UCK wird NATO-Stellvertreter

Vor Beginn der NATO-Angriffe gegen Jugoslawien im letzten Monat verkündete die serbische Führung, daß ihre Polizei und Armee nur eine Woche bis zehn Tage brauchen würde, um mit den UCK-‚Terroristen‘ aufzuräumen, die fast die Hälfte der vorwiegend albanischen Provinz kontrollierten. Sobald die NATO-Bomben fielen, begann ein serbischer Militärvorstoß, um Kampfstellungen der UCK zu zerschlagen und deren „Basisgebiete“ zu entvölkern. Das Ergebnis war der Exodus Hunderttausender ethnischer Albanerlnnen, die über die Grenzen nach Albanien, Mazedonien und Montenegro flohen. NATO-Sprecher und imperialistische Medien spielen die militärische Kampagne der Serben herunter und stellen den Flüchtlingsstrom als eine teuflische und unvorhersehbare Taktik dar — ersonnen von Milosevic, um die Großmächte in Verlegenheit zu bringen. [...] Ähnliche erzwungene Bevölkerungsverschiebungen wurden von den US-Streitkräften in den 60ern in Vietnam und vom salvadorianischen Militär in den 80ern bei ihrem Vorstoß gegen linke Aufständische benutzt.

Die Imperialisten haben die UCK als anrüchigen Haufen von Gewaltverbrechern betrachtet, die tief im Heroinhandel verstrickt und mit gefährlichen islamischen Fundamentalisten verbunden sind. An Stellen während des Verhandlungsprozesses, der zum „Friedens“-Vertrag von Rambouillet führte, nahm die UCK eine unfügsame Haltung ein. Das ist kaum überraschend, da das Abkommen die Entwaffnung der UCK forderte, während eine NATO-Besatzungsarmee sich anschickt ein passendes, fügsames politisches Regime für die Region zu bilden. Am Ende unterzeichnete die UCK-Delegation den Vertrag von Rambouillet in der Hoffnung, daß Belgrads Weigerung den Kosovo abzutreten, zu einem imperialistischen Angriff führen würde.

Revolutionäre bekämpfen serbische „ethnische Säuberungen“ und alle anderen Verbrechen gegen die Kosovo-Albanerinnen. Der militärische Kampf der UCK gegen die jugoslawische Armee und Polizei war gerecht — und ihr Streben nach Unabhängigkeit von ihren serbischen Unterdrückern war durchaus unterstützbar. Der Beginn der NATO-Kampagne um das serbische Militär „abzunutzen“ hat dies nicht automatisch geändert. Die Anordnung der Kräfte machte es allerdings sehr wahrscheinlich, daß der Freiheitskampf der ethnischen Albanerlnnen bald den imperialistischen Angriffen gegen Jugoslawien untergeordnet werden würde.

[...]

[Nach ihrer weitgehenden Zerstörung als relevante militärische Kraft] suchten die UCK-Überreste, die sich in Nordalbanien neu gruppierten, eine engere Beziehung zur NATO. In unserer Erklärung vom 30. März sahen wir eine solche Möglichkeit voraus und schränkten unsere Unterstützung der UCK demgemäß ein:

„Wenn im Laufe des gegenwärtigen Konfliktes die UCK den NATO-Aggressoren unterstellt würde oder im Wesentlichen als deren Hilfstruppe handelte, so würde sich unsere Position ändern und wir für den Sieg der jugoslawischen Armee über die Imperialisten wie ihre Helfer eintreten.“

Der Verlauf dieser Entwicklung kann in den Berichten der britischen Presse verfolgt werden. Der Independent vom 12. April berichtet: „OSZE-Beamte glauben, daß die UCK ihre Taktik geändert habe: statt zu versuchen Dörfer gegen die Serben zu verteidigen, konzentriert sie sich auf kurze Guerillaüberfälle auf die jugoslawische Armee, während sie versucht die große Zahl vertriebener, in den Bergen festsitzender Albanerlnnen zu beschützen. Obwohl der Westen leugnet, daß er die UCK bewaffnet, handelt die Rebellenarmee als Augen und Ohren der NATO im Kosovo.“

Am gleichen Tag schrieb eine andere Londoner Zeitung, der Daily Telegraph:

„Amerika hat geheime Verhandlungen mit der UCK begonnen über deren Ausrüstung mit Spezialwaffen, um die serbischen Bodentruppen im Kosovo anzugreifen, die der NATO-Luftkampagne entgehen. Frustriert vom Mangel an Fortschritt gegen serbische Panzer, Artillerie und gepanzerte Fahrzeuge hat Washington begonnen, vertraute NATO-Partner wegen der Bewaffnung der UCK mit (...] Raketen auszuloten. Dies geschieht nach verzweifelten Hilfegesuchen der UCK über Satellitentelefon an amerikanische Militärberater. Es hat eine klare Aufweichung der Haltung des US-Außenministeriums gegeben, welches im letzten Jahr noch bereit war die Bezeichnung der UCK als terroristische Verbrecher zu akzeptieren, sie aber jetzt für eine Organisation zu halten scheint, mit der es Geschäfte machen kann. [...].“

Einige Tage später, am 18. April, berichtete der Sunday Telegraph:

„Die NATO zieht nun unauffällig die UCK in ihren Krieg gegen Slobodan Milosevic hinein. Sie erwägt sogar Pläne sie auszubilden und das Waffenembargo gegen Jugoslawien zu lockern, um sie mit Waffen wie Mörsern und raketengetriebenen Granaten auszurüsten. Von ihren verbliebenen Enklaven im Kosovo und ihren Erkundungsmissionen von Albanien aus verwenden die Rebellen bereits Satellitentelephone und Handies, um die NATO mit Details über serbische Ziele zu versorgen.“

Am 22. April schrieb Robert Fisk, einer von Britanniens besser informierten Zeitungsjournalisten, im Independent einen Artikel unter der Überschrift: „NATO nimmt Zuflucht zu Stellvertreterkrieg“. Die UCK ist heute genau das: Ein Stellvertreter und Handlanger der NATO. Diese Beziehung ist das Ergebnis der vernichtenden militärischen Rückschläge der UCK einerseits und des Unvermögens der NATO-Luftangriffe einen schnellen schmerzlosen Sieg herbeizuführen andererseits.

Die militärische Verteidigung Jugoslawiens gegen imperialistische Angriffe hebt nicht das Recht der Kosovo-Albanerlnnen zum Widerstand gegen die serbische Unterdrückung auf und auch nicht, auf der prinzipiellen Ebene, ihr Recht sich von Serbien loszutrennen. Die Kosovo-Albanerlnnen sind berechtigt ihre eigene Zukunft zu bestimmen, wie jedes andere Volk auch. Aber das Recht auf Selbstbestimmung kann nicht durch eine NATO-Besatzung verwirklicht werden. Indem sie sich selbst der NATO unterordnet, ist die UCK — gegenwärtig die einzig sichtbare Führung der Kosovo-Albanerlnnen — im Wesentlichen in ein Werkzeug der imperialistischen Politik umgewandelt worden. Die UCK redet noch von „Unabhängigkeit“, unterstützt aber in der Tat den Vorstoß der NATO, den Kosovo in ein imperialistisches Protektorat nach dem bosnischen Modell zu verwandeln.

Wir stehen in der Tradition von Wladimir Lenin, der mitten im 1. Weltkrieg feststellte: „Einzig und allein um der Wiederaufrichtung Polens willen für einen europäischen Krieg sein — das hieße ein Nationalist schlimmster Sorte sein“ (Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung). Lenin erklärte, daß Marxistlnnen das Recht auf Selbstbestimmung nicht als kategorischen Imperativ betrachten:

„Die einzelnen Forderungen der Demokratie, darunter das Selbstbestimmungsrecht, sind nichts Absolutes, sondern ein kleiner Teil der allgemein-demokratischen (jetzt: allgemein-sozialistischen) Weltbewegung. Es ist möglich, daß in einzelnen konkreten Fällen der Teil dem Ganzen widerspricht, dann muß man den Teil verwerfen. Es ist möglich, daß die republikanische Bewegung in einem Lande nur das Werkzeug einer klerikalen oder einer finanzkapitalistisch-monarchistischen Intrige anderer Länder ist — dann dürfen wir diese gegebene, konkrete Bewegung nicht unterstützen...“ (ebd.).

Die UCK kann nicht mehr länger als irgendeine Art nationaler Befreiungsbewegung betrachtet werden — sie ist heute einfach ein Werkzeug in den Händen des Imperialismus. Wir haben den Ruf für die „Unabhängigkeit des Kosovo“ als unmittelbare, agitatorische Forderung fallen gelassen, weil sie im gegenwärtigen Zusammenhang nur als Deckmantel für die Pläne der Imperialisten dienen kann.

Internationale Bolschewistische Tendenz, 26. April 1999 [gekürzt]