Internationale Bolschewistische Tendenz (IBT) — Imperialisten raus aus dem Nahen Osten! Endspiel im Irak. In: Bolschewik 17 (2008) Nr. 25., S. 24+14-23. — Version: 2023-04-10. — Geladen: 2024-04-18
URL: http:// bolshevik.org/deutsch/bolschewik/ibt_bol25_2008-06.html

Imperialisten raus aus dem Nahen Osten!

Endspiel im Irak

Einen Monat vor Ende seiner Amtszeit als Generalsekretär der Vereinten Nationen bemerkte Kofi Annan: "Die Vereinigten Staaten befinden sich im Irak in einer Art Falle, einer Falle in dem Sinne, dass sie nicht bleiben und nicht abziehen können" (BBC Nachrichten, 21. November 2006). Die Eroberung des Iraks sollte der dramatische Eröffnungszug in einer unverschämten Strategie zur Sicherung der dauerhaften globalen Vorherrschaft der USA sein. Stattdessen wurde dadurch der Niedergang des amerikanischen Imperiums erheblich beschleunigt. Der Einsatz der US-Streitkräfte im Nahen Osten, getarnt als Terrorismus-Bekämpfung und Ausbreitung von "Freiheit" und "Demokratie", war darauf ausgelegt, den Löwenanteil des Profits aus der Ausbeutung der strategisch lebenswichtigen Erdölvorkommen der Region für amerikanische Unternehmen zu sichern, und Washington zugleich mit einem mächtigen Druckmittel gegenüber seinen Rivalen auszustatten.

Der Sieg im Irak sollte als "Azincourt an den Ufern des Euphrats" dienen, wie es John Lewis Gaddis von der Yale Universität ausdrückte (Foreign Policy, November/Dezember 2002) -- als eine Entfaltung überwältigender militärischer Macht, die Freund und Feind gleichermaßen "entsetzen und beeindrucken" würde. Der Aufbau einer Kette von Militärstützpunkten im Irak sollte für "Dominanz auf ganzer Linie" sorgen und in der Region eine Reihe von Regimen auf "niedrigem demokratischen Level" in Abhängigkeit von den US-Amerikanern sicherstellen. Der neu modellierte Nahe Osten sollte von einer enormen 43 ha großen Botschaft aus in Bagdad organisiert werden, beschrieben von USA Today (19. April 2006) als das einzige "größere US-Bauprojekt im Irak im Zeitplan und im Rahmen des Budgets". Mit einem vorgesehenen Stab von 3.000 Mitarbeitern und eigenen Anlagen zur Strom-und Wassererzeugung war die Botschaft als weltweit größte diplomatische Einrichtung der USA geplant. Trotz des wachsenden Geredes über "einen schrittweisen Abzug" der US-Streitkräfte, bleiben sowohl Demokraten als auch Republikaner der Aufrechterhaltung einer beträchtlichen militärischen Anwesenheit im Irak verpflichtet, obwohl es überhaupt nicht sicher ist, dass dies machbar sein wird.

Die Saat der Drachenzähne

Die Schlappe der afghanischen Taliban im November 2001 rief Visionen eines leichten Spiels im Irak hervor, mit einem gefälligen und leicht manipulierbaren "demokratischen" Regime als Ersatz für die brutale Diktatur des Baath-Regimes des früheren US-Lakaien Saddam Hussein. Während die amerikanische Armee Bagdad in weniger als einem Monat einnahm, war sie in den folgenden vier Jahren nicht imstande, eine zweckmäßige kollaborationistische Regierung zusammenzustellen. Anstatt zu versuchen, Schlüsselmitglieder des alten baathistischen Staatsapparates einzubeziehen, entschied sich die US-Besatzungsmacht, eine völlig neue Regierung zu bilden. Dadurch überließ sie es den Hauptfiguren des alten Saddam-Regimes, die bei der sunnitischen Minderheit im Irak ziemlich populär sind, einen hoch entwickelten und bemerkenswert widerstandsfähigen Aufstand zu lancieren.

Ohne bedeutende Unterstützung irgendeines Sektors der irakischen Gesellschaft versuchte die Besatzungsmacht, Kontrolle durch das Manipulieren sektiererischer Spaltungen auszuüben, eine Technik, die die Briten zwischen den beiden Weltkriegen mit erheblich größerer Fähigkeit einsetzten. Nach Absetzung der sunnitischen Elite, die den Irak seit seiner Entstehung in den zwanziger Jahren regiert hatte, zeigten die USA Neigungen für die unterdrückten Kurden und Schiiten. Obwohl sie bereit waren, einen Nutzen aus der Gelegenheit zu ziehen, der aus dem Ende der baathistischen Diktatur entstand, haben weder bei den Kurden noch bei den Schiiten angesehene Personen Interesse daran gezeigt, einfach nur als Marionetten der USA zu agieren.

Die kurdischen Führer haben herzliche Beziehungen zur Besatzungsmacht beibehalten, um die Türkei in Schach zu halten, während sie den quasi-unabhängigen Kleinstaat konsolidieren und ausdehnen, den sie im nördlichen Irak seit 1991 unterhalten. Obwohl die Schiiten die sunnitischen Rebellen nicht aktiv unterstützen, stehen sie den fremden Besatzern keinesfalls loyal gegenüber und warten nur auf deren Abzug. Großajatollah Ali Mohammed as-Sistani, höchster Würdenträger des schiitischen Klerus im Irak, wollte einen offenen Konflikt mit den Amerikanern vermeiden, während er die versprochenen Wahlen als Mittel benutzte, um die Vorherrschaft der schiitischen Mehrheit zu etablieren. Zu diesem Zweck gelang es ihm, alle großen schiitischen Parteien in einem gemeinsamen Wahlblock zu vereinigen, der Vereinigten Irakischen Allianz.

Im November 2004 versuchte das US-Militär, dem zunehmend erstarkenden sunnitischen Aufstand durch die Verwüstung von Falludscha, einem Hauptzentrum der Revolte, das "Rückgrat zu brechen". Die US-Streitkräfte zerstörten fast die ganze Stadt und brachten Hunderte von Zivilisten um. Diese schändliche Gewaltanwendung bewirkte lediglich, den Hass gegen die USA in der moslemischen Welt weiter anzuheizen.

Nach dem Misserfolg in Falludscha versuchte das Pentagon durch den Einsatz ethnisch- und religiös motivierter Todesschwadronen, wie denen, die von den USA in den frühen 80er Jahren in El Salvador eingesetzt wurden, die Oberhand zu gewinnen:

"Die Übergangsregierung des Premierministers [und früheren CIA-Aktivpostens] Iyad Allawi soll unter den entschiedensten Befürwortern der salvadorianischen Option gewesen sein… "[Maj. Gen. Generator Muhammad Abdallah Al-Shahwani, Direktor des nationalen Nachrichtendienstes des Iraks] sagte, dass die US-Okkupation darin versagt habe, das Problem der breiten Unterstützung des Aufstandes zu brechen [&]. Ein an der Pentagondebatte beteiligter militärischer Informant stimmt zu, dass dies der springende Punkt des Problems sei, und geht davon aus, dass neue Angriffsoperationen nötig seien, um Angst davor zu schüren, den Aufstand zu unterstützen. Die sunnitische Bevölkerung zahlt keinen Preis für ihre Unterstützung der Terroristen, sagte er. Von ihrem Standpunkt aus kostet sie sie nichts. Wir müssen diese Gleichung ändern."

--Newsweek, 8. Januar 2005

Der Einsatz schiitischer und kurdischer Milizen zur Erhöhung der "Kosten" für die sunnitische Zivilbevölkerung, hat den Aufstand nicht abgestumpft, sondern stattdessen einen Zyklus von Blutvergießen auf lokaler Ebene in Gang gesetzt, der jede Möglichkeit zum Zusammenflicken einer stabilen Regierung untergrub, die über die nötige Legitimität und die zwingende Macht verfügt, um die Ereignisse zu steuern:

"[Es] ist es wert, die politischen Grundsätze der USA zu rekapitulieren, die die Drachenzähne säten: die irakische Armee aufzulösen; verbündet zu sein mit dem sektiererischen Obersten Islamischen Rat im Irak; die Bezeichnung Sunnitisches Dreieck zu benutzen, um Gebiete mit starker Abneigung gegen die Besatzung zu beschreiben; die Sitze des irakischen Regierungsrats und der vorläufigen Ministerien nach Sekten und Volkszugehörigkeit aufzuteilen; zu gestatten, dass Ministerien zu Machtbereichen kommunaler Parteien wurden; die Anti-Besatzungs-Guerillas als `Anti-Irakische Kräfte' zu beschreiben; einen Zeitplan für Wahlen und die Verfassungsgebung durchzudrücken, der mehr von der US-Politik als von der irakischen bestimmt war; sowie geheime Anti-Terrorismus-Einheiten zu trainieren, die jetzt Todesschwadrone der Regierung sind. Hierzu führte der US-Botschafter im Irak, Zalmay Khalilzad, im März aus: Wir haben die Büchse der Pandora geöffnet'."

--Middle East Report, Sommer 2006

Die Bombardierung des schiitischen Heiligtums, der Askariya Moschee in Samarra, durch Unbekannte im Februar 2006, führte zu einem deutlichen Anstieg sektiererischer Tötungen so dass das US-Militär völlig unfähig war, diesen ein Ende zu bereiten. Anfangs waren vor allem Schiiten deren Opfer. Diese Morde wurden fanatischen sunnitischen "Dschihadisten" zugeschrieben, die beseelt wurden durch eine Kombination aus sektiererischer Animosität und dem Verlangen, den Irak unregierbar zu machen. Aber schon bald gehörten die schiitischen Milizen, die häufig in der Marionetten-Polizei agierten, zu den Haupttätern eskalierender Gewalt, die jeden Monat Tausende umbringt. Zum Ende des Jahres 2006 hin, nach Informationen der Vereinten Nationen, "flohen etwa hunderttausend Bürger jeden Monat" und "wenigstens 1,6 Millionen Iraker sind seit Kriegsbeginn im März 2003 fortgegangen" (Associated Press, 23. November 2006).

Demokratie und imperialistische Kontrolle

In den ersten Jahren der Besatzung erklärten militärische und politische Führer der USA regelmäßig, dass endlich ein entscheidender "Wendepunkt" erreicht worden sei und sich die Situation bald verbessern werde. Dennoch führte keiner der "Meilensteine" - einschließlich der Einrichtung einer vorgeblich "souveränen Regierung" unter dem Ex-Baathisten und Schurken Allawi im Juni 2004 und der betrügerischen Wahl einer "Übergangsregierung" im Januar 2005 - zu einem nennenswerten Unterschied im Leben gewöhnlicher Iraker, und als ein Ergebnis dessen nahm die politische Durchsetzungskraft der Besatzungsmacht und ihrer Lakaien stetig ab. Nach Monaten qualvollen Manövrierens wurde im Oktober 2005 eine ziemlich zweifelhafte) "Verfassung" in einer Volksabstimmung angenommen. Zwei Monate später fanden neue nationale Wahlen statt. Das Weiße Haus kündigte beide als wichtige "Wendepunkte" an, doch der Versuch, die Rekolonisierung des Iraks hinter einer demokratischen" Fassade zu verstecken, täuschte niemanden.

Auf dem Papier vereinigten die Wahlen im Dezember 2005 Repräsentanten der Kurden, der Schiiten und der Sunniten im Irak in einer "Regierung der nationalen Einheit". Die USA hofften, dass die sunnitische Teilnahme am "politischen Prozeß" zu einer Spaltung der Widerstandsbasis führen würde. Aber die Regierung unter Führung des schiitischen Premierministers Nuri al-Maliki ist nie mehr gewesen als eine semantische Erfindung. Sie regiert nichts und hat darin versagt, das zunehmende sektiererische Gemetzel zu kontrollieren, oder auch nur den Anschein einer Ordnung in der Hauptstadt durchzusetzen; noch weniger konnte in den Aufstand eingegriffen werden.

Jeder Bestandteil der sogenannten Regierung des Iraks ist darauf versessen, seine eigenen Interessen auf Kosten der "Partner" durchzusetzen. Die Demokratische Patriotische Allianz Kurdistans stimmte der Verfassung im Oktober 2005 nur zu, nachdem sie ihre Anerkennung durch die Kurdische Regionalregierung (KRR) erreicht hatte. Ihr Hauptanliegen besteht darin, die Kontrolle der Ölvorkommen im Norden zu sichern. Die sunnitischen und schiitischen Blöcke im Parlament, die darauf aus sind, die kurdische "Autonomie" zu unterstützen - zumindest zur Zeit - sind strikt gegen die Ambition der KRR, ihre Authorität auf die ölreiche Stadt Kirkuk auszuweiten, eine Stadt mit beträchtlicher kurdischer, arabischer und turkmenischer Bevölkerung. Zur Vermeidung einer offenen Spaltung hat die Regierung sich damit einverstanden erklärt, eine Entscheidung über die debattierte Stadt bis zu einem Referendum zurückzustellen, das möglicherweise Ende 2007 stattfinden wird. Ob es wirklich zu einer Abstimmung kommen wird oder nicht, diese bittere Debatte scheint wahrscheinlich in einen bewaffneten Konflikt und eine Welle blutiger ethnischer Reinigungen zu münden, da die Türkei wiederholt damit gedroht hat, militärisch einzugreifen, um eine kurdische Übernahme zu verhindern.

Die USA bevorzugen "Demokratie" für ihre Neo-Kolonien, als einen flexiblen und billigen Mechanismus zur imperialen Steuerung durch die Manipulation konkurrierender einheimischer Parteien. Die Schwierigkeit bei der Einführung dieses Modells im Irak entstand durch die Abneigung aller sunnitischen Flügel, sich am "politischen Prozess" zu beteiligen, den die USA initiierte. Während sich einige Sunniten-Führer an den Verhandlungen für eine neue Verfassung beteiligten, sträubten sie sich, das Referendum über den resultierenden Entwurf im Oktober 2005 zu unterstützen, weil sie der Ansicht waren, dass hierdurch ein Tor für die regionale - statt der zentralen - Kontrolle über Iraks Erdölvorkommen geöffnet werde, und ihr Territorium verfügt über keine bedeutenden bekannten Erdölvorkommen. In Last-minute-Verhandlungen setzten die USA die Kurden und die Schiiten unter Druck zuzustimmen, dass sich das neue Parlament nochmals mit den verfassungsmäßigen Bestimmungen über die Verteilung der Macht befassen würde, einschließlich der Frage der Kontrolle über die Ölvorkommen. Infolgedessen beteiligten sich die Sunniten an den nationalen Wahlen im Dezember 2005.

Sobald die Wahlen vorüber waren, erklärte der Oberste Islamische Rat im Irak (OIRI - eine eng mit dem Iran verbundene Partei, unterstützt von den wohlhabenderen Schichten der irakischen Schiiten), dass er nicht bereit sei, irgendwelche größeren Zugeständnisse zu machen, um die Sunniten zu besänftigen. Die New York Times (12. Januar 2006) beschrieb dies als "ein Rezept für ein nationales Auseinanderbrechen und einen endlosen Bürgerkrieg. Es ist auch eine provokative Herausforderung Washingtons, das als Vermittler half, das ursprüngliche Versprechen bedeutender konstitutioneller Änderungen zu übermitteln".

Aber es sind nicht nur die Sunniten, die die zentralisierte Kontrolle des irakischen Öls wollen. Die Schiiten sind in dieser Frage tief gespalten. Die Unterstützer des Muktada as-Sadr, die, im Gegensatz zu den halbherzigen Kollaborateuren der OIRI, von Anbeginn in Opposition gegen die Besatzung waren, sind ebenfalls für die zentrale Kontrolle. Die Mahdi-Miliz von Sadr führte 2004 zwei große Kämpfe gegen die Besatzungskräfte, und seine Haltung als unversöhnlicher Gegner der Amerikaner hat ihn zur einflußreichsten politischen Figur unter den Schiiten gemacht, selbst im Süden, wo die OIRI ihre Basis hat. Sadrs Opposition zur Dezentralisierung ist zwar in theologische Begriffe gekleidet, kommt aber von der Tatsache, dass seine Bewegung ihre Wurzeln in den plebejischen schiitischen Massen in Bagdad hat, also in einem Gebiet ohne bedeutende Erdölvorkommen. Im September 2006 entschied sich das irakische Parlament für eine Verhüllungstaktik, indem es eine Entscheidung über die Frage um 18 Monate verschob, wonach jeder erwartet, dass der Status Quo hinweggefegt sein wird.

Im August 2006 zwang der unnachgiebige Druck der schiitischen Milizen 1.000 britische Soldaten, ihren Standort außerhalb der Stadt Amara aufzugeben:

"Lt. Col. David La Bouchere zufolge, dem Befehlshaber der Kampfgruppe der Queens Royal Hussars, wurden ungefähr 283 Mörsergranaten zwischen letztem März und August hineingefeuert.

Das Lager benötigte ständig Nachlieferungen durch etwa 160 LKW alle paar Wochen. Es war eine sehr dumme Situation; wir benötigten sechs bis sieben Kompanien Soldaten nur um den Standort zu schützen', sagte Lt. Col. La Bouchere. Die Antwort war, den Standort zu erlassen und sich auf eine beweglichere Streitkraft zu verlassen.' Als die Briten vor zwei Monaten abzogen, nannten die Offiziere das eine taktische Umgruppierung; die Menschen von Amara nannten es einen Rückzug."

--Guardian [London], 21. Oktober 2006

Sobald die Briten abgezogen waren, brach eine heftige Gebietsstreitigkeit zwischen den Badr-Brigaden der OIRI und Sadrs Mahdi-Miliz aus:

"In der Hauptstadt sitzen die beiden Gruppen gemeinsam als Mitglieder des parlamentarischen Blocks für die Einheit der Shia. Aber in Amara haben sie sich, seit die britische Armee ihre ständige Anwesenheit in der Stadt im August aufgegeben hatte, gegenseitig Schlachten geliefert. Beide Gruppen haben versucht, politisches Terrain zu besetzen, indem sie eine Reihe von Restriktionen nach Art der Taliban einführten, einschließlich dem Verbot von Musik bei Hochzeiten, getrennten Schulen, dem Schließen von Internet-Cafes und dadurch, dass Menschen gehindert werden westliche Satellitenprogramme anzusehen."

--Telegraph.co.uk, 12. November 2006

Der US-amerikanische Einfluß im Nahen Osten nimmt ab, und Washingtons arabische Verbündete werden in zunehmendem Maße unruhig. Trotz steter Verschlechterung der Situation, fährt der US-Oberbefehlshaber fort, scheinbar ohne Notiz von der Realität zu nehmen, weiterhin vom letztendlichen "Sieg" zu sprechen und er beharrt darauf, dass das Schicksal seines Wagnisses im Irak "von künftigen Präsidenten entschieden" werde.

Der kommunale Konflikt gerät außer Kontrolle

Die Strategie, eine zuverlässige Marionette zu bekommen, durch "die Manipulation des ilitärischen Machtgleichgewichts zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden, um sie zur Vereinbarung eines dauerhaften Kompromisses zu zwingen", wie Stephen Biddle in Foreign Affairs (März/April 2006) empfahl, setzt voraus, dass "den zugrundeliegenden Interessen aller lokalen Parteien durch einen konstutionellen Kompromiss sehr viel besser gedient wäre, als durch einen Krieg mit vollem Einsatz." Das mag auf dem Papier plausibel erscheinen, aber angesichts einer aus der Kontrolle geratenen Lage vor Ort wäre es erforderlich, die schiitischen Milizen zu zügeln, die beträchtlichen Einfluss im Innenministerium und bei den lokalen Polizeikräften haben. Es scheint unwahrscheinlich, dass sich die USA mit den Schiiten anlegen wollen, besonders da der sunnitische Aufstand, dessen Kämpfern viele der Angriffe auf schiitische Zivilisten angelastet werden, weiterhin an Boden gewinnt.

Im August 2006, als das amerikanische Militär erfolglos versuchte, den Aufschwung des mörderischen Sektierertums in Bagdad zu unterdrücken, räumte ein offizieller Sprecher des US-Verteidigungsministeriums ein, dass der "Aufstand nach allen Maßstäben schlimmer geworden ist, mit Rebellenangriffen auf historisch hohem Niveau", und er "hat mehr öffenliche Unterstützung und ist offensichtlich fähiger bezogen auf die Zahl aktiver Personen und der Fähigkeit Gewalt zu lenken als zu irgendeiner anderen Zeit" (New York Times, 17. August 2006). Große Bereiche des Landes, besonders in der Provinz al-Anbar, in der die Städte Haditha, Falludscha und Ramadi liegen, sind für US-Streitkräfte und deren Verbündeten fast völlig unbetretbar geworden. Die Washington Post (28. November 2006) berichtete, dass ein geheimer militärischer Bericht von Peter Devlin, einem Oberst der Marine, zu dem Schluss kam: "Das US-Militär ist nicht mehr in der Lage, einen blutigen Aufstand im westlichen Irak zu bezwingen."

Trotz allen Geredes über einen Rückzug der US-Streitkräfte aus dem Krieg, ist klar, dass in beiden Parteien der amerikanischen herrschenden Klasse Einigkeit über den Versuch besteht, eine dauerhafte militärische Anwesenheit in der Region aufrecht zu erhalten. Man hat die Hoffnung, dass US-Truppen aus Gebieten mit großem Widerstand, in Standorte außerhalb der urbanen Zentren abgezogen werden können, oder vielleicht sogar vollkommen außerhalb Iraks, aber nah genug, um eingreifen zu können, falls dies erforderlich ist. Wie dem auch sei, die Unfähigkeit des US-Militärs, sowohl die Rebellen als auch örtliche Milizen niederzuhalten, heißt wahrscheinlich, dass es hier um wenig mehr als das Scheitern des Plans geht. Mit teilweiser Ausnahme der Kurden, die ihre eigene Tagesordnung haben, haben die USA keine militärisch bedeutenden irakischen Verbündeten - die irakische Armee und die Polizei werden auseinanderbrechen, sobald die Amerikaner anfangen, sich zurückzuziehen. Wenn 150.000 imperialistische Truppen vier Jahre vergeblich versucht haben, einen Aufstand niederzuschlagen, der mit jedem Monat tödlichere Ausmaße annimmt, ist es schwer vorstellbar, wie irgendjemand denken könnte, der Rückzug in einige starke Bunker im Hinterland werde bessere Resultate erzielen, während es den Aufständischen gestattet sei, ihre Macht in den Städten und Zentren zu festigen und das Gebiet zu kontrollieren, durch das die Öl-Pipelines führen.

Das Pentagon hoffte, im Irak die US-"Stiefel am Boden" durch Luftstreitmacht zu ersetzen , wie es dies in den siebziger Jahren in Vietnam versucht hatte. In der Theorie könnte Unterstützung aus der Luft sogar einer mittelmäßigen Armee ermöglichen, über hochmotivierte, schlachtgestählte Gegner zu siegen. Aber Washington will irakischen Kommandanten, von denen viele gegenüber dem sunnitischen Aufstand oder den schiitischen Milizen loyal sind, nicht die Macht geben, den Befehl für Lufteinsätze geben zu können. Eine Alternative besteht in der Einbettung US-amerikanischer "Trainer" oder "Berater" in jede irakische Einheit mit der Berechtigung Ziele für die Zerstörung auszusuchen. Aber dies birgt das Risiko, dass amerikanische Offiziere von Mitgliedern der Einheiten, denen sie zugeordnet sind, getötet oder als Geiseln genommen werden.

Das Unvermögen des US-Militärs, den Sunniten-Aufstand zu unterdrücken, hat die Besatzung in ein totales und sehr kostspieliges Desaster verwandelt. Harvard Magazine (Mai-Juni 2006) berichtete, dass eine Studie von Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz und Harvards Linda Bilmes schätzte, dass der Irak-Krieg "die Amerikaner letztlich über 2 Billionen US-Dollar kosten wird". Vor der Invasion im Jahre 2003, veranschlagte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Gesamtkosten auf 50 bis 60 Milliarden US-Dollar, während sein Stellvertreter Paul Wolfowitz überzeugt war, dass irakische Öleinkommen fast alle Kosten abdecken würden. Die vielverkündete "Rekonstruktion" des Iraks erwies sich als lukrativ für eine Handvoll von Kumpanen von Bush und Cheney mit besten Verbindungen, versagte aber beim Wiederaufbau der Elektrizitäts- und Wasserversorgung des Irak, ebenso wie bei seinen Schulen, Krankenhäusern und andere öffentliche Dienstleistungen, auf das Niveau, das unter Saddam existierte.

Eine Studie über Todesfälle im Irak von einem Team der John-Hopkins-Universität in Baltimore, die 2006 in der Oktober-Ausgabe des prestigeträchtigen britischen Medizinjournals The Lancet veröffentlicht wurde, schätzte, dass sich seit 2003 eine Gesamtzahl von 655.000 "Exzess"-Todesfällen im Irak ereignet hätten. Weiter besagen die Schätzungen, dass 31 Prozent der gewaltsamen Todesfälle direkt den "Koalitions"-Streitkräften zuzuschreiben sind und dass mehr als 45.000 Iraker allein durch Luftschläge der Koalitionstruppen seit der Invasion im Jahre 2003 getötet wurden.

Das rücksichtslose Massaker an der nicht kämpfenden Bevölkerung, das im ganzen "sunnitischen Dreieck" stattgefunden hat, ist typisch für Situationen, in denen eine Besatzungsarmee, während sie es darauf anlegt, eine populäre Widerstandsbewegung zu zerschlagen, zur Ansicht kommt, dass die Zivilbevölkerung nicht mehr von den aktiven Aufständischen unterschieden werden kann. In einer Handvoll besonders gut dokumentierter Fälle, die die Medien aufgriffen, wurden Vorwürfe gegen US-Soldaten erhoben, jedoch wurde, wie im Fall des Folterskandals in Abu Ghraib, die gesamte Verantwortung einigen Soldaten niederer Ränge zugeschoben.

Der bürgerliches Defätismus wächst

Die offen defätistische Stimmung in Britannien, Amerikas einzigem bedeutenden Verbündeten im Irak, wurde besonders deutlich, als General Richard Dannatt, Chef des britischen Generalstabs, öffentlich feststellte, seine Truppen sollten "uns recht bald heraus [aus dem Irak] bringen, da unsere Anwesenheit die Sicherheitsprobleme verschärft" (Guardian [London], 13. Oktober 2006). Ähnliche Ansichten konnte man auch, weniger direkt, von einer zunehmenden Anzahl militärischer und politischer US-Offizieller hören, die zu dem Schluss gelangt sind, dass der Krieg nicht gewonnen werden könne. Im November 2005 sorgte John Murtha, der dienstälteste Demokrat im Verteidigungspolitischen Unterausschuss des Weißen Hauses, der lange als nichtoffizieller Repräsentant der Offiziere des Pentagon gedient hatte, für eine Sensation, als er zum Rückzug der amerikanischen Truppen bis zum Mai 2006 aufrief. Das brachte Bush zur Weißglut, der darauf einige Tage später, am 19. November, mit einer Rede in Südkorea reagierte:

"Die Terroristen sahen unsere Antwort nach den Angriffen von amerikanischen-auf amerikanische Truppen 1983 in Beirut und 1993 in Mogadischu. Sie schlossen daraus, dass Amerika dazu gebracht werden kann, wieder wegzurennen, nur dieses Mal in größerem Maßstab, mit größeren Konsequenzen. Die Terroristen liegen falsch; Amerika wird niemals wegrennen."

"Die Terroristen sehen den Irak als die zentrale Front in ihrem Krieg gegen die Menschlichkeit. Und wir müssen den Irak als die zentrale Front in unserem Krieg gegen die Terroristen erkennen."

"…Wenn sie nicht gestoppt werden, werden die Terroristen fähig sein, ihre Pläne umzusetzen, Massenvernichtungswaffen zu entwickeln, Israel zu zerstören, Europa einzuschüchtern und unseren Willen zu brechen und unsere Regierung bis hin zur Isolierung zu erpressen. Ich werde Ihnen dieses Versprechen geben: Das wird nicht während meiner Wache geschehen."

--www.whitehouse.gov

Bush gefällt sich anscheinend als ein Werkzeug Gottes:

"Nach den terroristischen Angriffen am 11. September 2001, sagte der ehemalige Offizielle, ihm wurde erzählt, dass Bush empfand, Gott hat mich hier hergebracht, um den Krieg gegen den Terror zu erledigen. Der Glaube des Präsidenten wurde durch den republikanischen Zuwachs in den Kongresswahlen 2002 gestärkt; Bush sah den Sieg als zielgerichete Mitteilung von Gott, dass er der Mann ist', sagte der ehemalige Offizielle. Öffentlich stellte Bush seine Wiederwahl als Referendum zum Krieg dar; privat sprach er von einer weiteren Bestätigung der göttlichen Bestimmung."

--The New Yorker, 5. Dezember 2005

Wenn er die Wahlen 2002 in der Mitte der Amtszeit als Bestätigung sah, dann kann man sich nur fragen, wie er die Resultate 2006 deutete. Die Bewohner von Bagdads befestigter "Grüner Zone" scheinen zu ahnen, dass die Dinge sich sehr schlecht entwickeln:

"Bis zum letzten Jahr war jeder ehrgeizige Angestellte und jeder Juniorfunktionär des Außenministeriums scharf darauf, mindestens ein sechsmonatiges Pensum dort [in Bagdads grüner Zone] zu absolvieren … Heute jedoch sind die gescheitesten und besten fort gegangen, was die Stimmung eines Ortes ergibt, der abgewickelt wurde…

Dort zu arbeiten, ist, als läge ein Albatross um den Hals der Menschen', sagte ein eingeweihter. Es fühlt sich an, als sei es egal wie viele Stunden pro Tag sie arbeiten; es wird keinen Unterschied machen. Und niemand möchte dabei sein, wenn sie am Ende per Hubschrauber ausgeflogen werden, im Saigon-Stil'".
--Telegraph.co.uk, 12. November 2006

Während des Jahres 2006 verschlechterte sich die Situation für die USA und ihre Verbündeten beträchtlich:

"Im Herbst 2005 erklärten die Generäle, die den Irak-Krieg führten, dem Armed Services Committee des Senats, dass ein stufenweiser Abzug der amerikanischen Truppen aus dem Irak unumgänglich sei.

Die amerikanische Truppenpräsenz, sagten General John P. Abizaid und General George W. Casey jr. zu dieser Zeit, schüre den Aufstand und fördere die Abhängigkeit unter den irakischen Sicherheitskräften und erweise sich als kontraproduktiv für das, was General Abizaid den langen Krieg' gegen den islamischen Radikalismus nannte.

In dieser Woche erklärte General Abizaid, Stabschef des Oberkommandos der Vereinigten Staaten, demselben Ausschuss, dass die amerikanischen Streitkräfte alles sein könnten, was einen alles umfassenden Bürgerkrieg im Irak verhindere, also wäre ein schrittweiser Truppenabzug ein Fehler … Die größte Gefahr sei jetzt, sagen sie, dass die Gewalt zwischen Schiiten und Sunniten Iraks Regierung zerstören und sich auf den ganzen Nahen Osten ausweiten könnte".

--New York Times, 18. November 2006

Ein blutiger kommunalistischer Bürgerkrieg im Irak könnte den Iran und die Türkei mit hineinziehen, sowie benachbarte sunnitische arabische Regime, und die gesamte Region in ein Inferno verwandeln. Die US-Bourgeoisie schwanke, völlig im Klaren, was ein Versagen im Irak bedeutete, zwischen dem Wunsch, sich davon zu machen (Schluss und nichts wie weg") mit so wenig Schaden wie möglich, und dem Wunsch, irgendwie eine Rezeptur zur Stabiliserung der Situation zu finden.

Die Unfähigkeit der USA, die Ereignisse am Boden zu kontrollieren, zeigt sich in den Versuchen der "souveränen Regierung" von Premierminister Nuri al-Maliki etwas Unabhängigkeit von ihrem Meister zu zeigen, indem sie die Tendenz der Okkupatoren zur Anwendung "exzessiver Gewalt" denunziert. Im Mai 2006 schlug Maliki vor, dass sich die "Koalitions"-Truppen bis Januar 2007 aus 16 der 18 Provinzen des Iraks zurückziehen sollten (BBC News, 23. Mai 2006). Im Juli 2006, nachdem aufgedeckt worden war, dass einige Monate vorher US-Soldaten in der Stadt Mahmudiyah ein 14jähriges Mädchen vergewaltigt und ihre Eltern und Schwester ermordet hatten, verurteilte das irakische Parlament dies einstimmig als Vergewaltigung "der Ehre alle Iraker". Maliki schlug vor, dass die Verantwortlichen nach irakischem Gesetz verurteilt werden sollten. Die US-Kommandatur wies dies sofort als Verletzung der Order 17 zurück, die 2004 von der Provisorischen Autorität der Koalition unter dem US-Statthalter Paul Bremer beschlossen wurde und fremdem militärischen Personal und dem von Vertragsfirmen Immunität gegenüber irakischen Gerichten garantiert.

Einige Wochen, nachdem das irakische Parlament das scheußliche Verbrechen in Mahmudiyah verurteilt hatte, charakterisierte es Israels Angriff auf den Libanon einstimmig als "kriminelle Aggression". In der Zwischenzeit denunzierten die von den USA abhängigen Staaten Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien die Hisbollah für ihr "Abenteuertum". Als Malikis Hauptverbündeter, Muktada as-Sadr, eine Demonstration von 100.000 in Bagdad organisierte um gegen den zionistischen Angriff zu protestieren, bemerkte die New York Times (20. Juli 2006):

"Der Groll der irakischen Regierung gegenüber Israel stellt eine der Begründungen von einigen Konservativen für die amerikanische Invasion im Irak in Frage - dass ein von den Amerikanern unterstützter demokratischer Staat hier unweigerlich zu einem Alliierten Israels werde und, dabei, zum Katalysator für einen Wandel in der übrigen arabischen Welt werde."

USA im Irak: Keine guten Optionen

Juan Cole, der führende amerikanische Experte zu den irakischen Schiiten, kommentiert, dass die gegenwärtige US-Sackgasse aus dem Versagen resultiere, "realistische und erreichbare" Ziele zu definieren:

"Ihr ursprüngliches politisches Ziel der Etablierung eines vereinigten Iraks mit einer Pro-US-Regierung, die Ölverträge auf einer vorteilhaften Grundlage für Houston abschließen würde, sich mit Israel verbinden und ein Sprungbrett für weiteren Druck der USA auf den Iran und Syrien bilden würde, ist vollkommen unrealistisch. [US-Vizepräsident] Cheneys Unfähigkeit, sich von jenen Zielsetzungen zu trennen, ist das größte Problem, das wir im Irak haben".

--"Informed Consent" blog, 28. November 2006

Am 24. Oktober 2006 kommentierte die New York Times in einem großen Leitartikel zum "Irak Desaster", dass "alle Pläne zur Vermeidung des Desasters einem Verzweiflungsschlag gleichkämen", d.h. fast hoffnungslos und aussichtslos seien:

"Egal was Präsident Bush sagt, die Frage ist nicht, ob Amerika im Irak gewinnen kann. Die einzige Frage ist, ob die Vereinigten Staaten sich herausziehen können, ohne einen endlosen Bürgerkrieg zu hinterlassen, der mehr Chaos und Leiden im Nahen Osten verbreiten wird, und dabei Terrorismus auf dem gesamten Erdball erzeugt.

Die Aussicht darauf, was nach einem Rückzug der US-Amerikaner geschehen werde, geistert durch die gesamte Debatte über den Irak. Die (Bush-)Administration hofft offensichtlich darauf, trotz aller Hinweise auf neue Strategien und Zeitpläne, zwei Jahre weiter zu schinden und das Problem auf Mr Bushs Nachfolger zu schieben"

Der Leitartikel schlug vor:

"Der Präsident sollte ein für allemal klarstellen, dass die Vereinigten Staaten keine permanenten Stützpunkte im Irak unterhalten werde. Die Menschen im Irak und im gesamten Nahen Osten brauchen ein starkes Zeichen, dass die Truppen nicht dort sind, um irgendwelche amerikanischen imperialen Ziele zu verfolgen"

Selbstverständlich ist das der einzige Grund, warum das US-Militär überhaupt irgendwo eingreift, und die Verfolgung "amerikanischer imperialer Ziele" ist der Grund für den Zwei-Parteien-Konsens über die unbestimmt lange Beibehaltung der US-Stützpunkte in der Region. Die Leitartikler der Times empfehlen lediglich, es sei besser sie als "temporäre" statt als dauerhafte Einrichtungen zu bezeichnen.

Schließlich hat die herrschende Klasse der USA drei deutliche und unappetitliche Optionen im Irak. Erstens, die Niederlage zuzugeben und ihre Truppen herauszuziehen. Das käme einem immensen historischen Rückschlag für den US-Imperialismus gleich, mindestens vergleichbar mit Vietnam. Dem US-Auszug würde ein Sog interkommunaler Gewalt folgen, der sich leicht zu einem breiteren Konflikt auswachsen könnte und die Türkei, den Iran und Saudi-Arabien und vielleicht sogar Jordanien und Ägypten einbeziehen könnte.

Selbst wenn ein regionaler Krieg abgewendet werden könnte, müßten Amerikas Vasallen im Nahen Osten zu irgendeiner Art von Übereinkommen mit dem Iran, der neuen regionalen Macht, kommen. Die Regime, die als eng mit den USA verbunden identifiziert werden, besonders Jordanien und Saudi-Arabien, könnten leicht implodieren. "Der Verlust" des Iraks würde das endgültige Ende der US-Hegemonie über das internationale System markieren, das sie am Ende des Zweiten Weltkrieges etablierte. Die herrschende Klasse der USA ist verständlicherweise widerwillig, ein solches Ergebnis zu akzeptieren.

Eine zweite Option für Washington wäre ein Abkommen mit Teheran - dessen Vorherrschaft im persischen Golf anzuerkennen und dabei irgendeine Art von speziellem Status für die USA und deren Abhängige zu verhandeln, sowie eine Vereinbarung zu treffen, damit amerikanische Ölkonzerne irgendeinen Zugang zu den Erdölressourcen des Iraks erhalten. Das würde den Status des Irans als Champion der islamischen Welt festigen, den Einfluß der USA in der Region verringern und die Regime schwächen, die am engsten mit ihnen verbunden sind. Ein umfassendes Abkommen mit dem Iran würde vermutlich Tel Aviv einschließen - mit Bedingungen, die einen Rückzug aus dem größten Teil der besetzten Gegenden, den Abbau der Apartheid-Mauer und die Anerkennung eines geteilten palästinensischen Kleinstaats einschließen würden, mit sehr viel mehr Eigenstaatlichkeit, als im Oslo-Abkommen 1993 oder in der "Road Map" 2002 vorgeschlagen wurden.

Eine dritte deutliche Alternative für die USA wäre, von Teheran zu verlangen, den eigenen Einfluss zu benutzen, um den Irak so zu stabilisieren, dass dies für Washington akzeptabel wäre oder einem Militärangriff entgegenzusehen. Die Vorbereitungen für einen solchen Angriff sind bereits vorgerückt, und die Geschichte über Irans angebliche Suche nach Kernwaffen ist weit publiziert worden. Unter Bush jr. widerriefen die USA ein früheres (wertloses) Versprechen, niemals Nuklearwaffen gegen Mächte ohne Kernwaffen zu benutzen, und sie haben ihre Bereitwilligkeit öffentlich bekannt gemacht, taktische Kernwaffen gegen unterirdische Bunker, Truppenkonzentrationen und ähnliche Ziele einzusetzen. Während Revolutionäre den reaktionären Theokraten in Teheran keinerlei politische Unterstützung gewähren, verteidigen sie den Iran gegen imperialistische Schikanen und unterstützen das Recht, wirkungsvolle Mittel zur Selbstverteidigung zu besitzen, und das schließt Nuklearwaffen ein.

Sogar bevor die Hisbollah im Juli und August 2006 bewies, dass die von iranischen Ingenieuren entworfenen Bunker, den größten und "smartesten" konventionellen Bomben im US-Arsenal widerstehen können, berichtete Seymour Hersh, dass die Spitzen des amerikanischen Offizierkorps dem Druck des Weißen Hauses für einen Angriff auf den Iran widerstanden:

"Innerhalb des Pentagons haben die führenden Kommandanten in zunehmendem Maße die Pläne des Präsidenten angezweifelt, laut den Angaben aktiver und pensionierter Offiziere und Offizieller. Die Generäle und Admiräle haben der (Bush)Administration dargelegt, dass die Bombenkampagne zur Zerstörung des iranischen Nuklearprogramms wahrscheinlich nicht erfolgreich sein werde. Sie haben auch gewarnt, dass ein Angriff zu ernsthaften wirtschaftlichen, politischen und militärischen Konsequenzen für die Vereinigten Staaten führen könnte."

--The New Yorker, 10. Juli 2006

Die Vorsitzenden der verbundenen US-Militärstäbe sind besorgt, dass Teheran die irakischen schiitischen Milizen mit Zehntausenden iranischer Kämpfer verstärken könnte und einen totalen Ansturm gegen die bereits überlasteten "Koalitions-"kräfte in Gang setzen könnte. Ein Angriff auf den Iran würde ferner den Nahen Osten entflammen und könnte sehr wohl zu massiven Volksaufständen führen, die zur Ersetzung der US-amerikanischen Partner durch islamistische Regime führen könnte.

Nur proletarische Revolution kann den Imperialismus ausmerzen!

Eineinhalb Dekaden imperialistischer Sanktionen und militärischer Aggression haben den Irak - einst das am weitesten säkularisierte und wirtschaftlich fortgeschrittenste Land der muslimischen Welt - in ein Tollhaus mörderischen Sektierertums und der Reaktion verwandelt. Kommunalismus und religiöser Fanatismus sind keine dauerhaften Eigenschaften der irakischen Gesellschaft - sie sind das direkte Produkt imperialistischer Intervention im Nahen Osten. Marxisten beziehen weder eine Seite im schändlichen Ablauf sektiererischer Gewalttätigkeiten, die den Irak umtreiben, noch in den Kabbeleien zwischen den sich bekämpfenden bürgerlichen Fraktionen. Aber Revolutionäre unterstützen militärisch gegen die imperialistische Besatzung durch neo-koloniale Kräfte gerichtete Schläge, unabhängig von ihrem politischen Charakter, von den sprengstoffbeladenen Lastwagen 1983 gegen amerikanische Marines und französische Fallschirmjäger in Beirut, über den Abschuss einiger Black Hawk-Hubschrauber der US-Ranger in Mogadischu bis zu den heutigen Angriffen auf Besatzungkräfte im Irak durch baathistische oder islamische Rebellen.

Die Bemühungen von vielen Tausenden irakischer Kämpfer, die sich am Kampf um die Austreibung der Invasoren beteiligt haben, und das binnen weniger Jahre, hat die leistungsfähigste Militärmaschinerie der Welt an den Rand der Niederlage gebracht. Und das ist gut so, denn der Imperialismus ist das größte Hindernis für die Befreiung der arbeitenden Menschen und der Unterdrückten in allen Ländern sowie das Hauptbollwerk aller Formen der Reaktion. Die Geschichte wird das Missgeschick der USA im Irak als kritische Episode beim unumkehrbaren Niedergang der - kurz gesagt - "einzigen Supermacht der Welt" vermerken.

Die sich abzeichnende US-Niederlage im Irak und das Wiederaufleben der afghanischen Taliban, deren Absetzung 2001 für ein Modell eines mühelosen "Regimewechsels" aus heiterem Himmel gehalten wurde, hat die Welt erinnert, dass technologische Überlegenheit und bloße Militärmacht nicht immer einen Sieg garantieren können. Die israelischen Verteidigungskräfte bekamen 2006 eine ähnliche Lektion von den Guerillakämpfern der Hisbollah im Südlibanon.

Die Wiederbelebung des "Vietnam Syndroms" in den USA macht ein neues militärisches Abenteuer in naher Zukunft weniger wahrscheinlich. Dennoch ist Krieg - einschließlich neo-kolonialer "Kriege für Prinzipien" - eine unvermeidliche und zwangsläufige Eigenschaft des Kapitalismus während der imperialistischen Epoche. Der grundlegende Faktor, der Washingtons misslungenes Glücksspiel im Nahen Osten erzeugte - seine sinkende ökonomische Stellung gegenüber den Hauptrivalen - ist durch die jüngsten Rückschläge noch verschlimmert worden. Andererseits hat sich die Position der europäischen und japanischen Imperialisten verbessert, die kein Interesse daran hatten, bei der Umwandlung des Iraks in eine amerikanische Ölkolonie zuzuschauen. Während der US-Einfluß schwindet und die Fähigkeit schrumpft, den einstigen Verbündeten den Weg vorzugeben, ist das Bühnenbild für zukünftige Konflikte fertig. Vor über 90 Jahren vermerkte der große russische Revolutionär Wladimir I. Lenin:

"Interimperialistische' oder ultraimperialistische' Bündnisse sind daher in der kapitalistischen Wirklichkeit, und nicht in der banalen Spießerphantasie englischer Pfaffen oder des deutschen Marxisten' Kautsky, notwendigerweise nur Atempausen zwischen Kriegen - gleichviel, in welcher Form diese Bündnisse geschlossen werden, ob in der Form einer imperialistischen Koalition gegen eine andere imperialistische Koalition oder in der Form eines allgemeinen Bündnisses aller imperialistischen Mächte. Friedliche Bündnisse bereiten Kriege vor und wachsen ihrerseits aus Kriegen hervor, bedingen sich gegenseitig, erzeugen einen Wechsel der Formen friedlichen und nicht friedlichen Kampfes auf ein und demselben Boden imperialistischer Zusammenhänge und Wechselbeziehungen der Weltwirtschaft und der Weltpolitik."

--"Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus", W. I. Lenin, 1916

Die Logik kapitalistischer Konkurrenz findet ihren Ausdruck im globalen Maßstab in der interimperialistischen Rivalität, die, in letzter Konsequenz, nur katastrophaler Krieg und nukleare Vernichtung der Menschheit bedeuten kann. Kapitalismus ist ein irrationales Gesellschaftssystem voll innerer Widersprüche, die nicht behoben werden können. Er kann nicht in ein System umgewandelt werden, das den Interessen der Menschheit dient. Er muss vollständig ausgemerzt und durch eine im Weltmaßstab organisierte Planwirtschaft ersetzt werden, deren Grundregel die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse ist statt der Maximierung privater Profite. Die Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, nicht zuletzt in den Vereinigten Staaten, muss eine lebenswichtige Rolle spielen, Seite an Seite mit den Arbeitern und unterdrückten Völkern der Neo-Kolonien, bei der Schaffung einer gleichberechtigten sozialistischen Weltordnung.

Das internationale Proletariat hat sowohl die soziale Macht als auch ein objektives Interesse, den revolutionären Kampf zur Befreiung der Menschheit vom Albtraum der räuberischen imperialistischen Herrschaft aufzunehmen. Um aber die massive Unzufriedenheit mit der kapitalistischen Weltordnung auf revolutionäre Zielsetzungen zu lenken, muss die Arbeiterklasse politisch mobilisiert werden. Dies kann nur durch eine revolutionäre Organisation erreicht werden. Die internationale Bolschewistische Tendenz hat sich dem Kampf verpflichtet, solch ein Instrument zu formen - eine Weltpartei der sozialistischen Revolution. Dies ist die vordringlichste Aufgabe, mit der die Menschheit heute konfrontiert ist.

Adaption von 1917 Nr.29 (Januar 2007)