische Gruppen zählten bis heute mindestens 182 Tote. (Vgl. www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/)
Die demonstrativ gezeigte Empörung der deutschen Bourgeoisie ist verlogen, denn sie kümmerte sich einen Dreck um die neun toten Migranten. Die rassistischen Sondergesetze sind ein machtvolles Instrument um Nicht-Deutsche zu isolieren und zu unterdrücken. Nicht zu vergessen ist die massive finanzielle Unterstützung für die organisierte rechte Szene.
200000 DM hat der Führer des »Thüringischen Heimatschutzes« und spätere NPD-Kader Tino Brandt vom Verfassungsschutz als Spitzellohn erhalten, mindestens 25000 DM sein Kamerad Thomas Dienel. Die Gelder flossen jeweils in den Aufbau der Nazistrukturen – der Staat als Förderer brauner Terroristen.
— Ulla Jelpke: Geheuchelte Unschuld (junge Welt) 24.11.2011
http://www.jungewelt.de/2011/11-24/022.php
In Sachsen, Thüringen und Hessen wurde den Landtagsabgeordneten der LINKEN wegen eines Aufrufs für die Blockade des Naziaufmarsches in Dresden angedroht, ihnen ihre Immunität zu entziehen, um sie strafrechtlich verfolgen zu können. Dieselben Parteien, die das durchsetzen wollen, weinen nun Krokodilstränen über die Toten der Nazigewalt.
In Sachsen stimmte eine Mehrheit von CDU, FDP und NPD gegen André Hahn, Fraktionschef der LINKEN, für die Aufhebung der Immunität. Hahn soll vor Gericht, weil er im Februar 2010 in Dresden Neonazis am Marschieren hinderte. Soviel zur Anti-Nazi-Rhetorik der CDU und der FDP, die sich nicht scheut, die Stimmen der NPD gegen Antifaschisten einzusammeln.
Nach dem norwegischen Terroranschlag des Muslim-, Arbeiter- und Linkenhassers Anders Behring Breivik flammte in Deutschland kurz eine Diskussion über Banden anti-muslimischer Rassisten wie Pro Deutschland oder Die Freiheit auf. Wie weit sich anti-muslimischer Rassismus schon in der herrschenden Klasse etabliert hat und Teil der herrschenden Ideologie wurde, zeigt eine Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der DIE LINKE-Bundestagsabgeordneten Jelpke:
Islamkritische bis hin zu muslimfeindliche [Rechtschreibung im Original] Einstellungsmuster sind Ausdruck von Ängsten vor Überfremdung…
— Deutscher Bundestag: BT-Drucksache 17/6910, S. 6
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/069/1706910.pdf
Zum Internetportal Politically Incorrect (PI) heißt es entsprechend, es sei bekannt, dass dort „Beiträge mit antimuslimischen teilweise auch rassistischen Inhalten eingestellt werden“, das geschehe aber praktisch ausschließlich in den Kommentaren und sei auch dort „die Ausnahme“. PI bediene sich keiner „klassischen rechtsextremistischen Argumentationsmuster, sondern ist im islamkritischen Spektrum anzusiedeln. Demgemäß lässt sich eine rechtsextremistische Bestrebung in Bezug auf ‚Politically Incorrect‘ derzeit (noch) nicht feststellen.“ (Vgl. www.ulla-jelpke.de)
Wir treten gegen Illusionen in ein staatliches Verbot der NPD und anderer Nazigruppen auf. Dieser Staat ist nicht neutral. Er hat hier nicht ausnahmsweise etwas falsch gemacht. Er ist ein Instrument zur Klassenunterdrückung. 1991 stellten wir fest:
Bürgerlich kapitalistische Regierungen gehen nie konsequent gegen faschistische Gruppierungen vor. Die Bourgeoisie nutzt diese Banden für ihre eigenen Zwecke, manchmal mehr, manchmal weniger. Heute machen die Faschisten die Drecksarbeit, indem sie z. B. potentielle Asylbewerber abschrecken und helfen, „unerwünschte“ Immigranten aus dem Land zu vertreiben. In diesem angeheizten nationalistischen Klima ist es dann viel einfacher für die Kapitalisten, von ihren eigenen Angriffen auf die Arbeiterklasse — Lohnsenkungen, Entlassungen etc. — abzulenken.
— Nur die Arbeiterklasse kann die faschistischen Mörderbanden schlagen!, IBT, 06.11.1991
http://bolshevik.org/deutsch/sonstiges/ibt_1991_rassistischer_ terror_in_deutschland.html
Es ist lächerlich, wenn subjektiv antifaschistische Politiker nichts Besseres zu tun haben, als den Staat anzuflehen, endlich einen Teil der organisierten Nazibewegung zu verbieten, nachdem gerade die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Naziterroristen publik wurde. Man muss schon auf beiden Augen blind sein, wenn man nicht sehen will, was die Enthüllungen der letzten Wochen offenlegten: Dieser bürgerliche Staat hegt und pflegt die kleine, aber gefährliche Nazi- und Rassistenszene.
Der Faschismus ist eine kleinbürgerliche pro-kapitalistische Ideologie. Er unterscheidet sich von anderen rechten Ideologien dadurch, dass er bereit ist, mit Gewalt und Terror zu handeln. Er richtet sich gegen alles, was nach Ansicht der Faschisten nicht ins Bild des Nationalen passt: Gegen Juden, gegen Nicht-Deutsche, gegen Roma und Sinti, gegen Behinderte und nicht zuletzt gegen die organisierte Linke und Arbeiterbewegung. Historisch betrachtet mussten die Nazis 1933 erst die organisierte Linke und Arbeiterbewegung aus dem Weg räumen, um den Weg für den totalen imperialistischen Krieg und den Vernichtungsfeldzug gegen die europäischen Juden zu ermöglichen. Erleichtert wurde das der Nazibewegung, weil die Arbeiterklasse entweder durch die Staatstreue der SPD-Führung oder die sektiererische „Sozialfaschismustheorie“ der KPD blockiert war. Die Linke Opposition, die Trotzkisten, riefen dagegen zu einem gemeinsamen Kampf im Rahmen einer Arbeitereinheitsfront auf.
Was bedeutet die Forderung nach einem klassenkämpferischen Antifaschismus? Die multinationale Arbeiterklasse hat die soziale Macht, z. B. mit politischen Streiks und gewerkschaftlichen Selbstverteidigungsgruppen, gegen die rassistische und faschistische Gewalt vorzugehen. Wollen die Nazis irgendwo aufmarschieren und es fahren weder Bahn noch Bus zu ihrem Versammlungsplatz, es findet sich kein Fahrer, um die Nazis mit polizeilichem Sondergeleit in die Stadt zu schleusen, wäre das ein klares Signal gegen das Nazipack.
Auch ist es notwendig, gegen jede Illusion in den Staatsapparat zu kämpfen. Es ist eine tödliche Sackgasse und eine politische Illusion, sich auf den Staat und seine Polizei zu verlassen, wenn es gegen Nazis geht. Nicht nur der Fall der Zwickauer Nazis zeigt das. Es ist das Fazit aus der antifaschistischen Praxis.
Nur eine klassenkämpferische Opposition kann die faschistischen Mörderbanden schlagen!
Keine Redefreiheit für die Apologeten des Völkermords!
Volle Staatsbürgerrechte für Immigranten!
Für gewerkschaftlich organisierte Selbstverteidigungsgruppen zur Zerschlagung der faschistischen Mörderbanden!