Internationale Bolschewistische Tendenz (IBT) — Nieder mit Bushs Terrorkrieg! Verteidigt den Irak! Der Hauptfeind steht im eigenen Land. In: Bolschewik 12 (2003) Nr. 19., S. 1-7. — Version: 2023-04-10. — Geladen: 2024-03-28
URL: http:// bolshevik.org/deutsch/bolschewik/ibt_bol19_2003-01.html

Nieder mit Bushs Terrorkrieg! Verteidigt den Irak!

Der Hauptfeind steht im eigenen Land

George W. Bushs Erklärung vor der UN-Hauptversammlung vom 12. September 2002, dass die USA "keinen Groll gegen das irakische Volk hegen" war ein Signal, dass die weltstärkste Armee bald eine Mission durchführen will, die tausende, vielleicht zehntausende irakische Zivilisten das Leben kosten wird. Amerikanische und britische Kampfjets bombardieren irakische Einrichtungen seit über einem Jahrzehnt, während ein US-initiiertes Embargo Dialyse-Maschinen, Inkubatoren, Wassergewinnungsanlagen sowie Nahrungsmittel und Medizin blockiert. Die Sanktionen haben schätzungsweise anderthalb Millionen Iraker getötet aber Saddam Hussein nicht entmachtet, so dass Washington sich nun für einen "Regime-Wechsel" durch militärische Eroberung entschieden hat.

Saddam Hussein ist ein blutgetränkter Diktator, der tausende Iraker massakriert und gna denlos jegliche politische Opposition zerschlagen hat. In anderen Worten: Er ist ein typischer US-Alliierter der Dritten Welt. Amerika hat lange feudalistische Monarchien in Saudi Arabien, Marokko, Kuwait, Katar, Bahrain, Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt, ebenso wie Militärdiktaturen in Ägypten und Algerien. Der plötzliche Enthusiasmus, den Irak zu 'befreien' und der unwissenden Bevölkerung 'Demokratie' zu bringen, ist offensichtlich eine zynische Public Relations-Übung.

Ursprünglich sollte der Irak angegriffen werden, weil vermutlich Saddams Geheimdienstler ein paar Monate zuvor Mohamed Atta (den angeblichen Anführer der schrecklichen Anschläge vom 11. September) getroffen hatten. Als diese Geschichte unglaubwürdig wurde, begann das Weiße Haus, vor möglichen Gefahren durch chemische, biologische und nukleare Waffen zu warnen. Aber Scott Ritter, der ehemalige US-Marine, der die UN-Waffeninspektionen im Irak bis 1998 leitete, hält weder den Besitz, noch die Möglichkeit der Herstellung solcher Waffen, für wahrscheinlich.

Um ihre Haltung zu untermauern, hob die Bush-Gang Saddams Einsatz von Giftgas gegen iranische Soldaten und irakische Kurden in den 80er Jahren hervor. Was hierbei nicht erwähnt wird, ist die Tatsache, dass Iraks Programm zum Bau von "Massenvernichtungswaffen" ebenso wie das ursprüngliche Bin Laden-Netzwerk mit amerikanischer Unterstützung ins Leben gerufen wurde. 1980, kurz nachdem er die Macht übernommen hatte, bekam Saddam grünes Licht, die Islamische Republik Iran anzugreifen. Die Vereinigten Staaten lieferten geheimdienstliche wie logistische Unterstützung an den Irak, als der brutale Konflikt andauerte. Hussein hoffte durch die Niederlage des Iran den Irak zur vorherrschenden Kraft am ölreichen persischen Golf zu machen.

Washington hingegen wollte weder den Sieg des Irak noch des Iran und hoffte, durch eine Verlängerung des Konfliktes den Iran auszubluten und dadurch den Einfluss von Ajatollah Khomeinis "Islamischer Revolution" zu schwächen. Immer dann, wenn es so schien, als ob der Irak Oberhand im Konflikt gewänne, lieferten die Vereinigten Staaten dem Iran verdeckte Unterstützung. Die meiste Zeit war jedoch das irakische Militär durch die zahlenmäßig stärkeren und hochmotivierten iranischen Truppen unter Druck. Die USA halfen Saddam, chemische und biologische Waffen zu entwickeln, um die Lage auf den Schlachtfeldern auszugleichen.

"Das irakische Bio-Waffen-Programm, das George W. Bush vernichten will, begann vor zwei Jahrzehnten mit Hilfe von Uncle Sam."

"Das CDC [Center for Disease Control, in Atlanta ansässiges Zentrum für Krankheitskontrolle] und ein Unternehmen für biologische Muster, American Type Culture Collection, lieferten die Erbanlagen aller Keime, die der Irak zur Waffenproduktion nutzte, inklusive Anthrax, dem Bakterium, das Milzbrand produziert, und der Keime, die Gasbrand verursachen. Darüber hinaus bekam der Irak Muster von weiteren tödlichen Krankheitserregern, einschließlich des West-Nil-Virus."

"Der Handel kam in den 80ern zustande, als die Vereinigten Staaten den Irak gegen den Iran unterstützten. Sie wurden ausführlich in einem Bericht der Banken-Kommission des Senats von 1994 aufgezählt sowie in einem darauffolgenden Brief vom CDC an den Senat" (Associated Press, 2. 10. 2002).

Am 27. März 1984 berichtete die New York Times, dass Donald Rumsfeld, der amtierende US-Verteidigungsminister, Bagdad als Ronald Reagans Gesandter besucht hatte und "sich heute mit Iraks Außenminister getroffen hatte, um den Irak-Iran-Konflikt und andere Themen zu diskutieren". Die gleiche Ausgabe berichtete, dass die Vereinten Nationen festgestellt hatten, der Irak benutzte "chemische Waffen in Form von, aus der Luft abgeworfenen, Bomben" im Iran. Diese Waffen enthielten "Senfgas und Nervengas". Die Vereinigten Staaten waren weder darüber besonders besorgt, noch über die Nachricht, dass Saddams Streitkräfte in Halabja 5000 kurdische Zivilisten mit Giftgas ermordet hatten. Erst 1990, als amerikanische Truppen sich darauf vorbereiteten, in den Irak einzumarschieren, zeigten sich die Vereinigten Staaten besorgt über Saddams "Massenvernichtungswaffen" und drohten massive Vergeltung an, falls der Irak es wagen sollte, diese einzusetzen.

Der amerikanisch-britische Vorschlag: 'Invasion ohne Krieg'

Unter dem von den Vereinigten Staaten und Großbritannien inszenierten Druck stimmten die Iraker zu, UN-Waffeninspekteure wieder ins Land zu lassen. Das war ein wichtiges Zugeständnis, da weithin bekannt war, "dass amerikanische Spione verdeckt in Gruppen der UN-Waffeninspekteure arbeiteten" (New York Times, 07. 01. 1999). Washington war eindeutig durch Saddams Antwort irritiert, da sie die PR-Vorbereitungen auf den Krieg komplizierte. Daher konterte Washington, unterstützt durch Britannien, indem es einige Forderungen, die unannehmbar für Bagdad waren, vorschlug, um einen Vorwand für einen Angriff zu erhalten. Dies war die gleiche Taktik, die auch schon gegen die Serben in den "Friedensverhandlungen" von Rambouillet 1999 angewandt wurde, als die Vereinigten Staaten von den Jugoslawen forderten, den NATO-Truppen "uneingeschränkten Zugang" zu gewähren, um durch ihr Land zu streifen. Als Belgrad dies verweigerte, begann das Bombardement.

Die New York Times vom 2. Oktober 2002 berichtete:

"Die vorgeschlagene Resolution, vorbereitet durch die Vereinigten Staaten und Britannien, würde das Mandat der Inspekteure weit aufdringlicher machen, einschließlich des Aufbaus von Flug- und Fahrverbotszonen, gesichert von UN- oder US-Sicherheitskräften entlang der Routen, welche die Inspekteure nehmen würden, laut umfassender Auszüge, die die New York Times erhalten hat. Der Vorschlag fordert auch die Bewachung der Inspekteure durch 'genügend UN-Sicherheitskräfte' für ihre Sicherheit."

Robert Fisk fasste dies folgendermaßen zusammen:

"Washington kann Streitkräfte der USA (einem Mitglied des Sicherheitsrates) anfordern, um diese 'Korridore' durch den Irak – am Boden – zu 'erzwingen', wenn es will. US-Truppen wären dadurch im Irak. Das wäre eine Invasion ohne Krieg, das Ende von Saddam, 'Regimewechsel', das ganze Programm" (Independent (London), 04. 10. 2002).

Der 'befreite' Irak: Eine US-Öl-Kolonie

Während des Zweiten Weltkrieges drängten die Vereinigten Staaten auf eine Loslösung des verbliebenen Kolonialbesitzes ihrer europäischen Rivalen. Washingtons 'antikoloniales' Auftreten schaffte Vorteile für amerikanische Unternehmen, in Gegenden einzudringen, die vormalig für sie unzugänglich waren, während sie gleichzeitig ihr 'demokratisches' Image im ideologischen Wettstreit mit der UdSSR um die Köpfe und Herzen der kolonialen Massen aufpolieren konnten. Aber die Sowjetunion ist nicht mehr, und das Weiße Haus scheint zu dem Schluss gekommen zu sein, dass sein High-Tech-Militär die zeitlich unbegrenzte Eroberung von Iraks lukrativen Ölfeldern zu einem Unternehmen mit geringem Risiko machen wird:

"In der Anfangsphase wird der Irak durch den amerikanischen Militärkommandeur – vielleicht General Tommy R. Franks, Kommandeur der US-Streitkräfte im Persischen Golf, regiert werden …"

"Bis jetzt wurde angenommen, dass irakische Dissidenten von außer- wie innerhalb des Landes eine Regierung bilden würden, aber es war nie klar, wann sie die Kontrolle übernehmen werden."

"Heute ist zum ersten Mal deutlich geworden, dass die Regierung etwas diskutiert hat, was eine längere

Besatzung des Iraks durch Streitkräfte der Koalition, geführt durch die Vereinigten Staaten sein könnte" (New York Times, 11. 10. 2002)

Es ist klar, dass die US-Pläne, in den Irak einzumarschieren, wenig mit Saddam Hussein und seinem möglichen Arsenal zu tun haben:

"Als er gefragt wurde, was passieren würde, wenn der amerikanische Druck zu einem Staatsstreich gegen Präsident Hussein führen würde, antwortete ein wichtiger Beamter: 'Das wäre schön.' Aber der Beamte deutete an, dass das amerikanische Militär den Irak so oder so einnehmen und das Land sichern würde, nicht nur, um Massenvernichtungswaffen zu zerstören sondern auch um sich gegen die Anarchie nach Husseins Abgang abzusichern" (ebd.)

Deshalb entpuppt sich all das Gerede über 'Freiheit' und 'Demokratie' nur als das Ersetzen der irakischen Militärdiktatur durch eine amerikanische. Saddam Hussein ist ein grausamer Diktator, aber wenigstens wurde unter seiner Herrschaft mit irakischen Öleinnahmen in den 80ern ein bemerkenswertes Modernisierungsprogramm und eine beträchtliche Industrieentwicklung (das meiste davon ist seit den imperialistischen Angriffen zerstört worden) finanziert. Unter US-Besatzung wird Iraks natürlicher Reichtum zu den Aktienbesitzern und Kuponschneidern internationaler Ölkonzerne fließen. Die Imperialisten sorgen sich nicht um die Lebensqualität ihrer neokolonialen Untertanen. Sie bieten Todesschwadrone, keine Landreform.

Das Pentagon sieht in Afghanistan ein Modell der Kriegsführung für alle zukünftigen kolonialen Kriege, weil die Kombination von einheimischen Hilfstruppen und US-Luftherrschaft die Taliban mit minimalen amerikanischen Opfern besiegte. Die zu Tausenden getöteten afghanischen Zivilisten, die bei Bombardements und nachfolgenden 'Aufräum'-Operationen getötet wurden, werden achselzuckend als bloße 'Kollateralschäden' abgetan. Für die Überlebenden ist das Leben unter den sich befehdenden Warlords sogar noch schlimmer als unter den reaktionären Taliban, und es gibt wenig Aussicht, dass es sich in absehbarer Zukunft verbessern wird. Im ersten Siegesrausch sprach Bush großzügig von einem neuen "Marshall-Plan", um das zerstörte Land wieder aufzubauen, aber endete mit armseligen 300 Millionen US-Dollar, weniger als ein Fünftel dessen, was die USA zur Zeit jeden Monat ausgeben, um ihre Garnison in Afghanistan aufrechtzuerhalten.

Der Irak besitzt, im Gegensatz zu Afghanistan, wertvolle und leicht ausbeutbare Bodenschätze, so dass die Vereinigten Staaten eine längere und lukrativere Besatzung vorsehen:

"So lange die Koalitionspartner den Irak verwalteten, würden sie im Wesentlichen die zweitgrößten bekannten Ölreserven der Welt, nahezu 11 Prozent der gesamten Vorkommen, kontrollieren. Ein wichtiger Administrationsbeamter sagte, das UN-Programm Öl-für-Essen würde ausgeweitet, um Hilfe für die finanzielle Stabilisierung und den Wiederaufbau zu gewähren" (New York Times, 11. 10. 2002).

Wenn alles nach Plan verläuft, könnte Saudi-Arabien nach dem Irak das nächste Ziel sein, das einzige Land, das noch mehr Öl besitzt. Die Vereinigten Staaten besitzen bereits zahlreiche Basen im östlichen Teil Saudi-Arabiens, angeblich, um das Königreich vor einem irakischen Angriff zu schützen. Aber die Dinge verlaufen nicht immer nach Plan, wie die USA in den 60er Jahren in Vietnam herausfanden. Des weiteren führte in Somalia 1993 und im Libanon ein Jahrzehnt zuvor der Widerstand von einheimischen 'Terroristen' zum entwürdigenden Abzug amerikanischer Streitkräfte. Diese Rückschläge sind erwiesenermaßen nicht vergessen:

"Richard Armitage, der stellvertretende US-Staatssekretär entschied sich letzte Woche, die libanesische Hisbollah auf die von den USA erstellte Liste terroristischer Organisationen zu setzen. Mit einer vagen, unspezifischen Bezugnahme auf 291 [sic] getötete amerikanische Soldaten beim Selbstmordattentat auf eine US-Marines-Basis in Beirut 1983, merkte er an, dass 'sie auf der Liste sind, ihre Zeit kommen wird; das steht außer Frage. Sie haben eine Blutschuld bei uns'" (Independent (London), 11. 09. 2002).


US-Militärdoktrin: Nuklearer Erstschlag

Die Anmaßung eines amerikanischen Rechtes, 'Präventivschläge' gegen Länder zu führen, von denen Washington behauptet, dass sie versuchen chemische, biologische oder nukleare Waffen zu entwickeln, wird durch einen Rückzug aus den bestehenden internationalen Konventionen, welche die Entwicklung und Verbreitung solcher Waffen beschränken, begleitet. Die meisten dieser Abkommen wurden ursprünglich von führenden US-Politikern entworfen, um die Ausbreitung zu verhindern und existierende Vorteile der USA zu sichern. Heutzutage weist sie das Weiße Haus als eine Beschneidung der amerikanischen Souveränität zurück, genauso wie das Kyoto Protokoll über globale Erwärmung, den Internationalen Strafgerichtshof und den Anti-Ballistic-Missile-Vertrag zur Kontrolle von Raketenabwehrsystemen.

Das Zelebrieren einer offenen imperialen Rolle der Vereinigten Staaten in der Dritten Welt beinhaltet die Drohung, jedes andere Land davon abzuhalten, jemals auch nur in die Nähe eines militärischen Gleichstands zu kommen. In seinem Bericht an den Kongress vom 20. September 2002 verkündete Bush: "Unsere Streitkräfte werden stark genug sein, um allen möglichen Gegnern davon abzuraten, einen militärischen Aufbau zu betreiben, in der Hoffnung, die Macht der Vereinigten Staaten einzustellen oder zu übertreffen." Wie der Versuch, Kontrolle über die Ölreserven des Persischen Golfs zu erlangen, ist dies an die europäischen und japanischen Rivalen gerichtet. In der Septemberausgabe des Foreign Affairs fasst Michael Hirsh schonungslos die neue Politik als "Neoimperialismus" zusammen:

"Diese Ansicht hält daran fest, dass die unilaterale Durchsetzung von Amerikas konkurrenzloser militärischer Macht das vorrangige Mittel sei, um nicht nur den Kampf gegen den Terror zu gewinnen, sondern um auch die amerikanische Herrschaft unbegrenzt zu sichern, großenteils uneingeschränkt durch das internationale System oder die diplomatischen Forderungen anderer Nationen. Ursprünglich aus dem rechten Flügel der Entspannungsgegner in den 70ern kommend, sind die Bush-Hegemonisten der Ansicht, dass Amerika zu lange ein globaler Gulliver gewesen sei, der von Liliputanern gefesselt wurde – den Normen und Institutionen des globalen Systems. Sie sehen ihre Sicht der US-Vormachtstellung gestärkt durch den Zusammenbruch der Sowjetunion von 1991 und den der Taliban ein Jahrzehnt später …"

Jay Bookman von der Atlanta Journal-Constitution beschrieb Bushs Doktrin als "einen Plan für permanente US-Vorherrschaft von Militär und Ökonomie in jeder Region der Welt" durch "eine völlige Expansion unserer militärischen Präsenz." Er schreibt, dass der kommende Krieg gegen den Irak:

"den Zweck hat, das offizielle Hervortreten der Vereinigten Staaten als ein vollentwickeltes globales Empire, das die alleinige Verantwortung und Autorität als Weltpolizist übernimmt, zu markieren. Es wäre der Höhepunkt eines seit 10 oder mehr Jahren verfolgten Plans, ausgeführt von jenen, die glauben, die Vereinigten Staaten müssten die Gelegenheit für globale Dominanz nutzen, selbst wenn es bedeutet, die 'amerikanischen Imperialisten' zu werden, als die unsere Feinde uns immer bezeichnet haben."

"Wenn dies erst einmal verstanden ist, lösen sich die anderen Mysterien von selbst. Zum Beispiel erscheint die Regierung unbesorgt über eine Strategie für einen Auszug aus dem Irak, wenn Saddam erst einmal gestürzt ist?"

"Weil wir nicht gehen werden. Wenn wir den Irak erobert haben, werden die Vereinigten Staaten dauerhafte Militärbasen in diesem Land errichten, von wo aus sie den Mittleren Osten, einschließlich des benachbarten Iran, dominieren." (Atlanta Journal Constitution, 29. 09. 2002)

Risse im Riesen

Im Gegensatz zu den 'Anti-Globalisierungs'-Theoretikern, die von der angeblichen Ohnmacht der Regierungen angesichts eines unerbittlichen Prozesses globaler ökonomischer Integration schwafeln, demonstriert die gegenwärtige US-Kampagne gegen den Irak, dass wirtschaftliche ebenso wie militärische und politische Macht letzten Endes durch Nationalstaaten ausgeübt wird.

Frankreich und Deutschland sind offen ungehalten wegen des amerikanischen Versuchs, die nahöstliche Ölproduktion zu kontrollieren. Nur sind die USA zur Zeit zu stark, um offen herausgefordert zu werden. Als Mitglieder der Sozialistischen Partei vorschlugen, Frankreich solle sein Veto im Sicherheitsrat einsetzen, um die UN-Unterstützung für jeglichen Angriff auf den Irak zu blockieren, antwortete der französische Außenminister, Dominique de Villepin:

"Wenn Frankreich dieses Veto erhebt, würde es uns des Einflusses und der Möglichkeiten berauben, Teil des internationalen Spiels zu sein" (New York Times, 09. 10. 2002).

Das "Spiel" ist die Aufteilung des Iraks nach seiner 'Befreiung':

"Regierungsquellen sagen, sie fürchten, dass Frankreich – abgesehen von bestehenden Konzessionen – von der Beute abgeschnitten werden könnte, wenn es den Krieg nicht unterstützt und eine bedeutende militärische Präsenz zeigt. Wenn es zum Krieg kommt, ist Frankreich entschlossen, eine renommiertere Rolle in den Kämpfen zu spielen als im Golfkrieg 1991, in dem ihre Hauptrolle darin bestand, nur schwach verteidigte Gebiete zu besetzen. Verhandlungen zwischen der staatlichen TotalFinaElf-Gesellschaft und den USA über die Aufteilung der Ölregionen unter die großen Firmen der Welt werden fortgesetzt."

"Washingtons räuberisches Interesse am irakischen Öl ist klar, was auch immer die politischen Bekenntnisse über die Kriegsgründe sein mögen. Der Bericht über die Nationale Energiepolitik der USA – bekannt als der 'Cheney-Report', ehemals einer von Amerikas reichsten und einflussreichsten Magnaten der Ölindustrie – verlangt, als Priorität den amerikanischen Zugang zu den Vorräten des Persischen Golfs zu erleichtern" (Observer (London), 06. 10. 2002).

Die gewinnsüchtigen Kalkulationen über Iraks Zukunft sind so durchsichtig, dass selbst die New York Times am 9. Oktober 2002 zugibt: "Die Idee, dass das amerikanische Verlangen nach Öl das vorherrschende Motiv für den Krieg gegen den Irak ist, war ein beharrliches Thema in der Weltmeinung der vergangenen Wochen." Trotz des Traras, der den Jahrestag des "11. September" begleitete, und eines ununterbrochenen Sperrfeuers an Kriegspropaganda in den Medien, gibt es wenig populären Enthusiasmus unter Amerikanern für einen Angriff auf den Irak. Saddam wird einfach von Millionen Arbeitern, die weitaus mehr um Jobs und Renten besorgt sind, nicht gerade als besondere Gefahr erachtet. Zur Zeit ist jedoch der Widerstand weitgehend auf die Universitäten beschränkt. Die vorherrschende Stimmung scheint zu sein, dass Bush seinen Krieg haben kann, wenn er will. Er sollte nur weder zu viele amerikanische Opfer kosten noch der Wirtschaft schaden. Wenn die Dinge schief laufen, kann der heimische Widerstand gegen ein gescheitertes Abenteuer schnell anwachsen.

Das Weiße Hause ist besorgt über die weitverbreitete öffentliche Skepsis bezüglich der "Gefährlichkeit" des Irak und stützt sich auf US-Geheimdienste, um Einschätzungen zu produzieren, die ihre Public-Relations-Kampagne unterstützen. Dies hat Berichten zufolge Verstimmungen verursacht:

"'Frisierte Informationen haben ihren Weg in hochrangige Erklärungen gefunden, und da gibt es eine Menge Unzufriedenheit darüber in den Nachrichtendiensten, besonders unter den Analysten des CIA', sagte Vincent Cannistraro, der ehemalige Chef der CIA-Gegenspionage" (Guardian (London), 09. 10. 2002).

Wichtige Elemente der amerikanischen Bourgeoisie haben ihrer Meinung Ausdruck verliehen, dass die "Alleingangs"-Pose gegen den Irak rücksichtslos und unnötig sei. Brent Scowcroft, Nationaler Sicherheitsberater von George Bush Senior, ging mit seinen Vorbehalten am 15. August 2002 im Wall Street Journal an die Öffentlichkeit. Andere Dissidenten sind General Wesley Clark, ein ehemaliger NATO-Kommandeur, General Anthony Zinni, ehemaliger Chef der Nahost-Kräfte und George Tennet, der Direktor des CIA. Sie haben nichts dagegen, dass die USA sich des irakischen Öls bemächtigen, aber sie denken, dass es dezenter und mit mehr internationaler Deckung erfolgen sollte. 'Heiße' Kriege haben ihre Risiken, und es ist denkbar, dass Bush Junior und seine Bande vielleicht vor einer tatsächlichen Invasion anhalten, wenn sie genug Einfluss in der Region durch bloße Drohungen erlangen.

Bushs Krieg gegen Linke, Arbeiter und Minderheiten

Imperialistischer Chauvinismus geht Hand in Hand mit Angriffen auf demokratische Rechte zu Hause. Von Flugverbotslisten bekannter Anti-Kriegs-Aktivisten, über 'präventive' Festnahmen friedlicher Demonstranten, bis zum Aufbau eines Korps ziviler Regierungsspitzel benutzt die Bush-Regierung das 'Terrorismus'-Schreckgespenst für einen umfassenden Angriff auf bürgerliche Freiheiten. Die offizielle Fremdenfeindlichkeit trifft Minderheiten, Immigranten und Arbeiter ohne Papiere besonders hart, speziell wenn diese aus dem Mittleren Osten kommen. Aber Arbeiterorganisationen sind die wichtigste Zielscheibe des aktuellen Strebens nach 'nationaler Sicherheit'

Den angeblichen 'nationalen Notstand' als Vorwand nutzend will die republikanische Regierung 170.000 Regierungsangestellte, die für die neue 'Heimatschutz'-Abteilung vorgesehen sind, ihrer kollektiven Tarifverhandlungsrechte berauben. Wenn das durchkommt, wird der nächste Schritt sein, die anderen Bundesangestellten anzugreifen und herabzusetzen, die bald auf den Status von Landes- und Kommunalangestellten herabsinken würden. Inzwischen beteiligt sich das Weiße Haus an der Seite der Reedereien und einer Reihe großer Einzelhändler in einer sorgfältig inszenierten Attacke auf die International Longshore and Warehouse Union (ILWU; Internationale Häfen- und Lagerhausgewerkschaft). In einem Artikel vom 14. Oktober 2002 schreibt David Bacon, ein bekannter kalifornischer Arbeiterreporter:

"Trotz der Tatsache, dass sie selbst die Tore ihrer eigenen Terminals verschlossen hatten, fand die Bush-Regierung einen Bundesrichter, der die Gewerkschaft dazu verurteilte, 80 Tage lang ohne Unterbrechung unter dem alten Vertrag zu arbeiten."

"Der juristische Antrag der Regierung zur Verteidigung ihrer Aktion brachte eine erschütternde neue Philosophie zum Ausdruck, ausgearbeitet von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Er behauptet, das alle kommerzielle Fracht als militärisch wichtig eingestuft werden könne, nicht nur jene speziellen Güter, die für den auswärtigen militärischen Gebrauch vorgesehen seien. Jede Arbeitsunterbrechung auf den Docks sei daher eine Bedrohung der nationalen Sicherheit. 'Das Verteidigungsministerium ist zunehmend auf kommerzielle Dinge und Leistungen angewiesen, um seine Anforderungen zu erfüllen', sagte er. 'Rohstoffe, medizinische Ausrüstung, Ersatzteile ebenso wie die alltägliche Versorgung unserer bewaffneten Kräfte stellen nur einen Teil der lebenswichtigen militärischen Fracht dar, die von kommerziellen Vertragspartnern geliefert und üblicherweise nicht als militärische Fracht bezeichnet wird.'"

Dies bedeutet, die faktische Militarisierung der Docks vorzuschlagen – was die bloße Existenz der ILWU gefährden würde. Ein erfolgreicher Angriff auf diese mächtige und kämpferische Gewerkschaft wäre ein Signal für die allgemeine Attacke gegen alle anderen Gewerkschaften – genau wie die billigen Siege gegen Jugoslawien und Afghanistan den Weg bereiteten, für Bushs drohenden Krieg gegen den Irak. Die Verteidigung der ILWU und der Gewerkschaften der zivilen Bundesbehörden ist von vitalem Interesse für jeden amerikanischen Arbeiter. Sozialisten in der amerikanischen Arbeiterbewegung versuchen, die Verbindung aufzuzeigen zwischen den Angriffen zu Hause auf demokratische Freiheiten und Gewerkschaftsrechte und den auswärtigen Angriffen auf den Irak und andere Neokolonien. Angesichts des drohenden Kriegs gegen den Irak müssen klassenbewusste Arbeiter in den imperialistischen Ländern versuchen, alle Mittel des Klassenkampfes anzuwenden, einschließlich politischer Streiks, um die Kriegstreiberei ihrer 'eigenen' Herrscher zum Entgleisen zu bringen.

Proletarischer Internationalismus statt Sozialpazifismus!

Verschiedene pseudo-marxistische Organisationen wie die Internationale Sozialistische Tendenz (in Deutschland: Linksruck) und das Komitee für eine Arbeiterinternationale (KAI; in Deutschland: Sozialistische Alternative Voran – SAV) befürworten Anti-Imperialismus zwar im Kleingedruckten eines Teils ihrer Propaganda, konzentrieren sich aber in ihrer Praxis darauf, "breite" (d.h. klassenübergreifende) Koalitionen auf einem simplen "Stoppt den Krieg"-Programm zusammenzuschustern. Das führt unvermeidlich zur politischen Anpassung an populäre Illusionen in die 'fortschrittlicheren' Imperialisten. Die September-Ausgabe von Socialism Today der KAI schlägt zum Beispiel vor, die Demokraten, eine der Zwillingsparteien des Rassismus und des imperialistischen Krieges in den USA, sollten Bush entschiedeneren Widerstand leisten:

"Als kurzsichtigen Opportunisten mangelt es ihnen [den Demokraten] an politischer Courage vor den verheerenden Rückwirkungen eines Irak-Krieges. Sie geben keine Führung bei der Mobilisierung von Massenwiderstand gegen einen militärischen Präventivschlag, der amerikanische Verluste und blutige Folgen für die Völker des Irak und der Nachbarstaaten bringen wird."

Es ist schwer, sich etwas Lächerlicheres vorzustellen als selbsternannte Sozialisten, die imperialistische Politiker dafür denunzieren, dass sie den Kämpfen gegen imperialistische Aggression keine Führung bieten. Der imperialistischen Kriegsmaschine kann nur dann ernsthafter Widerstand entgegengesetzt werden, wenn die Arbeiterklasse erfüllt wird von dem Verständnis, dass ihre historischen Interessen denen ihrer Herrscher entgegengesetzt sind und dass ihr Schicksal mit den unterdrückten Massen der Neokolonien eng verbunden ist.

Die Idee, einfach eine Bewegung aufzubauen, die von den Imperialisten verlangt, "den Krieg zu stoppen" übersieht die Tatsache, dass Kriege aus verschiedenen Gründen beendet werden – einige als Sieg, andere als Niederlage. Pazifisten lehnen Krieg generell ab, aber Marxisten beziehen eine Seite in Konflikten zwischen imperialistischen Räubern und ihren Opfern. Revolutionäre wollen die Niederlage der Imperialisten in ihren Aggressionskriegen gegen unterdrückte Völker. Deshalb lehnen wir die vereinfachende Gleichsetzung von Saddam Hussein und George W. Bush ab, wie sie von Anarchisten im Rahmen ihrer Politik der "Pest auf beide Häuser" vertreten wird. Wenn sie den Irak verteidigen, geben Marxisten Saddam Hussein keinerlei politische Unterstützung. Aber wir bestehen darauf, dass es der Job der irakischen Arbeiter und Unterdrückten und nicht der Imperialisten ist, das diktatorische Ba'ath-Regime zu stürzen.

Die Aufgabe von Marxisten ist es, einen Ausweg zu zeigen aus den Schrecken der Armut, Brutalität und Ausbeutung, die dem Kapitalismus zu eigen sind. Der erste Schritt ist zu erkennen, dass die zentrale Achse des Kampfes für die Befreiung der Menschheit nicht entlang der Linien von Nation, Religion, Geschlecht, Rasse oder Ethnizität sondern gesellschaftlicher Klassen verläuft. Die Ausbeuter und ihre Anhänger haben Interessen, die denen der Arbeiter und Unterdrückten diametral entgegenstehen. Amerikanische Arbeiter haben objektiv viel mehr gemein mit gewöhnlichen Irakern als mit Cheney, Rumsfeld, Bush und deren gleichen. Ein Rückschlag für die US-imperialistischen Aggressoren im Irak wird die Position der amerikanischen Arbeiterbewegung stärken, genauso wie die Umwandlung des Irak in ein US-Protektorat sie schwächen wird.

Das multirassische amerikanische Proletariat ist ein möglicher mächtiger Verbündeter der Arbeiter und Unterdrückten der neokolonialen Welt. Wenn sie gegen den amerikanischen Imperialismus auftreten, bekämpfen Marxisten deshalb zugleich den Antiamerikanismus – die Ideologie der nationalistischen Demagogen in den imperialistischen Rivalen Amerikas und den Neokolonien. Die soziale Befreiung der unterdrückten und ausgebeuteten Massen des Mittleren Ostens, Lateinamerikas, Afrikas und Asiens ist untrennbar verbunden mit dem Kampf für die sozialistische Reolution im imperialistischen Herzland. Das ist die Perspektive, mit der revolutionäre, internationalistische Arbeiterparteien in jedem Land aufgebaut werden müssen – einschließlich der Vereinigten Staaten, der Zitadelle der imperialistischen Reaktion. Es gibt einfach keinen anderen Weg vorwärts für die Menschheit in dieser Epoche der Kriege und Revolutionen.

Internationale Bolschewistische Tendenz

22.Oktober 2002