Vorwort zu
James P. Cannon
Rede über die russische Frage

Wir veröffentlichen im folgenden die „Rede über die russische Frage“ von James P. Cannon. Der Vorsitzende der Socialist Workers Party, amerikanische Sektion der Vierten Internationale, hielt seinen Beitrag über den Klassencharakter der Sowjetunion in New York im Oktober 1939.

Cannon erörtert die russische Frage vor dem Hintergrund des begonnenen imperialistischen Weltkrieges und des Stalin-Hitler-Pakts, der innerhalb der SWP Fraktionierungen (um Shachtman, Burnham, Abern) Auftrieb gab, welche die Verteidigung der Sowjetunion aufgaben und sich Theorien des Staatskapitalismus und Bürokratischen Kollektivismus annäherten.

Seine Ausführungen beschäftigen sich sowohl mit der aktuellen Politik Stalins 1939 als auch mit den grundlegenden programmatischen Achsen der trotzkistischen Einschätzung der Sowjetunion. Er betont in einer hochaktuellen Weise die Bedeutung der Theorie, da nur aus einer korrekten Analyse der UdSSR revolutionäre politische Schlußfolgerungen abgeleitet werden können: „Wer theoretischen Voraussetzungen gegenüber eine sorglose und tolerante Haltung einnimmt, ist ein sehr armseliger Marxist — oder besser gesagt, überhaupt kein Marxist“.

Theoretische Analyse wie politische Schlußfolgerungen erlauben weder Zweideutigkeiten noch Kompromisse; im Gegenteil dürfen die Antworten der Marxisten auf Krieg und Revolution — und die russische Frage ist und bleibt die Frage der Revolution - „nicht mit denen von Klassenfeinden und pazifistischen Wirrköpfen verwechselt werden“. Anstatt Differenzen in der Einschätzung der UdSSR zu übertünchen, müssen diese offen ausgetragen und Schlußfolgerungen „bis zu Ende gedacht werden“.

„Unsere Position in der russischen Frage ist programmatisch“, umreißt Cannon den trotzkistischen Standpunkt. „Kurz gesagt, die theoretische Analyse — ein degenerierter Arbeiterstaat. Die politischen Schlußfolgerungen — bedingungslose Verteidigung gegen imperialistische Angriffe von außen oder gegen Versuche im Innern, den Kapitalismus wiederherzustellen“.

Cannons programmatische Aussagen und seine Methode stehen in eklatantem Widerspruch zu theoretischer Beliebigkeit und praktischem Opportunismus etwa heutiger Vertreter der angeblichen Vierten Internationale; Grund genug, ihn hier zu Wort kommen zu lassen.

Die „Rede über die russische Frage“ wurde erstmals 1940 im theoretischen Organ der SWP „The New International“ und dann in Cannons Buch „The Struggle for a Proletarian Party“ publiziert; letzterer Text ist auch Vorlage dieser Übersetzung.

Die 1982 von der GIM herausgegebene deutsche Ausgabe von „Der Kampf für eine proletarische Partei“ enthält die Rede Cannons nicht — was bei der Politik dieser Gruppe zur russischen Frage nicht verwundert.

Unseres Wissens liegt Cannons Rede somit zum ersten Mal in einer deutschen Übersetzung vor.