Allah, Afghanistan & Anti-Imperialismus
Samuel P. Huntingtons Theorie vom "Zusammenstoss der Zivilisationen"
(engl. "clash of civilisations", im Deutschen allgemein unpräzise als
"Kampf der Kulturen" übersetzt) schien ihre akademische Karriere be-reits
vollendet zu haben, als sie in den Buchhandlungen, Bestsellerlisten und Feuilletons
einen zweiten Frühling erlebte: Die Anschläge vom 11. September
schienen seine These zu bestätigen, dass die gefährlichste Konfliktlinie
der Weltpolitik nach dem Ende des Kalten Krieges zwischen der westlich-christlichen
und der islamischen Zivilisation verlaufe.
Der zentrale Fehler dieser Weltsicht besteht - neben ihrer gefährlich-en
kultur-rassistischen Demagogie - darin, dass sie Zivilisationskreise als Akteure
der Weltpolitik konstruiert, die so gar nicht existieren. Auf die angebliche
islamistische Weltbedrohung angesprochen antwortete die graue Eminenz der
amerikanischen Sicherheitspolitik, Zbigniew Brzezinski:
"Unsinn! Es wird gesagt, der Westen habe eine globale Politik gegenüber
dem Islam. Das ist dumm. Es gibt keinen globalen Islam. Betrachten sie den
Islam auf vernünftige Weise und ohne Demagogie und Emotion. Er ist die
führende Religion der Welt mit 1,5 Milliarden Anhängern. Aber was
haben der saudi-arabische Fundamentalismus, das moderate Marokko, Pakistans
Militarismus, das pro-westliche Ägypten oder das säkulare Zentralasien
gemeinsam? Nicht mehr als das, was die christlichen Länder verbindet"
(Le Nouvel Observateur, 15. - 21. Januar 1998, S. 76; eigene Übersetzung).
Die entscheidenden Akteure der internationalen Politik bleiben Staaten und
ihre Regierungen, die jeweils den herrschenden Klassen ihrer Ländern
vorstehen. Deren Interessen und Macht werden an der Basis durch ihre Stellung
im Weltmarkt und dessen Gesetze bestimmt, nicht durch religiöse Ansichten.
Islamistische Bewegungen sind nur eine Kraft in diesem Großen Spiel
und stehen keineswegs erhaben über dessen niederträchtigen Regeln.
Nach wie vor dem 11. September sind islamische Organisationen und Regierungen
sowohl Gegner wie Verbündete der verschiedenen westlichen Großmächte.
Je nach ihrer aktuellen Nütz- oder Schädlichkeit für die konkrete
politische und militärische Durchsetzung der imperialistischen Interessen
können sie von Freunden zu Feinden werden und umgekehrt. Nicht nur Husseins
Wandel vom Verbündeten gegen Chomeinis islamische Revolution zum 'Hitler'
der frühen 90er, auch das Verhältnis der USA zu den afghanischen
Gotteskriegern belegt den taktischen, von Machtinteressen bestimmten Umgang
miteinander.
Afghanische Gotteskrieger & amerikanische Provokation
Bin Laden und die Taliban wurden bereits vor dem 11. September 2001
durch die Clinton-Regierung als Dämonen im Zentrum einer weltweiten anti-amerikanischen
resp. anti-zivilisatorischen Verschwörung verdammt - als wären
sie nicht das (in-)direkte Resultat westlicher Imperialpolitik, wie Zbigniew
Brzezinski 1998 in einem Interview enthüllte:
"Frage: Der frühere CIA-Direktor, Robert Gates, stellte in seinen Memoiren
["From the Shadows", A.d.R.] fest, dass der amerikanische Geheimdienst schon
sechs Monate vor der sowjetischen Intervention mit der Unterstützung
der Mudschaheddin in Afghanistan begann. In dieser Zeit waren Sie der nationale
Sicherheitsberater von Präsident Carter. Sie spielten daher eine Rolle
in dieser Angelegenheit. Ist das richtig?
Brzezinski: Ja. Nach der offiziellen Version der Geschichte begann die CIA-Hilfe
für die Mudschaheddin während des Jahres 1980, d.h. nach dem Einmarsch
der sowjetischen Armee in Afghanistan am 24. Dezember 1979. Aber in Wirklichkeit,
bis jetzt geheim gehalten, war es ganz anders: In der Tat war es am 3. Juli
1979, dass Präsident Carter die erste Anweisung für die geheime
Hilfe an die Gegner des pro-sowjetischen Regimes in Kabul unterzeichnete.
Am selben Tag schrieb ich eine Notiz an ihn, in der ich meine Ansicht ausführte,
dass diese Hilfe eine sowjetische Militärintervention auslösen würde.
... Wir zwangen die Russen nicht, einzugreifen, aber wir erhöhten wissentlich
die Wahrscheinlichkeit, dass sie es tun würden.
Frage: ... Bereuen sie heute gar nichts?
Brzezinski: Bereuen - was? Diese Geheimoperation war eine exzellente Idee.
Sie zog die Russen in die afghanische Falle. An dem Tag, als die Sowjets offiziell
die Grenze überschritten, schrieb ich an Präsident Carter: Wir
haben jetzt die Gelegenheit, der UdSSR ihren Vietnam-Krieg zu bereiten. Tatsächlich
musste Moskau für fast 10 Jahre ... einen Konflikt führen, der
dem Sowjetreich Demoralisierung und schließlich den Zusammenbruch brachte.
Frage: Bereuen sie es auch nicht, den islamischen Fundamentalismus unterstützt
und zukünftigen Terroristen Waffen und Ausbildung geliefert zu haben?
Brzezinski: Was ist wichtiger in der Weltgeschichte? Die Taliban oder der
Zusammenbruch des Sowjetreiches? Einige aufgehetzte Muslime oder die Befreiung
Mitteleuropas und das Ende des Kalten Krieges?" (Le Nouvel Observateur, 15.
- 21. Januar 1998, S. 76; eigene Übersetzung)
Diese Ausführungen lassen in ihrer Offenheit nichts zu wünschen
übrig. Und sie bestätigen, dass unsere Position der militärischen
Verteidigung der sowjetischen Armee gegen die Mudschaheddin doppelt und dreifach
richtig war: Erstens, weil die Sowjetarmee die Armee eines (bürokratisch
entarteten) Arbeiterstaates war, während ihre Gegner nicht einmal bürgerliche
Nationalisten sondern Stammeskrieger, also der bewaffnete Arm in der Regel
vorbürgerlicher Verhältnisse waren. Zweitens, weil die sowjetische
Intervention die Rechte der Frauen schützte und eine Möglichkeit
für eine fortschrittliche Entwicklung dieser extrem unterentwickelten
Gesellschaft eröffnete. Drittens, weil Afghanistan auch der Schauplatz
eines viel größeren Spiels um die imperialistische Beherrschung
der Welt und die Zerstörung des gesamten Sowjetreiches war, die direkt
(Verelendung in Osteuropa und der ehem. UdSSR) oder indirekt (Terror der Globalisierung
und der "Neuen Weltordnung") Tod und Verderben über viele Millionen
Menschen brachte.
Die Mudschaheddin zerstörten das Land in einem jahrelangen Bürgerkrieg
nach dem Rückzug der Sowjetunion und erwiesen sich als unfähig,
eine stabile Regierung zu etablieren. Afghanistan versank im Chaos. Andererseits
rückten die gewaltigen Erdölvorkommen in den benachbarten kaspischen
Republiken und die Frage von Pipelines immer mehr ins Interesse westlicher
Ölmultis.
"Die Clinton-Regierung war den Taliban deutlich wohlgesinnt, da sie zum einen
mit Washingtons Anti-Iran-Politik auf einer Linie waren und zum anderen wichtig
für den Erfolg einer Pipeline im Süden, die den Iran umging" (Ahmed
Rashid: Taliban. Afghanistans Gotteskrieger und der Dschihad, Droemer, 2001,
S. 97).
"... Selig Harrison, US-amerikanischer Nahostexperte vom Woodrow Wilson International
Center for Scholars ... ist überzeugt, daß die alten engen Verbindungen
zwischen dem pakistanischen ISI und der CIA weiter bestehen. Harrison hält
die Taliban für eine Kreation des pakistanischen Geheimdienstes. Sie
dienten vor allem dazu, den unliebsam gewordenen Hekmatyar zu vertreiben,
nachdem dieser sich auf die Seite von Saddam Hussein geschlagen hatte" (Connie
Uschtrin: "Die Reaktion beißt ihre Väter". konkret 11/2001, S.
31).
Noch Anfang 1997 erklärte ein US-Diplomat: " Wahrscheinlich werden sich
die Taliban wie die Saudis entwickeln. Es wird Aramco, Pipelines, einen Emir,
kein Parlament und jede Menge Scharia geben. Damit können wir leben"
(A. Rashid, ebd., S. 292).
Die anfängliche Sympathie der USA für eine neue Ordnungsmacht in
Afghanistan überschnitt sich jedoch mit deren Schwierigkeiten, sich entscheidend
in ganz Afghanistan gegen ihre Rivalen durchzusetzen. Andererseits überschnitten
sich die späteren Taliban-Erfolge an dieser Front wiederum mit deren
zunehmender, vom pakistanischen Geheimdienst geförderten Verflechtung
mit Bin Laden und seiner al-Qaida, und dadurch mit einem immer kompromissloseren
amerika-feindlichen und generell anti-westlichen Kurs, der sich auch gegen
die UNO und NGO's richtete. Seit dem Besuch der US-Außenministerin Madeleine
Albright am 18. November 1997 in Islamabad versuchten die USA, mit Menschenrechtspropaganda
politischen Druck auf die Taliban auszuüben. Hingegen dürfen loyale
Freunde der USA, wie Saudi-Arabien, Türkei oder Israel, ungestört
die Menschenrechte mit Füßen treten. Die Taliban zeigten sich
jedoch überhaupt nicht beeindruckt und eskalierten ihren Kurs. Zunehmend
drohten die Verhältnisse in Afghanistan die ganze Region zu destabilisieren,
die geostrategisch wegen ihres Ölreichtums, ihrer Transportverbindungen
und der Lage zu Russland, China und Asien generell von außerordentlichem
Interesse ist.
Die Unocal, ein US-Öl-Multi mit direkten Interessen an der Ausbeutung
des kaspischen Öls, hatte bereits am 12. Februar 1998 in einem Hearing
vor dem amerikanischen Kongress unmissverständliche Forderungen gestellt:
" Wir verlangen von der Administration und dem Kongress mit aller Kraft den
Friedensprozess unter Führung der Vereinigten Staaten zu unterstützen.
Die Regierung der USA muss ihren Einfluss geltend machen, um dazu beizutragen,
Lösungen für alle Konflikte in dieser Region zu finden. Die Hilfe
der USA zur Entwicklung dieser neuen Ökonomien ist lebenswichtig für
den Fortschritt der Geschäftswelt" (Il Manifesto, 18. Oktober 2001).
Nach den Bombenanschlägen auf zwei US-Botschaften in Afrika im August
1998, machten die USA Bin Laden dafür verantwortlich und bombardierten
seine Übungslager in Afghanistan. Daraufhin erklärte Unocal sein
Pipeline-Projekt für eingestellt, bis "in Afghanistan die nötige
Stabilität zur Finanzierung der Gasline durch die internationalen Geldgeber
hergestellt worden ist" (Il Manifesto, 19. Oktober 2001). Die Taliban hatten
zwar dann mittlerweile fast ganz Afghanistan unter Kontrolle, aber die westliche
Geschäftswelt und ihre Politiker glaubten immer weniger, dass ihnen diese
Kontrolle etwas nützt - im Gegenteil. Noch fast drei Jahre wurde zwischen
den USA und den Taliban weiter über deren Anpassung an den Westen, die
Auslieferung Bin Ladens und die internationale Anerkennung der Taliban verhandelt.
Eine Einigung wurde nicht erreicht. Im Sommer 2001 betrachteten US-Diplomaten
die Verhandlungen endgültig als gescheitert und verließen ein
geheimes Treffen in Berlin unter Drohungen gegen die Taliban-Vertreter. Ein
militärisches Eingreifen zur Durchsetzung einer imperialistischen 'Konfliktlösung'
stand damit unmittelbar bevor.
Als dieses dann im Oktober 2001 erfolgte, machten die USA die Nord-Allianz
und später auch eine bunte Ansammlung paschtunischer Stammesführer
(die sogenannteOstallianz) samt ihrer jeweiligen fundamentalistischen Kräfte
erneut zur Hilfstruppe. Die Macht der Mullahs in Afghanistan bleibt ungebrochen
- nur heißt das jetzt Demokratisierungsprozess. Die Kollaboration der
Imperialisten mit radikalen Islamisten ist also keinesfalls zu Ende und wird
fortgesetzt, wo immer sie nützlich ist. Es gilt nach wie vor das Wort
des ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden des National Intelligence Council
bei der CIA: "In der islamischen Welt gehören heute Islamisten zu den
aktivsten Kräften im Kampf für Demokratie und Menschenrechte. ...
Es ist die Pflicht der Muslime, sich gegen ungerechte Regierungen zu wenden
und sie abzulösen" (taz, zitiert nach konkret 10/2001; S. 31). Imperialistische
Herrschaft bedeutet offensichtlich 'eins, zwei, drei viele Taliban'.
Einmal Afghanistan und zurück
Unter den Folgen der US-Intervention in Afghanistan müssen heute
noch Zig-Millionen Menschen in aller Welt leiden. 1986 hatten die USA auf
Veranlassung des CIA-Chefs William Casey damit begonnen, den Gotteskriegern
nicht nur amerikanische Stingerraketen zu liefern. Mehr noch: CIA, britischer
MI-6 und der pakistanische Geheimdienst ISI kamen überein, Guerrillaangriffe
auf die Sowjetrepubliken Tadschikistan und Usbekistan zu lancieren. Damit
beauftragt wurde der ISI-Günstling und fanatische Frauenhasser Gulbuddin
Hekmatyar. Bereits im März 1987 konnte er zur Freude Caseys die ersten
Raketenangriffe auf tadschikische Dörfer melden. Dieser Erfolg wurde
die Ouvertüre zur Umsetzung einer Initiative, die der ISI bereits seit
1982 anregte, die aber erst jetzt mit US-imperialistischer Hilfe im großen
Stil verwirklicht wurde: Die Rekrutierung Tausender Muslime in aller Welt
für den Dschihad in Afghanistan. Unter der Schirmherrschaft des CIA wurde
diese Aktion ein Joint-Venture der Muslimbruderschaft und der saudischen World
Muslim League, die international Freiwillige anwarben, dem saudischen Geheimdienst,
der das Geld gab, und der fundamentalistischen Jamaat-e-Islami sowie des
ISI, die in Pakistan für Kost, Logis und Ausbildung der angehenden Gotteskrieger
sorgten. Bis 1992 kämpften ca. 35.000 radikale Muslime aus 43 islamischen
Ländern in Afghanistan und weitere Zehntausende wurden in den von Pakistans
Präsidenten Zia ul-Haq geförderten religiösen Schulen, den
Madrassas, unterwiesen - wodurch besonders strenge wahhabitische Sekten an
Einfluss gewannen. So entstanden erfahrene Kämpfer, transnationale islamische
Netzwerke und mit der Niederlage der Sowjetunion ein Enthusiasmus, den Dschihad
auszudehnen.
"Am Ende hatten über 100 000 radikale Muslime direkten Kontakt mit Pakistan
und Afghanistan und unterstanden dem Einfluss des Dschihad. ... Für die
meisten von ihnen war dies die erste Gelegenheit, etwas über die islamischen
Bewegungen in den anderen Ländern zu erfahren, und sie knüpften
taktische und ideologische Verbindungen, die ihnen in Zukunft zugute kommen
sollten. Die Lager wurden buchstäblich zu Universitäten für
den künftigen islamischen Radikalismus" (A. Rashid, ebd., S. 223).
Diese heute verleugneten Kinder der anti-sowjetischen Allianz des CIA, des
pakistanischen Geheimdienstes und der afghanischen Mudschaheddin haben vor
New York bereits andere Länder wie Ägypten oder Algerien mit ihrem
blutigen Terror heimgesucht:
"Allerdings gestand Washington nicht ein, dass der afghanische Dschihad mit
Unterstützung des CIA Dutzende von Fundamentalisten-Gruppen in der gesamten
muslimischen Welt gegründet hatte, die von militanten Moslems geführt
wurden, deren Groll weniger gegen Amerika gerichtet war als vielmehr gegen
ihr eigenes korruptes, inkompetentes Regime. ... der erste größere
Auftritt der Araber-Afghanen erfolgte in Algerien. Die Islamische Heilsfront
(ISF) gewann die erste Runde in den Parlamentswahlen mit etwa 60 Prozent der
Sitze im ganzen Land. Das algerische Militär erklärte die Ergebnisse
für ungültig, und innerhalb von zwei Monaten begann ein grausamer
Bürgerkrieg, der bis 1999 ungefähr 70 000 Opfer forderte. Die ISF
wurde vom extremeren islamischen Dschihad ausmanövriert, der sich 1995
in Bewaffnete Islamgruppe (GIA) umbenannte. Die GIA wurde von Algerier-Afghanen
geführt - algerischen Veteranen aus dem Afghanistankrieg -, Neo-Wahabbis,
die den Plan verfolgten, Algerien in ein Blutbad zu stürzen, Nordafrika
zu destabilisieren und den islamischen Extremismus in Frankreich anzustacheln"
(A. Rashid, ebd., S. 231 f.).
Der neue König der Herzen
Einer dieser Rekruten war Osama Bin Laden. Mit seinen Millionen finanzierte
er das militante Netzwerk al-Qaida (Die Basis). "Bislang waren nur arme Saudis,
Studenten, Taxifahrer und Beduinen gekommen, um zu kämpfen" (A. Rashid,
ebd., S. 224 f.). In einer Mischung aus Wut über soziale Benachteiligung
und politische Unterdrückung, im Hoffen auf eine bessere Welt (notfalls
im Jenseits) kombiniert mit kultureller Rückständigkeit und traditioneller
Erziehung sowie mangels attraktiver fortschrittlicher Alternativen sahen
sie im Dschihad den Ausweg aus ihrem sinnlosen Leben. Die Lage des Kleinbürgertums
im Mittleren Osten und generell in den sogenannten muslimischen Ländern
hat sich in den letzten zehn Jahren weiter verschlechtert. Das traditionelle
Kleinbürgertum hat unter den Bedingungen von Neo-Liberalismus und Globalisierung
einen schweren Stand. Das moderne Kleinbürgertum ist zu bedeutenden
Teilen von neoliberaler Staatsverschlankung und Akademikermassenarbeitslosigkeit
bedroht, es stößt an die Grenzen von Korruption und Vetternwirtschaft
bei der Vergabe von Stellen und muss dann oft die völlige Inkompetenz
der Günstlinge mit ansehen. In seiner Not ist es in der Vergangenheit
allen möglichen Versprechen und Strömungen hintergelaufen: dem
(linken) Nationalismus und dem sogenannten arabischen Sozialismus Nassers
oder der Ba'ath-Partei, stalinistischen Parteien und Volksfronten - nur um
zu großen Teilen enttäuscht zu werden. Den frustrierten Kleinbürgern
bietet der Islamismus mit Gottesherrschaft und "Umma" (der Gemeinschaft der
Gläubigen) einen Ersatz für den gescheiterten arabischen Nationalismus
und "Sozialismus", ein Versprechen von Stabilität und Sicherheit, wie
in den guten alten Zeiten, sowie eine eigene kulturelle Identität in
Abgrenzung von den westlichen Unterdrückern. Nach Stalinisten, Nationalisten
und arabischen "Sozialisten" treten nun anscheinend Bin Laden & Co. als
neue Gegner imperialistischer Ausbeutung und Unterdrückung der Region
auf. Der religiöse Fanatismus erscheint dabei geradezu als Garantieschein
dieser Kompromisslosigkeit, denn religiöse Prinzipien scheinen anders
als politische Absichtserklärungen ein Taktieren und Kollaborieren mit
dem Gegner, dem "Ungläubigen", auszuschließen.
Für Millionen Muslime in aller Welt wurde Bin Laden der neue König
der Herzen, nachdem die Imperialisten ihn zum Staatsfeind Nr. 1 erklärt
und zum "Meister des Bösen" verklärt hatten. Das war nicht nur eine
Mischung aus religiöser Sympathie und Trotzreaktion gegen den verhaßten
US-Imperialismus: Für sie war Bin Laden auch eine phantastische Projektions-
und Symbolfigur, "die sich der imperialistischen Globalisierung widersetzt,
die insbesondere dafür plädiert, dass Erdgas und Erdöl der
islamischen Ländern den westlichen Multis entzogen und für die Entwicklungsziele
der Länder selbst eingesetzt werden soll" (Conrad Schuhler: "Globaler
Kapitalismus im 'Krieg gegen den Terror'", isw-report Nr. 49, 2001, S. 19,
Fehler im Original). Und Bin Laden nutzte dieses Image, das Hoffnungen nährte
und Anhänger mobilisierte und doch keinerlei Verpflichtung auf sozial
revolutionäre Maßnahmen beinhaltete. Denn die Islamisten propagieren
keineswegs, die Reichtümer zu sozialisieren und die Entwicklungsziele
den Interessen der Arbeiter zu unterwerfen: Die iranischen Theokraten haben
erst die Arbeiterbewegung zerschlagen, dann die Arbeiterklasse ruiniert.
Sie fordern nur, dass Muslime statt ungläubiger Multis die Kontrolle
ausüben. Ihr "Amis raus" würde vor allem und in erster Linie großen
Teilen der Bourgeoisie der islamischen Länder dienen.
Pentagon, Petrodollars & Bin Laden
Bin Laden verfügte über Sympathisanten unter Mitgliedern
der großen saudischen Königsfamilie und des Geheimdienstes Istakhbarat,
bis hin zum Prinzen Turki, der bis zum September 2001 der Chef des Geheimdienstes
war. Und über das pakistanische Establishment sagte Bin Laden selbst:
"Es gibt in Pakistans Regierung einige Ressorts, die durch Gottes Gnade auf
die islamischen Gefühle des pakistanischen Volkes reagieren. Das spiegelt
sich wider in Sympathie und Kooperation" ( A. Rashid, ebd., S. 235). Dies
blieb auch so, nachdem er wegen seiner Kritik an der Unterstützung der
saudischen Regierung für den amerikanisch geführten Angriffskrieg
gegen den Irak und an der dauernden Stationierung von 20.000 US-Soldaten auf
saudischem Boden bei König Fahd in Ungnade gefallen und verbannt worden
war. In dieser Zeit wandelte er sich vom Verbündeten zum Gegner der
USA. Mit Bin Laden gelang es also auch nach dem Ende der UdSSR und nachdem
die USA der Region den Rücken gekehrt hatten, privilegiertere Schichten
für eine Unterstützung des Dschihad zu gewinnen, die aber zumeist
taktischer Natur blieb. Während Bin Laden sein Leben mit dem Dschihad
verband, verbanden sie nur ihre Portokasse damit.
Unter seinem Einfluss wurde die Taliban-Führung immer anti-amerikanischer,
womit sich die Hoffungen auf eine US-kontrollierte Pipeline vom Kaspischen
Meer durch Afghanistan zu den Küsten Pakistans zur Versorgung der asiatischen
Märkte zerschlugen. Anfang 1999 ersuchten Turkmenistan, Pakistan und
die Taliban dann die saudische Delta Oil, im Alleingang, ohne US-Einfluss,
eine Pipeline zu bauen und damit beträchtliche Gewinne aus der Ausbeutung
der zentralasiatischen Ölreichtümer den USA vor der Nase wegzuschnappen.
Für Bin Ladens Sponsoren war dies ein Versuch, ihren Anteil an der Ausbeutung
der reichen Rohstoffquellen in der Konkurrenz zum Westen zu vergrößern
und ein größeres Maß an Unabhängigkeit ihm gegenüber
zu erreichen: Für Teile des arabischen Großbürgertums war
Bin Laden der inoffizielle Söldner dieses Traums; ist doch der rationale
Kern seines religiösen Fanatismus die Forderung, dass die Gas- und Ölquellen
der Region von den islamischen Ländern statt dem Westen kontrolliert
werden und westliche Truppen die Region verlassen sollten.
Für das saudi-amerikanische Verhältnis gilt, was das Pentagon allgemein
feststellte: "Aber Beziehungen mit anderen Ländern sind oft sowohl durch
Konkurrenz als auch Kooperation charakterisiert" (Quadrennial Defense Review
Report (QDR), 30. September 2001, S. 3).
Der jetzige Krieg gegen den Terror dient der Gestaltung dieser Beziehungen
zum Vorteil der USA, indem sie dem regionalen Großbürgertum einerseits
klar machen, dass der Versuch, eine Kontrolle im Widerspruch zum Imperialismus
durchzusetzen, gescheitert ist und ihm andererseits gleichzeitig eine kooperative
Rolle in einer Allianz gegen den Terror unter amerikanischer Hegemonie anbieten.
Linke Islamisten oder Linke Irrwege?
Wenn die Islamisten Unterstützung unter den ausgebeuteten und
unterdrückten Massen finden, so liegt dies vor allem auch an dem generellen
opportunistischen Versagen der Linken, einen konsequenten Kampf für eine
lebenswerte Alternative zum irdischen Jammertal, d.h. für den Sozialismus,
zu führen. Speziell liegt es an der mangelnden Abgrenzung vieler linker
Gruppen von islamistischen Reaktionären, mit denen sie sogar Volksfrontbündnisse
eingehen, statt den unversöhnlichen Widerspruch zwischen fundamentalistischer
Reaktion und proletarischem Klassenkampf in Wort und Tat aufzuzeigen.
Die palästinensischen Linksnationalisten der Volksfront zur Befreiung
Palästinas (PFLP) und der Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas
(DFLP), die oft fälschlicherweise als Marxisten bezeichnet werden, haben
sich mit den islamistischen Organisationen Hamas und Dschihad im Namen der
nationalen Einheit politisch verbündet. Sie bilden die seit 1993/94 bestehende
"Allianz der Palästinensischen Kräfte", die heute als "Palästinensische
Nationale und Islamische Kräfte" firmieren und gemeinsame politische
Erklärungen abgeben. Damit haben sie, wie die iranischen Linken Ende
der siebziger Jahre, ihre potentiellen Schlächter umarmt: Der nationale
Bruderkuss würde sich als Todeskuss erweisen, stünde dem nicht
die Unfähigkeit aller Beteiligten im Wege, zunächst überhaupt
die zionistische Besatzung abzuschütteln.
Wie einst im Iran wird dieses Vorgehen von westlichen Linken gedeckt und unterstützt.
So bezeichnet die von der Internationalen Leninistischen Strömung (ILS)
initiierte und getragene Antiimperialistische Koordination (AIK) nicht nur
trotz oder sogar wegen dieser Bündnispolitik die PFLP als internationale
Speerspitze des antiimperialistischen Kampfes:
"Die PFLP ist die Avantgarde der Revolution gegen den Imperialismus, Zionismus,
und die arabischen reaktionären bourgeoisen Regimes und wird als solche
von der internationalen antiimperialistischen Bewegung als ihre eigene Speerspitze
verstanden" (Erklärung der AIK vom 22.10.2001).
Die ILS, deren deutsche Genossen in der Roten Aktion Duisburg und der Red
Community/NRW mitarbeiten, rechtfertigt solche politischen Bündnisse
und praktiziert sie selber:
"Nicht nur durch die kommunistische Bewegung hat die Praxis des antiimperialistischen
Widerstandes neue Trennlinien jenseits einstiger ideologischer Grenzen gezogen"
- Klassenanalyse und marxistisches Programm als einstige ideologische Trennlinie?
"Darüber hinaus hat die Wirklichkeit des Kampfes eine Vielzahl neuer,
für viele unerwarteter und unangenehmer [sic!] Formen des Widerstandes
gegen die Globalisierung und den Neoliberalismus hervorgebracht. Dennoch drängt
die Brutalität der US-geführten Neuen Weltordnung zu einer Zusammenarbeit
aller jener Strömungen, die angesichts dieser neuen Realitäten
der kapitalistischen Weltherrschaft nach dem Ende der Sowjetunion nicht die
Seiten gewechselt haben" (Ankündigung Antiimperialistisches Sommerlager
2000; alle ILS-Zitate aus: www.leninist-current.revolte.net, 19.12.2001).
Sicher, die Islamisten haben bestimmt nicht die Seite gewechselt; sie waren
vorher anti-kommunistischer Bestandteil der kapitalistischen Herrschaft und
sind es heute noch. Allerdings hat die angebliche "kommunistische Bewegung",
d.h. für die ILS Stalinismus bzw. Maoismus, außerhalb der deformierten
Arbeiterstaaten auch nicht die Seite gewechselt: Ihre Funktion war seit den
dreißiger Jahren die Verhinderung der proletarischen Revolution, vor
allem durch Volksfrontpolitik, d.h. die Anpassung und faktische Unterordnung
unter wechselnde (klein-)bürgerliche Kräfte, die angeblich fortschrittlich
oder objektiv revolutionär waren. In diesem Rahmen sind jetzt die Islamisten
an der Reihe:
"Tatsächlich gibt es keine einheitliche islamische Front. Neben Kräften
wie der libanesischen Hisbollah, die eine hervorragende Rolle gegen den Zionismus
und Imperialismus spielt, existieren auch reaktionäre Formationen, die
auch heute noch offen von den USA und seinen lokalen Wachhunden unterstützt
werden, wie zum Beispiel die Taliban in Afghanistan und einige terroristische
Gruppen in Algerien und Libyen" (Der Angriff auf den Irak und die Neue Weltordnung).
Auf ein sogenanntes antiimperialistisches Sommerlager mit dem Anspruch "ein
kleiner Ansatzpunkt für den langen Kampf um eine neue revolutionäre
Strategie und Organisierung gegen die kapitalistische Globalisierung" (Ankündigung
Antiimperialistisches Sommerlager 2000) wird dann folgerichtig die Hisbollah
aus dem Libanon eingeladen, um über "Islam und Neue Weltordnung" zu referieren.
Das entspricht bedingt dem ILS-Slogan "Jenseits des Westens", aber es ist
unbedingt jenseits des Kommunismus und des proletarischen Klassenkampfes.
Die Grundlage dieser Politik besteht in der Ersetzung einer wissenschaftlichen
Anleitung zum revolutionären Klassenkampf, d.h. eines marxistischen Programms,
dessen zentrales Ziel die völlige politische Unabhängigkeit des
Proletariats und dessen Machteroberung ist, durch ein simples: Für oder
gegen den Westen. "... wenn wir die vereinigten Imperien nicht stürzen,
[wird] die Menschheit viel früher in die Barbarei verfallen ..., als
wir es alle zu fürchten wagen. Es wird nicht nur zu spät sein, um
die sozialistische Revolution zu machen, sondern sogar zu spät, um von
ihr zu sprechen. Das Schicksal der sozialen Revolution hängt an einem
seidenen Faden ... unser Schlachtruf muß sein: Gegen den Westen!" (Der
Krieg vor der Tür...).
Diese Argumentation ist trotz militanterer Verkleidung der gleiche alte Taschenspielertrick,
mit dem noch jeder Volksfrontverrat und auch Gorbatschows Politik des Ausverkaufs
der Sowjetunion gerechtfertigt wurde: Wenn die Faschisten an die Macht kämen,
dann sei es zu spät, vom Sozialismus zu reden, also bürgerlich-demokratische
Volksfront mit dem angeblich progressiven Flügel der Bourgeoisie. Wenn
die Menschheit (Arbeiter wie Bourgeois) im Atomkrieg oder ökologischem
Kollaps versinkt, sei es zu spät von der Revolution zu reden, also Gorbatschows
Menschheitsfragen vor Klassenfragen und Kurs auf die sogenannte Aussöhnung
mit dem Imperialismus im Dienste der Menschheit. Die ILS kaut diese Methode
bloß wieder, um den antiimperialistischen Kampf über die proletarische
Weltrevolution zu setzen oder ihr als Etappe voranzustellen, und so das Volksfrontbündnis
mit reaktionären religiösen Fanatikern zu rechtfertigen.
Das Resultat war im Fall der klassischen Volksfrontpolitik die blutige Repression
der Revolutionäre durch Stalinisten und Bürgerliche und oft sogar
der Sieg des Faschismus (z.B. Spanien) oder einer Militärdiktatur (z.B.
Chile) über die durch ihre inneren Klassenwidersprüche und die Selbstbeschränkung
auf den Kapitalismus gelähmten sogenannten antifaschistischen Kräfte.
Im Falle Gorbatschows war es das Ende der UdSSR und der Sieg der mörderischen
"Neuen Weltordnung". Und es gibt nicht den geringsten Grund anzunehmen, dass
die 'antiimperialistische' Politik vom Schlage der ILS zu einem besseren
Ende führen wird. Die iranische Hölle für Frauen, Linke und
Kurden lässt warnend grüßen.
Der entscheidende Punkt ist: Egal wie sehr die Zeit für das Schicksal
der Menschheit drängen mag, dies ändert nichts an den gesellschaftlichen
Verhältnissen und damit an der Notwendigkeit, den Imperialismus durch
sozialistische Revolutionen weltweit zu besiegen. Die Suche nach Abkürzungen,
angeblich neuen oder dritten Wegen und Ersatzavantgarden ist ein Kennzeichen
des Opportunismus. Solange sich die sozialen Verhältnisse jedoch nicht
grundlegend ändern, gibt es keine Alternative oder Abkürzung zum
Klassenkampf und einem revolutionären marxistischen Programm "alter",
d.h. orthodoxer, "Prägung". Die proletarische Revolution wird wahrscheinlich
außerhalb der imperialistischen Zentren beginnen; wie schon im Oktober
1917 wird die Kette an ihrem schwächsten Glied brechen. Die Arbeitermacht
wird sich aber dauerhaft nur halten und zum sozialistischen Aufbau nur fortschreiten
können, wenn sie wenigstens in einigen entwickelten, imperialistischen
Ländern siegt.
Doch für die ILS ist "das 'entwickelte' Proletariat ... rückständig.
... Vom Hauptfeind der kapitalistischen und imperialistischen Front ist dieses
Proletariat auf die andere Seite übergegangen und kann nunmehr nur mehr
zwischen zwei Rollen wählen: Hilfstruppe der imperialistischen Militärmaschinerie
oder Partisanenbewegung in der Defensive" (Der Krieg vor der Tür ...).
Diese pessimistische Einschätzung haben Antinationale und Antiimps übrigens
im Grunde gemeinsam; nur setzen sie auf zwei unterschiedliche reaktionäre
Ersatzsubjekte: "Demokratische" Imperialisten oder nationalistische bzw. islamistische
"Volksbewegungen".
Die Einschätzung der ILS ist zum einen ausgesprochen wirr: Das zum Feind
übergelaufene Proletariat des Imperialismus soll trotzdem als Partisan
gegen diesen kämpfen können, aber keinesfalls mehr. Dieser Impressionismus
ist bar jeder wissenschaftlichen Grundlage. Zum anderen ist das Proletariat
an der Peripherie gegenwärtig leider oft keineswegs fortschrittlicher
als in den Metropolen, sondern hängt nicht selten im Schlepptau der nationalen
Bourgeoisie samt ihrer islamistischen Vertreter. So existiert in Palästina
aktuell kein vom bürgerlichen Nationalismus unabhängiges, organisiertes
Klassenbewusstsein - es sei denn man verwechselt, wie die ILS, revolutionären
Inhalt mit militanter Form und glaubt, dass "ein Guerillero der Hizbullah
linker ... als ein europäischer Marxist alter Prägung" (ebd.) sei.
Denn angeblich "stimmt es, dass nach 1967 in gewissen Teilen der Volksmassen
eine Hinwendung zum politischen Islam begann, die nicht gleichbedeutend mit
ihrem Anheimfallen an die Reaktion verstanden werden können. Bis zu
einem gewissen Grad ist es die Abwendung vom gescheiterten Säkularismus
sei es nun in seiner kommunistischen, nationalistischen oder noch mehr liberal-demokratischen
Form. Mit der iranischen Revolution erhielt diese Bewegung gewaltigen Auftrieb"
("Geschichte des politischen Islam").
Mit Verlaub: Säkularismus bezeichnet die fortschrittliche Trennung von
Staat und Religion. Was ist an einer religiös-fundamentalistischen Abwendung
von jedem Säkularismus, auch dem kommunistischen, - d.h. dem Kampf für
einen Gottesstaat - nicht reaktionär? Nur eine völlige Preisgabe
des marxistischen und leninistischen ABC kann zu solchen Irrtümern führen.
Wo die linken Antiimps jeden Kompass verloren haben, weiß die Hamas
klar Freund und Feind zu unterscheiden - ein "Vorteil", der ihr im Ernstfall
zum Sieg über die Linke verhelfen wird: "Säkularismus widerspricht
ganz und gar der religiösen Ideologie. Einstellungen, Verhaltensweisen
und Entscheidungen erwachsen aus Ideologien. Deshalb ... ist es uns unmöglich
das jetzige oder zukünftige islamische Palästina gegen die säkulare
Idee einzutauschen" ("Covenant of the Islamic Resistance Movement", "Der Bund
der Islamischen Widerstandsbewegung", 18. August 1988, eigene Übersetzung).
Allerdings ist die Trennung von Staat und Moschee eine der demokratischen
Rahmenbedingungen für eine kommunistische Entwicklung, denn wie soll
eine planmäßige, vernünftige Umgestaltung der Wirtschaft zum
Wohle der Menschen möglich sein, solange die Politik sich in den Klauen
religiösen Wahns und Aberglaubens befindet. Wir würden uns wünschen,
dass Leute, die sich für Kommunisten halten, mit gleicher Schärfe
die Unversöhnlichkeit des Programms der revolutionären Befreiung
mit jeder Form islamistischer Politik erkennen würden. Solange dies
nicht so ist, müssen wir sagen, dass diese Linken ihren Brüdern
und Schwestern aufs fundamentalistische Schafott helfen.
Oder ist die "iranische Revolution" etwa nicht beredtes Zeugnis genug für
den tief reaktionären Charakter der Hinwendung zum politischen Islam?
Nicht, dass es unmöglich wäre, die Massen vom Islamismus zu brechen,
aber die Interessen der Ausgebeuteten und Unterdrückten und der Islamismus
sind unversöhnlich; ihre Hinwendung zum politischen Islam ist umkehrbar
aber reaktionär. Es ist eine Sache, die Irrtümer der Massen nicht
einfach moralistisch zu verurteilen sondern analytisch zu verstehen, um politisch
gegenzusteuern; es ist eine gänzlich andere Sache, ihnen darin zu folgen:
"Mit dieser sozialen Basis tendiert der politische Islam trotz der sozialreaktionären
Herkunft dazu, sich mit der sozialen Frage aufzuladen und so dem Antiimperialismus
eine immer intransigentere Form zu geben. Die beispiellose Verschlechterung
der sozialen Lage und die Schärfe der imperialistischen Demütigung
im letzten Jahrzehnt treibt diesen Prozess weiter an. Das gilt nicht
nur für die schiitischen Bewegungen allen voran die Hisbollah im Libanon,
sondern auch für sunnitische Parteien wie die FIS in Algerien oder die
Hamas in Palästina" ("Geschichte des politischen Islam").
Die Perspektive, die sich daraus für die ILS ergibt, ist nicht die Spaltung
der proletarischen Massen vom politischen Islam auf der Grundlage einer revolutionären
Klassenpolitik sondern das Bündnis mit dem radikalen Flügel des
politischen Islam. Sie vergibt damit die reale Chance, sich zuspitzende Widersprüche
konsequent zu nutzen, hält dem "linken" Islamismus die Stange und wiederholt
so die ganze Palette von Fehlern, die die iranische Linke in die Katastrophe
führte. Das Ganze ist garniert mit einem naiven Objektivismus, den die
Geschichte bereits unzählige Male widerlegt hat:
"Mit den letzten Ereignissen haben sich das antiimperialistische und in der
Folge notwendigerweise auch das sozialrevolutionäre Potential des politischen
Islam nur noch weiter gesteigert" (Geschichte des politischen Islam).
"Noch weiter gesteigert" als im Iran, wo angeblich "dauerhaft ein vom
Imperialismus unabhängiges Regime" (ebd.) errichtet wurde, bekanntlich
um den Preis des Ruins und der blutigen Unterdrückung der einst starken
iranischen Arbeiterbewegung, dem einzigen Faustpfand eines wirklichen antiimperialistischen
und antikapitalistischen Fortschritts im Iran? Ochs und Esel in ihrem Lauf
hält ja angeblich keiner auf. Fragt sich nur, wer hier Ochs und Esel
ist und wohin der Lauf geht.
Wir werden am Beispiel der Hamas zeigen, dass es auch heute für einen
solchen naiven Optimismus und die Idee einer fortschrittlichen Rolle des politischen
Islam keinerlei Berechtigung gibt.
Hamas: Begrenzt fortschrittlicher Antiimperialismus?
Natürlich können solche Formationen wie Hamas mit den Imperialisten
in Konflikt geraten, und im Falle eines direkten militärischen Konflikts
werden wir für ihre bedingungslose militärische Verteidigung gegen
den Imperialismus eintreten. Allerdings sind brutale Anschläge auf Zivilisten
kein Befreiungskampf sondern einfach nur reaktionär und zynisch - zynisch,
weil sie die Ausgebeuteten der Unterdrückernation mit einem Achselzucken
ermorden, reaktionär, weil sie so die internationale Klas-seneinheit
durch blinden Nationalismus untergraben.
Gruppen wie Hamas mögen den Imperialismus voller Empörung anprangern,
aber ihre Kritik ist nur moralistisch. Der erhobene Zeigefinger hielt
Hamas, Dschihad & Co. nicht davon ab, nach dem 11. September zusammen
mit den palästinensischen Linken (DFLP, PFLP) vor den USA auf dem Bauch
zu kriechen: "wir ... wenden uns an die amerikanische Regierung ... ihre Politik
gegründet auf Hegemonie und Dominanz zu revidieren ... die Interessen
und legitimen Rechte aller Völker der Welt zu respektieren als der einzigen
Garantie für den Schutz ihrer eigenen Interessen und Sicherheit" (A Statement
Issued by the Palestinian National and Islamic Forces, 14. Septmber 2001,
eigene Übersetzung).
Als ob die respektvolle Behandlung der Beraubten der beste Schutz für
den Räuber ist, als ob der Räuber seine Interessen verfolgen könnte,
ohne die seiner Opfer mit Füßen zu treten und ihre Rechte mit Waffen
niederzuringen. Vom Imperialismus haben sie nichts begriffen, müssen
sie allerdings auch nicht, da sie seine gesellschaftlichen Grundlagen nicht
beseitigen wollen: Zwar ist die Empörung über die Folgen imperialistischer
Herrschaft eine Basis der Islamisten, aber als solche ist der Frust über
das Diesseits für sie vor allem das Verkaufsargument für ihren "Siebten
Himmel" im Jenseits. Deshalb sind - wie wir in unserem Artikel "Vom
nationalen Volkskrieg zum internationalen Klassenkampf: Permanente Revolution
und Palästina" (BOLSCHEWIK Nr. 16, Mai 2001) schrieben - die islamischen
Fundamentalisten des Nahen Ostens reaktionäre Gotteskrieger der arabischen
Bourgeoisie und untrennbar an ihre Schwäche gebunden:
"Die palästinensische Bourgeoisie könnte ihre Ausbeutungsmöglichkeiten
und Profite durch eine nationale Befreiung vergrößern; dazu fehlt
ihr aber die Kraft. Vor allem fürchtet sie die eigenständige Bewegung
der arabischen Arbeiter, da diese ihre Ausbeutungsmöglichkeiten nicht
vergrößern sondern beseitigen würde. Für jede (klein-)bürgerliche
Führung des palästinensischen Widerstandes bleibt deshalb am Ende
nur die Verhandlungslösung, d.h. die Unterordnung unter Israel.
Auch die stalinistischen Volksfronten von Habash (PFLP) und Hawatmeh (DFLP)
sowie die islamistischen Hamas, Djihad und Hisbollah können keine andere
Perspektive für den Sieg des palästinensischen Befreiungskampfes
anbieten. Ihr Kampf geht bestenfalls nicht über Volksfrontpolitik
mit radikaler Rhetorik und ohnmächtigen individuellen Terrorismus hinaus:
Das sind trotz militantem Schein keine ernsthaften Kampfmittel sondern ein
Klopfen an die Tür zum Verhandlungszimmer, ein Buhlen um Plätze
an den Futtertrögen der Macht von Israels Gnaden."
Der Politologe und Nahost-Experte Jochen Hippler bestätigt, dass die
Terroranschläge dazu nicht einfach im Widerspruch stehen:
"Hamas machte mit dieser kalkulierten Politik der PLO klar, daß sie
nicht ignoriert werden konnte. Und sie signalisierte Israel, daß sie
militärisch wirksamer zuschlagen konnte als die PLO, und daß ein
Deal mit Arafat allein keinen Frieden bringen würde. Zugleich aber richtete
sich Hamas an den neuen Realitäten nach Oslo aus. ... So schloss sie
Vereinbarungen mit Arafat, die die Respektierung seiner herausgehobenen Rolle
in Gaza und der Westbank nach Oslo beinhalteten ... Hamas akzeptierte die
durch Oslo möglich gewordenen Wahlen (ohne sich selbst daran zu beteiligen)
und den Wahlsieg Yassir Arafats. Hamas-Politiker begrüßten die
einrückenden palästinensische Polizisten 'als Brüder'
oder erklärten, daß es nicht in ihrem Sinne sei, wenn die PLO zerfalle"
(Jochen Hippler: "Ein trojanisches Pferd - Hamas und die Hintermänner";
in Freitag, 15. März 1996).
Ihre Opposition gegen den Oslo-Prozess ist daher verbunden mit religiösem
Irrationalismus, Unterdrückung der Frau und sozialem Konservativismus.
Sicherlich ist die Hamas nicht homogen, aber dieser Verweis macht die Sache
nicht besser und schafft keinen Ansatz für politische Bündnis-se
revolutionärer Kommunisten mit reaktionären Islamisten, denn ihre
Heterogenität ist nichts als eine Spaltung in zwei oder mehr reaktionäre
Flügel bzw. Strömungen:
Am bekanntesten ist "der Riß zwischen der pragmatischen Führung
im Gazastreifen und den Exilgruppen ... Die Gaza-Führung will vor allem
ihre Verankerung und ihren politischen Einfluß in Palästina stärken.
Fast alle Kompromisse - mit der Ausnahme einer formalen Anerkennung Israels
- könnten bei entsprechenden Gegenleistungen in den Bereich des Möglichen
rücken. Die Exilgruppen, die über kleine, aber gut organisierte
Zellen in den besetzten und den autonomen Gebieten verfügen, folgen einem
kompromißlosen Kurs, der sie nichts kostet" (Hippler, ebd.).
Die Wahl zwischen in den Massen verankerten pragmatischen Ausverkäufern
unter religiöser Flagge und klandestinen fundamentalistischen Hardlinern
sollte jedem Klassenkämpfer als die Wahl zwischen Pest und Cholera erscheinen.
Die Islamisten sind nicht nur nutzlos für den anti-imperialistischen
Kampf, sie sind lebensgefährlich für die Unterdrückten und
ihre Organisationen.
Hamas: Antisemitismus, Frauenunterdrückung und Gottesstaat
Entscheidend ist nicht, dass die Hamas Massen, darunter auch Arbeiter,
organisiert und sich während der 80er Jahre tatsächlich von einer
(zunächst durch Israel zur Schwächung Arafats gesponserten) Splittergruppe
zu einer Massenorganisation der palästinensischen Nationalbewegung entwickelte:
"Umgekehrt war die Hamas im Laufe der palästinensischen Intifada genötigt,
nationale Positionen zu übernehmen, wenn sie nicht jede Basis verlieren
wollte: während sie früher der nationalen Frage (und dem Selbstbestimmungsrecht
des palästinensischen Volkes) eher gleichgültig gegenüberstand,
änderte sich das drastisch während der achtziger Jahre" (Hippler,
ebd.; Hervorh. im Orig.).
Entscheidend ist dagegen das politische Programm, für
dessen Durchsetzung es die Massen organisiert. Die gültigen Grundsätze
der Hamas wurden nach der nationalistischen Wende, unter dem Titel "Der Bund
der Islamischen Widerstandsbewegung", am 18. August 1988 veröffentlicht.
Darin wird noch einmal die Bedeutung des Nationalismus
bekräftigt - als Teil der islamischen Verteidigung Palästinas gegen
die Ungläubigen - und erklärt:
"das palästinensische Problem ist ein religiöses
Problem". "Der Nationalismus der Islamischen Widerstandsbewegung ist Teil
ihrer Religion. Ihre Mitglieder wurden damit genährt. Um Allahs Banner
über ihrem Heimatland zu hissen, kämpfen sie", "um Allahs Banner
über jedem Zentimeter Palästinas zu errichten" (ebd.; eigene Übersetzung).
"Das Programm der Bewegung ist der Islam", dessen Konzepte
sie auf "alle Aspekte des Lebens" einschließlich Politik, Wirtschaft,
Kultur und Erziehung anwenden will. Das erklärte Ziel der Islamischen
Widerstandsbewegung - Hamas ist daher, "die Errichtung eines Gottesstaates,
so dass alle Menschen und Dinge an ihren rechten Platz zurückkehren"
(ebd.). Der "rechte Platz" für Frauen ist der Herd, der "rechte Platz"
für Juden ein Grab:
"Die Rolle der moslemischen Frau" ist natürlich "nicht
weniger wichtig als die des moslemischen Mannes" - nur eben ganz anders: Ihr
Platz ist "im Haus", wo sie ihre "wichtigste Rolle darin spielt, dass sie
sich um die Familie kümmert, die Kinder großzieht und sie mit
den moralischen Werten und Ideen versorgt, die sich aus dem Islam ableiten
... Deshalb ist es notwendig, den Schulen und den Lehrplänen für
die Erziehung moslemischer Mädchen große Aufmerksamkeit zu widmen,
so dass sie zu guten Müttern aufwachsen, die sich ihrer Rolle im Befreiungskampf
bewusst sind. Sie muss genügend wissen und verstehen, wenn es um den
Haushalt geht, denn Wirtschaften und Haushalten mit dem Familienbudget ist
eine Voraussetzung um unter den schwierigen, umgebenden Bedingungen weiter
vorwärts schreiten zu können" (ebd.).
Wenn nach Marx die Emanzipation der Frau der Gradmesser
für die Emanzipation der Gesellschaft ist, dann ist die Hamas repressiv
und reaktionär ohne wenn und aber. Sieht man heute Bilder von Demonstrationen
in den besetzten Gebieten, so fällt im Unterschied zu den 70er oder 80er
Jahren auf, dass der Anteil von Frauen ohne Schleier oder Kopftuch gegen Null
tendiert. Das ist nur möglich durch die passive Anpassung von Nationalisten
und Linken - ein deutliches Indiz, welche Hegemonie die reaktionären
Ideen der Islamisten in der palästinensischen Gesellschaft und Politik
erreicht haben.
Angeblich verspricht Hamas den Anhängern anderer Religionen
(dumm gelaufen für Atheisten) "islamische Toleranz", "es sei denn, sie
feinden den Islam an, stehen ihm im Weg oder verschwenden seine Mühen"
oder bestreiten "die Souveränität des Islam über diese Region".
Also kusch, ab ins Körbchen oder...
Es dürfte Juden jedoch schwer fallen, sich nicht den
Zorn Allahs und seiner Krieger zuzuziehen; geht die Hamas doch von einer zionistischen
Weltverschwörung aus, wobei als "Beweis" die antisemitischen "Protokolle
der Weisen von Zion" angeführt werden:
"Die Feinde", gemeint sind die Juden, "steckten hinter
dem ersten Weltkrieg ... sie schufen den Völkerbund, durch den sie die
Welt regierten. Sie steckten hinter dem zweiten Weltkrieg, durch den sie große
finanzielle Gewinne durch Waffenhandel machten und den Weg für ihren
Staat bereiteten. Sie veranlassten die Ablösung des Völkerbundes
durch die Vereinten Nationen und den Sicherheitsrat, um ihnen zu ermöglichen,
die Welt dadurch zu beherrschen. Es gibt nirgendwo einen Krieg, in dem sie
nicht ihre Finger haben" (ebd.).
Komisch nur, dass bei all dieser Macht Israel so klein
ist. Aber die Macht der Juden ist eben so verborgen, dass nur erleuchtete
Fanatiker sie sehen. An diesem Weltbild ist nicht ein Funke wahr, nicht ein
Gramm fortschrittlich. Was immer der Ausgangspunkt, was immer die ungelöste
Unzufriedenheit der Hamas-Anhänger sein mag, unter der islamistischen
Führung wird es in blinden antisemitischen Hass umgemünzt. Hamas
bekämpft nicht einfach nur den Zionismus sondern führt "einen Kampf
gegen die Juden": "Der Tag des göttlichen Strafgerichts wird nicht eher
kommen, als das Moslems die Juden bekämpfen (die Juden töten), wenn
der Jude sich hinter Felsen und Bäumen versteckt. Die Felsen und Bäume
werden sagen O Moslems, O Abdullah, da ist ein Jude hinter mir, komm und
töte ihn" (ebd.).
Dieser eliminatorische Antisemitismus ist der Hass, in
den die Islamisten die berechtigte soziale und politische Wut mancher ihrer
Anhänger umformen, weil sie sozial konservativ sind und weder vorhaben,
Ausbeutung noch Unterdrückung zu beseitigen. Mit ihnen kann es kein politisches
Bündnis geben. Proletarischen Hamas-Anhängern müssen Kommunisten
allenfalls die Unvereinbarkeit des Islamismus mit ihren Klasseninteressen
vorführen, um sie von Hamas zu brechen, während sie zugleich gut
gewappnet sind, auch mit ihnen in einen gewaltsamen Konflikt zu geraten, etwa
zur Verteidigung von jüdischen Zivilisten, Frauen, Schwulen, Minderheiten
oder Streiks.
Aber gibt es nicht auch eine andere Seite des Islamismus,
ein Streben nach Gleichheit und Empörung über Unterdrückung,
die sein fortschrittliches Potential ausmacht? Nein! Erstens streben Kommunisten
nicht nach der Gleichheit der Baracke. Mit dem Kasernensozialismus früher
Utopisten, wie Weitling, hat der Marxismus gründlich aufgeräumt.
Kommunismus bedeutet nicht die Abschaffung des Luxus durch die Verallgemeinerung
des Elends sondern die Aufhebung des Luxus durch seine Verallgemeinerung.
Dies erfordert ein gewaltiges Anwachsen der Produktivität und des Reichtums
der menschlichen Gesellschaft - etwas das nur mit wissenschaftlicher Vernunft
statt religiöser Irrationalität erreicht werden kann. Zweitens vertreten
die Fundamentalisten gar keine Gleichmacherei sondern nur Mildtätigkeit:
Dies entspricht nicht nur ihrer Praxis der "Suppenküchen", mit denen
sie keinen Klassenkampf organisieren sondern die Verarmten für ihren
Fundamentalismus kaufen, sondern auch ihrem Programm: "Die Moslemische Gesellschaft
ist eine Gesellschaft gegenseitiger Verantwortung ... 'Gesegnet sind die Großzügigen
...'" (ebd.).
"Wechselseitige soziale Verantwortung" ist ein Konzept
das an patriarchalische Feudalverhältnisse erinnert, die Klassenunterschiede
beibehält und lediglich "bedeutet, allen Bedürftigen finanzielle
oder moralische Unterstützung zu geben". Angestrebt wird also keine Veränderung
der Eigentumsverhältnisse sondern nur der "Tag an dem ein solcher Geist
[sic!] vorherrscht". Natürlich sollen Hamas-Aktivisten "Freud und Leid
der Leute teilen, die Forderungen der Öffentlichkeit aufnehmen und all
jene Maßnahmen, durch die sie verwirklicht werden können". Mal
abgesehen davon, dass dies wohl nur für Islam-konforme Forderungen und
Interessen der Massen gilt: Die als geeignet geltenden Maßnahmen sind
die der Islamisierung - jede andere Revolution ist des Juden: "Sie [die Feinde,
d.h. die Juden; d.R.] steckten hinter der Französischen Revolution, der
kommunistischen Revolution und der meisten der Revolutionen, über die
wir hier und da hörten und hören" (ebd.). Welche gesellschaftliche
Perspektive bleibt nach Abzug der bürgerlich-demokratischen und der proletarischen
Revolution und der meisten anderen Revolutionen wohl übrig, als politische
islamische Revolutionen, d.h. die Errichtung eines theokratischen Überbaus
auf extremer kapitalistischer Ausbeutung?
Der angebliche Kampf der Hamas gegen Unterdrückung hält sich genau
in diesem Rahmen. Wenn politische Organisationen verbal gegen Unterdrückung
auftreten, sind sie noch lange keine Verbündeten im proletarischen Befreiungskampf.
Kämpfen doch z.B. die Nazis nach eigenem Bekunden auch gegen Unterdrückung,
nur meinen sie damit den Wahn einer Unterdrückung Deutschlands durch
Asylbewerber und Multikulturalismus. Man muss daher immer genau untersuchen,
welches Verständnis von Unterdrückung dem Kampf tatsächlich
zugrunde liegt.
"Während die Islamische Widerstandsbewegung ihren Weg ebnet, wird sie
die Unterdrückten und jene denen Unrecht geschieht, mit aller Kraft unterstützen.
Sie wird keine Mühe scheuen, Gerechtigkeit herbeizuführen und Ungerechtigkeit
zu besiegen, in Wort und Tat, hier und überall wo sie hinreichen und
Einfluss erlangen kann" (ebd.; Hervorh. der Red.) Mit dieser starken Rhetorik
sollen die muslimischen Massen zunächst diffus angesprochen werden;
doch dann wird klar gestellt was für die Hamas Unterdrückung bedeutet:
"Bei all dem fürchten sie [die Muslime der Hamas, d.R.] Allah und erheben
das Banner des Dschihad im Angesicht der Unterdrücker, um das Land und
Volk von deren Unreinheit, Niedertracht und Bosheit zu befreien"
"Also wenn der Islam in der Arena fehlt, verändert sich alles" (ebd.),
z.B. "herrschten dann Unterdrückung und Dunkelheit vor". "In der Abwesenheit
des Islam wird Streit grassieren, Unterdrückung wird sich ausbreiten,
das Böse wird vorherrschen und Spaltungen und Kriege werden ausbrechen."
Von diesem "Antrieb" ausgehend erklärt die Hamas als unmittelbare Antwort
das "Ziel" eines "islamischen Staates".
"Ihr falscher, vergeblicher Glaube kann nur durch den rechtschaffenen
islamischen Glauben besiegt werden. Ein Glaube kann durch nichts anderes als
durch einen Glauben bekämpft werden und letzten Endes ist der Sieg mit
den Gerechten, weil Gerechtigkeit sicherlich siegreich sein wird" (ebd.).
Zweifellos ist Unterdrückung und Ungerechtigkeit für Hamas gleichbedeutend
damit, unter einem anderen als dem islamischen Gesetz (der Scharia), unter
einer anderen Herrschaft als der islamischen (Theokratie) zu leben. Ihre Praxis
wahlloser Terroranschläge gegen jüdische Zivilisten entspricht diesem
reaktionären Verständnis.
"Hin und wieder ergeht der Ruf nach einer internationalen Konferenz, um Wege
zur Lösung der (palästinensischen) Frage zu finden ... Die Parteien
einer solchen Konferenz kennend, ihre frühere und heutige Einstellung
zu den Problemen der Moslems, betrachtet die Islamische Widerstandsbewegung
diese Konferenzen als nicht fähig, die Rechte der Unterdrückten
wiederherzustellen oder ihnen Gerechtigkeit zukommen zu lassen. Diese Konferenzen
sind nur Wege, die Ungläubigen als Schiedsrichter ins Land der Moslems
zu holen. Wann haben die Ungläubigen den Gläubigen Gerechtigkeit
widerfahren lassen?" (ebd.).
Wir glauben allerdings, dem Islamismus volle Gerechtigkeit widerfahren zu
lassen, wenn wir ihm im Gegensatz zur ILS einen antiimperialistischen und
sozialrevolutionären Charakter absprechen und die fixe Idee eines fortschrittlichen
islamistischen Flügels für ein durch nichts begründetes Hirngespinst
halten.
Proletarische gegen Islamische Revolution
Der islamische Kampf gegen Unterdrückung ist daher ein bloßes
Synonym für die Errichtung einer Gottesherrschaft und hat keinerlei auch
nur bürgerlich-demokratischen Charakter. Früher suchten Stalinisten,
Maoisten und andere Opportunisten die Volksfront mit dem bürgerlich-demokratischen
Flügel der Bourgeoisie. Wenn sie heute die Volksfront mit den Islamisten
oder einem Flügel derselben suchen, zeigt dies nur, wie sehr diese Linke
weltweit heruntergekommen ist:
- in ihrem Bewegungsfetischismus, für den nur zählt,
dass sich irgendwelche Massen irgendwie in militanter Pose bewegen;
- in ihrem vereinfachten 'antiimperialistischen' Weltbild,
in dem Freund ist, wer Feind der USA ist;
- in ihrem naiven Glauben an den Automatismus eines historischen
Prozesses ("den halten weder Ochs noch Esel auf"), der angeblich bewusste
Reaktionäre, dank sich zuspitzender materieller Widersprüche, zwingen
kann, objektiv revolutionär zu handeln.
Damit gehen diese Linken und ihre Anhänger ihrem Unheil
entgegen. Die Linken waren ja auch erst mit Khomeini verbündet - bis
er sie enthauptete.
Wir verstehen, dass sich die Verdammten dieser Erde von
einer orientierungs- und nutzlosen Linken verraten und im Stich gelassen,
von der dünnen Sozialrhetorik und dem siebten Himmel der Islamisten angezogen
fühlen, aber ein (tödlicher) Irrtum bleibt ein (tödlicher)
Irrtum. Die Aufgabe von Kommunisten ist die unermüdliche politische Frontalkonfrontation
dieser falschen Politik und die entschiedene physische Verteidigung aller
Opfer der religiösen Reaktion. Dies schließt die Beteiligung echter
Kommunisten an strategischen Bündnissen wie dem der "Front der nationalen
und islamischen Kräfte" in Palästina ebenso aus, wie eine mögliche
zukünftige Machtteilung. Es läuft de facto auf die Aufgabe der
schnellstmöglichen revolutionären Zerschlagung der militanten religiös-fundamentalistischen
Kräfte hinaus. Im Konflikt zwischen Hamas und Arafat haben Revolutionäre
ebenso wenig eine Seite, wie im Kampf zwischen Schah und Chomeini - abgesehen
von einer generellen Verteidigung demokratischer Rechte etwa gegen Willkür
und Folter. Auch die notwendige gemeinsame militärische Verteidigung
gegen zionistische und imperialistische Unterdrücker ändert nichts
an dieser grundlegenden Aufgabe: Die beste Verteidigung gegen die nationale
Unterdrückung ist ihre Umwandlung in die revolutionäre Verteidigung
mit den Methoden des internationalen Klassenkampfes. Dies bedeutet die Errichtung
von Organen der Arbeiter- und Bauernmacht, in denen es keinen Platz für
die Islamisten geben kann und die vielmehr gegen sie, wie alle anderen Formationen
der Bourgeoisie, den unversöhnlichen Kampf um die Macht und die Führung
der anti-zionistischen bzw. anti-imperialistischen Widerstandsbewegung führen
müssen. Einen erfolgreichen Kampf gegen den westlichen Imperialismus
wird es nur jenseits jeder Volksfrontpolitik geben. 'Antiimperialistische'
Volksfrontpolitik, egal mit welchem Flügel der nationalen Bourgeoisie,
ist dagegen eine reaktionäre Falle.
Für einen revolutionären Anti-Imperialismus!
Die Imperialisten interessiert nicht das Ausmaß des religiösen
Fanatismus, die Unterdrückung der Frau stört sie nicht, und die
brutale Züchtigung der Arbeiterbewegung freut sie - solange dies mit
einer flexiblen Fügsamkeit gegenüber ihren Interessen verbunden
ist. Jede pauschalisierende Demagogie im Stile Huntingtons gegen die islamische
Zivilisation spiegelt nicht einmal die außenpolitischen Interessen der
USA angemessen wieder. Sie dient, wie der Patriotismus, vor allem der Verschleierung
sowie der Rechtfertigung dieser bornierten Interessen und damit der ideologischen,
rassistischen Mobilmachung zur angeblichen Verteidigung der westlichen Zivilisation.
Wenn in Deutschland die demokratische Trennung von Staat und Religion immer
noch nicht vollzogen ist, Religion an staatlichen Schulen unterrichtet wird
und das Kruzifix-Verbot für Schulen zum Aufstand bayrischer bürgerlicher
Spitzenpolitiker führt, wenn westliche Politiker auf Gott schwören,
Nationalhymnen dessen Beistand herbeirufen, bei offiziellen patriotischen
Anlässen wie nach dem 11. September auf Teufel komm raus gebetet wird
und wenn christliche Fundamentalisten und terroristische Abtreibungsgegner
als selbsternannte "moralische Mehrheit" eine gewichtige Lobby in amerikanischen
Präsidentschaftswahlkämpfen sind, dann tritt der heuchlerische
Charakter der imperialistischen Rhetorik gegen islamische Irrationalität
offen zu Tage. Die sogenannte westliche Zivilisation bedeutet Elend und Unterdrückung
für Milliarden Menschen überall auf der Welt; der Islamismus bedeutet
Unterdrückung und Elend für Arbeiter, Frauen sowie nationale und
religiöse Minderheiten, für Millionen in seinem jeweiligen Herrschaftsbereich.
Weder ist der Westen ein prinzipieller Gegner der Islamisten, noch sind die
Islamisten Anti-Imperialisten. Ihr Verhältnis wechselt, ebenso wie die
taktischen Interessen zwischen Neokolonien und Metropolen, je nach Situation,
von Kollaboration zu Konfrontation und umgekehrt. Nur das proletarische Klasseninteresse
und ein darauf gegründetes Programm steht im unversöhnlichen Widerspruch
zur imperialistischen Ausplünderung der Welt. Nur die Macht der Arbeiterklasse
kann ein Land zu einem Bollwerk gegen die imperialistische Herrschaft machen.
Nur internationale Arbeiterrevolutionen können den Imperialismus endgültig
beseitigen, indem sie die Interessen aller Unterdrückten um die Achse
des Klassenkampfes gegen jede bürgerliche Herrschaft bündeln. Um
das Tor in eine kommunistische Zukunft frei von Ausbeutung, Dekadenz und
religiösem Wahn aufzustoßen, braucht die Arbeiterklasse eine Partei,
die es versteht, in jeder Lage unbeirrbar allein vom Standpunkt dieser Klasse
und mit den Methoden des Marxismus Freund und Feind zu unterscheiden, sowie
letzteren mit den Mitteln des Klassenkampfes zu bekämpfen.
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