Internationale Bolschewistische Tendenz (IBT) — Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts: Modernisierter Rassismus und rassistische Modernisierung In: Bolschewik 8 (1999) Nr. 12, S. 10-11. — Version: 2023-04-10. — Geladen: 2024-03-29
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Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts:

Modernisierter Rassismus und rassistische Modernisierung

Selbst die Reform des rassistischen deutschen Staatsbürgerschaftsrechts, geriet in den "rot"-grünen Händen zur reaktionären Posse. Urspüglich geplant war im Kern eine Ablösung des deutschen "Blutrechts" (wonach Deutscher nur ist, wer deutscher Abstammung ist) durch ein "Bodenrecht" (wonach Deutscher werden kann, wer auf deutschem Boden geboren wurde oder seit langem hier lebt). Das zentrale Problem für den Nationalstaat ist dann die Herstellung der Loyalität, deshalb geht die Ablösung der völkischen Staatsbürgerschaftsideologie einher mit der Verbreitung nationalistischer Propaganda, deren Hauptanliegen die Identifikation der Bürger mit ihrem Nationalstaat und den "nationalen Interessen" der deutschen Bourgeoisie ist. In diesem Spannungsfeld bewegt sich der Streit um die "doppelte Staatsbürgerschaft", denn selbst die CDU hat wohl eingesehen, daß das völkische Blutrecht insbesondere im Rahmen der EU (vorläufig) ausgedient hat.

Nach ursprünglicher Meinung von SPD und Grünen sollten Doppelpaß und andere Neuregelungen die Einbürgerung und Identifikation mit dem neuen Staat erleichtern, also ein Mittel zum nationalistischen Zweck sein. Kein Wunder, daß bei dieser strategischen Übereinstimmung, die taktischen Differenzen der CDU/CSU bei Innenminister Schily auf offene Ohren trafen. Mit der Reform der Reform wurden zahlreiche Einbürgerungshindernisse wie Verfassungstreue und Unabhängigkeit von Sozialhilfe eingeführt sowie die doppelte Staatsbürgerschaft zur Ausnahme gemacht, um eindeutige und zuverlässige nationale Loyalitäten für die einen und rassistische Ausgrenzung für die anderen sicherzustellen. Denn die deutsche Bourgeoisie will bei der künftigen Ausgestaltung der Klassenverhältnisse ("Modernisierung") keineswegs auf das Herrschaftsinstrument des Rassismus verzichten, sie will ihn nur in ihrem Interesse anpassen an die Realitäten der Arbeitsmigration, d.h. sie will den Rassismus modernisieren.

Kampf der CDU/CSU-Kampagne

Wir verteidigen jede noch so kleine Verbesserung der rechtlichen Stellung von ImmigrantInnen. Die rassistische Hetzkampagne der CDU/CSU muß mit allen Mitteln bekämpft werden. Die staatlichen Organe egal ob unter CDU/CSU oder SPD-Führung verteidigen dagegen das Recht der CDU/CSU-Opposition auf rassisitische Hetze. Im SPD-regierten München griff die Polizei direkt Anti-RassistInnen rund um die Demontration "Gegen die ausländerfeindliche und rassistische Kampagne der CSU!" am 13.03.1999 an:

"Schon am Vorabend der Demonstration waren neun junge Aktivisten der Organisation 'Linksruck' nach einem Vorbereitungstreffen von einem großen Polizeiaufgebot festgenommen worden … In allen Fällen war eine erkennungsdienstliche Behandlung und eine Hausdurchsuchung erfolgt … Auf der Demonstration selbst setzte sich der Skandal fort. Noch vor der Auftaktkundgebung wurden zehn weitere Jugendliche festgenommen, die lediglich neben Schildern standen, … [deren] Wortlaut war: 'Stoppt Stoiber und sein rassistisches Pack!' … Weitere Festnahmen folgten im Verlauf der Demonstration auf drastische Art und Weise", darunter ein Vertreter des AStA der LMU München (Pressemitteilung von Linksruck). Meist folgten eine erkennungsdienstliche Behandlung, Hausdurchsuchungen und Anzeigen wegen Beleidigung.

Alle Linken und GewerkschafterInnen müssen diese staatliche Unterdrückung und direkte Verteidigung der rassistischen CDU/CSU-Propaganda verurteilen und die sofortige Einstellung aller Ermittlungen und Verfahren fordern!

Wir lehnen aber die reformistischen Illusionen der Linksruck-Führung ab, die sich in ihrer Forderung nach Einsetzung einer öffentlichen Untersuchungskommission und der Bitte an "insbesondere Oberbürgermeister Ude, klar und unmißständlich Stellung zu beziehen", ausdrücken. Ude ist nicht weniger bekennender Staatsrassist und bürgerlicher Demokrat, also Unterdrücker der Linken, als andere etablierte Politiker - was gibt es da noch zu entlarven? Im Gegenteil: Eine Aufforderung an Ude, Stellung zu beziehen, ist im besten Fall erst die Aufforderung, Illusionen zu verbreiten. Denn was sollte eine Distanzierung des praktizierenden Staatsrassisten und Herren der Schwarzen Sheriffs schon anderes erklären, als das er natürlich gegen Rassismus und für Demokratie sei? Eine Untersuchungskommission aus Linken und GewerkschafterInnen zur Aufdeckung und Veröffentlichung der Polizeiübergriffe und ihrer politischen Hintergründe kann ein nützlicher Schritt für eine breite und effektive Solidarisierung und Mobilisierung sein. Aber die "Einsetzung" einer "öffentlichen" Untersuchungskommission (wer setzt da wen ein?) im klassenübergreifenden Sinne würde nur Illusionen in den bürgerlichen Paramentarismus und seine Mechanismen schüren.

Volle Staatsbürgerrechte für alle und sofort!

Es reicht nicht, die CDU/CSU-Kampagne zu bekämpfen. Schon gar nicht können konsequente Anti-RassistInnen die Regierungsvorschläge zur Reform des Staatsbürgerrechts politisch unterstützen. Diese sind nicht nur völlig unzureichend, sondern wegen all der rassistischen Einschränkungen und der Absicht der politischen Integration in diesen Staat im Kern nichts anderes als eine repressive Modernisierung des deutschen Nationalismus und Rassismus. Wir bekämpfen aber jede noch verbleibende rassistische Ungleichheit, jedes Privileg für Deutsche. Dabei zerbrechen wir uns als KommunistInnen nicht den Kopf um die Staatsbürgerpflichten und fordern volle Staatsbürgerrechte für alle ImmigrantInnen, egal wie lange sie hier schon leben. Sobald sie hier ihren Lebensmittelpunkt haben, ist es die deutsche Politik, die ihr Leben unmittelbar beeinflußt und daher ihr gutes demokratisches Recht, diese zu beeinflussen und in jeder Hinsicht rechtlich gleichbehandelt zu werden. Das Kapital freut sich über rechtlose und benachteiligte ImmigrantInnen, da es so politisch deutsche ArbeiterInnen durch Nationalstolz korrumpieren und zugleich durch die rassistische Herstellung und Benutzung der entrechteten und diskriminierten Billiglohnkonkurrenz verbessert ausbeuten kann. Wenn deutsche und immigrierte ArbeiterInnen nicht zum Nutzen des Kapitals als KonkurrentInnen gegeneinander ausgespielt werden wollen, dann müssen sie gemeinsam kämpfen und für gleiche Rechte eintreten.

Die "Bleiberecht"-Forderungen und -Kampagnen der Autonomen (und ursprünglich auch der Gewerkschaften) entpuppen sich angesichts der christ-konservativen Hetze und der halb-repressiv-integrierenden/halb-rassistisch-ausgrenzenden "rot"-grünen Politik als politischer Treppenwitz mit reaktionären Implikationen: Einerseits wollte man die Flüchtlinge hier haben, andererseits vermied man es immer besorgt um Bürgernähe, die Forderung nach völliger und sofortiger rechtlicher Gleichstellung, d.h. nach vollen Staatsbürgerrechten für alle, aufzustellen. Die demokratische Inkonsequenz der Linksradikalen hat sich jedenfalls nicht ausgezahlt, aber die CDU ist sicher dankbar.

Gruppen wie MLPD und PDS fordern die deutsche Staatsbürgerschaft bzw. gleiche Rechte ähnlich wie die Grünen nur für Menschen die lange genug hier leben - was immer das im Einzelnen heißen mag. Damit werden aber z.B. viele kurdische ImmigrantInnen und insbesondere PKK-Mitglieder im Exil politisch und sozial auf Jahre ausgegrenzt, obwohl deren Lebensumstände zutiefst von deutscher Politik beeinflußt werden. Zugleich wird ein gemeinsamer Kampf damit immens erschwert. Vor allem kann es nur reaktionäre Argumente für diese Einschränkung geben - sei es die sonst fehlende Loyalität zum deutschen Klassenstaat, sei es die Sorge um die Staatskasse à la 'da "könnte ja sonst jeder kommen und abkassieren und mitregieren". Der Opportunismus von MLPD und PDS führt direkt dazu, daß solche rassistischen Positionen in ihrer Politik direkt oder indirekt ('die Massen nicht überfordern') Ausdruck finden. Damit wird die rassistische Ausgrenzungslogik von CDU und SPD etwas reformistisch weichgespült an die eigene Klientel weitergereicht.

Die Einlösung elementarster demokratischer Forderungen im Kampf gegen den Rassismus ist in der rauhen kapitalistischen Wirklichkeit untrennbar vom Klassenkampf um soziale und wirtschaftliche Forderungen. Flüchtlinge müssen versorgt und auch sozial gleichgestellt werden; gleichberechtigte ImmigrantInnen suchen Wohnungen und Arbeitsplätze, usw.. "Wer soll das bezahlen?" und "Wo sollen die Jobs und Wohnungen herkommen?" sind reale Fragen. Ohne Kritik und Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung und ihre Folgen funktionieren diese Fragen als sozial-chauvinistischer Einstieg in den Rassismus. Wer keine Antwort hat bzw. Anti-Rassismus als rein moralisches Gutmenschentum betreibt, überläßt also den Sozialdemagogen von SPD bis NPD das Feld. Um letzteren den Boden zu entziehen, muß bewußte anti-rassistische Propaganda kombiniert werden mit der Forderung nach der Verteilung der Arbeit auf alle Hände durch Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, nach Arbeiterkontrolle über Produktion, Handel und Dienstleistungen und in diesem Rahmen nach einem umfangreichen Programm öffentlicher Arbeiten (Wohnungsbau, Bildung, etc.) finanziert auf Kosten des Kapitals.

Eine fortschrittliche Antwort ist nur möglich durch die Verbindung des demokratischen Kampfes gegen Rassismus mit Arbeiterkämpfen um soziale und wirtschaftliche Forderungen zu einem gemeinsamen revolutionären Kampf gegen das Kapital. Die Tatsache, daß sich in der kapitalistischen Herrschaft die Ausbeutung des Proletariats mit zahlreichen besonderen Unterdückungsformen verbindet (von denen Nationalismus, Rassismus und Sexismus nur die strategisch bedeutendsten sind) muß von jeder revolutionären Antwort widergespiegelt werden. Das Scheitern aller linken Versuche Fortschritte auf praktisch getrennt gehaltenen Teilgebieten (Rassismus, Betrieb, Anti-Nazi-Politik, etc.) und durch Reformalternativen unterhalb der Revolution zu erreichen oder zu sichern, beweist daß es dazu keine Alternative gibt.


Bolschewik #12, Mai 1999