Stoppt die kapitalistische Wiedervereinigung

Die DDR steht vor der Bildung einer großen Koalition. Eine neue Regierung Modrow mit dominierendem Einfluß der bürgerlichen Opposition hat als prokapitalistische Regierung die Aufgabe, die soziale Konterrevolution durch Anschlußpolitik an die BRD sicherzustellen. Vom imperialistischen Druck an die Wand gequetscht, bedroht von der Auflösung ihres Machtapparates, setzt die rechte Fraktion der stalinistischen Bürokratie zur Rettung ihrer Privilegien auf die kapitalistische Karte und macht sich zum direkten Agenten der Bourgeoisie. Berghofers eiliger Übertritt zur demokratischen Konterrevolution ist beispielhaft für diese Schmarotzer und Karrieristen in Staatsapparat und Fabrikmanagement, die bei der Herausbildung einer neuen Bourgeoisie und Wiederherstellung alter kapitalistischer Zustände nicht leer ausgehen wollen. Der schwächliche Bonaparte Modrow distanziert sich von der SED/PDS und zeigt seine definitive Kapitulation an mit dem Abbau der letzten Hürden für das deutsche Kapital: joint-ventures mit kapitalistischer Mehrheitsbeteiligung; Gewerbefreiheit; offizielle Anerkennung der DM als internes Zahlungsmittel der DDR (beim 6 Milliarden ERP-Kredit). Der Rekapitalisierungsprozeß der DDR, das roll back des proletarischen Staatseigentums zum endgültigen Sturz des Arbeiterstaates DDR ist in voller Fahrt. Arbeiter und Angestellte: Laßt Euch nicht vor den Karren der demokratischen Konterrevolution spannen! Kampf der Großen Koalition! Stoppt die kapitalistische Wiedervereinigung!

Was vor drei Monaten als heterogene Massenbewegung für Demokratie und Reisefreiheit begann, polarisierte sich rasant in ein Milieu von Deutschland-einig Vaterland-Grölern, in dem die Nazis versuchen Fuß zu fassen und jenen Teil, der wie diffus auch immer, am „Sozialismus in den Farben der DDR“ festhalten möchte. Nach 60.000 Anti-Kohl-Demonstranten Ende 1989 und der Massenkundgebung gegen Nazis in Berlin-Treptow sah sich die Bourgeoisie genötigt, ihren Druck zu verstärken. Der Verteidigungsreflex der Bürokratie, den Zerfall der Macht über den „Neuaufbau“ des Verfassungsschutzes aufzuhalten, wurde abgewehrt. Die bürgerliche Opposition fälschte die reale faschistische Gefahr in der DDR zum SED-Betrugsmanöver um. „Weg mit der SED/PDS“ wurde zum vereinenden Schlachtruf der Konterrevolution, während die Modrow-Regierung zu einem immer schnelleren Ausverkauf getrieben wurde. Die wachsende Unruhe im Land, u.a. der Sturm auf die StasiZentrale, gefährdet jedoch den „friedlich“ organisierten, von der Bourgeoisie kontrollierten Einkauf der DDR. So ergibt sich noch vor dem 06. Mai die „Notlage“ für die Bildung einer prokapitalistischen Regierung, während die konterrevolutionäre Opposition jeden taktischen Schritt mit Bonn abspricht und die BRDParteien den Wahlkampf der DDR organisieren. Der deutsche Imperialismus ist der Erfüllung seiner revanchistischen Absichten einen bedeutenden Schritt näher gerückt!

Die BRD, Weltexporteur Nr. l, ist eine der stärksten imperialistischen Mächte. Historisch, geographisch und ökonomisch hat sie die beste Ausgangslage zur Eroberung der Märkte im Osten, wobei der Einverleibung der DDR eine Schlüsselrolle zukommt. Dabei soll jedoch die Dominanz der BRD in der EG möglichst gesichert bleiben. Über den einzuschlagenden Kurs gibt es angesichts der neuen Möglichkeiten graduelle Differenzen im imperialistischen Lager. Kohls Weigerung, die polnische Grenze auch für die nahe Zukunft anzuerkennen, wertet die FDP als unzeitgemäß; aktuell schafft diese Position unnötigen Ärger mit den Alliierten und ist geschäftsschädigend. Die innerimperialistische Konkurrenz um Absatz und Bodenschätze, heute speziell in Bezug auf die Anlagemöglichkeiten im wiederzuerringenden Osten, erfordert scharfe Angriffe auf die soziale Lage und die Rechte der Arbeiterklasse im Innern. In Deutschland ist es die historische Aufgabe der bürgerlichen Arbeiterpartei SPD, ihren Einfluß in der Arbeiterklasse für die Absicherung bzw. zur eigenständigen Durchsetzung imperialistischer Politik zu nutzen. So leugnen Lafontaine und Böhme auch gar nicht, daß sie Opfer in West und Ost verlangen. Doch 40 Jahre Stalinismus in der DDR und erfolgreiche sozialdemokratische „Wandel durch Annäherung“-Politik auf der einen, 8 Jahre Kohl/Genscher auf der anderen Seite haben Bedingungen geschaffen, die der SPD allen Grund zur Hoffnung geben, die erste Regierung im neuen Großdeutschland zu stellen. Brecht mit der SPD — Kampf dem Programm der demokratischen Konterrevolution!

Der Runde Tisch, ursprünglich von der Bürokratie als Zugeständnis an die Opposition und zu deren Integration installiert, entwickelte sich unter Anleitung der BRD zur bürgerlichen Gegenmacht. War 1919 die Wahl zur Nationalversammlung der Schlachtruf der SPD zur Liquidierung der Räte, so soll die Losung „freie Wahlen zur Volkskammer“ deren Entstehung vorbeugen. Der bürgerliche Parlamentarismus ist nicht im Interesse der Lohnabhängigen: Unter dem Deckmantel der „Demokratie“ legitimieren sich am 06. Mai vor allem bürgerliche Parteien, die die Politik einer Minderheit, der Bourgeoisie nämlich, betreiben. Im Gegensatz zu kapitalistischem Elend, Kriegsgefahr, Arbeitslosigkeit und Unterdrückung kann nur die Demokratie der Arbeiterklasse, die sich auf alle Werktätigen stützen muß, den politischen Rahmen für die persönliche Entfaltung aller gewähren. Mit der Bildung von Arbeiterräten gaben die russischen Arbeiter 1917 ein Beispiel. Durch direkte Wahl und Abwahl ihrer Vertreter suchten sie herauszufinden, welche politische Strömung in der Arbeiterbewegung am konsequentesten ihre Interessen vertrat. Aufgrund der praktischen Erfahrungen gelang es den Bolschewiki unter Lenin und Trotzki die damaligen sozialdemokratischen Arbeiterverräter, die Menschewiki, politisch zu isolieren und in der Oktoberrevolution die Macht der Räte gegen die Bourgeoisie zu sichern. Für Räteherrschaft statt Volkskammerbetrug — unter diesem Motto muß auch der anstehende Wahlkampf genutzt werden, um die parlamentarischen Illusionen zu zerstören.

Die politische Situation verschlechtert sich täglich für die Arbeiterbewegung. Der SPD-Einfluß wächst, während die Krise der SED/PDS unter den Schlägen der Bürgerlichen dramatische Formen annimmt. Auf ihrem letzten Parteitag formulierte einer der Hoffnungsträger der Bürokratie, Gysi, den Kompromiß mit den prokapitalistischen Umsteigern: den „Dritten Weg“, oder anders ausgedrückt — Stalinismus als zweiten Aufguß der Sozialdemokratie. Gysis Unterstützung der Regierung stärkte erst recht den Liquidatoren-Flügel. Der endgültige Übertritt Modrows auf die andere Seite markiert den politischen Bankrott der SED/PDS-Führung, den die Partei in ihrer Gesamtheit nicht überleben wird. Wer organisiert jetzt die ehrlichen Kommunisten in der SED, die ihre Verachtung der stalinistischen Führung nicht mit der Unterstützung der SPD eintauschen wollen? Notwendig ist die Bildung einer leninistischen-trotzkistischen Fraktion in der SED, die einen revolutionären Ausweg aus der Krise bietet, in die die Stalinisten die Partei und die gesamte Arbeiterklasse gestürzt haben.

Vor dem Hintergrund der Rechtsoffensive beginnen nun auch die DDR-Arbeiter zu mobilisieren, wobei die Warnstreiks nicht unter einheitlichen Parolen standen. Zum einen wurde die Forderung nach „Weg mit der SED/PDS“ erhoben, eine aktuelle Forderung der Konterrevolution. An anderen Streikpunkten wehrten sich die Arbeiter zu Recht gegen Überbrückungsgelder für ehemalige Stasi-Spitzel und machten ihrem Ärger Luft über die jahrelange elende Lohnsituation sowie die ersten Auswirkungen der Austeritätspolitik Modrows. Jetzt schon, noch zu Beginn der Rekapitalisierung, gibt es bereits nach Angaben der Gewerkschaften ca. 85.000 Arbeitslose ohne Unterstützung. Unter den ersten Opfern: Frauen mit Kleinkindern!

Es besteht die Gefahr, daß Arbeiteraktionen zu Stützen der Konterrevolution werden und z.B. in reaktionäre Streiks für die Wiedervereinigung münden, statt der Kapitaloffensive zu begegnen. Schmeißt die Vertreter von Mercedes-Benz, Siemens und der Deutschen Bank aus den Kombinaten! Wer gibt eigentlich den VEB-Direktoren das Recht, sich mit den BRD-Imperialisten an einen Tisch zu setzen? Die Arbeiter müssen sofort feststellen, welche Pläne da hinter ihrem Rücken ausgeheckt werden! Die Arbeiterkontrolle durch gewählte Belegschaftsvertreter muß hergestellt werden, um durch Öffnung der Bücher über kapitalistische Machenschaften wie z.B. Entlassungen zu informieren. Ohne genaue Informationen ist keine Abwehr möglich. Die Arbeiterkontrolle muß in Betrieben und Verwaltung von unten nach oben erweitert werden, damit sich die Arbeiterklasse ein Bild von der wirtschaftlichen Situation der DDR machen kann. Die Aufgabe von gewählten Arbeiterdelegierten besteht darin, einen gesamtgesellschaftlichen Plan im Interesse der Bevölkerung im Gegensatz zu den Interessen der Kapitalisten und der Regierung zu erstellen. Wir warnen vor der Auflösung des Staatseigentums und der Zerstückelung der einzelnen Kombinate. Der Kurs der Dezentralisierung, von einigen Linken unterstützt mit „betrieblichen Selbstverwaltungskonzepten“, arbeitet den Imperialisten in die Hände. Nur ein zentraler Plan, eine geplante Wirtschaft, die Wiedererrichtung des Außenhandelsmonopols kann den imperialistischen Druck mildern und den Einkauf der DDR verhindern. Die stalinistische Kommandowirtschaft konnte nicht funktionieren, weil die Werktätigen das Maul zu halten hatten über Pläne, die vor allem der Sicherstellung der Bonzenprivilegien dienten. Der offene Meinungsstreit über die einzuschlagende wirtschaftliche und politische Richtung kann dagegen die Rätebewegung vorwärtstreiben von einer Gegenmacht zur sozialistischen Räteregierung.

Der Widerstand der besonders Unterdrückten muß in diesen Kampf einbezogen werden. Die Frauen gehören zu den ersten Opfern der bürgerlichen Offensive. Die geplanten Entlassungen müssen zurückgeschlagen werden! Schluß mit dem Skandal, daß 75 % aller Frauen in traditionell weiblichen, schlecht entlohnten Berufen arbeiten. Der Doppelbelastung durch Betrieb und Familie muß mit radikalem Ausbau der,sozialen Einrichtungen begegnet werden! Für eine kommunistische Frauenbewegung!

Gleiche Rechte für Ausländer, die in der DDR leben und arbeiten! Kampf dem deutschen Nationalismus, auf dessen Welle sich die Faschistenpest auszuweiten droht. Zum Schutz der ausländischen Kollegen müssen sich Arbeiter zusammen mit Teilen der Volkspolizei, NVA und sowjetischen Soldaten zur Zerschlagung der Nazis verbünden — ein Schritt in die Richtung der Bildung von Arbeitermilizen, den Selbstverteidigungsorganen der Arbeiterklasse.

In einem sind sich stalinistische Bürokratie und bürgerliche Opposition einig: Zu einer politisch unabhängigen Arbeiterbewegung soll es nicht kommen. Das zeigte im Kleinen der Fall des Dzierzynski-Regiments: Spontan sicherte es die Stasi-Akten, der Runde Tisch dagegen forderte wenig später seine Auflösung.

Die Bildung einer prokapitalistischen Koalitionsregierung ist eine Niederlage, doch der Krieg um die DDR ist noch nicht verloren. Zudem steht das DDR-Proletariat nicht allein: In Polen macht die Konterrevolution gerade Ernst mit ihren geforderten Opfern, aber die ersten Verteidigungsstreiks im Bergbau wurden gewonnen. In der BRD beginnen die IG-Metall-Tarifauseinandersetzungen. Mit der Verteidigung der Errungenschaften der Arbeiter muß die schon lange fällige Gegenoffensive eingeleitet werden. Wie die Krise der DDR beweist ist ein isolierter Arbeiterstaat auf längere Sicht nicht zu halten. Aus dem Kampf gegen die kapitalistische Wiedervereinigung wird die Notwendigkeit der revolutionären Wiedervereinigung der Arbeiter in Deutschland in der Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa deutlich werden. Es bedarf einer organisierenden Kraft, die das Blatt wendet: der Herausbildung einer leninistisch-trotzkistischen Arbeiterpartei.