[aus Revolutionary Communist Youth Newsletter, Nr. 13, August/September 1972]
Die sich verschärfenden zwischenimperialistischen Widersprüche eskalieren zu imperialistischen Rivalitäten und „überraschend“ neue Konstellationen unter den Weltmächten[1] führen zum dritten Mal in diesem Jahrhundert zur Gefahr eines Weltkrieges, diesmal mit thermonuklearen Waffen. Der imperialistische Krieg war schon immer eine entscheidende Probe für die kommunistische Bewegung. Solche Kriege sind der vollendete Ausdruck für die Unfähigkeit des Kapitalismus zur Lösung des Widerspruchs zwischen den Produktivkräften einerseits, die sowohl über die Nationalgrenzen als auch über das Privateigentum hinaus wachsen und den Produktionsverhältnissen andererseits, welche die zwei großen Klassen der modernen Gesellschaft, die Bourgeoisie und das Proletariat, definieren. Der imperialistische Krieg vergrößert nur das Elend, die Versklavung und das Leid der Arbeiterklasse und verschärft dabei die Spannungen in der Klassengesellschaft bis zu ihrem Siedepunkt. Marxisten müssen diese periodischen Gewaltausbrüche des niedergehenden Kapitalismus dazu benutzen, um die Befreiung des Proletariats herbeizuführen. Dies tun sie nicht, weil sie dem Motto „je schlechter desto besser“ folgen, sondern in der notwendigen Anerkennung der objektiven Umstände der die bürgerliche Gesellschaft schwächenden Krise. Marxisten müssen versuchen, diese Krise auszunutzen, um die sozialistische Revolution voranzutreiben. Da Kontur und Ausrichtung eines dritten globalen zwischenimperialistischen Krieges langsam Gestalt annehmen, ist es wichtig, die Politik der trotzkistischen Bewegung im zweiten Weltkrieg zu untersuchen sowie die Rolle und das Wesen des modernen bürgerlichen Staates und seiner Armee zu verstehen, um uns auf die kommende Periode sich verschärfender internationaler Konflikte und Kriege vorzubereiten. Wenn man die grundsätzliche leninistische Staatsauffassung nicht als Ausgangspunkt für jede Strategie gegenüber der bürgerlichen Armee heranzieht, so führt dies fast unvermeidlich zu schwerwiegenden theoretischen Fehlern, so wie es bei der Socialist Workers Party [Sozialistische Arbeiterpartei] mit der Annahme der „Proletarischen Militärpolitik“ (PMP) im Jahre 1940 der Fall war. Das Studium der PMP und der Schriften Trotzkis über den kommenden Krieg, den Faschismus und die Militärpolitik von 1940 offenbart ein Abgleiten von der elementaren leninistischen Auffassung über den bürgerlichen Staat und seine Armee.
Die PMP war der irregeleitete Versuch, den Wunsch der amerikanischen Arbeiterklasse, gegen den Faschismus zu kämpfen, in eine revolutionäre Perspektive mit dem Ziel des Sturzes des „eigenen“ imperialistischen Staates zu verwandeln. Der Kern der PMP war der Ruf nach einer Gewerkschaftskontrolle über die vom Staat eingeführte militärische Zwangsausbildung. Die von der SWP-Vollversammlung im September 1940 in Chicago verabschiedete Erklärung der SWP über die „Proletarische Militärpolitik“ besagt:
„Wir kämpfen dagegen Arbeiter-Soldaten ohne anständige Ausbildung und Ausrüstung in die Schlacht zu schicken. Wir lehnen die militärische Führung von Arbeiter-Soldaten durch bürgerliche Offiziere ab, die keine Achtung für deren Behandlung, deren Schutz und deren Leben haben. Wir fordern Bundesmittel für die militärische Ausbildung von Arbeitern und Arbeiter-Offizieren unter der Kontrolle der Gewerkschaften. Beschlagnahmungen für das Militär? Ja — aber nur für den Aufbau und die Ausrüstung von Arbeiterausbildungslagern! Militärische Zwangsausbildung für Arbeiter? Ja — aber nur unter der Kontrolle der Gewerkschaften!“
James P. Cannon, Vorsitzender der SWP, verteidigte diese Politik — in erster Linie gegen die Kritik von Max Shachtman, der zu diesem Zeitpunkt gerade erst mit der SWP gebrochen und die Workers Party [Arbeiterpartei] gegründet hatte. Im Wesentlichen beinhaltete das PMP einen reformistischen Vorstoß: Es legte den Schluss nahe, dass es der Arbeiterklasse möglich wäre, die Armee der Bourgeoisie zu kontrollieren - was dem marxistischen Verständnis entgegensteht, dass das Proletariat für die Durchführung einer sozialistischen Revolution die Organe der bürgerlichen Staatsmacht zerschlagen muss.
Man muss den Hintergrund sehen, vor dem das PMP entwickelt wurde und die Erwartungen der SWP und Trotzkis im Zweiten Weltkrieg betrachten, da diese die Grundvoraussetzungen für den Weg zur Proletarischen Militärpolitik bildeten. Cannon sagte 1940 bei der Konferenz derSWP:
„Wir haben keine Weltsituation erwartet, in der ganze Länder durch faschistische Armeen erobert werden. Die Arbeiter möchten nicht von fremden Invasoren erobert werden, vor allem nicht von den Faschisten. Sie benötigen ein Programm für den militärischen Kampf gegen fremde Invasoren, das ihre Klassenunabhängigkeit sicherstellt. Das ist das Wesentliche des Problems.
Viele Male in der Vergangenheit waren wir gewissermaßen benachteiligt: Die gegen uns gerichtete Demagogie der Sozialdemokraten war in einem bestimmten Maße wirksam. Sie sagten: Ihr habt keine Antwort auf die Frage wie man gegen Hitler kämpft …. Nun, wir antworteten sehr allgemein gehalten, dass die Arbeiter für den Sturz der eigenen Bourgeoisie zuhause kämpfen und sich dann den Invasoren zuwenden werden. Das war ein gutes Programm, doch die Arbeiter haben die Revolution nicht rechtzeitig vollbracht. Nun müssen beide Aufgaben zusammengeschoben werden und zur gleichen Zeit ausgeführt werden …
Wir sind gewillt gegen Hitler zu kämpfen. Kein Arbeiter möchte sehen, wie diese Bande von faschistischen Barbaren dieses Land oder irgendein anderes Land überrollt. Doch wir wollen den Faschismus unter einer Führung bekämpfen, der wir vertrauen können.“
Cannon betonte stark, dass der Kapitalismus die Welt in eine Epoche des universalen Militarismus gestürzt hatte und das von nun an „die großen Fragen nur mit militärischen Mitteln beantwortet werden können“. Für Cannon „war der Antimilitarismus ganz gut als wir gegen den Krieg in Friedenzeiten kämpften. Doch hier steht ihr vor einer neuen Situation des universalen Militarismus“.
Trotzki und die SWP versuchten die Überschneidung zwischen dem „universalen Militarismus“ der Vorbereitung der bürgerlichen Staaten auf einen imperialistischen Krieg und den echten antifaschistischen Gefühlen der Massen auszunutzen. Trotzkis Schriften zwischen 1939-1940 offenbaren eine sehr apokalyptische Vision vom bevorstehenden Krieg. Das brachte ihn dazu, die Entwicklung einer auf eine ziemlich unmittelbare Gewinnung der Armee ausgerichteten Strategie für notwendig zu erachten. Trotzki und die SWP überschätzten dabei sehr deutlich das Maß, in dem der Prozess des Krieges selbst dazu beitragen konnte, die Fassade von der (angloamerikanischen) bürgerlichen Ideologie des Kampfes „der Demokratie“ gegen „die Diktatur“ zu reißen. In Gesprächen mit SWP-Führern in Mexiko im Jahre 1940 sagte Trotzki:
„Wenn die Bourgeoisie die Demokratie bewahren kann, gut, aber innerhalb eines Jahres wird sie eine Diktatur errichten. Natürlich würden wir prinzipiell eine sogenannte bürgerliche Demokratie stürzen, wenn die Möglichkeit dazu besteht, doch die Bourgeoisie wird uns hierfür keine Zeit lassen.
— (Diskussion mit Trotzki, 12. Juni 1940, Trotzki-Schriften, 1939-1940).
Als Teil seiner Vorhersage glaubte Trotzki ebenso, dass der Reformismus all seine Möglichkeiten erschöpft hatte:
„Amerika war einmal reich an reformistischen Tendenzen, doch der New Deal war das letzte Aufflammen. Mit dem Kriege ist es klar geworden, dass der New Deal alle reformistischen und demokratischen Möglichkeiten erschöpft und unvergleichlich günstigere Möglichkeiten für die Revolution geschaffen hat.
Die SWP entwickelte den Standpunkt, dass in Folge der durch den Krieg hervorgebrachten Krise der Reformismus nicht länger überleben konnte. Ein Abschnitt der SWP-Resolution mit der Überschrift „Der Reformismus ist heute nicht mehr lebensfähig“ besagt:
Vor allem hatten die Siege der faschistischen Kriegsmaschinerie Hitlers jegliche glaubhafte Grundlage für die Illusion zerstört, dass ein ernsthafter Kampf gegen den Faschismus unter der Führung eines bürgerlich-demokratischen Regimes durchgeführt werden kann.“
Doch im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg, aufgrund des Hasses der Arbeiterklasse auf den Faschismus und der breiten Streikwelle, war die Bourgeoisie dazu genötigt, die liberale reformistische Ideologie und die parlamentarische Politik wiederherzustellen und versuchte dadurch die Arbeiter zu beschwichtigen.
Als Grundlage und Ausgangspunkt ihrer neuen Politik zogen die Trotzkisten den weit verbreiteten Hass der Arbeiterklasse auf den Faschismus heran. Die Arbeiterklasse wurde in den Wehrdienst eingezogen und ein Teil der Akzeptanz der Wehrpflicht fand seine Grundlage im Wunsch, gegen den Faschismus zu kämpfen. So folgerte die SWP, dass die Akzeptanz der Wehrpflicht einen „progressiven“ Charakter hat. Die PMP beruhte auf dem Glauben, dass die Bourgeoisie zur Einführung von Militärdiktaturen gezwungen sein wird und deshalb ihren reaktionären Charakter inmitten des Krieges offenbaren würde — in einer Situation, in der die Arbeiterklasse (vom Staate selbst) bewaffnet und durch tiefe anti-diktatorische und anti-faschistische Gefühle motiviert wäre. Dies würde unvermeidlich zu einer revolutionären Situation führen — und das auch sehr rasch. Das waren die wesentlichen Annahmen Trotzkis und der SWP. Sie rechtfertigen nicht die Annahme des PMP, doch erhellen sie den Hintergrund, vor dem dieses Programm entwickelt wurde. Der Slogan „Für eine gewerkschaftliche Kontrolle der militärischen Ausbildung“ impliziert eine Gewerkschaftskontrolle über die bürgerliche Armee. Das PMP ging über den besonderen Charakter und die besondere Rolle der imperialistischen Armee als Bollwerk des Kapitalismus hinweg. Shachtman erfasst das Wesen des reformistischen Vorstoßes der Proletarischen Militärpolitik und dieses Hinweggehens [über den Charakter der Armee] als er schrieb:
„Ich charakterisiere seine [Cannons] Formel als im wesentlichen sozialpatriotisch & Cannon sagte immer: Wir werden zu Verteidigern wenn wir ein Land haben, das wir verteidigen können, d. h. wenn die Arbeiter die Macht im Lande erobert haben, denn dann führen wir keinen imperialistischen Krieg sondern vielmehr einen revolutionären Krieg gegen die imperialistischen Angreifer … Jetzt sagt er etwas anderes, weil die Revolution nicht rechtzeitig statt fand. Die zwei Aufgaben — das Herbeiführen einer sozialistischen Revolution und die Verteidigung des Vaterlandes ‚müssen zusammengeschoben werden und gleichzeitig zur Ausführung kommen …’“
— Working Class Policy in War and Peace [Arbeiterklassenpolitik im Krieg und im Frieden]“, The New International [Neue Internationale], Januar 1941
1941 war Shachtman noch kein ganzes Jahr auf seinem ungleichmäßigen, achtzehn Jahre währenden zentristischen Kurs weg vom revolutionären Marxismus hin zur Sozialdemokratie. In den ersten Jahren behauptete Shachtmans Workers Party [Arbeiterpartei] eine Sektion der Vierten Internationale zu sein und sprach sich für eine „bedingte Verteidigung“ der Sowjetunion aus, deren „bürokratischer Kollektivismus“ — so bezeichnete er die degenerierten Arbeiterstaaten — im Verhältnis zum Kapitalismus immer noch fortschrittlich war. Noch 1947 wurde die Frage einer Vereinigung der SWP und der Workers Party scharf aufgeworfen. Sein revisionistischer Bruch mit dem Marxismus war nichtsdestotrotz von Anfang an tiefgreifend: eine vollständige Zurückweisung der marxistischen philosophischen Methodologie gepaart mit einem konkreten Verrat an der Sowjetunion in den real stattgefundenen Kriegen, zunächst 1939 im Falle Finnlands und danach bei der Invasion durch Deutschland 1941. Für den frühen Revisionisten Shachtman war das Abweichen von den Prinzipien des Leninismus durch die Forcierung der zweideutigen PMP folglich ein gefundenes Fressen, das er deswegen ausnutzen konnte, weil sie sich nicht auf dem Gebiet seiner eigenen entscheidenden Abweichungen vom Marxismus bewegte.
Doch zehn Jahre später unter dem Druck des Koreakrieges wurde der Revisionismus Shachtmans allumfassend und er brachte seine eigene grotesk-reaktionäre Version der PMP hervor. Er schrieb über den erwarteten Dritten Weltkrieg und behauptete: „Die einzig größere Katastrophe als der Krieg selbst … wäre ein Sieg des Stalinismus als Ergebnis des Krieges.“ Daraus schlussfolgerte er: „Eine sozialistische Politik muss auf die Idee gestützt sein, den imperialistischen Krieg in einen demokratischen Krieg [gegen den Stalinismus] umzuwandeln“. Um diese Umwandlung zu erreichen, baute er auf Arbeiterregierungen — „gleich wie bescheiden ihre Ziele am Anfang auch sein mögen, gleich wie weit entfernt sie auch von einem konsequent sozialistischen Ziel sein mögen“ („Socialist policy in war [Sozialistische Politik im Krieg]„, New International [Neue Internationale], 1951). Shachtmans „Arbeiterregierung“ ist ganz klar keine Diktatur des Proletariats — ohne sozialistische Ziele! — sondern eher der Blutsverwandte der britischen Labour-Regierung Major Atlees - hineingedacht in eine amerikanische Arbeiter-Regierung unter Führung von Walter Reuther[2]. Hier wird der Klassencharakter des Staates ganz gehörig verdeckt. Shachtmans Gruppe, seit 1949 die Independent Socialist League [Unabhängiger Sozialistischer Bund], trat 1958 der Socialist Party — Social Democratic Federation [Sozialistische Partei - sozialdemokratischer Zusammenschluss] bei. In den frühen Sechzigerjahren trennten sich einige ISL-Nostalgiker — allen voran Hal Draper — von der SP — vor allem nachdem Shachtman selbst die Invasion in der Schweinebucht gerechtfertigt hatte. Draper u. a. gründeten später das, was die heutigen Internationalen Sozialisten geworden sind.
Das fragmentarische Material, das Trotzki in den letzten Monaten seines Lebens zu diesem Thema beitrug, macht klar, dass er die Einführung der PMP zu verantworten hat. Doch Trotzki wurde vor ihrer vollständigen öffentlichen Vorstellung und ihrer Entwicklung durch die SWP ermordet. Trotzkis Voraussage, dass die Bourgeoisie den Arbeitern keine Zeit für den Sturz des bürgerlichen Staates geben würde, bevor diese gegen den Faschismus zu kämpfen hätten, nährt direkt Cannons Zweideutigkeit beim revolutionären Defätismus und hinsichtlich des „Zusammenschiebens“ der nationalen Verteidigung mit dem Kampf der Arbeiter gegen den Faschismus.
Trotzki schreibt in „Some Questions on American Problems“: „Die amerikanischen Arbeiter wollen nicht von Hitler erobert werden und jenen die da sagen 'Wir benötigen ein ‚Friedensprogramm’ antworten wir ‚Wir verteidigen die Vereinigten Staaten mit einer Arbeiterarmee, mit Arbeiteroffizieren, mit einer Arbeiterregierung und so weiter’. Wenn wir keine Pazifisten sind, die auf eine bessere Zukunft warten, sondern aktive Revolutionäre, dann ist es unsere Aufgabe, in die komplette Militärmaschinerie einzudringen.“ Es ist sehr wichtig, was bei diesem agitatorischen Ansatz ausgelassen wird. Marxisten verteidigen die Vereinigten Staaten nicht! Zumindest solange die USA keine sozialistischen Vereinigten Staaten sind. Dies tun sie erst nachdem die Bourgeoisie und all ihre Institutionen einschließlich der Armee zerschlagen worden sind. Marxisten widersetzen sich dem imperialistischen Krieg. Der Zweite Weltkrieg wurde nicht für „die Demokratie“ gegen „den Faschismus“ geführt sondern für die Neuaufteilung der Welt im Sinne imperialistischer Ziele. Die Arbeiterarmee, über die Trotzki schreibt, kann nicht organisch aus der bürgerlichen Armee hervorgehen sondern sie muss unter den Bedingungen der Spannungen zwischen den Klassen und der revolutionären Krise durch unabhängige Arbeitermilizen und durch diePolarisierung der bürgerlichen Streitkräfte entwickelt werden — das heißt als der militärische Arm der sich organisierenden Arbeiterklasse, der als Doppelmacht der kapitalistischen Regierung gegenübersteht.
Der Tenor der PMP war die Unterstützung eines Krieges gegen den Faschismus ohne klarzumachen, wessen Klassenstaat diesen Krieg führt. Wegen der besonderen Popularität der Parole vom „demokratischen Krieg gegen den Faschismus“ hätte die eigentliche Wirkung der PMP nur darin bestanden, den Krieg des bürgerlichen Staates effizienter zu machen und die Durchführung desselben demokratischer zu gestalten.
Die Logik des PMP zwang die SWP dazu die bürgerliche Armee einer Fabrik gleich lediglich als eine weitere Arena des Klassenkampfes zu betrachten, statt als die wesentliche Zwangsgewaltdes bürgerlichen Staates. Wenn Marxisten für die Gewerkschaftskontrolle über die Industrie sind, warum nicht auch für die Gewerkschaftskontrolle über die militärische Ausbildung? Wir stimmen zu, dass Marxisten überall dort kämpfen, wo sich Unterdrückung zeigt — das schließt einen Kampf für Soldatenrechte mit ein. Doch daraus folgt eben nicht,dass wir eine „Arbeiterkontrolle über die Armee“ fordern — sozusagen als Parallelslogan zu „Arbeiterkontrolle über die Fabriken“. Es wird immer einen Bedarf für die Entwicklung der Produktivkräfte geben, die proletarische Revolution muss diese nicht für ihre eigenen Ziele zerschlagen. Die einzige Funktion der Armee besteht darin, dass sie der herrschenden Klasse mit den Mitteln von Zwang und Repression hilft, an der Macht zu bleiben; während der Phase der Diktatur des Proletariats wird der revolutionäre Staat seine eigene Armee haben — organisiert um ihren eigenen Klasseninteressen zu dienen; eine entwickelte sozialistische Gesellschaft wird diesen speziellen Repressionsapparat nicht brauchen, dieser Apparat wird sich allmählich in die allgemeine Selbstbewaffnung der Bevölkerung auflösen, um dann — genau so wie der Staat — gänzlich abzusterben. Die Armee ist keine klassenneutrale Institution. Als Teil der „speziellen Formationen bewaffneter Menschen“, welche die Grundlage des Staates bilden, kann die Armee keine Arbeiterarmee sein, solange sie nicht die Armee eines Arbeiterstaates ist.
Genauso wenig schüren wir Illusionen in die Arbeiterklasse mit der Parole „Arbeiterkontrolle“ über die Polizei oder auch über die Gefängnisse, denn beides macht das Wesen des bürgerlichen Staates aus. Wenn wir nach „Arbeiterkontrolle über die Gefängnisse“ riefen, würde das Blut Atticas[3] genauso an unseren Händen kleben wie an denen von Rockefeller. Die Erstürmung der Bastille stellt die einzig mögliche Form der „Arbeiterkontrolle“ über die Repressionsapparate des Staates dar — d. h. deren völlige Zerschlagung.
Das PMP war ein Vorschlag an die Gewerkschaften die bürgerliche Armee demokratischer und effizienter bei der Durchführung des Krieges „gegen den Faschismus“ zu gestalten. Doch die Bourgeoisie kann nicht gegen den Faschismus kämpfen! Die US-amerikanische Bourgeoise wollte die Deutschen und Japaner bekämpfen, um ihre eigenen imperialistischen Ziele zu fördern, nicht um „den Faschismus zu bekämpfen“.
Der Fehler der PMP wird am deutlichsten im Falle eines unpopulären Krieges: Sollten wir die Arbeiterkontrolle über die militärische Ausbildung fordern, um besser in Vietnam zu kämpfen? Offensichtlich nicht. Doch der Punkt ist derselbe. Nur jene Sozialchauvinisten die „ihre“ Regierungen unterstützen, können die Proletarische Militärpolitik logischerweise hochhalten.
Als programmatische Forderung der SWP wurde die PMP nie aktiv umgesetzt und wurde nach kurzer Zeit ad acta gelegt, denn die SWP stellte sich gegen den zweiten imperialistischen Krieg und daher konnten sich die eigenständigen sozialpatriotischen Implikationen der PMP nicht durchsetzen. Doch wurde der Fehler in diesen Jahren auch nicht offen berichtigt. Seitdem ist er eine Quelle der Desorientierung für jene jungen Aktivisten gewesen, die sich bemühen die revolutionäre SWP der Vierzigerjahre dem erbärmlichen Vehikel, das heute noch die Initialen SWP trägt, en bloc gegenüberzustellen.
Die gesamte Autorität des Staates basiert letztlich auf seiner Fähigkeit seine Zwangsgewalt, die auf dem stehenden Heer, der Polizei und den Gefängnissen beruht, erfolgreich einzusetzen. Diese Zwangsgewalt des Staates macht ja gerade das Wesen seiner Struktur aus. Die Entwicklung der Staatsmacht ist direkt mit der Entwicklung der Klassenantagonismen verbunden, so dass der Staat zwar den Anschein erweckt, als stünde er als eine „neutrale“ dritte Kraft über und außerhalb des Klassenkonfliktes, doch in Wahrheit ist er nichts anderes als ein Agent der herrschenden, stärkeren Klasse in der Gesellschaft. Diese Überlegungen bedingen die zwei wesentlichen Prämissen der revolutionären Strategie: (1) Die bestehende bürgerliche Staatsmaschinerie einschließlich seiner Armee muss zerschlagen werden. (2) Um dieses Ziel erfolgreich zu erreichen, muss der bürgerliche Staat außerstande sein, sich auf seine eigenen Zwangsgewalten zu verlassen. Er muss außerstande sein, diese erfolgreich gegen die revolutionären Kräfte einzusetzen, die versuchen die dem Staat zugrunde liegende Klassenstruktur fundamental zu verändern. Es ist unmöglich, die bürgerliche Armee für proletarische Ziele zu benutzen sie muss zerschlagen werden. Die Destabilisierung der bürgerlichen Armee und das Herüberziehen eines Teils von ihr auf die Seite des Proletariats ist zwar untrennbar mit dem Prozess der Bewaffnung des Proletariats verbunden — doch es ist nicht das Gleiche!
Die SWP versuchte den bürgerlichen Militarismus für ihre eigenen Ziele zu benutzen — und gab somit den Kampf gegen bürgerlichen Militarismus und Patriotismus als die Hauptgefahr für die Arbeiterklasse vollständig auf. Anstatt das Wesen der imperialistischen Armee aufzudecken, konzentrierte sie sich auf Attacken gegen den Pazifismus. Hätte die Arbeiterklasse pazifistische Illusionen in einen friedlichen Widerstand gegen den Krieg gehabt, ließe sich diese Schwerpunktsetzung eher rechtfertigen. Doch die Arbeiterklasse war 1940 — so wie es Trotzki erkannte - zu „95 bis 98 % patriotisch“. Folglich akzeptierte sie ihre Einberufung in die Armee, schließlich war sie gewillt, gegen den Faschismus zu kämpfen. Da sich die Arbeiter für die Wehrpflicht aussprachen, war der Druck auf die SWP zur Abschwächung einer defätistischen Politik sehr groß. Die SWP hätte bei jedem Schritt die unabhängige Bewaffnung des Proletariats entgegenstellen müssen; stattdessen untergrub sie ihren Widerstand gegen die bürgerliche Wehrpflicht. Cannon griff den Kampf der Sozialpazifisten gegen die Wehrpflicht deswegen an, „weil sie die Realitäten übersahen und Illusionen säten. Die Arbeiter waren für die Wehrpflicht … die Arbeiterbewegung übte schon immer ein gewisses Maß an Zwang gegen Nachzügler und Drückeberger aus. Zwang im Klassenkrieg ist eine Notwendigkeit der Klasse“ (Cannons bei seiner Rede auf der SWP-Konferenz 1940). Ja, sicher ist Zwang eine Klassennotwendigkeit — doch die Einberufung in eine bürgerliche Armee ist eine Klassennotwendigkeit für die bürgerliche Klasse. Die Tatsache, dass die Arbeiter die Einberufung unterstützt haben, ändert doch nichts am Klassencharakter des angewandten Zwanges. Es ist nicht die Aufgabe der proletarischen Avantgarde, der Bourgeoisie bei der Durchführung ihrer imperialistischen Kriege zu helfen, sie mit Kanonenfutter zu beliefern. Kommunisten fordern den revolutionären Defätismus und den Sturz der Bourgeoisie in Kriegen zwischen den imperialistischen Mächten aber nicht in jedem Land die „Kontrolle“ der Arbeiterklasse über den kämpfenden Arm ihrer „eigenen“ Bourgeoisie. Die Forderung muss lauten: „Dreht die Gewehre um„ und nicht Kontrolle über den Militärapparat.
Trotzki schrieb 1934 in „Krieg und die Vierte Internationale“ — seiner umfassenden Systematisierung der Erfahrungen revolutionärer Marxisten im Ersten Weltkrieg und der Anwendung dieser Erfahrungen auf den bevorstehenden Zweiten Weltkrieg:
„Wenn es nicht in den Kräften des Proletariats liegen wird, den Krieg durch das Mittel der Revolution zu verhindern — dies aber ist das einzige Mittel, den Krieg zu verhindern -, so sind die Arbeiter, zusammen mit dem ganzen Volk, gezwungen, an Heer und Krieg teilzunehmen. Die individualistischen und anarchistischen Losungen der Kriegsdienstverweigerung, des passiven Widerstandes, der Fahnenflucht, der Sabotage widersprechen von Grund auf den Methoden der proletarischen Revolution. Aber wie sich in der Fabrik der fortgeschrittene Arbeiter als Sklave des Kapitals fühlt, der seine Befreiung vorbereitet, so fühlt er sich auch im kapitalistischen Heer als Sklave des Imperialismus. Gezwungen, heute seine Kraft und selbst sein Leben hinzugeben, lässt er sich sein revolutionäres Bewusstsein nicht nehmen. Er bleibt ein Kämpfer, lernt, mit der Waffe umzugehen, erläutert auch in den Schützengräben den Klassensinn des Krieges, sammelt die Unzufriedenen, schließt sie zu Zellen zusammen, ist ein Verbreiter der Ideen und Losungen der Partei, verfolgt wachsam die Veränderungen in der Massenstimmung, das Abflauen der patriotischen Welle, das Anwachsen der Empörung, um im entscheidenden Augenblick die Soldaten zur Unterstützung der Arbeiter herbeizurufen.“
— Writings of Leon Trotsky, 1933-1934, Hervorhebungen durch Trotzki; eig. Übersetzung)
Der bürgerliche Staat wird die Arbeiter nur für seine eigenen Ziele bewaffnen. Während dieser Widerspruch von Marxisten ausgenutzt werden kann und muss, ist es utopisch zu erwarten, dass die Gewerkschaften die bürgerliche Armee für ihre eigenen Ziele benutzen können. Die vom Staat geschaffenen modernen imperialistischen Armeen haben zwar eine großenteils proletarische Zusammensetzung; doch ihre Funktion ist direkt gegen die Interessen des Weltproletariats gerichtet. Es ist die entscheidende Aufgabe von Marxisten, immer und überall die bürgerliche Ideologie in den Reihen der Arbeiterklasse zu zerschlagen und zur unabhängigen Bewaffnung und zum unabhängigen Kampf der Organisationen der Arbeiterklasse aufzurufen.
FÜR ARBEITERSELBSTVERTEIDIGUNGSGRUPPEN BASIEREND AUF DEN GEWERKSCHAFTEN!
FÜR EINE VEREINTE KLASSENVERTEIDIGUNG DER MINDERHEITEN UND DER ARBEITSLOSEN! KÄMPFT FÜR SOLDATENRECHTE DURCH SOLDATENRÄTE!
VORWÄRTS FÜR EINE UNABHÄNGIGE ORGANISIERUNG VON ARBEITERMILIZEN!
1 Dies scheint eine Anspielung auf die damalige „überraschende“ anti-sowjetische Annäherung zwischen den USA und der Volksrepublik China zu sein.
2 Walter Reuther: seit 1946 Präsident der damals größten amerikanischen Gewerkschaft, der United Automobile Worker Union (UAW). In zähem Ringen seit den 30ern setzte er sich schließlich gegen die ursprünglich stalinistische Dominanz in der UAW durch. Sein Weg zur Macht in der UAW und deren Konsolidierung war in diesem Zusammenhang auf einem kompromisslosen antikommunistischen Kampf nach dem Motto ‚Demokratie gegen Totalitarismus’ und entsprechende Säuberungen gegründet. Diese Kampagne war ein entscheidender Baustein für die Entradikalisierung der amerikanischen Arbeiterklasse nach 1945. Die gemeinsame antisowjetische Haltung veranlasste Shachtman's WP Reuther bereits 1946 bei seinem innergewerkschaftlichen Machtkampf zu unterstützen.
3 Attica: berüchtigtes Gefängnis im Norden New Yorks.