Thesen über Irland

Das Internationale Exekutivkomitee der iST hat die hier veröffentlichten Thesen über Irland am 5. August 1977 angenommen. Sie sind das Ergebnis der politischen Arbeit, die die iST den komplexen Problemen der nationalen Frage bei geographisch vermischten Völkern gewidmet hat. Als solche halten diese Thesen die bedeutenden Erweiterungen und Verbesserungen fest, die die iST in ihrer programmatischen Herangehensweise an die irische Frage in den letzten Jahren vorgenommen hat. Initiiert wurden die Thesen auf der Grundlage von Diskussionen, die in der London Spartacist Group im Herbst 1976 über die irische Frage geführt wurden.

1. Die gegenwärtige Situation und die gesellschaftlich-politischen Strukturen in Irland sind das Ergebnis einer Jahrhunderte währenden brutalen Herrschaft des britischen Imperialismus. Sie enthalten Züge, die für die Vielvölkerstaaten Osteuropas charakteristisch sind, aber auch für die kolonialen Siedlerstaaten, die ihre eigene Wirtschaftsordnung durch die Austreibung oder Vernichtung der einheimischen Bevölkerung errichteten sowie für Kolonien, in denen die einheimische Bevölkerung durch die relativ dünne Schicht einer kolonialen Beamtenhierachie ausgebeutet und unterdrückt wird.

Da es keinen bedeutenden Teil der irischen Arbeiterklasse gibt der sich historisch jemals von nationaler bzw. „kommunaler“ Unsicherheit befreit hätte, ist das Ergebnis eine augenscheinlich verfahrene Situation, in der die Aussichten auf die Entwicklung einer echten klassenkämpferischen Achse und auf ein Ende des Teufelskreises imperialistischer Ausbeutung, Unterdrückung und „kommunaler“ Gewalttätigkeit sehr gering zu sein scheinen. Es ist sehr gut möglich, daß eine gerechte, demokratische, sozialistische Lösung in Irland nur unter dem Einfluß proletarischer Revolutionen außerhalb Irlands, ja konkret durch die Bajonette einer Roten Armee gegen den Widerstand eines großen Teils einer oder beider Volksgruppen der Insel herbeigeführt werden könnte.

Unabhängig davon, wie gerechtfertigt eine düstere Prognose für die nächste Zukunft sein mag, ist der Konflikt in Irland trotzdem ein entscheidender Testfall für die Fähigkeit einer revolutionären internationalistischen Tendenz, analytische und programmatische Klarheit zu beweisen und die nationale Frage in der imperialistischen Epoche richtig anzugehen. Für Revolutionäre, die nicht mit den (letztendlich zum Völkermord führenden) Vereinfachungen der Nationalisten hausieren gehen wollen, kann die Situation außerordentlich komplex und verfahren erscheinen. Die „irische Frage“ bestätigt überzeugend die einzigartige revolutionäre Potenz und Relevanz des Verständnisses vom Leninismus, wie es die internationale Spartacist Tendenz besitzt, hier besonders im Verhältnis zu geographisch vermischten Völkern.

2. Ein wesentlicher Bestandteil unseres Programms ist die Forderung nach dem sofortigen, bedingungslosen Abzug der britischen Armee. Der britische Imperialismus brachte der Insel jahrhundertelang Ausbeutung, Unterdrückung und Blutvergießen. Von der britischen Präsenz kann nichts Gutes kommen; die bestehende Verbindung zwischen Nordirland und dem britischen Staat kann der irisch-katholischen Bevölkerung nur Unterdrückung bringen; sie ist damit eine Barriere für eine proletarische Klassenmobilisierung und für eine Lösung im Sinne des Proletariats. Wir stellen zur Erfüllung dieser Forderung nach dem sofortigen Abzug aller britischen Militärkräfte keine Vorbedingungen noch verwässern wir ihren kategorischen Charakter dadurch, daß wir Vorschläge für ihre schrittweise Erfüllung unterbreiten (wie z. B. einfach zu fordern, die Armee solle sich in ihre Kasernen oder aus proletarischen Bezirken zurückziehen).

Gleichzeitig betrachten wir die Forderung weder als Synonym oder konkrete Anwendung der Forderung nach irischer Selbstbestimmung (d. h. ein einheitlicher Staat für die ganze Insel) noch der nach einem unabhängigen Ulster zwei Lösungen, die im Rahmen des Kapitalismus antidemokratisch wären, im ersten Fall gegenüber den Protestanten, im zweiten gegenüber den irischen Katholiken. Noch reicht die Forderung nach dem Abzug der britischen Truppen allein aus so als wären Inhalt und Folge dieser Forderung automatisch revolutionärer Natur.

Wie der hervorragende britische bürgerliche Historiker A.J.P. Taylor in einem Interview bemerkte:

„Ich weiß nicht, was der Ausdruck Blutbad heißen soll. Soll er heißen, daß Leute getötet werden? Nun, sie werden seit eh und je getötet. Die Alternative besteht nicht zwischen einem völlig friedlichen Nordirland, in dem niemand getötet wird, und einem Nordirland, in dem viele Leute getötet werden. Falls die Briten abziehen würden, würde es zu irgendeiner Lösung kommen. Zu welcher kann man im voraus nicht sagen; denn die Kräfte, die im Spiel sind, können erst eingeschätzt werden, wenn sie in Aktion treten …
… die Anwesenheit der britischen Armee in Irland verlängert die Dauer des Konflikts und der Unsicherheit …
Dies [die Möglichkeit eines vereinigten Irlands] ist eine Frage relativer Stärke. Aufgrund der Geschichte der letzten dreißig Jahre oder vielleicht länger, aufgrund der Geschichte seit 1885, als Randolph Churchill Winstons Vater als erster den Ruf .Ulster will fight and Ulster will be right' erhob, in den letzten neunzig Jahren also hat man den Protestanten Nordirlands beigebracht, sich selbst als ein separates Gebilde, fast als eine separate Nationalität innerhalb Irlands zu begreifen; sie haben jetzt eine langfristige Herrschaft in Nordirland errichtet, teilweise aufgrund ihrer überlegenen ökonomischen Stärke, teilweise aufgrund der Unterstützung, die sie von der britischen Regierung erhalten haben, und teilweise weil sie die Entschlosseneren sind, oder es bis jetzt gewesen sind. Für sie ist die protestantische Vorherrschaft die Antwort auf die Situation in Nordirland.“ (Troops Out Nr. 2)

Wie die Beispiele aus der Geschichte Indiens, Libyens, Zyperns und Palästinas zeigen, sichert der Abzug des britischen Imperialismus wenngleich notwendiges Ziel der kommunistischen Avantgarde an sich nicht automatisch das Vorwärtsschreiten in eine revolutionäre Richtung. So muß die Forderung nach dem sofortigen Abzug der britischen Armee aus Nordirland mit dem vollen revolutionären Programm verbunden und Teil desselben sein.

3. Als Leninisten sind wir gegen jede Form nationaler Unterdrückung und nationaler Vorrechte und treten für die Gleichberechtigung der Nationen ein. Lenin legte 1913 kurz und bündig die fundamentalen Prinzipien dar, die der revolutionären sozialdemokratischen Position zur nationalen Frage zugrunde liegen:

„Als Demokraten sind wir unbedingt gegen jegliche, selbst die geringste Unterdrückung irgendeiner Nationalität, gegen jegliche Privilegien der einen oder anderen Nationalität. Wir fordern als Demokraten die freie Selbstbestimmung der Nationen in der politischen Bedeutung dieses Wortes (siehe das Programm der SDAPR), d. h. die Freiheit der Lostrennung. Wir fordern unbedingte Gleichberechtigung aller Nationen im Staat und unbedingten Schutz der Rechte jeder nationalen Minderheit. Wir fordern weitgehende Selbstverwaltung und Autonomie der einzelnen Gebiete, die unter anderem auch nach nationalen Merkmalen abzugrenzen sind.“
— Lenin, „Entwurf einer Plattform zum 4. Parteitag der Sozialdemokratie Lettlands“, Werke, Bd. 19

Das Recht auf Selbstbestimmung bedeutet also einfach das Recht, einen separaten Staat zu errichten, das Recht auf Lostrennung. Wir weisen die Vorstellung zurück, daß es „Freiheit von jeder Einmischung und Kontrolle von außen“ bedeutet oder ökonomische Unabhängigkeit mit sich bringt. Im allgemeinen Sinne ist das Recht auf Selbstbestimmung an keine Bedingung geknüpft und unabhängig von dem Staat, der entsteht, oder dessen Führung. Dieses Recht ist für Leninisten jedoch keine absolute Forderung, kein kategorischer Imperativ, den es gilt jederzeit und überall, wo es eine Nation gibt, in die Tat umzusetzen. Es ist nur eine in einer ganzen Reihe von bürgerlich-demokratischen Forderungen; es ist ein dem Ganzen untergeordneter Teil der gesamten Programmatik. Wenn die besondere Forderung nach nationaler Selbstbestimmung zu wichtigeren Forderungen oder den allgemeinen Erfordernissen des Klassenkampfes in Widerspruch gerät, dann sind wir gegen ihre Durchsetzung. Wie Lenin feststellt:

„Die einzelnen Forderungen der Demokratie, darunter das Selbstbestimmungsrecht sind nichts Absolutes, sondern ein kleiner Teil der allgemein-demokratischen (jetzt: allgemein-sozialistischen) Weltbewegung. Es ist möglich, daß in einzelnen konkreten Fällen der Teil dem Ganzen widerspricht, dann muß man den Teil verwerfen.“
— „Die Ergebnisse der Diskussion Selbstbestimmung“, Werke, Bd. 22

Insbesondere sind wir bei vermischten Völkern, die auf einem gemeinsamen Territorium leben, gegen die Ausübung des Rechts auf Selbstbestimmung durch eine Nation, wenn dies direkt mit dem gleichen Recht einer anderen Nation in Konflikt gerät. In dieser Situation gelten die gleichen allgemeinen Erwägungen, nämlich unsere Opposition gegen jede Form nationaler Unterdrückung und Privilegien; aber unter solchen Umständen kann das Recht auf Selbstbestimmung durch das eine oder andere Volk in Form der Errichtung seines eigenen bürgerlichen Staates nur dadurch ausgeübt werden, daß dieses Recht dem anderen Volk vorenthalten wird. Unter dem Kapitalismus wäre dies einfach eine Formel für die Umkehrung des Unterdrückungsverhältnisses, für gewaltsame Umsiedlungen der Bevölkerung, für Vertreibungen und schließlich für Völkermord. Es ist eine „Lösung“, die wiederholt in der Geschichte, z. B. in Indien/Pakistan. Israel/Palästina und Zypern demonstriert wurde.

Im allgemeinen drückt sich unsere Unterstützung für das Recht auf Selbstbestimmung negativ aus: unerbittliche Opposition gegen jede Manifestation nationaler Unterdrückung, dies als Mittel, die Einheit der Arbeiterklasse herzustellen, nicht aber als Erfüllung der „offenkundigen Bestimmung“ oder der „Erbschaft“ einer Nation, noch als Unterstützung für „progressive“ Nationen oder Nationalismus. Wir unterstützen das Recht auf Selbstbestimmung und kämpfen für die nationale Befreiung, um die nationale Frage von der historischen Tagesordnung streichen zu können, nicht um eine weitere solche Frage zu schaffen. Bei vermischten Völkern kann es im Rahmen des Kapitalismus keine rein demokratische Lösung der nationalen Frage (z. B. durch das allgemeine Wahlrecht) geben.

Die gleichen allgemeinen Erwägungen gelten nicht nur für „vollständig herausgebildete“ Nationen, sondern auch für Nationalitäten und Völker, die sich noch unterhalb des Stadiums einer vollständig konsolidierten Nation befinden mögen, z. B. die Eriträer in ihrem Kampf gegen die amharische Vorherrschaft oder die Biafraner zur Zeit des nigerianischen Bürgerkriegs. Die historische Herausbildung einer Nation wird tatsächlich nicht selten erst im Verlauf des Kampfes um Selbstbestimmung auf die Probe gestellt und vollendet. Unsere Opposition gegen die Ausübung des Rechts auf Selbstbestimmung durch eines der vermischten Völker gilt auch da, wo eine oder mehrere Gruppierungen auch wenn sie keine historisch voll entwickelten Nationen sind eine im Verhältnis ausreichende Größe und ein kulturelles Niveau haben, daß ihre Ausübung der Selbstbestimmung nur eine neue Form bzw. die Umkehrung der Unterdrückungsverhältnisse bedeuten kann.

4. Konkret: in Irland wurde die Frage der Selbstbestimmung der irischen Nation durch die Errichtung der Republik Eire nicht vollständig gelöst. Aber heute die „Selbstbestimmung der irischen Nation“ zu fordern, stellt eine Leugnung der leninistischen Position zur nationalen Frage dar. Es ist die Pflicht von Revolutionären, sich völlig darüber im klaren zu sein, was der Ruf nach Selbstbestimmung für das ganze irische Volk" bedeutet.

Offensichtlich zielt die Forderung nicht auf die gleichzeitige Selbstbestimmung beider Volksgruppen ab, eine Unmöglichkeit für vermischte Völker im Kapitalismus. In einem anderen Sinne ist die Forderung ungefähr so sinnvoll wie der Ruf nach „Selbstbestimmung für das ganze libanesische Volk“ während des konfessionell-sektiererischen, „kommunalistischen“ Blutvergießens Mitte letzten Jahres. Im Fall Irland ist eine solche Forderung völlig ungeeignet, die Frage der Protestanten von Ulster, die 60 Prozent des Kleinstaates und 25 Prozent der gesamten Inselbevölkerung ausmachen, in den Griff zu bekommen. Solch eine Forderung ist ein Ruf nach der Gründung eines einheitlichen Staates, der die ganze Insel umfaßt, einschließlich der Zwangsvereinigung der Insel durch den irischen bürgerlichen Staat ohne Rücksicht auf die Wünsche der protestantischen Volksgruppe. Es ist ein Aufruf an die irischen Katholiken, die Selbstbestimmung auf Kosten der Protestanten auszuüben. Es ist ein Ruf nach der einfachen Umkehrung der Unterdrückungsverhältnisse, ein impliziter Aufruf zum interkommunalen Massaker, zu Zwangsumsiedlungen der Bevölkerung und letzten Endes zum Völkermord als dem Weg vorwärts zur irischen Revolution.

5. Das gegenwärtige, sechs Grafschaften umfassende Gebiet in Nordirland ist ein konfessionell-sektiererischer Kleinstaat unter orangener Fahne, das Produkt einer imperialistischen Teilung. Vor der Teilung hätten sich Revolutionäre ihr in dem Bestreben widersetzt, im Kampf für die Unabhängigkeit vom britischen Imperialismus die revolutionäre Einheit zu schmieden. Seit der Teilung jedoch, seit den sie begleitenden konfessionell-sektiererischen Gewalttätigkeiten und den demographischen Verschiebungen sowie der Errichtung einer bürgerlichen Republik im Süden ist es notwendig, sich der Zwangsvereinigung der sechs Grafschaften mit dem Rest Irlands zu widersetzten. Gleichzeitig aber garantiert der gegenwärtige Kleinstaat die politischen und ökonomischen Privilegien der Protestanten. Wir sind gegen den protestantischen Orange-Staat und die Forderung für ein unabhängiges Ulster als Form der Selbstbestimmung für die Protestanten, die notwendigerweise die Unterdrückung der irisch-katholischen Bevölkerung von Ulster aufrechterhält, die ja Teil der irisch-katholischen Nation ist. Da die Royal Ulster Constabulary (RUC Königliche Polizei Ulsters) und das Ulster Defence Regiment (UDR Verteidigungsregiment Ulsters) die lokalen Organe des repressiven Staatsapparates der Briten sowie das Übungsfeld für die gegenwärtigen protestantischen paramilitärischen Gruppen und eine künftige reaktionäre protestantische Armee sind, fordern wir: zerschlagt die RUC und das UDR!

6. Es gibt eine ganze Reihe von dringenden demokratischen Forderungen, die auf die Situation der unterdrückten irischen Katholiken in Nordirland zutreffen. Wir fordern volle demokratische Rechte für die katholische Minderheit und ein Ende der Diskriminierung bei der Wohnungsvergabe und bei Einstellungen. Aber solche Forderungen müssen mit Klassenforderungen verbunden werden, die den Rahmen bürgerlicher Demokratie sprengen. Ohne die Forderung nach der gleitenden Skala der Löhne und der Arbeitszeit beispielsweise würde die Forderung nach Beendigung der Diskriminierung einfach nur auf eine Nivellierung in einer bereits durch ökonomische Krisen gekennzeichneten Situation hinauslaufen. Die relevanten partiellen, negativen, demokratischen und ökonomischen Forderungen müssen in das revolutionäre Übergangsprogramm integriert werden, das den kapitalistischen Rahmen von Ökonomismus und demokratischem Reformismus sprengt.

7. Historisch waren die Protestanten Ulsters ein Teil der schottischen und englischen Nation. Der Aufstand der United Irishmen von 1798 wurde von der protestantischen Mittelklasse geführt und spiegelte den Einfluß der französischen und amerikanischen bürgerlichen Revolution auf die sich entwickelnde (überwiegend protestantische) kapitalistische Klasse in Irland wider. Dieser Aufstand gegen den britischen Imperialismus, der unter anderem durch die Entwicklung des reaktionären konfessionell-sektiererischen Orange-Ordens und der Mobilisierung der Bauernschaft durch katholische Priester niedergeschlagen wurde, war die Gelegenheit für die Geburt einer modernen Nation auf der ganzen Insel. Obwohl die modernsten kapitalistischen Sektoren lange Zeit in protestantischer Hand blieben, sind seitdem die Protestanten in ihrer Mehrheit als die loyalen und glühenden Verteidiger der Union mit dem britischen Imperialismus aufgetreten. Die unter Protestanten herrschende Bigotterie und diskriminierende Haltung gegenüber der irisch-katholischen Nation übertrifft nicht zufällig die schlimmsten Exzesse des „grünen“, irisch-katholischen Nationalismus, und die meisten konfessionell-sektiererischen Morde in der gegenwärtigen Periode sind von protestantischen paramilitärischen Gruppen begangen worden.

Obwohl noch keine Nation, sind die Protestanten gewiß kein Teil der irischen Nation und unterscheiden sich von der schottischen und englischen Nation. Gegenwärtig begründet sich ihre separate Existenz größtenteils auf der Abgrenzung zur irisch-katholischen Nation; auf ideologischer Ebene findet sie in religiösen Begriffen ihren Ausdruck. Mit ihren eigenen sozialen und kulturellen Strukturen (beispielhaft im Orange-Orden verkörpert) und ihrer historischen Gegnerschaft zur irischen nationalistischen Sache haben so die Protestanten als die loyalistischen Verbündeten des britischen Imperialismus agiert. Gleichzeitig war die Loyalität in diesem Jahrhundert mehr Mittel als Zweck; siehe z. B. die Bereitschaft von Sir Edmund Carson, sich um deutsche Unterstützung zu bemühen, falls der britische Imperialismus die Forderungen der Ulster-Protestanten nicht erfüllen würde, oder den Ulster Workers Strike 1974.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird sich der genaue Charakter der protestantischen Volksgruppe von Ulster erst nach dem Abzug der britischen Armee definitiv herausstellen, und dies wird auch von den Begleitumständen abhängen. Diese werden in schärfster Form die Zukunft der Protestanten und die „Lösung“ der irischen Frage aufwerfen. Die von A.J.P. Taylor aufgeworfene Lösung ist nur eine Möglichkeit unter mehrerer:

„Die Frage ist, ob die irische nationalistische Mehrheite stark genug ist, um die Protestanten zu vertreiben. Wenn ja, dann ist das die beste Lösung.“
— zitiert im Guardian [London], 13. April

Gleichzeitig ist eine „zionistische“ Lösung aufgrund des sozialen Organisationsgrades, der Bewaffnung, der militärischen Schlagkraft, der Bündnisse der Protestanten durchaus denkbar. Andererseits würden sich zweifellos Möglichkeiten für eine klassenmäßig bestimmte Lösung ergeben, wenn der Abzug der britischen Armee gleichzeitig mit massiven Klassenmobilisierungen vor sich gehen würde.

8. Versuche, die getrennte Identität und die unterschiedlichen Interessen der Ulster-Protestanten mit dem altbekannten liberalen Spruch zu ignorieren oder zu leugnen, britische oder andere Sozialisten könnten „den Iren nicht erzählen, wie sie ihren Kampf zu führen haben“, oder dem Argument, daß nur unterdrückte Nationen ein Recht auf Selbstbestimmung besäßen, können auf der Basis; allgemeiner theoretischer Überlegungen leicht zurückgewiesen werden. Die Protestanten stellen weder eine Kolonialadminstration (wie die Briten in Indien) noch eine abgeschlossene Rassenkaste dar (wie die Weißen in Südafrika). Argumente, daß etwa die Protestanten keine legitimen Ansprüche hätten, da sie ursprünglich Siedler gewesen seien und der gegenwärtige Kleinstaat durch den Imperialismus künstlich geschaffen worden sei, stützen sich letztendlich auf Vorstellungen des nationalistischen Irredentismus und einer „historischen Gerechtigkeit“. Obwohl manchmal in der Forderung zum Ausdruck gebracht, daß die Protestanten „nach Hause“gehen sollten, führen solche Argumente im Endergebnis zum Völkermord. Ebenso unangemessen ist es, die Protestanten einfach nur als einen rückständigen Teil der irischen Nation zu beschreiben, deren Loyalismus bzw. Orangeismus nur imperialistische Ideologie ist, der man einen gewissen nationalistischen Anstrich gegeben hat, um eine Massenbasis zu gewinnen.

9. Der protestantische „Kommunalismus“ hat in den marginalen Privilegien, die die protestantischen Arbeiter genießen, tatsächlich eine materielle Basis. Der eindeutigste Versuch, sich mit der getrennten Identität der protestantischen Volksgruppe in „marxistischen“ Begriffen auseinanderzusetzen und sie abzutun, ist die Beschreibung der protestantischen Arbeiterklasse als einer „Arbeiteraristokratie“. Diese Erklärung ähnelt den neulinken Theorien über die amerikanische weiße Arbeiterklasse; sie stellt den Versuch dar, den Begriff so zu erweitern, daß seine ursprüngliche Bedeutung dabei verloren geht und man nicht zu erkennen vermag, daß die protestantische Volksgruppe alle Klassen und Schichten der Gesellschaft umfaßt. Sogar die Behauptung, daß die gesamte protestantische Arbeiterklasse Nordirlands eine Arbeiteraristokratie sei, ist eine grobe Entstellung dieses Begriffs. Die nordirsche Arbeiterklasse insgesamt leidet unter so ziemlich den niedrigsten Löhnen, der höchsten Arbeitslosenrate und den schlimmsten Wohnverhältnissen auf den

en Inseln. Auch ist das Lohngefälle zwischen protestantischen und katholischen Arbeitern nicht so groß, als daß man von einem sehr unterschiedlichen Lebensstandard der beiden Volksgruppen reden könnte.

10. Vom Standpunkt der allgemeinen Interessen des britischen Imperialismus ist die Grenze zwischen Ulster und der Republik heute anachronistisch:

Soldaten und Beamte und Geld des Vereinigten Königreichs werden deswegen so stark in Nordirland eingesetzt, weil Westminster dort klare Verpflichtungen hat. Englische Regierungen des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts siedelten die Kolonisten auf befestigten Plätzen an, deren Nachfahren zur Hauptquelle für das Elend Irlands im zwanzigsten Jahrhundert wurden. London ist der Sitz der einzigen Autorität, die man in der Provinz kennt. Diese jetzt aufzugeben, würde das Problem der öffentlichen Ordnung intensivieren, ohne jedoch im geringsten einer Lösung der zentralen politischen Frage näherzukommen. Die Suche nach einer annehmbaren lokalen Regierung würde einfach unter verschlechterten Bedingungen fortgesetzt. Britannien hat kein strategisches Interesse an Nordirland mehr, und seine ökonomischen Interessen sprechen ja alle für einen Abzug; aber moralische wie auch praktische Erwägungen erfordern, daß das britische Engagement erhalten bleibt, bis die Lösung der Probleme und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zumindest in Sicht sind
Observer [London], 1. Februar 1976

Während der britische Imperialismus die konfessionell-sektierische Teilung historisch benutzt und zum eigenen Vorteil auf die „Ulster-Karte“ gesetzt hat, ist er zum jetzigen Zeitpunkt nicht unbedingt an der Aufrechterhaltung des Orange-Kleinstaates interessiert und würde ein Übereinkommen bevorzugen, das ihn seiner direkten politischen Verantwortung auf der Insel entheben würde. Angesichts des Niedergangs der Industrie von Ulster und der wachsenden Investitionsmöglichkeiten im Süden ist die Grenze ein Hindernis für seine Gesamtinteressen. Doch während der britische Imperialismus zu diesem Zweck diverse Pläne ausheckt, ist er gezwungen, die kapitalistische Ordnung aufrechtzuerhalten und einen völligen Zusammenbruch der Gesellschaftsordnung zu verhindern. Die Tatsache, daß Ulster-Protestanten zunehmend von Unabhängigkeit reden, der Ulster Workers Strike 1974 und die beträchtliche Anzahl von Protestanten, die wegen politischer Straftaten inhaftiert sind, spiegeln nicht einfach „taktische“ Differenzen zwischen den Imperialisten und ihren Untergebenen wider, sonder vielmehr die unterschiedlichen Interessen zwischen wirklich verschiedenen Kräften.

11. Wir weisen das Argument zurück, daß die protestantischen Arbeiter so reaktionär sind, daß nur Gewalt sie überzeugen kann und daß als Vorbedingung, um sie zu gewinnen, die Zerstörung des Orange-Kleinstaates nötig ist. Das Verständnis, daß die Unterdrückung mit der gegenwärtigen Teilung unauflöslich verknüpft ist, wird zu dem Konzept einer Revolution in Etappen entstellt, in der die sozialistischen Aufgaben erst nach der Vollendung der nationalen Einheit auf der gesamten irischen Insel angegangen werden können. Manchmal wird mit diesem Konzept die Behauptung verbunden, es sei naiv zu erwarten, die protestantischen und katholischen Arbeiter könnten anhand ökonomischer Fragen vereinigt werden, da gerade diese es sind, die sie spalten. Analog dazu könnte keine Arbeiterklasse jemals ihre partikularen Interessen überwinden. Der Ökonomismus ist der politische Ausdruck für die Unfähigkeit der Arbeiterklasse, ohne eine revolutionäre Führung die bürgerliche Ideologie zu überwinden und ihr revolutionäres Klasseninteresse über spezifische, partikulare oder scheinbare Bedürfnisse und Wünsche zu stellen. Das oben angeführte Argument basiert auf der zentralen Prämisse der Ökonomismus daß die Arbeiterklasse ihre unmittelbaren partikularen Interessen nicht überwinden und sich nicht mit allen Unterdrückten und der Zukunft der Menschheit identifizieren kann. Solch ein Antiökonomismus ist eigentlich eine Verleugnung der Relevanz des Übergangsprogramms im Dienste des Nationalismus der Unterdrückten.

12. Die Protestanten fühlen sich berechtigterweise durch den Vorschlag eines vereinigten (bürgerlichen) Irlands bedroht, d. h. durch die Zwangsintegration in eine vergrößerte Version des reaktionär-klerikalen Staates Eire. Der „Kommunalismus“ und Nationalismus der Protestanten haben einen defensiven Charakter und sind nicht der Chauvinismus einer Großmacht. Ein vereinigtes bürgerliches Irland wäre keine demokratische Lösung für die Erfüllung ihrer Ansprüche, und deshalb müssen wir eine solche Lösung zurückweisen. Solch ein Staat wäre zwangsläufig konfessionell-sektiererisch, und die Protestanten werden einem solchen Bund nicht freiwillig beitreten.

Die frühere Erfahrung der Bolschewiki weist auf die Schwierigkeiten einer solchen Lösung hin. Auf dem Zweiten Kongreß der Kommunistischen Internationale 1920 stellte der ukrainische Delegierte Mereshin in einem Zusatzantrag zu den „Thesen zur nationalen und kolonialen Frage“ fest:

„Die Erfahrung der Wechselbeziehungen zwischen den Nationen der Mehrheit und den Nationen der Minderheit auf Territorien mit vermischter Bevölkerung (in der Ukraine, in Polen, in Weißrußland) hat gezeigt, daß der Übergang der Macht aus den Händen der Großbourgeoisie in die Hände kleinbürgerlicher, republikanisch-demokratische Staaten aufbauender Gruppen die inneren nationalen Reibungen nicht verringert, sondern im Gegenteil äußerst verschärft. Die republikanische Demokratie, die im Kampf mit dem Proletariat gezwungen ist, den Klassenkampf mit dem nationalen Krieg zu vertauschen, wird schnell von nationaler Ausschließlichkeit durchdrungen und eignet sich leicht die Erfahrung der älteren Lehrmeister nationaler Unterdrückung an, welche Erfahrung sich auf dem Gebiet des Aufhetzens der Volksmassen einer Nation gegen die Volksmassen der anderen und auf dem Gebiet der mit Hilfe des Staatsapparats durchgeführten Organisation von Massenhetzen zu Zwecken des Kampfes gegen die Diktatur des Proletariats leidenschaftlich wiederholt …“

Die gegenwärtige irische bürgerliche Republik ist eine klerikaler, reaktionärer Staat, in dem die katholische Kirche ein Beträchtliches an realer und lanter Macht ausübt. Ein wesentlicher Aspekt davon ist nicht das gegenwärtige Ausmaß religiöser Verfolgung oder Diskriminierung (obwohl die laufenden, hauptsächlich gegen die IRA gerichteten Repressionsmaßnahmen auf die Absichten der irischen Bourgeoisie hinweisen), sondern das Verhältnis des Katholizismus zum irischen Nationalismus, insbesondere da es die Grenzlinie zwischen den beiden Volksgruppen ziehen hilft.

Leninismus und Nationalismus sind grundsätzlich entgegengesetzte politische Standpunkte. So sind Revolutionäre, obwohl sie jede Form nationaler Unterdrückung bekämpfen, auch Gegner jeder Form nationalistischer Ideologie. Es ist eine Revision des Leninismus zu behaupten, daß der Nationalismus der Unterdrückten progressiv sei und von kommunistischen Internationalisten unterstützt werden könne. In einer seiner wichtigsten Schriften über die nationale Frage betonte Lenin:

„Der Marxismus ist unvereinbar mit dem Nationalismus, mag dieser noch so gerecht, verfeinert und zivilisiert sein. Der Marxismus setzt an die Stelle jeglichen Nationalismus den Internationalismus …“
— Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage, Werke, Bd. 20

Der Versuch, die oben erwähnten Züge des irischen Nationalismus und der irischen Republik einfach abzutun, die Unterstellung, daß diese Angelegenheiten irgendwie nicht wichtig seien, impliziert, daß irischer Nationalismus und Kapitalismus irgendwie „progressiv“ seien, keineswegs (im Gegensatz zu allen anderen Nationalisten und Kapitalisten) rassische, geschlechtliche und kommunale Spaltungen der Arbeiterklasse fördern, insbesondere aber Nichtangehörige ihrer Volksgruppe nicht diskriminieren und verfolgen würden.

13. Irland, wie andere Fälle vermischter Völker im Nahen Osten und Zypern, stellt eine schlagende Bestätigung der trotzkistischen Theorie der permanenten Revolution dar. Die unvermeidliche Schlußfolgerung ist, daß obwohl Revolutionäre allen Aspekten nationaler Unterdrückung entgegentreten, sie auch anerkennen müssen, daß die miteinander in Konflikt stehenden Ansprüche vermischter Völker nur im Rahmen eines Arbeiterstaates gerecht gelöst werden können. Wir kämpfen für eine irische Arbeiterrepublik als Teil einer sozialistischen Föderation der britischen Inseln. Obwohl die Errichtung eines vereinigten Arbeiterstaates auf der gesamten Insel am günstigsten sein mag, ist die obige Forderung algebraisch und läßt offen, welche Richtung Protestanten einschlagen werden. Dies in Anerkennung der Tatsache, daß der Charakter der protestantistischen Volksgruppe noch nicht von der Geschichte entschieden ist. In diesem Sinne ist sie Forderungen nach einer „vereinigten Arbeiterrepublik“ oder nach einem, „vereinigten sozialistischen Irland“ (wo diese Forderung nicht ohnehin nur ein Ausdruck linker Etappentheorien nationalistischer oder stalinistischer Couleur ist) entgegengesetzt.

Die Forderung in den Kontext einer sozialistischen Föderation zu stellen, hat den zusätzlichen Vorteil, das wesentliche Verhältnis der proletarischen Revolution in dem gesamten Gebiet hervorzuheben, sowie auch die praktische Unmöglichkeit, die irische Frage außerhalb dieses Rahmens auf einer proletarischen Basis zu lösen. Dies und die starke Vertretung irischer Arbeiter in der Arbeiterklasse Englands führt uns zur Forderung nach einer die britischen Inseln umfassenden Gewerkschaftsföderation, als einer Methode, den gemeinsamen Kampf voranzutreiben und die Spaltungen in der irischen Arbeiterklasse zu überwinden.

14. Besondere Betonung muß auf die Forderung nach programmatisch verankerten antisektiererischen Arbeitermilizen zur Bekämpfung des „orangenen“ und des „grünen“ Terrors sowie des imperialistischen Wütens gelegt werden. Die britische bürgerliche Presse und die blutbefleckten Handlanger der britischen Imperialisten in der Labour Party reagierten hysterisch auf einen von der rechtsgerichteten Antragskommission zusammengesetzten Antrag auf der Konferenz der Labour Party 1976, in dem der Abzug der britischen Truppen und die Schattung von Milizen, gestützt auf die Gewerkschaften, gefordert wurden. Der Antrag war jedoch nur das unbeabsichtigte Ergebnis bürokratischer Zusammenfassung, einerseits von Anträgen, in denen die Positionen von Enthusiasten des irischen Nationalismus [unter britischen Labour-Linken] zum Ausdruck kamen, andererseits einer zahmen Resolution der Gruppierung um den Militant. Unsere Forderung ist nicht die gleiche wie die der zutiefst opportunistischen und in der britischen Labour Party tiefen Entrismus betreibenden Militant-Gruppe, die ihren Ruf nach Gewerkschaftsmilizen mit der Forderung nach einem Truppenabzug auf eine Weise miteinander verbindet, daß die Existenz von Gewerkschaftsmilizen zur Vorbedingung für den Truppenabzug wird, und die glaubt, die Milizen würden organisch aus ökonomistischen Kämpfen hervorwachsen. In Ulster besteht das Problem nicht darin, daß die Arbeiter nicht bewaffnet sind. Solche Milizen werden eine breite und starke programmatische Basis brauchen, sonst werden sie in irgendeiner Sackgasse scheitern oder eingekauft werden. Sie können sich nicht einfach aus dem Tradeunionismus herausentwickeln, sondern erfordern grundsätzlich die Existenz eines starken Kaders, der genügend Autorität hat. Jede Milizeinheit würde zumindest ein Mitglied aus der anderen Volksgruppe sowie die Präsenz und starken Einfluß gut ausgebildeter revolutionärer Kader benötigen. Folglich ist die Forderung nach einer antisektiererischen Arbeitermiliz eng mit dem Wachstum einer auf einem entwickelten revolutionären Programm basierenden leninistischen Partei verbunden. Würden sie sich z. B. nicht auf die Forderung nach dem sofortigen Abzug der britischen Armee stützen und ohne unsere Analyse des Terrorismus wären solche Arbeitermilizen einfach nur bewaffnete Helfershelfer der „Frauenfriedensbewegung“.

15. In militärischen Konflikten zwischen irischen nationalistischen Organisationen und der britischen Armee oder staatlichen Behörden verteidigen wir die Aktionen der ersteren, da dies immer noch der Kampf einer unterdrückten Nationalität gegen den Imperialismus ist, ungeachtet der Tatsache, daß ihr Kampf manchmal mit einem Programm verbunden ist, welches im Falle seiner Durchsetzung die demokratischen Rechte der Protestanten verletzen würde. Diese Haltung besagt nichts über das Programm dieser Gruppen, die von solchen, die der zionistischen Stern-Bande und der EOKA von Grivas ähneln, bis zu radikaleren sozialistischen Nationalisten reichen können.

Außerhalb dieses militärischen Kampfes mit dem britischen Imperialismus und seinen direkten Agenten überragt der nationale bzw. „kommunale“ Aspekt im Konflikt zwischen der irisch-katholischen und der protestantischen Volksgruppe und ihren respektiven Organisationen alle formalen Unterschiede zwischen links und rechts. Solche Gewalttaten richten sich oft gegen nichtsektiererische Symbole (wie z. B. Kneipen, die gemeinsam von katholischen und protestantischen Arbeitern besucht werden) und sind ein Hindernis für jede Form gemeinsamen Klassenkampfes. Terroristische Aktionen von Organisationen der unterdrückten irisch-katholischen Volksgruppe gegen die protestantische Volksgruppe sind kein Schlag gegen den Imperialismus und sind nicht als Gewalt der Unterdrückten zu rechtfertigen. Sie sind nicht progressiver als ähnliche Aktionen der protestantischen paramilitärischen Gruppen und können genauso wenig wie diese verteidigt werden. Im Gegensatz zu Angriffen auf britische Armeeposten oder dem Anschlag auf die Aldershot-Kaserne, die politisch zu verteidigende Aktionen darstellen, sind Attentate auf Kneipen (in katholischen als auch in protestantischen Vierteln), die Anschläge auf die Londoner U-Bahn und andere derartige Aktionen wahllosen Terrors völlig unverteidigbar, da sie in keiner Weise einen Schlag gegen den Imperialismus darstellen. Solche Handlungen, die wie sie auf den Prämissen des Nationalismus und des Völkermords basieren, können nur die konfessionellsektiererischen Spaltungen zwischen den Volksgruppen vertiefen und Barrieren gegen die Einheit der Arbeiterklasse errichten.

Unter solchen Umständen erkennen wir das Recht beider Volksgruppen auf Selbstverteidigung an. Die bloße Behauptung einer Organisation, sie kämpfe im Interesse der Unterdrückten und gegen den Imperialismus, macht nicht alle ihre Handlungen verteidigbar. Wäre dies so, dann wären Revolutionäre verpflichtet gewesen, die Aktionen sowohl der EOKA auf Zypern wie auch der zionistischen Stern-Bande in Palästina zu verteidigen (Organisationen, denen die provisorische IRA ähnlich ist); und zwar nicht nur, als sie den Imperialismus angriffen, sondern auch bei ihren Angriffen gegen die türkische Gemeinschaft auf Zypern bzw. auf die Palästinenser (z. B. in Deir Yassin). Nur mit dieser Einschätzung des Terrorismus können die Arbeitermilizen in Nordirland dagegen gewappnet sein, den Terrorismus der Unterdrückten pauschal zu billigen oder aber ein Deckmantel für die Machenschaften des Imperialismus zu werden.

16. In der Geschichte der irischen Arbeiterbewegung hat es bedeutende Beispiele von Arbeitersolidarität gegeben, in denen die sektiererischen Spaltungen zeitweise überwunden wurden. Wie im Fall des Metallarbeiterstreiks in Belfast 1919 und der Massendemonstration gegen die Arbeitslosigkeit in den dreißiger Jahren, sind sie ausnahmslos mit massiven sektiererischen Mobilisierungen bekämpft worden, mit dem Ziel, die zerbrechliche proletarische Einheit zu zerschlagen. Auch wenn eine revolutionäre Partei fehlt, kann es zu Situationen vorübergehender Einheit kommen, wenn auch nur auf pazifistischer oder reformistischer Grundlage. Auf den Morden in South Armagh folgten gemeinsame Demonstrationen protestantischer und katholischer Arbeiter, aber sie demonstrierten für eine Verstärkung der RUC, die zerschlagen werden muß.

Selbst solche Beispiele sind Indizien für ein Potential möglicher Arbeitereinheit. Die Beispiele von Klassensolidarität sind kein Beweis für einen tiefsitzenden Zug zur Klasseneinheit; sie widerlegen nicht, daß die Situation durch sektiererischen Haß vergiftet ist. Sie weisen jedoch auf die Interventionsmöglichkeiten hin, die für eine revolutionäre Organisation, mag sie bis dahin vielleicht auch isoliert, schwach und klein sein, aufbrechen können, um den Verlauf des Konflikts auf eine Entscheidung zugunsten des Proletariats und auf die proletarische Revolution zuzuspitzen.