Die SpAD in der DDR:
Opportunismus in revolutionärer Verkleidung Zur
Geschichte der Internationalen Kommunistischen Liga
Zuerst veröffentlicht Mai 1991
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung: Wer ist die SpAD?
Teil I: Die DDR-Intervention der SpAD / IKL
I.1. Die imaginäre "politische Revolution" der
IKL I.2. Die Stalinophilie der IKL I.3. Die Wende der SpAD - weg von der SED-PDS I.4. Die Phobie der SpAD gegenüber der
Sozialdemokratie Nachwort
Teil II: Zur Geschichte der iST / IKL
II.1. Regime und Politik II.2. Programmatische Abweichungen und Zickzacks II.3. Minderung der Realitätswahrnehmung, Substitutionalismus
und Sektierertum
Teil III: Zur internen Situation der TLD/SpAD
Dez. 1989-März 1990
Teil IV: Dokumentation
Vorwort:
Warum publizieren wir diese Broschüre über die
Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands (SpAD), deutsche Sektion der
Internationalen Kommunistischen Liga (IKL)? Nach ihrer zwar massiven, aber
fatalen Intervention in die DDR Ende 1989 hätte man glauben können,
daß die SpAD nach dem äußerst mageren Ergebnis zu den
Volkskammerwahlen im März 1990 von der Bildfläche verschwinden
würde. Am 2. Dezember posierten die "Spartakisten" jedoch wieder als
"revolutionäre Trotzkisten" - nur um diesmal mit 1717 Stimmen (knapp 700
weniger als im März) erneut durchzufallen.
Der Imperialismus ist in der Offensive, während die
bürokratisch deformierten Arbeiterstaaten Osteuropas dahinsiechen und zu
kollabieren drohen. Stalinismus und Sozialdemokratie haben den Sozialismus in
den Augen eines großen Teils der internationalen Arbeiterklasse
diskreditiert. In der Linken findet eine intensive Diskussion darüber
statt, was jetzt zu tun ist: Kann und muß eine revolutionäre Partei
aufgebaut werden und, wenn ja, auf welchem Programm?
Die IKL und ihre deutsche Sektion meinen, neben anderen vorgeblich
trotzkistischen Strömungen, eine Antwort auf diese Frage zu haben. Auf den
ersten Blick ist die IKL ohne Bedeutung, da sie international nur wenige
hundert Mitglieder zählt und ohne Einfluß in der Linken und der
Arbeiterklasse ist. Allerdings hat sie durch ihr propagandistisches Auftreten
vor allem in der DDR ein hohes Profil als angebliche Vertreterin des
Trotzkismus erreicht. Beurteilt man die IKL nur nach ihrer geschriebenen
Propaganda, so erscheint sie als eine der Internationalen Bolschewistischen
Tendenz (IBT) recht nahe stehende Organisation (im Unterschied etwa zu anderen
reformistischen und zentristischen Gruppen, die sich auf Trotzki berufen).
Politische Klarheit ist die Voraussetzung für eine effektive
Mobilisierung der Arbeiterklasse. Sie erfordert die Unterschiede zwischen dem
revolutionären Programm des Trotzkismus und dem Revisionismus, d.h. in
diesem Fall zwischen IBT und IKL, zu benennen. Ein Ziel dieser
Veröffentlichung ist es, der selbsternannten "Partei der russischen
Revolution" ihre orthodoxe Maskerade unmöglich zu machen. Die IKL
muß politisch daran gehindert werden, weiter den Trotzkismus zu
diskreditieren. Dutzende von subjektiven Revolutionären, die in die IKL
eintraten, wurden demoralisiert durch den Horror des internen Lebens dieser
Organisation und gaben den Kampf für die Revolution endgültig
verloren. Die IKL ist ein Hindernis zur Verankerung des Trotzkismus in der
Arbeiterbewegung.
Wir konzentrieren uns in dieser Schrift auf die Kritik der
IKL-Intervention in die DDR 1989/90. Damals, aus dem alltäglichen Trott
herausgerissen und unter dem Feuer sich rasch entwickelnder Ereignisse,
mußte die IKL-Führung Farbe bekennen. Ihre opportunistischen
Appetite sind hier klarer denn je zum Ausdruck gekommen. Aus diesem Grunde
halten wir die Publizierung einer systematischen Zusammenfassung der Kritik,
wie sie von Bolschewistischer Tendenz und Gruppe IV.Internationale vorgebracht
wurde, für wichtig - auch wenn sie, aufgrund unserer anderen politischen
Aktivitäten, erst jetzt vorgelegt wird. Mit dieser Broschüre wollen
wir die Methode der IKL-Politik, ihre Lügen und Verdrehungen, die
programmatischen Abweichungen und den Charakter ihrer Organisationsführung
aufzeigen.
Die Internationale Bolschewistische Tendenz hat eine besondere
Verantwortung, eine Kritik der IKL zu leisten. Die Gründungskader unserer
Sektionen in Neuseeland, Nordamerika und Deutschland wurden allesamt durch das
brutale bürokratische IKL-Regime aus der Tendenz hinausgedrängt. Ein
Bestandteil unserer Arbeit war stets, die immer offener zutage tretenden
programmatischen Abweichungen zu zeigen. Unsere Sub-Propagandagruppen sind
klein. Die IBT kann bis jetzt nur selten in exemplarischen Aktionen das
trotzkistische Programm umsetzen. Wir haben auch nicht das Geld, Dutzende von
Mitgliedern aus anderen Sektionen einzufliegen, Mittel, die z.B. der
IKL-Führung durch Auspressung ihrer Genossen zur Verfügung stehen.
Unser Motto jedoch heißt "Zuerst das Programm", und genau auf
dieser Grundlage fusionierten die Gruppen Permanent Revolution Group
(Neuseeland), Bolschewistische Tendenz (Kanada, USA, BRD) und Gruppe IV.
Internationale (BRD) zur Internationalen Bolschewistischen Tendenz (deren
deutsche Sektion heute Gruppe Spartakus heißt); genau auf dieser Linie
gedenken wir unsere Tendenz auszubauen. Auf der programmatischen Ebene
sehen wir deshalb auch den Schwerpunkt unserer Auseinandersetzung mit der IKL.
Wir gehen davon aus, daß uns die IKL (wie in der
Vergangenheit) der Lüge über die in dieser Broschüre
beschriebenen Fakten bezichtigen wird. In den letzten Jahren ist auf unsere
Polemiken mit einer Flut von Verleumdungen reagiert worden. Wir wurden als
"blutrünstige", "anti-kommunistische", "anti-sowjetische",
"anti-semitische" "Faschistensympathisanten" beschimpft, als
"Sozialdemokraten", "Gewerkschaftsbürokraten" und "Mossad-Agenten" (die
Reihe ließe sich fortsetzen). Auf IKL-Veranstaltungen werden Mitgliedern
der IBT besondere, bewachte Plätze zugeteilt; unsere Redezeit wird
beschnitten bzw. Interventionen werden, entgegen den Normen der
Arbeiterdemokratie, gänzlich unterdrückt (so können Mitglieder
der Gruppe Spartakus - trotz offener Rednerliste - oft nur einmal sprechen).
Durch Schüren eines blinden Hasses unter ihren Mitgliedern gegen uns sucht
die IKL-Führung das Klima für eine physische Konfrontation zu
schaffen. Aber wir lassen uns nicht beirren. Wir halten fest am leninistischen
Standard einer sorgfältig und sauber geführten Polemik. Zudem belegen
wir unsere Analyse der IKL/SpAD-Praxis durch interne Dokumente, wobei die
Sicherheitsbelange der IKL berücksichtigt wurden.
Im ersten Teil der Broschüre charakterisieren wir die
Intervention der IKL in die DDR vorrangig von ihrer programmatischen Seite her.
Ausgehend von der Kritik ihrer fundamental falschen Situationseinschatzung
("proletarische politische Revolution" in der DDR 1989/90) analysieren wir die
Kapitulation der IKL vor dem Stalinismus in dieser "Periode: ihr Umschleichen
der Modrow-Regierung verbunden mit der Suche nach einem Blockpartner in der
Bürokratie - dem zugeordnet - die opportunistische Praxis der TLD/SpAD am
Beispiel der antifaschistischen Massenkundgebung in Treptow. Ferner beschreiben
wir ihre Haltung gegenüber den stalinistischen Militärs, ihre
stalinophile Solidarisierung mit "unserer DDR" (u.a. in der Frauenfrage) bis
zur Desavouierung von ökonomischen Streiks der DDR-Arbeiterklasse. Unsere
Analyse umfaßt darüber hinaus die Wende, die die IKL ab Ende Januar
1990 vollzog - weg von der Orientierung auf die SED-PDS. Sie versuchte, v.a. in
den März- und Dezember-Wahlkämpfen 1990, sich als . die
revolutionäre Massenaltemative darzustellen. Diese (kläglich
gescheiterte) Politik koppelt die SpAD/IKL seitdem mit einer Propaganda gegen
das "IV. Reich". Die Kehrseite der SpAD-Praxis, auf die wir eingehen, vor und
nach ihrer "Wende", besteht in einer ultralinken Phobie gegenüber der
Sozialdemokratie, die in einer prinzipiellen Ablehnung der Betriebsräte
gipfelt.
Im Teil II geben wir einen kurzen Abriß der Geschichte der
revisionistischen Abweichungen dieser Tendenz. Teil III besteht aus dem Bericht
über die innere Situation der TLD/SpAD im politisch wichtigen Zeitraum,
Dezember 1989 - März 1990, während Teil IV die Dokumentation
ausgewählter interner IKL-Materialien dieser Periode umfaßt.
Einleitung: Wer ist die SpAD?
Unter dem massiven Druck der antikommunistischen Propaganda aus
dem Westen kapitulierte die DDR-Linke von der SED-PDS bis hin zur Vereinigten
Linken und akzeptierte die kapitalistische Wiedervereinigung. Die
Trotzkistische Liga Deutschlands (TLD), Vorläuferin der SpAD, unterschied
sich jedoch in diesem zentralen Punkt vom politischen Spektrum. Sie
intervenierte, aus der BRD und Westberlin kommend, für die Verteidigung
der kollektiven Eigentumsformen und der zentralen Planwirtschaft der DDR und
sprach sich gegen den Anschluß aus. Ihre Politik verteidigte sie
allerdings durch eine Propaganda, die oftmals schematisch, mechanisch und
ultimatistisch war.
Gemessen an ihrer Größe intervenierte die IKL massiv in
die DDR. Ihr gelang die Rekrutierung einer Handvoll neuer Mitglieder;
natürlich war damit keine Verankerung in der Arbeiterklasse zu erreichen.
Wie überall gelang es auch in der DDR nicht, die Isolation zu
durchbrechen; vielmehr verlor die SpAD auch hier wieder Mitglieder. Die
IKL-Führung versucht aber immer wieder durch den Aufbau "Potemkinscher
Dörfer" von ihren Niederlagen abzulenken - so auch bei der internationalen
Präsentation ihrer DDR-Intervention.
Als Instrument ihrer ostdeutschen Arbeit diente der IKL damals die
Trotzkistische Liga Deutschlands (TLD). Dieser Organisation hatte man schon
etliche Jahre vorher das Rückgrat gebrochen. Im Laufe ihrer Entwicklung
war diese Gruppe - ehemals eine kleine, aber nichtsdestoweniger energische
revolutionäre Propagandagruppe - durch wiederholte bürokratische
Säuberungen demoralisiert worden. Die TLD wurde das Opfer einer Serie von
tiefgreifenden bürokratischen Attacken, die von Jim Robertson (dem Chef
der IKL) und seiner in den USA residierenden Führungsclique organisiert
wurden. Die Krise der TLD erreichte einen ersten Höhepunkt auf ihrer
Septemberkonferenz 1981, als Robertson die Säuberung von
sozialdemokratischen Elementen befahl (s. Teil II) Von nun an ging
es erst richtig bergab; die folgenden Cliquen-Kämpfe zermürbten die
TLD.
Die politische Arbeit der TLD in der BRD wurde von der
Robertson-Führung als Reflex des deutschen Nationalismus und Kapitulation
vor dem Antisemitismus denunziert. Die Agenten des Internationalen Sekretariats
(IS) beschimpften die TLD-Mitglieder in einem widerlichen "Lager"-Jargon, bei
dem sie als "Gauleiter" und die Mitglieder als "KZ-Insassen" füngierten
(s. Teil IV, Dokument 6). Der Tiefpunkt war 1985 erreicht, die deutsche Sektion
wurde aufgelöst und alle "loyalen" Mitglieder zur "Umerziehung" ins Exil
beordert. Nach zwei Jahren brachte man die traumatisierten Zombi-Reste in die
BRD zurück und gründete die TLD erneut.
Als das SED-Regime Ende 1989 zusammenbrach, sah die IKL ihre
große Chance gekommen. Trotz massiven Einsatzes von Geld und Personal war
die TLD/SpAD jedoch strukturell unfähig, sie zu nutzen. Das
Unvermögen, die Realität zu verstehen, führte anstelle des
erhofften Durchbruchs zu programmatischer Konfusion. Die politische Strategie
der SpAD/iKL in der DDR reichte von der Kapitulation vor der stalinistischen
Bürokratie bis zur ultralinken, blinden Phobie gegenüber der
Sozialdemokratie. Dies führte zu Substitutionalismus in Form eines
Pseudo-Massenavantgardismus und damit zur Liquidierung einer
Umgruppierungsperspektive gegenüber anderen linken Organisationen. Mit all
den Zickzacks, die mit wüsten Beschimpfungen der politischen Gegner
einhergingen, konnte die SpAD nur durch eine extrem bürokratische
Kontrolle aus New York zusammengehalten werden.
Teil I: Die DDR-Intervention der SpAD/IKL
"...die Versäumnisse der frühen Periode (waren)
- wie Lenins Probleme 1905 - in erster Linie darauf zurückzuführen,
daß es politischen Widerstand dagegen gab, uns den Massen zuzuwenden,
sowie auf historische Schwächen der TLD selbst, die mehr oder weniger hin-
und herschwankte zwischen Sektierertum und Passivität und der Tendenz,
sich in eine strategische Einheitsfront zu liquidieren". (IKL-Führer St.
John in Spartacist 45/46)
Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!
(alte Volksweisheit)
1. Die imaginäre "politische Revolution" der IKL
"'In Rußland wurde der Funke entfacht - in Deutschland wird
es zur Flamme!': diese Losung der KPD aus den 20er Jahren verkündete ein
Banner auf der Massendemonstration am 4. November in Ostberlin", berichtet das
erste Flugblatt, das die TLD in der DDR verteilte (15.11.1989). Der TLD fiel
dabei gar nicht auf, daß mit dieser Parole nicht auf Lenin 1917 sondern
auf Gorbatschow 1989 Bezug genommen wurde. Drei Wochen später sah sich die
TLD prompt im Flammenmeer und sprach von "...der sich entfaltenden politischen
Revolution" (Arbeiterpressekorrespondenz (APK) 1 / 07.12.89) und erklärte:
"Heute entwickelt sich in der DDR eine proletarische politische Revolution"
(APK 13 / 27.12.89). Der angebliche proletarische Charakter dieser "Revolution"
wurde auch in den "internationalistischen Grüßen" verdeutlicht, die
die TLD, stellvertretend für das deutsche Proletariat, an die polnischen,
vietnamesischen, kubanischen und sowjetischen Genossen richtete: "In diesem
Winter reicht euch. Genossen Sowjetoffiziere und Sowjetsoldaten, die ihr Wache
steht gegen den westlichen Imperialismus, die politische Revolution der
deutschen Arbeiter die Hand der internationalistischen Solidarität!" (APK
7 / 15.12.89). Dieser erste Gruß (weitere sollten folgen) schloss mit dem
Trinkspruch "Glasnost! Freundschaft! Solidarität!" - der politische Kater
war vorprogrammiert.
Wie sah es in der DDR im Winter 1989 wirklich aus? Es existierte
eine vorrevolutionäre Situation, die sowohl offen für die
Möglichkeit einer proletarischen politischen Revolution wie auch
der sozialen Konterrevolution war. Was vor drei Monaten als heterogene
Massenbewegung für Demokratie und Reisefreiheit begann, polarisierte sich
rasant in ein Milieu von Deutschland-einig-Vaterland-Grölern, in dem die
Nazis versuchen Fuß zu fassen und jenen Teil, der wie diffus auch immer,
am 'Sozialismus in den Farben der DDR' festhalten möchte" (Bulletin 1),
schrieb die Gruppe IV. Internationale, eine der Vorläuferorganisationen
der Gruppe Spartakus, zusammenfassend im Januar 1990. Statt Illusionen und
unangebrachtes Hurra-Geschrei zu verbreiten, war es notwendig, das durch
vierzig Jahre stalinistischen Betrugs verschüttete
Klassenbewußtsein, der Arbeiter in der DDR wieder zu heben. Dazu
mußte vor dem BRD-Imperialismus und dem wachsenden Einfluß der
pro-imperialistischen SPD gewarnt werden, ohne vor der SED, die die
Arbeiterbewegung damals noch dominierte, zu kapitulieren. "Das ostdeutsche
Proletariat ist als Klasse (von einigen Warnstreiks abgesehen) noch nicht zur
Aktion übergegangen. Die einzelnen Arbeiter verlieren sich zunächst
in der amorphen Volksbewegung; ihre Mobilisierung muß das Ziel einer
revolutionären, von Sozialdemokratie und Stalinismus unabhängigen,
trotzkistischen Partei sein" (Flugblatt der Gruppe IV. Internationale /
10.11.89). Nur indem man klar aussprach, was war, konnte eine Polarisierung der
klassenübergreifenden Oppositionsbewegung vorangetrieben werden. Die IKL
dagegen log sich über den Stand des Klassenbewußtseins, und dessen
Widersprüchlichkeit in die Tasche und müßte heute,
wäre sie ernsthaft, erklären, wie sich organisch aus einer
proletarischen politischen Revolution eine soziale Konterrevolution entwickeln
konnte.
Lenin charakterisierte eine revolutionäre Situation einmal
als eine, in der "die 'Unterschichten' das Alte nicht mehr wollen
und die 'Oberschichten' in der alten Weise nicht mehr können, ..."
(LW 31, S. 71). Doch woran ist diese Klassenkonstellation festzumachen? Lenin
konkretisierte die zwei zentralen Aspekte: zum einen die Regierungskrise der
politisch Herrschenden, "... die sogar die rückständigsten Massen in
die Politik hineinzieht...,die Regierung kraftlos macht..." und zum
zweiten "... daß die Mehrheit der Arbeiter (oder jedenfalls die Mehrheit
der klassenbewußten (!), denkenden, politisch aktiven Arbeiter (!)) die
Notwendigkeit des Umsturzes völlig begreift... (ebenda, S. 72).
Bezogen auf revolutionäre Situationen in bürokratisch
deformierten Arbeiterstaaten gaben dafür die ungarischen Arbeiter 1956 mit
ihrer Revolution gegen die stalinistische Bürokratie und für den
Sozialismus ein Beispiel. Die ostdeutschen Arbeiter waren 1953 vorangegangen,
als sie trotz aller Illusionen in die Sozialdemokratie an einer proletarischen
Klassenherrschaft festhalten wollten. Z.B. riefen die Hennigsdorfer Arbeiter zu
einer "Metallarbeiterregierung" auf. Doch in der DDR 1989/90 sah es anders aus:
Hier war nicht die Arbeiterklasse tonangebend, die sich
klassenunabhängig in Betriebskomitees oder
Arbeiterräten organisierte. Vielmehr fielen die Arbeiter in der
klassenübergreifenden "Demokratie-Bewegung", mangels einer
revolutionären Alternative, den prokapitalistischen Kräften zum
Opfer.
"Die IKL charakterisierte die politische Situation in dieser
Periode dagegen folgendermaßen: "Aber jetzt blühen solche Räte
in verschiedenen Orten der DDR auf (APK 15 / 04.01.90). Später
versuchte sie diese Position zu vertuschen: "Die Arbeiterklasse der DDR hat
noch nicht ihre Stimme erhoben als eine organisierte Kraft, die für ihre
eigenen Klasseninteressen kämpft", verkündete sie plötzlich in
AKP 29 am 27. März 1990. Drei Monate vorher hatte sie noch erklärt:
"Soldaten wollen sozialistische Errungenschaften" (APK 11 / 21.12.89). Da half
es auch nicht, daß ZK-Mitglied Zierenberg auf der Veranstaltung der
Gruppe IV. Internationale am 10. März 1990 daherlog, die IKL hätte
immer nur von einer politischen Revolution gesprochen, reichte doch "... die
proletarische politische Revolution in Deutschland ..." den kubanischen
Klassenbrüdern in APK5 /13.12.89 bereits die Hand. Die Fälschung der
eigenen Geschichte soll die generelle Desorientierung der IKL und ihre
Kapitulation vor der stalinistischen Bürokratie kaschieren.
Die Bolschewistische Tendenz (BT) kommentierte dazu am 23. Februar
1990: "Die SpAD/IKL behaupten, daß eine proletarische politische
Revolution bereits im Gange sei; sie können jedoch nicht sagen, wo genau
sie stattfindet, wer sie macht und gegen wen - tatsächlich eine sehr
seltsame 'Revolution'. Diese Vorstellung einer politischen Revolution, die
irgendwo im Raum schwebt und sich einfach entfaltet als eine Art
körperloser, halbautomatischer Prozess kann nur die, die sie ernst nehmen
desorientieren (Offener Brief an die Spartakist-Arbeiterpartei
Deutschlands).
2.1. Die SpAD versucht die Modrow-Regierung zu umgehen
Die bis dahin allmächtig und unangreifbar erscheinende
stalinistische Bürokratie wurde nicht durch eine proletarische politische
Revolution erschüttert; es genügte schon das Schlupfloch Ungarn, um
den rapide voranschreitenden Machtverlust der SED auszulösen.
Nach dem Sturz Honeckers siegte zuerst die Linie von Krenz, die
die Privilegien der Bürokratie ohne Infragestellung der ökonomische
Grundlagen des Arbeiterstaates sichern sollte. Dem massiven Druck der
Bevölkerung ausgesetzt, wurde Krenz dann durch die Fraktion Modrow,
unterstützt von Gysi, ersetzt. Diese Fraktion vertrat den Teil der
Bürokratie, der sich durch noch weitergehende Konzessionen an das Kapital
sowie an die nach rechts gehende Demokratie-Bewegung" retten wollte.
Alle Fraktionen der SED-Bürokratie, von den Resten der
Betonfraktion über die Modrow-Gruppe bis zu den offen kapitalistischen
Reformern, fürchteten nichts mehr als die unabhängige
revolutionäre Mobilisierung des Proletariats, die den Schmarotzern
insgesamt den Garaus gemacht hätte. Kein Flügel der SED versuchte das
Proletariat zur Verteidigung der kollektiven Eigentumsformen der DDR zu
aktivieren. Im Gegenteil: Mittels ihrer Position in den Betrieben und
Kombinaten als auch durch den von ihr dominierten FDGB unternahmen die
stalinistischen Funktionäre alles, um die Arbeiter in Passivität zu
halten.
Premierminister Modrow hatte schon zur Regierungsbildung am 17.
November 1989 mit seiner Perspektive einer "BRD-DDR-Vertragsgemeinschaft" die
Bereitschaft zur Kapitulation vor dem BRD-Imperialismus signalisiert. Die
offerierten Konzessionen brachten aber nicht die erhoffte Atempause für
die Bürokratie, sondern waren stattdessen Wasser auf die Mühlen der
konterrevolutionären Kräfte. Die Rechte gewann an Boden während
sich Konfusion unter den politisch bewußteren Teilen der Arbeiterklasse
breit machte, die dem "integren, geläuterten" Stalinisten vertrauten. Das
machte die besondere Gefährlichkeit dieser Regierung aus, vor der
die Arbeiter gewarnt werden mußten.
Die Modrow-Regierung sah ihre zentrale Aufgabe darin, gemeinsam
mit den Kräften des Runden Tischs, Ruhe im Land des Zusammenbruchs zu
wahren. Das eigenständige Vorgehen des Dzierzynski-Regiments gegen die
Vernichtung von Stasi-Akten sowie erste vereinzelte Streikaktionen verbreiteten
Unruhe sowohl in den Reihen der bürgerlichen Opposition als auch in der
stalinistischen Bürokratie. Trotz Ungewißheit über die
Loyalität der bewaffneten Formationen erklärte sich Modrow zur
Ausrufung des Ausnahmezustands bereit, falls ihn die demokratische Opposition
darin unterstütze.
Die wachsende Stärke des rechten Flügels der
DDR-Opposition und die schärfer werdenden Forderungen des BRD-Kapitals
trieben die Regierung Modrow zu einem immer schnelleren ökonomischen und
politischen Ausverkauf. Auf der Spitze schlug es um: Die immer dünner
gewordenen Fäden des bonapartistischen Regimes zur ökonomischen
proletarischen Grundlage der DDR (der Verfügungsgewalt des Staates
über die Produktionsmittel) zerrissen. Mit der Bildung einer
Großen Koalition Ende Januar leistete Modrow seinen
Offenbarungseid. Modrow, hatte sich nach Bildung dieser bürgerlichen
Koalition vom Ausverkäufer des Arbeiterstaates zum DDR zum
Einkäufer für das BRD-Kapital, zu dessen direkten Vetreter,
gewandelt. Damals schrieb die Gruppe IV. Internationale:
"Eine neue Regierung Modrow mit dominierendem
Einfluß der bürgerlichen Opposition hat als prokapitalistische
Regierung die Aufgabe, die soziale Konterrevolution durch Anschlußpolitik
an die BRD sicherzustellen. Vom imperialistischen Druck an die Wand gequetscht,
bedroht von der Auflösung ihres Machtapparates, setzt die rechte Fraktion
der stalinistischen Bürokratie zur Rettung ihrer Privilegien auf die
kapitalistische Karte und macht sich zum direkten Agenten der Bourgeoisie.
Berghofers eiliger Übertritt zur demokratischen Konterrevolution ist
beispielhaft für diese Schmarotzer und Karrieristen in Staatsapparat und
Fabrikmanagement, die bei der Herausbildung einer neuen Bourgeoisie und
Wiederherstellung alter kapitalistischer Zustände nicht leer ausgehen
wollen. Der schwächliche Bonaparte Modrow distanziert sich von der SED-PDS
und zeigt seine definitive Kapitulation an mit dem Abbau der letzten
Hürden für das deutsche Kapital..." (Bulletin 1).
Die Gruppe IV. Internationale hat gleich zu Beginn der
Ablösung Krenz durch Modrow auf die drohende Kapitulation der Stalinisten,
auf die Gefahr der Bildung einer prokapitalistischen Regierung hingewiesen.
Dagegen unterstützte der überwältigende Teil der anderen, dem
Anspruch nach sozialistische Organisationen, direkt oder indirekt, den
populären Modrow. Wir hielten uns an Trotzki, der sagte: "Wir sind keine
Regierungspartei; wir sind die Partei der unversöhnlichen Opposition,
nicht nur in den kapitalistischen Ländern, sondern auch in der UdSSR" (Die
UdSSR im Krieg in: Trotzki Schriften, Bd. 1.2, S. 1290).
Und woran hielt sich die IKL? Wie wir noch zeigen werden hoffte
sie auf eine potentiell revolutionäre Fraktion in der Bürokratie (s.
Teil I, 2.2.). Einer scharfen Konfrontation mit der Regierung Modrow ist die
IKL aus dem Weg gegangen. Ein solches Vorgehen sah sie als inopportune
Konfrontation mit der SED-PDS an und fürchtete eine Isolation, da ja alle
Strömungen in der stalinistischen Partei Modrow bis zum Schluß
unterstützten. Ihre "SED-Einheit"-Politik wäre gefährdet
gewesen.
In der Debatte der DDR-Linken vertraten die Genossen der Gruppe
IV. Internationale von Anfang an die Losung "Nein zur Regierung Modrow -
Hauptgefahr für die DDR!" (s. z.B./taz 28.11.89) und wurden deshalb auf
Demonstrationen und Veranstaltungen als "Nestbeschmutzer" angegriffen (so
drohten PDS-Mitglieder auf der Anti-Kohl-Demonstration am 19. Dezember 1989 in
Ostberlin unseren Block wegen dieser Parole auseinander zu nehmen). Die TLD
verleumdete unsere Position. Sie fälschte Modrow = Hauptgefahr um
in Modrow = Hauptfeind der Arbeiterklasse und denunzierte uns als
Wasserträger der Sozialdemokratie, die die gleiche Parole habe (so z.B.
die Redakteurin von Spartakist, Kohn, auf der Veranstaltung der TLD am 27.
Dezember 1989 in Westberlin). Durch diese Verdrehung versuchte die TLD die
Tatsache zu negieren, daß Modrow, unterstützt vor Gysi, den Kampf
gegen die demokratische Konterrevolution unterminierte. Eine
Einheitsfront zur Verteidigung der DDR war nur gegen diese Politik zu
verwirklichen - die IKL versuchte dagegen Modrow zu umgehen, um vielleicht
später, mittels SED - PDS - Einfluß, Druck auf diese Regierung
ausüben zu können.
In dieser Periode attackierte die IKL Modrow nirgendwo
zentral als Ausverkäufer, den die Arbeiter bei der Verteidigung der
DDR hätten hinwegfegen müssen. Stattdessen kritisierten sie ihn nur
beiläufig (s. z.B. APK 7 / 15.12.89). So konnte in APK 14 / 29.12.89 der
Halbsatz gelesen werden "... Modrow und Kohl das Handwerk zu legen". Um
möglichen Protesten von Seiten der gesuchten stalinistischen Blockpartner
zuvor zu kommen, erschien dieser Artikel des späteren Spitzenkandidaten
der SpAD, Endruweit, statt im Namen der TLD sicherheitshalber signiert.
Neu war in dem Artikel Endruweits auch, daß der Runde Tisch
eine Erwähnung fand. Wochenlang hatte dieses Gremium, in dem die
bürgerliche Konterrevolution in der DDR ihr politisches Sprachrohr fand,
für die IKL schlichtweg nicht existiert. Im Artikel beklagte sich
Endruweit u.a., daß dem Runden Tisch "... die Einflußnahme
verwehrt" wird - Endruweit verlangte also damit - de facto - mehr
kapitalistischen Einfluß! Die Gruppe IV. Internationale vertrat
dagegen folgende Position:
"Der Runde Tisch, ursprünglich von der
Bürokratie als Zugeständnis an die Opposition und zu deren
Integration installiert, entwickelte sich unter Anleitung der BRD zur
bürgerlichen Gegenmacht" (Bulletin 1).
Der Runde Tisch diente den Stalinisten zur Legitimierung ihres
Ausverkaufs und hattet zur Aufgabe, die bürgerlichen Wahlen vorzubereiten.
Gegen diese (von der Linken respektierte) konterrevolutionäre Institution
forderte die Gruppe IV. Internationale: "Kein Dialog mit stalinistischen
Bürokraten und pro-kapitalistischen Kräften - kippt den 'runden
Tisch'!" (Forderungskatalog der Gruppe IV. Internationale / 11.12.89). Gegen
die demokratischen Illusionen in der DDR-Arbeiterklasse konnte die IKL nicht
angehen - sie existierten für sie nicht - die Arbeiter befanden sich ja
auf dem Marsch! Zudem wollte die IKL auch nicht dagegen auftreten, da
sie sonst die Position: Modrow = Hauptgefahr hätte übernehmen
müssen.
Die IKL hat somit die Verantwortung für die Desorientierung
des Proletariats mitzutragen. Sie half bei der politischen Entwaffnung der
Arbeiter. Die Erklärung für die Weichheit gegenüber der
Modrow-Regierung ist in ihrer stalinophilen Suche nach einer "Einheit mit der
SED" zu finden.
2.2. Auf der Suche nach der "Einheit mit der SED"
Das pseudo-revolutionäre Geschrei von der stattfindenden
proletarischen politischen Revolution stand in engem Zusammenhang mit der von
der IKL schon bekannten Tendenz zur Kapitulation vor der stalinistischen
Bürokratie (s. dazu auch Teil II).
Eine proletarische politische Revolution kann nur erfolgreich
geführt werden, wenn es der revolutionären Partei gelingt, das
Vertrauen wesentlicher Teile der Arbeiterklasse zu gewinnen. Trotzki ließ
keinen Zweifel: "Der unvermeidliche Zusammenbruch des Stalinschen politischen
Regimes wird lediglich dann zur Wiederherstellung der Sowjetdemokratie
führen, wenn die Beseitigung des Bonapartismus von der proletarischen
Avantgarde in einem bewußten Akt vollzogen wird" (Arbeiterstaat,
Thermidor und Bonapartismus in: Trotzki Schriften, Bd. 1.1, S. 608). Bei der
Beantwortung der Fragen: "Wie ist eine Reorganisation des Sowjetstaates
möglich? Und: Läßt sich diese Aufgabe mit friedlichen Mitteln
lösen?" betont Trotzki: "Stellen wir zuerst das unerschütterliche
Axiom auf, daß nur eine revolutionäre Partei diese Aufgabe
lösen kann" (Der Klassencharakter des Sowjetstaates in: ebenda, S. 489).
Die Schaffung der revolutionären, trotzkistischen
Arbeiterpartei war entscheidende Voraussetzung für die Verteidigung
der DDR hin zum Sturz der stalinistischen Bürokratie durch eine
Arbeiterrevolution. Der IKL jedoch ging es nicht um die Lösung dieser
Aufgabe. Ohne Verankerung im Proletariat war es ihr unmöglich, einen
direkten Einfluß auf die Situation in der DDR zu nehmen. Der Druck der
rasanten politischen Entwicklung verlangte aber nach einer Antwort. Die SED war
damals die einzige Organisation, die entscheidenden Einfluß auf noch
links-orientierte Teile der Arbeiterklasse hatte. Die IKL-Führung gab dem
Druck nach und versuchte einen Block mit Teilen der erschütterten
SED-Bürokratie herzustellen, was sie geradewegs in den
Opportunismus führte. Robertsons Anstrengungen, eine Abkürzung
auf dem Weg des Parteiaufbaus zu finden, gab dem Revisionismus der IKL einen
erneuten Schub.
Die Entwicklungen in der SED-PDS waren ein wichtiges Element
für die Herausbildung des revolutionären Faktors. Um die Basis der
SED-PDS von ihren reformistischen Führern zu brechen, sagte die Gruppe IV.
Internationale: SED-Mitglieder! 'Statt 'dritten Weg' - zieht die
revolutionären Konsequenzen aus dem stalinistischen Verrat! Keine
Neuauflage der stalinistischen SED - Kampf dem pro-sozialdemokratischen Kurs
von Gysi, Modrow und Berghofer - Für eine leninistisch-trotzkistische
Partei (Forderungskatalog / 11.12.89). Revolutionäre wissen,
daß in Zeiten, in denen es gilt "gegen den Strom zu schwimmen",
Autorität nicht über populäres Anschmiegen, sondern nur durch
klare Positionsbestimmung zu erlangen ist. "Notwendig ist die Bildung einer
leninistischen-trotzkistischen Fraktion in der SED..." propagierten
deshalb unsere Genossen (Bulletin1).
Die IKL dagegen versuchte mitzuschwimmen. Mit Formeln wie "Wir
brauchen eine neue kommunistische Partei, basierend auf leninistischen Normen!"
(APK 5/13.12.89), ließ sie es bewußt im Unklaren, wie sich
kommunistisch Gesinnte in der SED gegen die Gysi-Führung und deren
Unterstützung für die Modrow-Regierung zu organisieren hatten. Es
wurde offengelassen, ob die propagierte leninistische Partei eine
reformierte SED sein könne oder nicht. Der IKL ging es gar nicht darum,
den gefährlichen Einfluß der klassenkollaborationsistischen SED
zurückzudrängen und die SED-Arbeiterbasis von den Illusionen
über die verschiedenen Strömungen der Reform-Stalinisten
zu brechen, d. h. diese Partei entlang einer revolutionären Linie zu
spalten. Ihre Propaganda vermittelte vielmehr den Eindruck, daß es
lediglich nötig sei, die aktuelle SED-Führung zu ersetzen.
Daran änderte auch die mitunter markige, aber eben doch loyale Kritik u.a.
an Gysi nichts (s. z.B. APK 3 / 11.12.89 und 5 / 13.12.89).
Beispielhaft für dieses anti-leninistische
Parteiaufbaukonzept sind die beiden Grußadressen der IKL-Führung an
den außerordentlichen Parteitag der SED Mitte Dezember 1989: Kein Wort
wird hier verloren über die aktuelle Politik der SED! Stattdessen
gab es viel Oberlehrerhaftes, z.B. Appelle, die Auffassungen Lenins zu teilen
(APK 8 / 18.12.89; APK 9 / 19.12.89). Vom Internationalen Sekretariat der IKL
wurden der SED zudem noch ein paar Tipps zur Stabilisierung der Wirtschaft
gegeben, so als ob diese konfuse, demoralisierte und zunehmend machtlose Partei
an der Spitze einer pro-sozialistischen, aufständischen Arbeiterbewegung
stände. Diese Parodie auf den Trotzkismus gipfelte in einem Kodex von
Verhaltensmaßregeln, der beschrieb, bei welchen Streiks das Proletariat
auf die Unterstützung der IKL-Führung zählen könne. Zu
Streiks für Lohn und bessere Arbeitsbedingungen, die zu dieser Zeit
stattfanden und von der SED / FDGB-Bürokratie abgewürgt wurden,
wollte man keine Position beziehen (s. Teil I, 2.6.). Genosse Melt, einer der
ersten DDR-Kontakte und später Mitglied des ZK der TLD/SpAD,
theoretisierte das, was die IKL ihm als Trotzkismus verkaufte: "Der konsequente
Bruch mit dem Stalinismus besteht deshalb in einer Neuformierung (!) der SED im
Geiste des demokratischen Zentralismus" (APK3 / 11.12.89). Das entsprach genau
der IKL-Politik, mit der die TLD/SpAD darauf spekulierte, die SED-Spitze im
Block mit linken Bürokraten abzulösen.
Die verschiedenen Kräfte in der SED-Führung entschieden
sich jedoch nicht für das TLD-ZK, sondern für die Unterstützung
des sozialdemokratischen "dritten Weges" wenn nicht gar gleich für den
Eintritt in die SPD. Die IKL war unfähig, den ehrlichen Kommunisten in der
SED eine revolutionäre Orientierung zu geben. Ihre einmalige
Erwähnung: "... angesichts ernsthafter und gefährlicher Probleme
(sind) Parteispaltungen manchmal notwendig ..."(APK5 / 13.12.89) unterstreicht
nur den Zynismus dieser Organisation wissen worum es geht, den
Konsequenzen allerdings bewußt ausweichen!
Diese Politik des Anschmierens an die Stalinisten versucht die IKL
mit Trotzkis Analyse der Bürokratie zu rechtfertigen. Auch die IKL
weiß, daß die Bürokratie eines deformierten Arbeiterstaates
nicht homogen ist. Die Politik der Stalinisten ist widersprüchlich: Auf
der einen Seite treibt sie der Druck des Imperialismus zu immer weitergehender
Kapitulation auf Kosten der Arbeiterklasse. Auf der anderen Seite versucht sie,
so gut es eben geht, ihre Macht und Privilegien, die sich aus der
Verfügungsgewalt des proletarischen Staates über die
Produktionsmittel herleiten, gegen die Kapitalisten zu schützen. "Wie die
Geschichte zeigt, werden Teile der Bürokratie in einer politischen
Revolution auf die Seite der Arbeiter übergehen", schrieb die TLD in APK 4
/ 12.12.89 sehr richtig. Ungarn 1956 ist dafür ein klassisches Beispiel.
Doch machte die IKL bei der Anwendung dieser trotzkistischen Theorie zwei
entscheidende Fehler: Erstens hängt die Entwicklung eines zu den Arbeitern
übergehenden Flügels der Bürokratie entscheidend vom
Klassenkampf der Arbeiter ab. "Einen wirklichen Bürgerkrieg
könnte es nicht zwischen der Stalin-Bürokratie und dem sich
erhebenden Proletariat, sondern nur zwischen dem Proletariat und den aktiven
Kräften der Konterrevolution geben. Im Fall eines Konflikts zwischen zwei
Massen-Lagern könnte von einer selbständigen Rolle der
Bürokratie gar keine Rede sein Ihre einander entgegengesetzten Flügel
würden auf verschiedenen Seiten der Barrikade zu stehen kommen" (Trotzki,
Der Klassencharakter des Sowjetstaats in: Trotzki Schriften, Bd. 1.1, S. 491).
Also nur durch einen eindeutigen Kampf gegen alle Fraktionen der
Bürokratie sind Teile dieser Kaste auf die revolutionäre Seite zu
ziehen eine Politik, die die IKL in opportunistischer Weise
unterließ.
Zweitens lief die Entwicklung in der DDR nicht in dieser von
Trotzki hier prognostizierten Art und Weise ab. Die auf dem Gebiet der SBZ
durchgeführte soziale Revolution von oben ging einher mit der
systematischen Vernichtung der unabhängigen Bestrebungen des ostdeutschen
Proletariats. Die folgende vierzigjährige stalinistische
Unterdrückung verfestigte die Illusionen über die Sozialdemokratie
und deren "erfolgreiche" Organisierung der "sozialen Marktwirtschaft". Der
Stand des Klassenbewußtseins in den einzelnen Sektoren der
DDR-Arbeiterklasse war zwar keineswegs als einheitlich, generell jedoch als
niedrig einzustufen. Zudem war den Arbeitern nach dem Sturz Honeckers keine
Zeit gelassen worden, ihr politisches Bewußtsein entsprechend den
Aufgaben zu entwickeln. Revolutionäre Klassenkämpfe fanden
nicht statt. Vor diesem Hintergrund ist die Kapitulation der Stalinisten auf
der ganzen Linie nicht weiter verwunderlich. Noch einmal: Entgegen der
These der IKL von der proletarischen politischen Revolution sowie ihrem Hoffen
auf Teile der Bürokratie kein Flügel der Stalinisten war
bereit aktiv und offen für die Verteidigung der DDR einzutreten.
So hing die opportunistische IKL-Politik erst richtig in der Luft:
"Viele Tausende von SED-Mitgliedern, Teile der Führung(!) nicht
ausgeschlossen,... wollen wirklich den Stalinismus mit der Wurzel
ausreißen und die kollektivierte Grundlage der DDR gegen kapitalistische
Wiedervereinnahmung verteidigen" (Spartakist 66 / 03.01.90).
Die anhand der Publikationen der TLD/SpAD nachvollziehbare
Kapitulation der IKL wird in den internen Dokumenten dieser Gruppe nur
unterstrichen. So ist z.B. das Schlagwort "Einheit mit der SED" nicht eine
Erfindung von uns (s. dazu Teil IV, z.B. Dokument 3). Der bizarre
opportunistische Kurs erhielt seine "Massentaufe" auf der antifaschistischen
Kundgebung in Treptow.
2.3. Das Debakel der SpAD in Treptow
Am 3. Januar 1990 strömten 250.000 nach Berlin-Treptow, um
gegen die Nazi-Schmierereien am sowjetischen Ehrenmal zu protestieren. Diese
gewaltige Kundgebung ließ die deutsche Bourgeoisie und ihre Lakaien in
der DDR aufschrecken, die eine solche Massenmanifestation gegen Rechts vor
allem von Seiten der SED-Basis nicht mehr für möglich gehalten
hatten. Die bürgerliche Presse antwortete mit einem antikommunistischen
Aufschrei; sie klagte die SED-PDS an, die Schmierereien selbst veranlaßt
zu haben, um eine faschistische Bedrohung, die gar nicht existiere,
heraufzubeschwören und so ihren Machterhalt zu rechtfertigen. Der Druck
auf die Regierung Modrow wurde daraufhin massiv erhöht, die Isolierung der
Stalinisten vorangetrieben.
Je weiter Treptow in die Vergangenheit rückt, desto
größer wird die SpAD-Legendenbildung um dieses Ereignis. Laut
Spartakist 72 vom 5. Juni 1990 war es so: Unsere deutschen Genossen
initiierten einen Aufruf zu einer massiven Arbeitereinheitsfrontaktion, um die
Faschisten zu stoppen. Wir brachten den Aufruf direkt zur SED-Führung und
forderten sie auf, daran teilzunehmen. Die SED war so weit entfernt von der
Arbeiterklasse und fürchtete sie so sehr, daß sie zuerst unseren
Vorschlag ablehnte. Aber als unser Aufruf in Fabriken in ganz Berlin verteilt
wurde, mobilisierten die Stalinisten ihre Kräfte und übernahmen
schließlich die Demonstration". Wie war es wirklich? Melt und Dahinaus
stellten für die TLD den Kontakt zum SED-PDS-Vorstand her und erst nach
dessen Zusage wurde der Aufruf zu Treptow in Druck gegeben Eine
Massenmobilisierung des Ostberliner Proletariats konnte und kann die TLD / SpAD
nicht organisieren.
"Soviel zur Wahrheit nun zur politischen Linie. Endlich
ging die Taktik, über Gysis Büro zu arbeiten, auf; die
"SED-Einheit"-Politik konnte jetzt vor größerem Publikum
durchgezogen werden. Im eigenen TLD-Aufruf zur Kundgebung gab es
keinerlei Kritik am Kapitulationskurs der SED-PDS und kein
Sterbenswörtchen zu Modrows Kniefall vor BRD-Imperialismus und
deutschem Nationalismus. Gerade deren Ausverkaufspolitik hatte die Nazis zu
ihren Angriffen aber erst recht ermuntert.
In ihrer Rede lag Dahlhaus voll auf "SED-Einheit"-Linie:
Unsere (!) Wirtschaft leidet unter Verschwendung und Veralterung. Die
Diktatur der SED-Partei hat gezeigt, daß sie untauglich (!) ist, dagegen
anzugehen" (APK 15 / 04.01.90). Das und "...das Machtmonopol der SED ist
gebrochen" war alles, was zur Politik der Stalinisten zu hören war
(vergleiche ebenda). In der Rede wurde nur die Honecker-SED erwähnt, mit
der die Kundgebungsteilnehmer sowieso nichts mehr zu tun haben wollten, nicht
aber die aktuellen Illusionen über die "reformierte" SED-PDS
angegriffen.
Am nächsten Tag präsentierte die TLD den Mythos,
daß die Rede wegen ihrer "scharfen politischen Kritik an der SED" mit
einem Pfeifkonzert von Zehntausenden beantwortet worden war (vergleiche
ebenda). Doch was war der wirkliche Grund der Pfiffe? Dahlhaus benutzte das
Wort "Ostdeutschland", was die Massen aufschreien ließ. Zurecht wurde
dieser Begriff mit der traditionellen Nichtanerkennung der DDR durch den Westen
verbunden. Arme Genossin, sie hatte diese Rede (in Englisch)
gerade aus New York erhalten und war bei der ad-hoc-Übersetzung über
"East-Germany" gestolpert! Nach diesem Fehltritt war auf dem Platz kaum mehr
etwas zu hören. Als "Genosse" wollte von dieser Genossin keiner mehr
angesprochen werden. Traurig, aber mit diesem Bewußtseinsstand hätte
man rechnen müssen! Die IKL hatte es geschafft, sich - und was noch
schlimmer ist - den Trotzkismus bei Zehntausenden von DDR-Linken zu
diskreditieren.
Heute soll in der SpAD-Propaganda der Anschein erweckt werden, als
ob Treptow der Beginn der proletarischen Einheitsfront, eine Aktion zur
Zerschlagung der Nazis gewesen sei. Das war nicht der Fall, stattdessen
handelte es sich um eine Protestkundgebung, die zur Mobilisierung
gegen die Nazis hätte genutzt werden müssen. Daß reine
Propaganda und moralische Appelle allein nicht ausreichen, um die Faschisten zu
stoppen, wurde in der arroganten, sektiererischen Ansprache gar nicht
erwähnt. Damit überließ man den Reformisten und Liberalen
das Feld, die auf der Kundgebung einen pazifistischen und legalistischen Weg in
die Niederlage propagierten. Die Verweise auf ein notwendiges gemeinsames
Vorgehen mit Angehörigen von Volkspolizei und NVA-Soldaten gab es, aber
nichts über die Notwendigkeit von Arbeitermilizen als Grundlage
anti-faschistischer Aktionen! Noch Wochen nach Treptow lehnte die
IKL-Führung Vorschläge von ihren DDR-Genossen ab, in Leipzig
Aktionseinheiten gegen Nazis zu initiieren, mit der Begründung, daß
damit die SpAD-Wahlkampagne (!) gefährdet würde (s. Teil III). So
etwas nennt man parlamentarischen Kretinismus.
Was war möglich und notwendig zu Treptow? Eine kleine
Propagandagruppe konnte offensichtlich mehr in Bewegung setzen, als die vielen
linken Realpolitiker ihr zutrauten. Doch, auch wenn die TLD jetzt die
Kundgebung als eine machtvolle prosowjetische Demonstration und als
...eine Gegenmobilisierung gegen den Druck auf Wiedervereinigung aus
Bonn... (Spartakist 77 / 09.10.90) ausgibt: Nicht das revolutionäre
Proletariat kam, sondern in überwältigender Mehrzahl Arbeiter mit
Illusionen über den Reformweg der SED-PDS-Führung. Es bot sich die
einzigartige Chance, diese Mobilisierung für die Perspektive
anti-faschistischer Aktionen zu nutzen. Das schloß ein, den Aufruf zur
Aktionseinheit auch an die Sozialdemokratie zu richten (s. dazu Teil I,
3.2), was die TLD-Führung trotz Kritik aus den eigenen Reihen ablehnte.
Die Gruppe IV. Internationale beteiligte sich an der Kundgebung in Treptow und
griff scharf die Sozialdemokratie an, ohne die opportunistische Rolle der
damals noch politisch entscheidenden SED-Spitze dabei zu verschweigen. Eine
massenwirksame Arbeit zur politischen Loslösung der Arbeiter vom
stalinistischen Einfluß hätte vier Wochen später, z. B. auf dem
außerordentlichen FDGB-Kongreß, ihre Früchte tragen
können. Dort verließen Dutzende von Gewerkschafter spontan den Saal,
erschüttert durch die Nachricht, daß ihr Hoffnungsträger Modrow
auf Deutschland einig Vaterland setze. Die IKL hatte die Chance,
eine Rolle bei der politischen Formierung der Arbeiterklasse zu spielen, die
sie aufgrund ihres Opportunismus und ihrer Unfähigkeit jedoch nicht nutzen
konnte.
2.4. Die friedliche Revolution und die Illusionen der
IKL in den Militärflügel der Bürokratie
Die vorgegebene politische proletarische Revolution entfaltete
sich laut IKL nur deshalb friedvoll, weil sie unter dem Schutz der sowjetischen
Armee stand: Genossen was ihr wißt, das Machtmonopol der SED ist
gebrochen. Die Massen können frei ihre Meinung vertreten. Lernt ihnen
zuzuhören. Es ist nur möglich durch den gütigen Druck der
sowjetischen Armee, verkündete Dahlhaus auf der Treptow-Kundgebung
(APK 15 / 04.01.90). Bereits im Offenen Brief an ihren Genossen
General Snetkov, damaliger Kommandant der Sowjetischen Streitkräfte
in Deutschland, verbeugte sich die TLD vor seinem maßgeblichen
Einfluß beim Verlauf der Revolution: Zu der Zeit, wo
die ostdeutschen Werktätigen dieses Land vom stalinistischen
Mißbrauch lösen wollen, hat sich die Rote Armee geweigert, sich
für ein Blutbad benutzen zu lassen (Spartakist 66 / 03.01.90).
Wäre es zu einer revolutionären Situation in der DDR gekommen, d. h.
zur Doppelmachtsituation zwischen Organen der Arbeiterklasse und der
Modrow-Regierung, wäre weder ein unblutiger Verlauf noch das Verhalten der
sowjetischen Generäle ausgemacht gewesen. Die Rolle der sowjetischen
Truppen auf ein Bollwerk gegen Faschismus und NATO (ebenda) zu
reduzieren, ist eine einseitige und damit falsche
Charakterisierung, die die arbeiterfeindliche Rolle des sowjetischen
Militärs ignoriert, das für vier Jahrzehnte eben auch die Herrschaft
der korrupten stalinistischen Parasiten verteidigte.
Die Haltung von Revolutionären gegenüber den Armeen
eines bürokratisch deformierten Arbeiterstaates ist grundsätzlich die
gleiche wie die gegenüber dem Arbeiterstaat unter bürokratischer
Führung. Die Militärbürokratie, eine Fraktion des
stalinistischen Apparates, muß durch die proletarische politische
Revolution zerschlagen werden. Unsere konkrete Haltung gegenüber den
Aktionen der sowjetischen Armee oder damals gegenüber der NVA muß
sich entlang des Programms der Befreiung des Proletariats bestimmen.
Wäre es nicht viel einfacher zu fragen: und in den Fällen, wo
die Rote Armee in der UdSSR Arbeiterstreiks oder gegen die Bürokratie
gerichtete Bauernproteste zerschlägt, müssen wir sie dann
unterstützen? Die Außenpolitik setzt die Innenpolitik fort. Wir
haben nie versprochen, alle Operationen der Roten Armee zu unterstützen,
die ein Werkzeug in den Händen der bonapartistischen Bürokratie ist.
Wir haben lediglich versprochen , die UdSSR als Arbeiterstaat zu verteidigen,
und auch nur das, was an ihr Arbeiterstaat ist (Trotzki, Noch einmal zum
Charakter der UdSSR in Trotzkis Schriften, Bd. 1.2, S. 1304). Wenn sowjetische
Truppen gegen den Imperialismus vorgehen (etwa im II. Weltkrieg gegen Hitler)
oder die interne Konterrevolution bekämpfen, rufen wir die Arbeiter zu
einem militärischen Block mit diesen auf. Dort, wo diese Armeen
gegen die Arbeiterklasse geführt werden (DDR 1953/Ungarn 1956), sind wir
für ihren sofortigen Rückzug und kämpfen gegen die
stalinistischen Militärs. In der DDR 1989/90 spielte die sowjetische Armee
während der Ereignisse keine direkte Rolle. Wenn jedoch Arbeiterräte
nach der politischen Macht gegriffen hätten, hätte die Politik der
Verbrüderung mit den sowjetischen Soldaten ihre Früchte tragen
müssen. Im Kampf gegen die kapitalistischen Restaurationstendenzen sind
wir der antikommunistischen Forderung nach Abzug der sowjetischen Truppen, wie
sie in der Linken, z.B. von der Gruppe Arbeitermacht (GAM) oder der Vereinigten
Linken, propagiert wurde, immer scharf entgegen getreten.
In einem Interview mit einem Mitglied eines NVA-Soldatenrates
stellte die TLD fest: "Im Prinzip muß man sagen, daß es in einem
Heer in einem Arbeiterstaat, obwohl bürokratisch deformiert, keine
Klassenlinie zwischen den Offizieren und den Soldaten gibt" (APK 11 /2l.12.89).
Das ist zwar richtig nur die Genossen der IKL unterschlagen in krimineller
Weise, daß es eine Blutlinie zwischen den einfachen Soldaten und
ihren Offizieren gibt, vergleichbar der Linie, die die Arbeiterklasse von der
stalinistischen Kaste trennt. Die IKL-Revision des Trotzkismus in dieser Frage
besteht darin, daß sie die einfachen Soldaten mit den
Militärbürokraten gleichsetzt. "Wir Internationalisten",
hieß es u.a. im Offenen Brief an Snetkov & Co (28.12.89), in dem sich
die IKL mit den Bürokraten auf eine Stufe stellte.
"Internationalistische Grüße an unsere Genossen, die
sowjetischen Soldaten und (!) Offiziere!" (APK 7 / 15.12.89) sind Schläge
ins Gesicht der sowjetischen Soldaten, die (auch in der DDR) kaserniert unter
den miserabelsten Umständen leben müssen und von Offizieren der
sogenannten "Roten Armee" schikaniert werden. Bei den einfachen Soldaten
("Arbeiter in Uniform") wird die Arbeiterklasse im Zuge der revolutionären
Mobilisierung sehr schnell Unterstützung finden. Am Grad der Effizienz der
Aktionen wird es liegen, wie groß der Teil der Offiziere sein wird, den
sie zu sich herüberziehen bzw. neutralisieren kann gegenüber
denjenigen Militärbürokraten, die bekämpft werden müssen.
Bei ihrer Suche nach einem Ersatz für die Mobilisierung des
Proletariats liebäugelte die SpAD/IKL schon immer mit den sowjetischen
Militärs. Ein Ausdruck davon ist die immer wiederkehrende Gleichsetzung
der revolutionären Roten Armee unter Trotzki mit der sowjetischen Armee
unter dem politischen Monopol der Kreml-Stalinisten (s. dazu Teil II). In einer
Kritik z.B. gegen die GAM/LRKI beginnt die IKL zwar mit einem korrekten Punkt:
"Zu erklären, daß der einzige Kampf, den die sowjetischen Truppen
gerührt haben, die Unterdrückung des osteuropäischen
Proletariats gewesen ist, zeigt eine Haltung, die selbst den Ablauf der
Geschichte leugnet", um dann fortzufahren: "Was ist mit 1. dem Bürgerkrieg
in Rußland 1918/19, 2. dem Krieg gegen Pilsudskis Polen 1920, 3. gegen
Japan in der Mandschurei 1937 und 1939, 4. der Invasion von Finnland, 5. dem
Krieg gegen Nazideutschland 1941, 6. der Intervention in Afghanistan 1979?"
(Spartakist 72/05.06.90). Für die IKL gibt es hier offensichtlich eine
ungebrochene revolutionäre Kontinuität von 1917 bis heute. Zur
kritischen Wahlunterstützung der SpAD im Dezember 1990 schrieb die Gruppe
Spartakus:
"Die SpAD ist eine der wenigen vorgeblich
revolutionären Gruppen, die für die militärische Verteidigung
des Iraks gegen die imperialistisch geführte, militärische und
ökonomische Aggression eintritt. Sie weckt allerdings die Illusion,
daß ein Flügel der sowjetischen Bürokratie den Irak verteidigt.
In ihrem Wahlprogramm sowie in einem Offenen Brief an verschiedene Botschaften
(mit Kopie an ihren Lieblingsgeneral Snetkov) fordert die SpAD, daß die
UdSSR das Waffenembargo aufhebt und Waffen an den Irak schickt. Hier wird
bewußt die Tatsache geleugnet, daß alle Flügel der
sowjetischen Bürokratie, inklusive Ligatschow und den Militärs, vor
Gorbatschows offener Zusammenarbeit mit dem Imperialismus gegen den Irak
kapitulieren ... Die Forderung an die sowjetische Bürokratie das
Waffenembargo aufzuheben, ist gefährlich desorientierend! Natürlich
ist es prinzipiell nicht falsch, Forderungen an die Stalinisten zu stellen.
Dies macht allerdings nur dann Sinn, wenn diese zumindest vorgeben, für
die Unterdrückten gegen die imperialistischen Unterdrücker
einzutreten. Wenn die Stalinisten jedoch klarmachen, daß sie auf der
Seite der Imperialisten stehen, wie sie es seit Beginn der Golf-Krise getan
haben, sind solche Forderungen absurd" (Flugblatt / 17.11.90).
"Drushba" rief dagegen die IKL und erhob das Glas auf das Wohl der
stalinistischen Militärbürokraten (APK 7/15.12.89)!
2.5. Die SpAD, "unser Arbeiterstaat"...
"Verteidigt die Errungenschaften unseres Arbeiterstaats!" prangte
es von der Spartakist-Titelseite am 20. März 1990; immer und immer wieder
sprach die TLD/SpAD von "unseren VEB's", "unserer Wirtschaft", "unserem
Arbeiterstaat", ohne zu erkennen, daß die Werktätigen der DDR aus
guten Gründen eine gänzlich andere Haltung zu "ihrem" Staat hatten.
Da griffen Wahlkampf-Femsehauftritte daneben, in denen die SpAD dafür
eintrat,"... daß das, was in der DDR geschaffen worden ist, erhalten wird
und ausgebaut wird" (APK 29 / 27.03.90)
Bevor die Arbeiterklasse der DDR von "ihrem" Arbeiterstaatsprechen
konnte, fehlte ihr eine ganze Kleinigkeit. Die BT formulierte in diesem
Zusammenhang: Tatsächlich ist die DDR, wie all die anderen Staaten
Osteuropas, ein deformierter Arbeiterstaat. Um ihn zu einem gesunden
Arbeiterstaat zu transformieren, ist ein revolutionärer Kampf zum Sturz
der stalinistischen Herrschaft und die Zerstörung der Reste des
Unterdrückungsapparates notwendig. Vom Standpunkt der Trotzkisten ist
diese Auslassung ein elementarer Fehler, der, wenn man die erhebliche
politische Erfahrung der Führer der IKL bedenkt, wohl kaum zufällig
sein dürfte" Offener Brief / 23.02.90).
Ein revolutionärer Arbeiterstaat, der sich auf die direkte
Demokratie der Räte stützt, wird die notwendigerweise auftretenden
Mängel, Halbheiten und Widersprüche in der Periode des
Übergangs bis zur Entlastung durch die internationale Revolution
bekämpfen bzw. mildem können. Die parasitäre stalinistische
Bürokratie hingegen steigert die Probleme des Arbeiterstaates ins
Unermeßliche. Eingeklemmt in die trübe Aussicht des Aufbaus des
"Sozialismus in einem halben Land" und den Illusionen in den "goldenen Westen"
gab ein Teil der Bevölkerung Fersengeld. Die während der Fluchtwelle
(ab Sommer 1989) einsetzende heterogene Massenbewegung suchte nach einer
politischen Lösung ihres Unmuts über Bespitzelung, bürokratische
Willkür und stalinistische Mißwirtschaft.
Die Unzufriedenheit mit der Situation in der DDR war einer der
treibenden Faktoren, die zur "Wahl der D-Mark" am 18. März rührten.
Die SpAD verwischte den Unterschied zwischen der bedingungslosen Verteidigung
des Arbeiterstaates gegen die Konterrevolution und der Verteidigung des
(bürokratischen) Status quo. Die proletarische politische Revolution,
die letztlich - einzig effektive Form der Verteidigung der
Arbeiterstaaten, bedeutet umfassende, radikale sozialistische
Reorganisation der ehemals von der Bürokratie unterdrückten
Gesellschaft. Bei dem jetzt heraufziehenden Bürgerkrieg um den Erhalt der
UdSSR sollte jeder sowjetische Arbeiter einer Partei mißtrauen, die auch
nur den Schatten von Verantwortung für das System der bankrotten
Stalinisten, für "deren" Arbeiterstaat übernimmt.
Die SpAD setzte diese Tendenz in ihrer Propaganda fort, als sie
verkündete: "In der DDR gab es nicht zu viel, sondern zu wenig
Kommunismus" (Wahlspot der SpAD, Radio Aktuell, 27.11.90). In der DDR
existierte ein bürokratisch deformierter Arbeiterstaat und kein
Kommunismus und wir wollen hier nicht Trotzkis Antwort auf Stalin wiederholen,
als letzterer selbstgefällig in der UdSSR bereits neunzehntel des
Sozialismus verwirklicht sah.
Die Konsequenzen des IKL-Spagats zwischen trotzkistischer
Orthodoxie und stalinophilen Sentimentalitäten a la "unser Arbeiterstaat"
lassen sich auch anhand der SpAD-Position zur Frauenfrage konkretisieren.
... und die Frauenfrage in der DDR
Während ihrer Orientierung auf die SED-PDS war die
Frauenfrage für die SpAD kein zentrales Thema. An dieser für
SED-Proletarier sensiblen Frage wollte sie damals nicht rühren und
kämpfte nicht gegen den männlichen Chauvinismus in der
SED-Programmatik, mit der die Stalinisten die ganze DDR-Gesellschaft
durchseucht haben. Im Aufruf Was wollen die Spartakisten" (APK 18 /
07.12.89 und folgende) wird die Frauenfrage in der DDR noch nicht einmal
angesprochen. Forderungen nach "kostenlose(n) Betreuungseinrichtungen für
Kinder rund-um-die-Uhr" tauchten in den ersten Monaten nur beiläufig auf
(s. z.B. APK 18 / 12.01.90).
Im Programm zur Volkskammerwahl erweiterte die SpAD ihren
Forderungskatalog um "Vergesellschaftung der Hausarbeit", "Verteidigung des
Abtreibungsrechts" und "Beibehaltung sozial gerechtfertigter (?!)
Subventionen". Die dort ebenfalls aufgestellte Parole für die
"völlige Gleichberechtigung der Frau" beschränkte sich auf den
gesetzlichen Rahmen der Situation für Frauen in der DDR. Nirgendwo gab die
IKL jedoch die kommunistische Perspektive der Befreiung der Frau als
Bestandteil des Kampfes für den Sozialismus bzw. Kommunismus an. Vielmehr
reduzierte sie die Frauenfrage auf deren soziale Unterdrückung.
Das ist der erste Kritikpunkt, den Kommunisten an einer solchen
vulgären, ökonomistischen Methode zu machen haben:
Während der Kampf für die soziale Befreiung der Frau (im Zusammenhang
mit der Entfaltung der Produktivkräfte) unabdingbar ist, muß er
einhergehen mit dem bewußten Kampf gegen alle
Unterdrückungsformen in allen gesellschaftlichen Bereichen, z.B. in
Politik und Kultur.
Femer halten wir es für einen schlechten Witz der IKL, die
Unterdrückung der Frau in den bürokratisch deformierten
Arbeiterstaaten mit dem Hinweis auf deren weitgehende Integration in den
Arbeitsprozeß herunterzuspielen. Fast alle Frauen in der DDR
konnten arbeiten - und das war gut so, eine entscheidende Voraussetzung
für das kommunistische Ziel der Befreiung der Frau. Nur in welchen Jobs
und unter welchen persönlichen/familiären Umständen - das
interessierte die SpAD bei ihrer stalinophilen Verteidigung der DDR
höchstens am Rande.
Gleich zu Beginn des Zusammenbruchs des SED-Regimes schrieb die
Gruppe IV. Internationale:
"Während in der DDR im Gegensatz zum Westen fast
alle Frauen einen Arbeitsplatz finden, womit grundsätzlich eine
ökonomische Unabhängigkeit vom Mann hergestellt ist, führt die
nach wie vor mangelnde Ersetzung der Hausarbeit durch gesellschaftliche
Einrichtungen zur unerträglichen Doppelbelastung. Auf ihren Arbeitsstellen
trifft sie zudem der von der stalinistischen Bürokratie konservierte
bürgerliche Chauvinismus und versperrt ihnen, trotz guter Ausbildung und
Qualifikation, eine anteilige Übernahme von Verantwortung bei
entsprechender Entlohnung. Die Einlösung der Forderung nach Emanzipation
der Frau ist die Aufgabe der gesamten Arbeiterbewegung. Die gesellschaftliche
Übernahme von Reproduktionsarbeit muß sichergestellt werden, d.h.
mehr Kindergärten und zwar geöffnet rund um die Uhr, mehr
Speisegaststätten, Wohnungen etc. Damit einhergehen muß der Kampf
gegen den 'alltäglichen' Chauvinismus, der mit der Absage an die
stalinistische Ideologie der 'sozialistischen Familie' beginnt"
(Flugblatt/10.11.89).
Angesichts der drohenden Konterrevolution mußten
selbstverständlich die Akzente auf die Mobilisierung zur Verteidigung der
Errungenschaften gesetzt werden, wobei Kommunisten dabei nie beim Status quo
hängen bleiben: "Die Frauen gehören zu den ersten Opfern der
bürgerlichen Offensive. Die geplanten Entlassungen müssen
zurückgeschlagen werden! Schluß mit dem Skandal, daß 75% aller
Frauen in traditionell weiblichen, schlecht entlohnten Berufen arbeiten. Der
Doppelbelastung durch Betrieb und Familie muß mit radikalem Ausbau der
sozialen Einrichtungen begegnet werden! Für eine kommunistische
Frauenbewegung!" (Bulletin 1).
Dieses Ziel einer Frauenmassenorganisation der
revolutionären Arbeiterpartei zur Forcierung des Kampfes für die
Emanzipation der Frau hat die SpAD offensichtlich aufgegeben. Es taucht in
ihrer Propaganda nur noch an Feiertagen auf. Die SpAD hantierte vielmehr mit
ihrem ökonomistischen Frauen-Minimalprogramm, das die Frauen in der DDR zu
Recht als Fortsetzung der bisherigen, stalinistischen Frauenpolitik
interpretieren mußten. In "unserem Arbeiterstaat" DDR trat sie somit auf
der Stelle. Die SpAD verteidigte das DDR-Abtreibungsrecht und "vergaß" in
ihrem Volkskammer-Wahlprogramm die Forderung nach ersatzloser Streichung des
Abtreibungsparagraphen. Sie verteidigte die Beschäftigung der Frauen in
der DDR und "vergaß" die Forderung nach ihrer Beschäftigung
gemäß ihrer Qualifikation verbunden mit einer beruflichen
Frauenförderung. Sie verwies auf die zukünftige
"kommunistische Welt" und "vergaß" den Sexismus ihrer stalinistischen
Blockpartner in spe.
2.6. TLD/SpAD gegen ökonomische Streiks
Nach dem Sturz des Honecker-Regimes war die entscheidende Frage,
ob die Arbeiterklasse ihre tiefe Entpolitisierung durch jahrzehntelange
stalinistische Unterdrückung überwinden und rechtzeitig eine
unabhängige Rolle spielen würde. Viele Arbeiter hatten sich in der
"Demokratiebewegung" verloren. Andere, die gegen den Kapitalismus eingestellt
waren, schauten auf Modrow /Gysi und wurden paralysiert durch die
SED-PDS-Appelle, die Wirtschaft nicht zu schädigen und Vertrauen in die
Regierung zu setzen, die "das Beste" vom "Sozialismus in den Farben der DDR"
schon retten würde.
Kommunisten wissen, daß die Arbeiter Klassenbewußtsein
vor allem durch Klassenkämpfe entwickeln. Die Serie von ökonomischen
Streiks, die ab Winter 1989/90 einsetzte, war in dieser Hinsicht von besonderer
Bedeutung. Erfolgreiche Verteidigungsstreiks hätten die
"Demokratiebewegung" entlang der Klassenlinie polarisieren und eine erste
Verteidigungsposition gegen die prokapitalistischen Kräfte und ihre
Förderer in der Modrow-Regierung aufbauen können.
Natürlich mußten Revolutionäre sorgfältig den
politischen Kontext der Streiks beachten. Die Unterstützung oder Ablehnung
von Streiks mußte an deren vorrangigen Zielen festgemacht werden. Die
Gruppe IV. Internationale warnte vor der "Gefahr, daß Arbeiteraktionen zu
Stützen der Konterrevolution werden und z.B. in reaktionären Streiks
für die Wiedervereinigung münden, statt der Kapitaloffensive
zu begegnen" (Bulletin 1). Trotzkisten waren gegen Streiks, die sich den
Hinauswurf von SED-Mitgliedern aus den Betrieben zum Ziel setzten oder darauf
aus waren. Fabrikdirektoren zum Abschluß von Joint-Venture-Abkommen mit
BRD-Kapitalisten zu zwingen.
Welche Position vertrat nun die TLD/IKL? Auf einer Veranstaltung
am 18. November 1989 sprach sich ZK-Sprecher Schütz gegen Streiks aus, da
die Arbeiter nicht gegen sich selbst und ihre eigenen Interessen streiken
sollten. Im Verlauf der weiteren Entwicklung in der DDR wollte die TLD dann
keine Stellungnahme mehr zu diesem Punkt abgeben. Zu ihrer Haltung zum
BVB-Streik (Berliner Verkehrsbetriebe) im Dezember 1989 immer wieder befragt,
verweigerten die TLD-Genossen die Aussage.
Dieser Streik der Bus- und Straßenbahnfahrer war jedoch ein
wichtiges Beispiel für eine Kampfaktion, die eben nicht reaktionär
war und von Trotzkisten hätte vertieft werden können. Die BVB-ler
wehrten sich gegen die erhöhten Strafabzüge vom Lohn, eine
Maßnahme, mit der die "Arbeitsdisziplin" verbessert werden sollte. Zu
Recht antworteten sie: "Wie sollen sie denn 'Qualitätsarbeit' liefern,
wenn die 'Arbeitsmittel' nichts taugen. Die Busse seien doch 'der letzte
Dreck', ..." (taz / 21.12.89). Die SED-PDS Betriebsgewerkschaftsleitung wollte
diesen Streik nicht unterstützen, ihnen war "das Thema Lohn viel zu
heiß" (ebenda).
Die IKL trat offiziell nur für Streiks gegen Faschisten und
für die Verteidigung der DDR ein:
"Jeder Streik, besonders in der DDR, muß sich durchaus
anhand seiner Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung und die Arbeiter
rechtfertigen lassen. Wenn die Arbeiter einer Fabrik in ihrem Betrieb die
Produktion auch nur für einen Tag einstellen, um eine revanchistische
neofaschistische Mobilisierung oder ein Pogrom gegen eingewanderte Arbeiter zu
zerschlagen, oder wenn es Kämpfe gäbe gegen die Liquidierung der DDR,
dann wären diese Aktionen nicht nur gerechtfertigt, sondern lebenswichtig.
Dies sind nur einige Beispiele von Entscheidungen, die Arbeiterräte in der
DDR treffen müßten" (Erklärung des Internationalen
Sekretariats der IKL, APK 9/19.12.89).
Warum versuchte die IKL die Frage der ökonomischen Streiks zu
umgehen? Solche Streiks widersprächen ihrem Konzept von der anvisierten
Einheit mit der SED-PDS; eine Unterstützung der Streiks hätte zu
einer direkten Konfrontation mit der von der SED-PDS gestützten
Modrow-Regierung geführt. Die IKL übernahm vielmehr Verantwortung
für die stalinistische Mißwirtschaft: "Arbeitet besser, sauberer,
ordentlicher! Kein Betrieb darf unökonomisch sein", forderte ein Mitglied
der Spartakist-Gruppen am 4. Februar 1990 unter Zustimmung der
TLD/IKL-Führung (APK 22 / 08.02.90). Die TLD/SpAD unterstützte somit
die arbeiterfeindliche Austeritätspolitik Modrows!
Trotzkisten lehnen dagegen jegliche Verantwortung für die
verstaatlichte Wirtschaft ab, solange die Arbeiter politisch nicht entscheiden
können, wie diese in ihrem wie im Interesse der gesamten Bevölkerung
zu organisieren ist. Bis zum Sturz der Bürokratie und der Errichtung der
politischen Herrschaft des Proletariats gilt auch hier Trotzkis Maxime:
"Es ist eine Sache, sich mit Stalin zu solidarisieren,
seine Politik zu verteidigen, Verantwortung dafür zu übernehmen - wie
es die dreifach berüchtigte Komintern tut - , es ist eine andere Sache,
der Weltarbeiterklasse zu erklären, daß wir es nicht zulassen
können - welcher Verbrechen Stalin auch immer schuldig sein mag - ,
daß der Weltimperialismus die Sowjetunion zerschmettert, den Kapitalismus
wieder einführt und das Land der Oktoberrevolution in eine Kolonie
verwandelt" (Verteidigung des Marxismus, S. 272).
"Die Planwirtschaft ist grundlegend gesund ...", meinte die IKL
(APK 25 / 27.02.90) und reichte somit den Stalinisten die Hand. Man muß
kein Trotzkist sein, um zu erkennen, daß die stalinistische
Planwirtschaft todkrank und nicht zu retten ist. Ohne Arbeiterdemokratie
und sozialistischer Räteregierung, ohne proletarischer Reorganisierung
der Wirtschaft in Perspektive der internationalen Ausweitung der
kollektiven Eigentumsformen ist die in den bürokratisch deformierten
Arbeiterstaaten erfolgte Enteignung der Kapitalistenklasse nicht zu
verteidigen.
Mit diesem Verständnis mußten Trotzkisten sich an
ökonomischen Streiks, wo immer möglich, beteiligen. Ausgehend von der
Verteidigung der unmittelbaren Arbeiterinteressen mußte versucht werden,
die Kämpfe weiter zu treiben hin zur Kontrolle der Arbeiter über
die Produktion, für die Organisierung von Arbeiterräten.
Bestandteil solcher Kämpfe hätte u.a. die Überwindung
syndikalistischer Konzepte (Betriebliche Selbstverwaltung" u.a.) sein
müssen, wie sie von linken Organisationen in der DDR, z.B. der Vereinigten
Linken, vertreten wurden. Die IKL hingegen, da sie gegen ökonomische
Streiks in der DDR Position bezog, stellte mechanisch die Perspektive
der Arbeiterräte den ersten Regungen des Klassenbewußtseins
entgegen. Zur Freude Modrows: Erst die zukünftig zu bildenden
Arbeiterräte sollten über die Recht- oder Unrechtmäßigkeit
von Streiks entscheiden (s.o. IS-Erklärung, APK 9 / 19.12.89).
3. Die Wende der SpAD - weg von der SED-PDS
In den vorherigen Kapiteln haben wir die desorientierende Rolle
der TLD-SpAD/IKL gegenüber dem Stalinismus beschrieben. In der
entscheidenden Phase nach dem Zusammenbruch des SED-Regimes unter Honecker,
also als es darauf ankam, einen unabhängigen revolutionären Pol zu
verankern, gab die IKL mit ihrer Kapitulation vor der SED-PDS dem Druck
klassenfremder Kräfte nach.
Jetzt, nach einem Jahr, fühlt die IKL-Führung sich
bemüßigt, die 'Tendenz (ihrer deutschen Genossen, Anm. von uns),
sich in eine strategische Einheitsfront zu liquidieren", zu vermerken (s.
Nachwort Teil I).
Dabei hat doch vor allem die Clique um Robertson in New York die
Schuld für das SpAD-Desaster zu übernehmen, denn schließlich
leitete sie die Intervention in der DDR an. Der Workers Vanguard-Chefredakteur
Jan Norden war für die redaktionelle Linie von APK und Spartakist
verantwortlich, Helene Brosius aus dem IS kümmerte sich um die
organisatorische Seite. Einer der IKL-Kronprinzen, AI Nelson, überwachte
die Koordination und hatte Robertson per Funktelefon immer im Rücken.
Mitte Januar 1990 kam sogar der Guru höchst persönlich nach Berlin
und trieb den versuchten Block mit den stalinistischen Bürokraten auf die
Spitze.
Es war Robertsons Initiative, direkt mit Snetkov und Wolf bzw.
Gysi konferieren zu wollen! Robertson wollte bei diesem Treffen auf die massive
Wahlkampfintervention der Westparteien hinweisen und die Sowjets auffordern,
durch kostenlose, umweltschonende Erdgaslieferungen der bürgerlichen
Propaganda entgegen zu wirken. In diesem Zusammenhang wollte er Snetkov auch
fragen, ob der es denn gerne sähe, daß NATO-Truppen an der
Oder-Neiße-Grenze stünden, falls den imperialistischen Kräften
nicht Einhalt geboten würde.
"Arbeiterführer Robertson trifft führende
Repräsentanten der sowjetischen Generalität und der Staatspartei der
DDR" - so oder ähnlich hätte die Schlagzeile in Workers Vanguard und
Spartakist lauten können. Pech - daß die SED-PDS abwinkte (s. dazu
auch Teil III). Allein diese Initiative Robertsons ist wirklich bemerkenswert.
Sie beweist nicht nur die vollständige Fehleinschätzung insbesondere
der Rolle der sowjetischen Stalinisten; sie gibt darüber hinaus
Aufschluß über den erlittenen Realitätsverlust dieses
Lilliput-Diktators, der meinte, die Kreml-Herren doch noch in einen
"revolutionären" Block zwingen zu können. Absurdes Theater! Robertson
ließ nicht von dem Versuch ab, Teile der SED-Bonzen vor seinen Karren zu
spannen.
Trotz der intern auftretenden Widersprüche über die
einzuschlagende Politik gegenüber der SED-PDS, wurde noch Anfang Februar
1990 die "SED-Einheit"-Linie wiederholt:
"Jedenfalls wurde mehrfach festgestellt, wir wollen
Einheit durch revolutionäre programmatische Umgruppierung, was sich
konkret festmachen läßt an vielleicht rund sechs Punkten: Aufbau
revolutionärer Parteien im Westen, Verteidigung der Sowjetunion; Bruch mit
dem Stalinismus in der DDR, Schutz des gesellschaftlichen Eigentums in der DDR;
Keine Massenliquidation (keine 'Kollektivschuld') der DDR-Regierung" (Teil IV,
Dokument 3).
Genossin Lizzy, die mit ihrem Brief als direktes Sprachrohr
Robertsons fungierte, "vergaß" die Notwendigkeit des Aufbaus einer
trotzkistischen Partei in der DDR, von einer
leninistisch-trotzkistischen Fraktion in der SED-PDS ganz abgesehen.
Ab Mitte/Ende Januar 1990 vollzog die IKL-Führung konfus
tastend und ohne offene Diskussion ihrer bisherigen Politik, eine Wende weg von
der SED-PDS. Die verfügbaren finanziellen Ressourcen erschöpften sich
(s. Teil IV, Dokument 2). Die PDS-Führung und General Snetkov hatten die
IKL verschmäht, Gorbatschow sein Placet zur Wiedervereinigung gegeben -
kurzum, die Kapitulation der Stalinisten war ebensowenig zu leugnen wie auch
das Scheitern der opportunistischen "SED-Einheit-Politik.
Um von der eigenen Verantwortung abzulenken mußten Robertson
und seine Clique die Spuren verwischen. Rechtzeitig hatte sich der Meister
wieder nach New York abgesetzt, um, wie es hieß, einen Finanzstreit (!)
in der Zentrale zu schlichten. Hier konnte er dann, aus sicherer Entfernung,
verlauten lassen:
"Jim (Robertson, Anm. von uns) hat wiederum betont,
daß wir damit aufhören sollten, uns so viele gedanken um die SED zu
machen, denn sie löst sich selbst auf, und das unser Hauptrivale auf der
Linken die KPD ist" (Teil IV, Dokument 3).
Zur bisherigen Linie gegenüber der SED, die Robertson voll
mitgetragen hatte und an entscheidender Stelle sogar persönlich
versucht hatte umzusetzen (Snetkov-Initiative), ließ er in seiner
üblichen zynischen Art verlauten:
"Zur Frage der 'Einheit mit der SED', Genossen haben das
Gefühl, daß dies nicht nur das Prodkt einer einzeln Person ist, die
sich verhört hatte und fälschlicherweise etwas wiederholt hat, was
Jim erzählt hat, sondern daß dies teilweise das Resultat der
Erschöpfung der führenden Kader dort war und teilweise die Panik
wiederspiegelt, der viele in der DDR erliegen, ..." (ebenda).
Man kann nur Ekel über die Feigheit dieser
Führungsclique empfinden, die ihre politische Verantwortung auf Subalterne
abschiebt. Und wehe denjenigen, die nicht bereit sind, Robertsons Manöver
mitzuspielen und versuchen, nach tieferen politischen Gründen zu forschen
- sie befinden sich bald außerhalb der Organisation! Genossen in der IBT
kennen diese Vorgehensweise aus eigener Erfahrung. Die Führung der IKL
muß unfehlbar sein - sonst bricht das Kartenhaus zusammen!
Ein fortgesetzter Kurs auf die SED-PDS versprach unter den
gegebenen Umständen wenig Erfolg; Entrismus z.B., zumal auf dem bisherigen
stalinophilen Programm, hätte die Kontrolle New Yorks über die
eigenen Mitglieder in Frage gestellt. Die SpAD begann jetzt ihre Politik zu
modifizieren und nahm Kurs auf das "massenorientierte",
eigenständige Auftreten. An der in der vorherigen Periode
entwickelten Methode mußte wenig geändert werden. Da die PDS die
Verteidigung der DDR nicht organisieren wollte, proklamierte nun die SpAD, dies
an deren Stelle durchführen zu wollen. Das korrekte Verhältnis
zwischen einer kleinen Propagandagruppe und ihren Aufgaben (vorrangige
Konzentrierung auf die Gewinnung von Linken, Umgruppierungsarbeit) war auf
Grundlage der IKL/SpAD-Programmatik nicht zu erwarten.
Nach einem New York Times-Artikel, der verkündete,
daß ein Viertel der DDR-Bevölkerung gegen die kapitalistische
Wiedervereinigung eingestellt sei, verlangte Nelson vom ZK der SpAD diese
Massen zu organisieren. Als Vehikel für ein solches Manöver sollte
der SpAD-Volkskammerwahlkampf dienen. Die SpAD schritt zur Organisierung ihrer
nächsten Niederlage.
3.1. Von der Wahl-Kampagne Nr. 1: "Millionen wollen
Sozialismus"...
Noch im März verfolgten die Schatten der politischen
Revolution die SpAD. Fünf Tage bevor die Mehrheit des DDR-Proletariats
ihre Stimme den bürgerlichen Parteien gab, posaunten sie: "...Millionen
Arbeiter in Osteuropa, besonders in der DDR, (wollen) das Kollektiveigentum
verteidigen und eine wirklich sozialistische Gesellschaft aufbauen" (APK
27/13.03.90). Die Massen zu führen war die SpAD, nun ohne den Umweg
über die SED-PDS, angetreten: "Millionen Werktätige wollen
schützen, was wir durch unsere Arbeit in 45 Jahren aufgebaut haben - trotz
der stalinistischen Deformation der DDR - und sind bereit, ein Viertes Reich
auf deutschem Boden zu verhindern, das die ganze Menschheit bedrohen
würde. Indem wir unerschütterlich gegen die kapitalistische
Wiedervereinigung auftreten, wollen wir ihre Stimme sein" (ebenda).
Gemessen an ihrem Anspruch "ein eindrucksvolles Nein zur
kapitalistischen Wiedervereinigung zu organisieren" (APK 26/06.03.90) war es
für die SpAD eine schwere Niederlage, von den Millionen nur 2396 Stimmen
erhalten zu haben. Daß es überhaupt so viele wurden, mußte
angesichts der von der SpAD geführten Kampagne überraschen: Die
Kraftmeierei dieser Politzwerge, das organisatorische Chaos und die
bürokratischen Manöver gegen Linke auf den schwach besuchten
SpAD-Veranstaltungen, machten diese Gruppierung nicht gerade attraktiver.
Die Abkehr von der opportunistischen Orientierung auf Teile der
stalinistischen Bürokratie wurde "klammheimlich" vollzogen. In der
Öffentlichkeit verteidigte jedoch die SpAD nach wie vor ihre ehemalige
politische Linie. Eine ultrasektiererische Haltung gegenüber der
Sozialdemokratie sowie ein genereller Abstentionismus gegenüber der
Arbeiterbewegung trugen, wie wir noch zeigen werden, zur verheerend niedrigen
Stimmabgabe für die SpAD bei.
Darüber hinaus war die SpAD/IKL unfähig, eine
marxistische Analyse der Vokskammerwahlen zu liefern. Sie verbreitete Konfusion
mit ihrem Gerede über einen "... (verzerrten) Volksentscheid ... über
die weitere Existenz der DDR" (APK 27 / 13.03.90), wobei sie nirgendwo
erklärte, was denn nun darunter genau zu verstehen sei. Wir vermuten,
daß diese Konfusion u.a. der Tatsache geschuldet ist, daß ihr
erster Entwurf des Programms für die Volkskammerwahl von einem
PDS-Mitglied geschrieben wurde. Die SpAD konnte nicht erklären, zu was sie
überhaupt angetreten war!
Ausgehend von der Vorarbeit der prokapitalistischen
Modrow-Regierung konstatierte die Gruppe IV. Internationale:
"Die Wahl am 18. März soll die bürgerlich
demokratische Legitimation für die schrankenlose kapitalistische
Ausbeutung der Werktätigen liefern" (Flugblatt/26.02.90) und in ihrer
Analyse der Wahlen schrieb die Gruppe IV. Internationale: "Im Unterschied zur
bonapartistischen Modrow-Regierung kann sich die Regierung aus Allianz, SPD und
Liberalen nun sogar 'demokratisch' legitimieren. Sie ist eine
prokapitalistische Regierung auf bürgerlich-parlamentarischer
Grundlage, deren Aufgabe darin besteht, den deformierten Arbeiterstaat DDR
endgültig zu Fall zu bringen und durch Anschlußpolitik an die BRD
den Kapitalismus zu restaurieren" (Bulletin 2).
Trotz aller Kritik riefen die Genossen der BT und der Gruppe IV.
Internationale zur Wahl der SpAD auf. Wir entschieden uns für diese Taktik
der kritischen Wahlunterstützung, um das revolutionäre Programm
entlang der Fragestellung "Für oder gegen kapitalistische
Wiedervereinigung" propagandistisch zuzuspitzen. Die sich schon damals stolz
"gesamt-deutsch" nennende SpAD war bei aller Widersprüchlichkeit
dennoch die einzige zur Wahl antretende Gruppierung, die mit Nachdruck gegen
die Wiedervereinigung auftrat. Vor politischem Vertrauen in die, zum Zweck der
Wahl gegründete, "Pandeutsche" Sektion warnten wir von Anfang an
(über die Vorgänge um die Gründung der SpAD s. Teil III).
Insbesondere die Führung der SpAD/IKL zeigte sich empfindlich
gegenüber unserer revolutionären Kritik. Eine Flut von
Schmähungen, Kübel von Dreck gossen diese Herrschaften über uns,
unfähig auch nur ein politisches Argument zu parieren. Wir störten
offensichtlich bei dem Selbsthypnoseversuch der marschierenden
Arbeitermassenpartei.
Die von der SpAD initiierte "Kampfdemonstration" am 6. März
1990 ("Berliner Arbeiter: Jetzt ist die Stunde des Kampfes!" (APK 26 /
06.03.90)) veranschaulichte exemplarisch das Sektierertum der SpAD. Andere
linke Organisationen konnten sich nicht beteiligen, selbst wenn sie es gewollt
hätten. Der Aufruf zur Demonstration kam erst am gleichen Tag heraus, an
dem diese stattfand! Kaum vierzig Teilnehmer "kämpften" dann vor der
Volkskammer. Und warum waren es so wenige? "Wegen der kurzen Vorbereitungszeit
(!) und strömendem Regen (!!) sind nur wenige Menschen gekommen" (APK 27 /
13.03.90). Dümmer ging's nimmer!
... hin zum Wahldesaster Nr.2:
Großdeutschland = faschistisches Reich?
Die aufschneiderische "Massenmethode" der SpAD hat sich bis auf
den heutigen Tag gehalten, geändert haben sich die Schlagworte: "Das
Vierte Reich hat in den Volkskammerwahlen gewonnen" (APK 30 / 10.04.90). Die
SpAD modifizierte jetzt ihre Linie der Verteidigung der DDR, wobei der Kampf
gegen das "Vierte Reich" nun zu einem zentralen Bestandteil ihrer Propaganda
wurde. Jeder halbwegs politisch Interessierte, national wie international,
assoziiert mit der Herrschaft des Vierten Reichs das Regime des Dritten:
Hitlers Terror. Die SpAD identifiziert tendenziell die BRD mit dem
Faschismus. Mit diesem neuen Mobilisierungstrick sollte eine kritische
Reflexion der Mitglieder über die SpAD-Wahlkampagne sowie über die
gesamte bisherige Intervention der IKL in die DDR gleich im Ansatz unterbunden
werden. Nicht denken, sondern lenken! Wer wollte schon quer schießen, so
mögen sich viele der Mitglieder gedacht haben, wenn der Faschismus ins
Haus steht?
Wer die IKL etwas genauer kennt, dem ist diese Art der Erzeugung
von Katastrophenstimmung nicht unbekannt. 1983 schrieb die TLD: "Konfrontiert
mit der schwersten (!) Wirtschaftskrise seit den dreißiger Jahren (!) und
mit den mächtigsten Mobilisierungen des Proletariats seit 1932 (!) stellt
die Bourgeoisie die ausländischen Arbeiter als Sündenbock hin"
(Flugblatt/25.02.83). Während der Diaspora der TLD-Mitglieder feilte New
York an einem come back in Deutschland und machte wieder einmal alles falsch:
'Türkische Arbeiter im Vierten Reich" hieß die Schlagzeile im
März 1986 (Spartacist 12, deutsche Ausgabe).
Ab Mitte 1990 wurde die SpAD-Propaganda immer hysterischer:
"AldiSupermarkt des Vierten Reichs" (Spartakist 72/05.06.90), "Wessen
Kreatur ist Kohl? Der Mann, der Führer sein möchte" (Spartakist
73/03.07.90): "Was Hitler mit der Wehrmacht nicht gelungen ist, wollen sie
gegenwärtig mit der D-Mark schaffen. Und daran sind alle Parteien des
'demokratischen' (!) Vierten Reichs beteiligt, besonders die Sozialdemokratie
..." (ebenda). "Schließt euch dem Klassenkampf-Wahlkampf der Spartakisten
an! Für Arbeiterwiderstand gegen das Vierte Reich!" (Spartakist
77/09.10.90). In einer Hut von Vierten Reich-Berichten gingen Bemerkungen wie
"Das Vierte Reich ist nicht das Dritte Reich, und die kapitalistische Ordnung
östlich der Elbe ist noch nicht konsolidiert worden" (ebenda) vollkommen
unter. Sie waren auch nicht dazu gedacht, die falsche Linie zu korrigieren
sondern dienen vielmehr zur "trotzkistischen" Absicherung.
Der zentrale Kritikpunkt der Gruppe Spartakus in der
Faschismusfrage an die Adresse der IKL lautet:
"Aber die SpAD entwaffnet die Arbeiterklasse, indem sie
den Eindruck erweckt, daß wir schon im Faschismus leben. Sie spielt damit
die furchtbare Wirklichkeit des Faschismus an der Macht herunter, was dazu
führt, von der Notwendigkeit abzulenken, die faschistischen Banden zu
zerschlagen, wenn sie noch klein sind" (Flugblatt/17.11.90).
Denn was ist Faschismus? Auch wer sich nur oberflächlich mit
Trotzkis Polemik gegen die ultralinke Stalin-Thälmann-Linie der KPD
beschäftigt hat, weiß: Faschismus bedeutet die terroristische
Herrschaft der Monopolbourgeoisie, die durch die faschistische Massenpartei
organisiert wird und sich gründet auf die Zertrümmerung der
Arbeiterbewegung einschließlich der Liquidierung der bürgerlich
parlamentarischen Demokratie. Aktuell ist das deutsche Großkapital
nicht gezwungen seine politischen Geschäfte faschistischen Abenteurern zu
überlassen, da bis dato die Einbindung der Arbeiterklasse vor allem
über SPD und DGB-Bürokratie zur vollsten Zufriedenheit funktioniert.
Faschismus und Demokratie sind sich gegenseitig ausschließende
Formen bürgerlicher Herrschart, wie Trotzki analysierte. Ein schleichender
Übergang von der einen zur anderen Form, eine "Faschisierung", kann nicht
stattfinden. Ein solcher Begriff dient vielmehr zur Desorientierung der
Arbeiterklasse bei der Einschätzung von Entwicklungen im bürgerlichen
Lager.
Wie ist dann die aktuelle Situation in der BRD zu
charakterisieren? Im Zuge der Wiedervereinigung ist ein Rechtsruck des
bürgerlich parlamentarischen Systems erfolgt, von dem faschistische
Gruppen außerhalb des Parlaments profitieren. Ein Ausdruck dieser
Rechtsentwicklung ist der sich steigernde deutsche Nationalismus, der
sich auf die gewachsene internationale Bedeutung des BRD-Imperialismus
gründet. Die ersten Ziele und Opfer sind die Immigranten; darüber
hinaus soll der Widerstand der gesamten Arbeiterklasse in Deutschland
kleingehalten werden, wie die Verfolgung der PDS durch die Bourgeoisie zeigt.
Die Exekutierung eines nach wie vor drohenden PDS-Verbots wäre kein Beweis
für die Existenz des Faschismus in Deutschland (so wenig wie das
KPD-Verbot 1956), sondern wäre vielmehr ein Ausdruck der jetzt
praktizierten demokratischen Politik, mit polizeilichen
Repressionsmitteln Errungenschaften der Arbeiterklasse in der bürgerlichen
Demokratie zu beschneiden (anstatt sie allesamt zu zerschlagen).
Gleichzeitig hält der bürgerliche Staat die faschistischen Gruppen an
der langen Leine und läßt sie bei ihrer mörderischen Arbeit
gegen Ausländer und Rote gewähren. Aktuell will er die
Faschisten jedoch nicht über die Stränge schlagen lassen.
Die Aufgabe der Arbeiterbewegung besteht darin, im Zuge der
allgemeinen Mobilisierung für sozialistische Ziele: erstens
diese Beschneidung der bürgerlich demokratischen Rechte zu verhindern. In
diesem Zusammenhang erhält die von uns erhobene Forderung nach vollen
staatsbürgerlichen Rechten für Immigranten eine zentrale
Bedeutung. Zweitens die Faschisten heute von der Straße zu fegen, damit
sie morgen keine Massenbewegung organisieren; d.h. mit Aktionseinheiten der
Linken und Arbeiter, mit gewerkschaftlich organisierten
Selbstverteidigungsgruppen der braunen Pest entgegen zu treten.
Die SpAD-Propaganda erweckt bewußt den Anschein, daß
das Vierte Reich gesiegt habe und bereits seinen Triumph auf den Knochen der
Arbeiterbewegung feiert. Es geht nicht um eine "Numerierung" bürgerlicher
Herrschaft in Deutschland, wie man uns auf SpAD-Veranstaltungen weismachen
wollte. Mit einer solchen Politik wird von den wirklichen Protagonisten eines
Vierten Reichs abgelenkt: Am 20. Oktober 1990 z.B. marschierte Kühnen mit
500 FAP-Mitgliedern unter Polizeischutz durch Dresden! Selbst in den eigenen
Reihen konstatiert die SpAD jetzt eine Konfusion über ihre Parole des
"Vierten Reichs".
Die Gründe, die hinter dieser bizarren SpAD-Propagandaachse
stehen, sind vielfältig. Zur TLD-SpAD-Geschichtsbewältigung
gehört u.a. das Trauma der selbstbescheinigten Kapitulation gegenüber
dem Nationalismus (Auflösungserklärung der TLD, Spartacist 12,
deutsche Ausgabe), der "Lager-Jargon ihrer internationalen Führung
(s. Teil IV, Dokument 6) sowie ihre üblen Denunziationen von Linken als
Spitzel, Faschisten bzw. Faschistenunterstützer. Davon sind nicht nur die
Mitglieder der IBT betroffen; z.B. beschimpfte die TLD in der Vergangenheit die
Autonomen als "trübes lumpenproletarisches Milieu, das auch
Polizeiprovokateuren zugänglich ist" (Spartakist 55/Jan./Feb. 1988). Ein
anderer Grund ist auch in der Ausrichtung des SpAD-Wahlkampfes zu finden: Mit
ihren Anklängen an die ultralinke Periode Stalins/Thälmanns 1928-33
versuchte die Organisation im stalinistischen Wasser zu fischen.
Mit 679 Stimmen weniger als im März bekam die selbsternannte
Avantgarde der deutschen Arbeiterklasse die Quittung für ihre Politik. Der
Spartakist wagte nicht, diese erneute Schlappe überhaupt zu diskutieren!
Wie uns kritische Geister in der SpAD mitteilen, gelang es der
SpAD-Führung noch nicht einmal, sämtliche Mitglieder von ihrer
internen Wertung - "Erfolg" - zu überzeugen. Diese Weigerung, die
bisherige Politik offen und ehrlich zu bilanzieren, sollte die
SpAD-Unterstützer, die bisher auf revolutionäre Besserung der
SpAD/IKL setzten, an ihrer Hoffnung zweifeln lassen.
4. Die Phobie der SpAD gegenüber der Sozialdemokratie...
Wir verstehen unter Wende der SpAD die Ablösung
ihrer SED-Einheit-Orientierung durch die kraftmeierische
Selbstdarstellung als revolutionäre Massenalternative. In
ihrer sektiererischen Haltung den sozialdemokratischen Arbeitern gegenüber
gab es keine Wende; sie prägt die Politik der TLD/SpAD seit 1989. Ihre
Phobie gegenüber der SPD bringt sie durch rituelle Wiederholungen von
Schlagwörtern wie "Bluthunde der SPD" zum Ausdruck. Nebenbei bemerkt, wir
können uns nicht daran erinnern, in den IKL-Publikationen der letzten
Jahre Trotzkis (ebenfalls allgemein korrekte) Charakterisierung des Stalinismus
als "Pest der internationalen Arbeiterbewegung" gelesen zu haben.
In der Vergangenheit wurde die SPD als "Trojanisches Pferd der
Konterrevolution in der DDR" bezeichnet - ein unsinniger Rückgriff auf die
Antike, da doch die Trojaner keine Ahnung über den Inhalt des Pferdes
hatten. In der DDR jedoch wußte jeder, daß von den
Oppositionsgruppen vor allem die SDP/SPD für den kapitalistischen
Anschluß kämpfte. Hypnotisiert von der (angeblich) marschierenden
proletarischen politischen Revolution, starren Blickes auf die SED-PDS, hielt
es die IKL gar nicht für nötig, sich Gedanken über den
wachsenden Einfluß der SPD in der DDR-Arbeiterklasse zu machen.
In ihrem ersten Flugblatt setzte sie die SDP mit den Windbeuteln
vom Neuen Forum gleich: "Die massenhaften Protestdemonstrationen, mit ihrer
eindrucksvollen Disziplin, sind weiterhin von kleinbürgerlichen
Kräften wie dem Neuen Forum und den Sozialdemokraten (SDP) dominiert"
(15.11.89; Hervorh. von uns). Erst später merkte sie einmal an: Die
Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands betont, daß die SPD das
Trojanische Pferd der Konterrevolution in der DDR ist. Die SPD ist in Lenins
Worten eine bürgerliche Arbeiterpartei, eine Partei, die auf den
Organisationen der Arbeiterklasse basiert, jedoch verpflichtet ist auf die
Verteidigung des Kapitalismus" (APK 27/13.03.90). Eine formal korrekte Position
- nur hatte sie keine Folgen, denn sie ist wiederum ausschließlich als
orthodoxes Feigenblatt gedacht.
Über die konterrevolutionäre Rolle der Sozialdemokratie
als bürgerliche Agentur in den Reihen der Arbeiter wollen wir uns mit der
SpAD/IKL gar nicht streiten. Kurz nach dem Zusammenbruch des Honecker-Regimes
schrieb die Gruppe IV. Internationale: "Die Kundgebung aller Parteien des
Abgeordnetenhauses, die Pfiffe für Kohl und der Jubel für Brandt und
Momper, unterstreichen noch einmal die Tatsache, daß vor allem die SPD
fähig ist, bis tief in die DDR hinein Illusionen in 'Freiheit und
'demokratischen Sozialismus' für die revanchistischen Ziele des
BRD-Imperialismus zu nutzen" (Flugblatt / 10.11.89). Unsere propagandistische
Stoßrichtung: "Keine Illusionen in SPD und SDP - nein zum Programm der
demokratischen Konterrevolution" (Forderungskatalog / 11.12.89) war umso
wichtiger, da sich die Illusionen der ostdeutschen Arbeiterklasse über die
SPD in den Jahrzehnten der SED-Alleinherrschaft hatten halten können -
erzeugt u.a. durch die Politik der Stalinisten selbst.
Mit der propagandistischen Aufdeckung dieser Rolle der SPD als
Speerspitze des deutschen Imperialismus in der DDR-Arbeiterklasse war aber
die Aufgabe von Leninisten keineswegs erfüllt. Für die IKL haben
Lenins Schrift "Der Linke Radikalismus ...", die Beschlüsse des in. und
IV. Weltkongresses der Komintern als auch Trotzkis Kampf gegen den deutschen
Faschismus keinerlei Bedeutung. Lenin und Trotzki zeigten die Notwendigkeit von
Einheitsfrontaktionen mit sozialdemokratischen Parteien, unter Voraussetzung
von Arbeitermassenillusionen über diese Agenturen, ohne auch nur ein
Jota vor der Politik der sozialdemokratischen Führungen
zurückzuweichen. Für die IKL war und ist das kein Thema.
Unter diesem Aspekt sei hier noch einmal Treptow erwähnt.
Eine Aufforderung an die SDP/SPD, sich an der Massenkundgebung gegen die
Faschisten zu beteiligen, war unabdingbar. Es ging auch darum, Arbeiter von der
SPD wegzubrechen. Eine Möglichkeit, deren Klassenbewußtsein zu
heben, war, die SPD-Führung vor der Kundgebung zu einer Stellungnahme
herauszufordern. Als Vogel, Böhme, Meckel & Co. dann nach dem
3. Januar 1990 die bürgerliche Hetze gegen die
Treptow-Kundgebungsteilnehmer initiierten, mußte natürlich die
antifaschistische Mobilisierung gegen die SPD-Kanaillen verteidigt werden.
Revolutionäre mußten für diese Verteidigung auch versuchen, die
Unterstützung von SDP-Arbeitern und SDP-Untergliederungen zu erhalten.
Zwei Wochen später skandierten faschistische Elemente auf der Leipziger
Montagsdemo "SDP = SED-PDS; Rote Raus". Dieses Beispiel, erläutert durch
eine revolutionäre Propaganda und verbunden mit einer leninistischen
Einheitsfrontpolitik, hätte SDP-Mitgliedern die Notwendigkeit eines
gemeinsamen Vorgehens gegen die Faschisten und ihre westdeutschen Drahtzieher
klarmachen können. Ein kleiner Schritt auf dem Weg der Verteidigung der
DDR wäre getan gewesen.
Die IKL dagegen weigerte sich, die SDP in eine Aktionseinheit
einzubeziehen und begründete dies eine Woche später damit, daß
die SDP keine "proletarische Massenbasis" habe (APK 18/12.01.90). Mit dieser
falschen Begründung wurde darüber hinweggegangen, daß gerade zu
Beginn des Zerfalls der DDR, als die Sozialdemokratie dort noch organisatorisch
schwach war. Revolutionäre an diesem dünnen Standbein zu sägen
hatten. Die TLD richtete ihre Aufforderung zu Treptow bewußt
ausschließlich an die SED-PDS. Für sie waren die
SDP/SPD-Arbeiter offensichtlich Bestandteil der "reaktionären Masse",
wobei sie auch noch die Stirn hatte, Trotzkis Schriften gegen den Faschismus
als Begründung dafür anzugeben (s. APK 16/08.01.90).
Wir behaupten, daß die IKL schon lange die Hoffnung auf die
Revolution aufgegeben hat. Trotz allen Geschreis - in Wahrheit hält es
diese Organisation für unmöglich, daß das Proletariat mit Hilfe
der Kommunisten im Klassenkampf den Reformismus überwinden kann. Das
läßt sich nicht nur festmachen an ihrer Haltung gegenüber
SDP/SPD-Arbeitern, sondern zeigt sich an ihrem Abstentionismus
gegenüber der reformistisch dominierten Arbeiterbewegung generell.
... und ihr Abstentionismus gegenüber den Betriebsräten
Eintags-Interventionen wie letztens in den Reichsbahnerstreik sind
beispielhaft für viele andere Streik-Nachlauf-Operationen der IKL in der
Vergangenheit. Sie sollen von der Unfähigkeit einer systematischen
Arbeit in Betrieben und Gewerkschaften ablenken.
Eine Bestätigung dieser These läßt sich nicht nur
durch eine Analyse der Praxis der SpAD/IKL finden, sondern wird auch durch die
Programmatik der IKL deutlich. Als Beispiel wollen wir die Haltung der SpAD zu
den Betriebsräten nennen. "Westdeutschlands Betriebsräte sind
schlicht und einfach Organe der Klassenkollaboration". "Betriebsräte
dienen im besten Fall eher (?!) der Spaltung der Arbeiterklasse, statt zu ihrer
Einheit beizutragen. .."(Spartakist 68 / 01.03.90), tönte die SpAD
während der westdeutschen Betriebsrätewahlen 1990 und verleumdete
damit kurzerhand alle linken Gewerkschaftsmilitanten. Dabei gehört es zum
ABC der revolutionären Betriebsarbeit, den Betriebsrat - ein Produkt der
deutschen Revolution von 1918-23 - wieder unter die direkte Kontrolle der
Belegschaft zu bringen. Auch in den Betriebsräten müssen Kommunisten
den Kampf gegen sozialdemokratische Klassenkollaboration, gegen das
Betriebsverfassungsgesetz und die darin enthaltene Verpflichtung zur
"vertrauensvollen Zusammenarbeit" mit den Kapitalisten, aufnehmen mit der
Perspektive der Bildung von Arbeiterräten.
In einer Polemik gegen R. Well (alias Sobolevicius, ein
Stalin-Agent in den Reihen der deutschen Trotzkisten vor 1933) schrieb Trotzki:
"Sie (die Well-Gruppe, Anm. von uns) stellen den
Betriebsräten, den Gewerkschaften, dem Parlamentarismus das -
Räte-System entgegen. Dazu gibt es im Deutschen einen schönen Vers:
'Schön ist ein Zylinderhut, wenn man ihn besitzen tut. Sie haben
nicht nur keine Räte, sondern noch nicht einmal eine Brücke zu ihnen,
keine Straße zu dieser Brücke, keinen Fußweg zu dieser
Straße. Pfemferts 'Aktion' verwandelt die Sowjets (Räte) in einen
Fetisch, in ein übersoziales Gespenst, einen religiösen Mythos. Jede
Mythologie dient den Menschen dazu, ihre eigene Schwäche zu verdecken oder
mindestens, sich mit ihr zu trösten... 'Weil wir auf den Tod
ohnmächtig sind, weil wir in den Betrieben nichts machen können,
so... so steigen wir zum Lohn dafür auf einmal in eine solche Höhe,
daß zu unserer Hilfe die Räte vom Himmel fallen'.- Da haben Sie die
ganze Philosophie der deutschen Ultra-Linken. Nein, mit dieser Politik habe ich
nichts gemein. Unsere Meinungsverschiedenheiten betreffen ganz und gar nicht
das deutsche 'Betriebsrätegesetz", sondern die marxistischen Gesetze der
proletarischen Revolution" (Schriften über Deutschland, S. 140).
Als wäre es für die IKL und insbesondere für deren
Intervention in die zusammenbrechende DDR geschrieben! Zu Tausenden suchten
Arbeiter Hilfe zum Aufbau von Betriebsvertretungen, um sich vor den Angriffen
der Kapitalisten und den "wendehälsigen" Fabrikdirektoren zu
schützen. Die "Hilfe", die sie fanden, war die des DGB und seiner
sozialdemokratischen Führung. Anstatt nun an diesen entstehenden Organen
der Arbeiterklasse anzusetzen und die Notwendigkeit von
Arbeiterräten zu entwickeln, und in diesem Kontext die
"sozialdemokratischen, mitbestimmungsorientierten sozialpartnerschaftlichen
Betriebsräte nach bundesdeutschem Vorbild" zu bekämpfen (s. Bulletin
2), stellte die SpAD mit ihrem schematischen, sektiererischen Propagandismus
die Arbeiterräte diesen Ansätzen entgegen. "So dient der
Aufruf zu Betriebsräten oft (?) dazu, ein Programm für die
Restauration des Kapitalismus zu verschleiern. Dagegen (!) ruft die
Spartakist-Arbeiterpartei auf: 'Arbeiter- und Soldatenräte an die Macht!'"
(Spartakist 68/01.03.90). Bei ihrer aktuellen Neuorientierung auf Betriebe und
Gewerkschaften plant die SpAD auf dieser programmatischen Grundlage nur ein
erneutes Desaster ein: "Wir kämpfen für die Unabhängigkeit der
Arbeiterklasse, das heißt unversöhnliche Opposition gegen die
klassenkollaborationistischen Einrichtungen wie Betriebsräte" (Aufgaben
und Perspektiven in: Internes Diskussionsbulletin 16, Februar 1991).
In ihrer Haltung zu den Betriebsräten bestätigt die SpAD
die Einschätzung, daß die IKL in Wirklichkeit schon seit langem den
tagtäglichen Kampf gegen das bürgerliche Bewußtsein in der
Arbeiterklasse (inklusive seiner sozialdemokratischen Variante) aufgegeben hat.
1980-81 "befreite" sich die Spartacist League (SL) - Führung (die
amerikanische Sektion der IKL) von allen führenden SL-Gewerkschaftern,
indem sie diese aus der Organisation säuberte; 1982 zog sie fast
sämtliche ihrer Betriebsräte zurück und liquidierte damit die
Ergebnisse von mehr als zehnjähriger harter revolutionärer
Gewerkschaftsarbeit. In Deutschland hat es die TLD/SpAD nicht geschafft, nach
über fünfzehnjähriger Existenz auch nur in einem Betrieb eine
minimale Verankerung zu erreichen; frühe Ansätze Ende der siebziger
Jahre wurden vom IKL-Regime zunichte gemacht.
Ultralinkes Sektierertum ist nur die Kehrseite des rechten
Opportunismus. Diese marxistische Binsen-Weisheit fand ihre Bestätigung am
1. Mai 1990. Trotz aller Phobie gegenüber der Sozialdemokratie formierte
die SpAD einen Block auf der SPD-dominierten Demonstration für
"Wiedervereinigung" (Aufruf der DGB-Bürokratie: "Wir wollen ein einiges
Deutschland") und passierte mit den Sozialdemokraten in trauter Eintracht...
das Brandenburger Tor.
Nachwort:
Robertson zieht offiziell Bilanz: Spuren verwischen,
Verantwortung abschieben, Lügen...
Als wir den größten Teil der vorliegenden
Broschüre bereits geschrieben hatten, erhielten wir Kenntnis vom aktuellen
IKL-Diskussionsstand über "den Kollaps des Stalinismus" (Spartacist 45-46,
englische Ausgabe). Die Mitgliedschaft der IKL scheint zunehmend unruhig zu
werden. Es gibt gute Gründe für diese Unruhe. Die IKL-Führung
weckte mit ihrer grotesken und falschen Darstellung der Ereignisse in der DDR
(eine proletarische politische Revolution statt eines vorübergehenden
Machtvakuums, entstanden aus dem Zusammenbruch der stalinistischen
Bürokratie) vollkommen unrealistische Erwartungen bei den
Unterstützern. In den Bemühungen, die Vorstellungen der Führung
zu erfüllen, wurde die Mitgliedschaft bis zum Äußersten
getrieben. Die Taktik der IKL war eine Mischung aus politischer Anlehnung an
die Stalinisten und einem Ersatz-Massenavantgardismus.
Die pseudo-theoretische Diskussion in Spartacist dient dazu, die
Verantwortung der Führung für das DDR-Fiasko vor der Mitgliedschaft
zu vertuschen. Das wirklich Unverschämte und für SpAD-Mitglieder
besonders Peinliche ist die Art der Umschreibung der jüngsten Geschichte
durch die IKL-Führung. Das beginnt mit der Form: Robertson wagt sich
vorerst nicht, in einem offiziellen Dokument Bilanz zu ziehen, sondern schickt
seine Schreiberlinge, Seymour und St. John, in gezeichneten Artikeln vor, die
"nicht notwendigerweise in allen Punkten die Meinung der Organisation
repräsentieren" (Spartacist-Impressum). Was dann "offiziös" von St.
John zur DDR vom Stapel gelassen wird, ist eine Mischung aus Entschuldigungen,
Schuldzuweisungen, Halbwahrheiten bis hin zu ausgemachten Lügen.
Besonders auffällig bei St. John ist das Herumscharwenzeln um
den "Genossen Andrews", der viermal in dem Artikel erwähnt wird,
während keinerlei Bezug genommen wird zu anderen Diskussionsteilnehmern.
Der Zynismus der Führung tritt klar zu Tage in St. John's Stellungnahme.
"Wir haben nie im Voraus beurteilt, was das Ergebnis unserer
Anstrengungen sein würde, die Partei und die Führung zu schmieden,
die für eine erfolgreiche politische Revolution in der DDR notwendig war"
(St. John in: Spartacist 45-46, SpAD-Übersetzung). Dies ist eine
ausgemachte Lüge, denn genau dieser Anspruch wurde vor und nach der
SpAD-Wende vertreten und war der tiefere Grund für die Euphorie und Panik
von Robertson & Co. Ohne auch nur ein Wort der Erklärung rückt
die IKL von ihrer zentralen Prämisse der proletarischen politischen
Revolution ab. St. John spricht von einer "potentiell revolutionären
Situation" (hört, hört!), Robertsons Redaktionskollektiv von einer
"anti-bürokratischen Revolution, der es von Anfang an an einer
organisierten Arbeiterklassen-Beteiligung mangelte, die rapide in die soziale
Konterrevolution hinüberglitt" (Spartacist 45-46). Wir haben belegt, wovon
die IKL früher ausging.
Nachdem die IKL-Führung auf der Grundlage einer erfundenen
politischen Revolution ihre Mitgliedschaft auf das erfolglose Nachjagen einer
nicht existierenden SED/PDS-Linke ausgerichtet hatte, verkündet sie nun,
daß das Programm der PDS, sowie das der anderen Linken in der DDR "...
den Interessen und den periodischen Impulsen der Arbeiterklasse um 180 Grad
zuwider liefen" (St. John, ebenda). Eine Antwort auf die Frage warum "... das
Proletariat in der DDR nicht in Aktion trat...", gibt St. John, indem er
Trotzki zitiert: "Arbeiter brechen gewöhnlich nicht ohne weiteres mit der
Partei, die sie zum bewußten Leben erweckt hat...". In der Tat
widerspiegelt die Illusion, "... die SED sei reformierbar ..." das "... falsche
Bewußtsein und das Kleben an der SED ..." (St. John, ebenda). Beim Lesen
dieses Textes scheint es schwer vorstellbar, daß die TLD eine Politik der
Anlehnung an die SED und/oder ihren imaginären linken Flügel
verfolgte, statt zu einem Bruch mit der SED aufzurufen. Nachdem der Nebel sich
gelichtet hatte und es offensichtlich wurde, daß keine politische
Revolution stattgefunden hatte, sondern der politische Zusammenbruch des
herrschenden stalinistischen Apparates, versucht die IKL immer noch vorzugeben,
daß ihre Analyse wenigstene teilweise sich bewahrheitet habe. St. John
berichtet: "In der DDR brach das stalinistische Regime zusammen, gefangen
zwischen Gorbatschow und der allgemeinen Empörung, und seine
Überbleibsel lieferten lieber den ostdeutschen Arbeiterstaat an den
deutschen Imperialismus aus, als das Proletariat an der Macht zu sehen"
(ebenda, Hervorh. von uns). Dieses würde auf Stalin in Spanien zutreffen,
als die Komintern die proletarische Revolution abwürgte, hier aber
läuft die Empörung der IKL darauf hinaus, der SED vorzuwerfen sich
nicht an die Spitze der proletarischen Revolution gestellt zu haben!
Während die BT und die Gruppe IV. Internationale zu einem Bruch mit der
SED und für die Organisierung von Arbeiterräten als Instrument
für den proletarischen Kampf um die Macht aufriefen, suchte die IKL einen
Block mit der SED. Das Flugblatt der BT von Januar 1990 warnte:
"Für die Arbeiter in der DDR besteht jetzt eine
kritische Gefahr. Keine der größeren Oppositionsgruppen hat das
Programm, um die DDR davor zu bewahren, eine zweitklassige Plantage des
westlichen Kapitalismus zu werden. Die Sozialdemokraten der SDP wollen
ausdrücklich zurück zum Kapitalismus, während die SED/PDS
Reformer ein konfuses Programm für einen nichtexistierenden 'dritten Weg"
durch 'soziale Marktwirtschaft' propagieren. Alle diese Wege führen
früher oder später zur kapitalistischen Konterrevolution. Die
Intellektuellen und Kombinatsmanager zeigen bereits unverhohlen ihren Appetit
auf die Bürokraten- und Führungsposten im Dienste des
BRD-Kapitalismus. Es gibt einen Weg, der weder zurück zum Kapitalismus
noch zurück zum Kommandismus der stalinistischen Bürokratie
führt. Seit Stalin den revolutionären egalitären Geist der
Dritten Internationale liquidiert hat, ließ nirgendwo ein stalinistisches
Regime die Existenz wirklicher Arbeitermacht auf der Basis demokratisch
gewählter Arbeiterräte zu. Überall stimmen die Stalinisten mit
den kapitalistischen Feinden der Arbeiterklasse darin überein, daß
das ökonomische Versagen der Staaten, die sie regten haben, beweist,
daß eine auf kollektiven Eigentumsformen basierende Planwirtschaft nicht
funktionieren kann. Gorbatschows Abbau der zentralisierten Planwirtschaft
zugunsten einer sogenannten Marktkonkurrenz führt zu ökonomischem
Chaos, Verarmung der Arbeiterklasse und antiproletarischem Nationalismus.
Gorbatschow, Modrow, Jaruzelski, Illiescu und Co. haben der Arbeiterklasse nie
getraut und sind unfähig, wirklichen proletarischen Internationalismus zu
verwirklichen. Nirgendwo hat selbst die weitestgehende "Reform" durch
Stalinisten zum Aufbau von Arbeiterräten aufgerufen oder diese Forderung
als Basis für die Macht im Staat unterstützt wie Lenin es 1917 tat.
Dies ist kein Zufall. Der Aufbau solcher Gremien kann nur durch die
Zerstörung aller Flügel der Bürokratie erfolgen" (1917,
Extra-Ausgabe, Januar 1990).
Die Zyniker der IKL versuchen ihre Aktivitäten und ihre Linie
dieser Periode neu zu interpretieren, um sie der grundsätzlich korrekten
Orientierung unserer beiden Vorgängerorganisationen anzugleichen. Sie
rühren dabei Trotzkis Analyse zu 1917 so aus: "... daß die
Bolschewistische Partei, obwohl sie Anfang 1917 eine kleine Partei mit
unbedeutender Unterstützung in der Arbeiterklasse war, sich eine
Massenbasis aneignen konnte, weil zuerst Lenin und dann die übrige Partei
eine sehr klare revolutionäre Konzeption hatten, die dem
tatsächlichen Verlauf der Revolution entsprach" (ebenda, Spartacist
45-46, Hervorh. von uns). Genau die fehlte der IKL.
Und warum erfüllte denn nun die DDR-Operation nicht die
Hoffnungen St. Johns, die er im Nachhinein als ganz bescheidene verstanden
wissen will? "..., die Versäumnisse der früheren Periode
(waren)wie Lenins (!) Probleme 1905 in erster Linie darauf
zurückzuführen, daß es politischen Widerstand dagegen gab, uns
den Massen zuzuwenden, sowie auf historische Schwächen der TLD selbst,
die mehr oder weniger hin- und herschwankte zwischen Sektierertum und
Passivität und der Tendenz, sich in eine strategischen Einheitsfront zu
liquidieren" (ebenda, Hervorh. von uns). Hat man Worte! Diejenigen, die
ihre Genossen in Deutschland in den Sumpf gerührt haben und Kontrolle
über jede einzelne Aktivität hatten, putzen ihre willigen Handlanger
als Sektierer und Kapitulanten herunter. Jetzt will man auch noch Robertson mit
Lenin vergleichen! Noch einmal: Kann man sich etwas Feigeres vorstellen als
diese Clique in New York, die, um ihre kleinen Posten und Privilegien zitternd,
jede politische Verantwortung auf ihre Subalternen ablädt?
Der von St. John geleisteten politischen Charakterisierung der TLD
können wir nur zustimmen; sie muß allerdings auf die gesamte IKL,
insbesondere auf ihre Führung ausgeweitet werden! "Abschließend sehe
ich keine Basis für die Sorgen, die von manchen geäußert
wurden, daß Genossen politisch entwaffnet sind, oder daß die
Ereignisse in Deutschland und Osteuropa theoretisch problematisch seien"
(ebenda). Wir von der IBT schon, angesichts einer derartig heuchlerischen
Aufarbeitung der eigenen Geschichte! Die Genossen in der IKL sollten sich erst
recht Sorgen machen und... Konsequenzen ziehen, angesichts der angelaufenen
Intervention ihrer Organisation in die Sowjetunion. Während Workers
Vanguard wieder daherkommt mit einer revolutionären Kritik des
Militärflügels der Bürokratie, müßten Parolen wie
"Stalins Erben verkaufen unser Mutterland aus" (WV 515/30.11.90) hellhörig
machen. Besonders nach den Erfahrungen der IKL in der DDR ist es klar,
daß der Chefkoch Robertson noch so manches ungenießbare
Süppchen auf dem Feuer stehen hat! St. John lüftet zudem ein wenig
den Vorhang über die impressionistischen Kalküle der IKL-Führung
in ihrer anfänglichen Euphorie über Teile der Stalinisten und
Sowjet-Kommandeure, wenn er auf Leipzig Oktober 1989 zu sprechen kommt
"Außerdem wurde Berichten zufolge auf Befehl des obersten sowjetischen
Befehlhabers in der DDR gegen die Massendemonstrationen in Leipzig am 9.
Oktober keine Waffengewalt angewendet. So war es einerseits Moskaus Politik,
daß weder die Rote Armee noch das ostdeutsche Militär irgendeine
Maßnahme zur Verteidigung des gefallenen Honecker-Regimes ergriff. Der
Ablauf ohne Blutvergießen erlaubte unseren Kräften einen sehr
breiten Handlungsspielraum" (Spartacist 45-46). Da ist er wieder, der
"gütige Druck der Roten Armee", der eine "friedliche politische
Revolution" möglich machte. Auch wir haben von diesen Gerüchten
über das Verhalten der Sowjetgeneralität gehört. Nur, ob wahr
oder falsch, es ändert nichts an der prinzipiellen Haltung von
Revolutionären gegenüber den sowjetischen
Militärbürokraten. Die IKL verbuchte deren defensives Verhalten als
irgendwo revolutionär. Wie wäre es dagegen mit der Erklärung,
daß die Passivität der Sowjetkommandierenden in der DDR als ein
Bestandteil des Kapitulationskurses Gorbatschows gegenüber dem
Imperialismus anzusehen ist?
Schließlich tischt uns die IKL eine bisher nie gehörte
Interpretation der DDR-Geschichte auf: Der Verrat der Stalinisten ließe
sich zentral an der Auflösung der ... Betriebskampfgruppen festmachen.
Nach St. John hatten sie "... das sehr reale Potential, der organisatorische,
politisch/militärische Dreh- und Angelpunkt der politischen Revolution zu
werden" (ebenda). Die Betriebskampfgruppen sind demnach für die IKL
heute so etwas wie das mögliche Zentrum der proletarischen
politischen Revolution gewesen. Mit dieser absurden Hoffnung enthüllt die
IKL ihre völlige politische Desorientierung. Die stalinistische
Bürokratie hatte die Betriebskampfgruppen aufgebaut, um ihre Macht zu
sichern und sie löste sie in dem Moment auf, wo sie meinte, ihre
Herrschaft nicht mehr halten zu können. Die Betriebskampfgruppen waren
ein Teil des bürokratischen Apparates- wie es scheint, wird ihnen
von der IKL eine Neigung zur politischen Revolution nur deshalb zugeschrieben,
weil sie eine "nationale interne Struktur" hatten. Vielleicht war es ja die
nationale interne Struktur der SED, die die IKL dazu bewog, diese Partei, oder
jedenfalls einen Flügel von ihr, als Instrument für eine politische
Revolution in Betracht zu ziehen.
Die Betriebskampfgruppen waren eine der Massenorganisationen der
stalinistischen Bürokratie, mit der diese Kaste ihre prekäre,
isolierte politische und soziale Stellung absichern wollte. Eine proletarische
politische Revolution, gestützt auf Arbeiterräte, hätte
auch diese stalinistische Formation aufgelöst. Neu aufzubauende
Arbeitermilizen hätten natürlich wesentliche Teile der
ehemaligen Betriebskampfgruppen inklusive ihres Waffenarsenals integrieren
müssen. Das ist aber etwas fundamental anderes als die
stalino-militaristische Sicht der IKL, in stalinistischen Organisationsformen
den Springquell der proletarischen politischen Revolution bzw. den Garanten
für die Verteidigung der Arbeiterstaaten zu sehen.
Teil II: Zur Geschichte der iST/IKL
1. Regime und Politik
Es ist nicht ausreichend, die einzelnen Zickzacks und die oft
widersprüchliche Politik der SpAD nur mit dem Begriff Zentrismus zu
charakterisieren. Wir werden im Folgenden kurz die Degeneration der IKL von
einer genuin revolutionären trotzkistischen Tendenz zu einer zunehmend
bizarren Organisation darstellen, deren politische Wendungen nicht aus einer
kohärenten politischen Theorie herrühren, sondern ihre Grundlage in
den bornierten persönlichen und organisatorischen Interessen der zentralen
Führungsclique haben.
In den sechziger und siebziger Jahren war die Spartacist League
die einzige revolutionäre Gruppe in der Welt. Ende der siebziger Jahre
jedoch begann die Gruppe sich von den revolutionären Traditionen
abzuwenden, die sie bis dahin verteidigt hatte. James Robertson, Führer
der SL und der internationalen Spartacist Tendenz (IST, jetzt IKL) fing an,
seine persönliche Autorität an die Stelle der "ungewissen", weil vom
Kollektiv der Mitglieder abhängigen, demokratisch-zentralistischen
Prozeduren zu setzen. Dies zu erreichen erforderte eine Reihe von
Säuberungen, die die Organisation schwächten. Sie richteten sich in
erster Linie gegen Spartacist-Kader, die von Robertson als (potentielle)
Konkurrenten seines Führungsanspruches eingeschätzt wurden. Indem
Genossen, die möglicherweise eine politische Opposition hätten
ausdrücken können, attackiert wurden, bevor sie den Mund
aufmachten, versuchten die SL-Führer eine interne Opposition zu
zerstören, bevor sich diese überhaupt entwickeln konnte. Ziel von
Robertson war es dabei, den persönlichen und politischen Ruf der
anvisierten Genossinnen und Genossen zu zerstören, um diese ganz und gar
aus der revolutionären Politik herauszutreiben. Die ersten
Säuberungen wurden zum Prototyp vieler "Ketzerverbrennungen", die in der
Folge mit zunehmender Regelmäßigkeit durchgeführt wurden. Sie
verwandelten diese einst revolutionäre Organisation in einen leblosen
Gehorsamkeitskult, wobei die immer heftigeren politischen Zickzacks und
bizarren Stunts der iST/IKL primär als das Ergebnis der Unterordnung der
Tendenz unter die Launen des einen, größenwahnsinnigen Führers
zu verstehen sind. 1968 gab es zum letzten Mal eine organisierte fraktionelle
Opposition gegen die SL-Führung! 1978 "erklärte" Joseph Seymour,
Robertsons rührender Intellektueller, dieses ungewöhnliche
Phänomen einer revolutionären Organisation, zehn Jahre ohne
fraktionelle Kämpfe bestanden zu haben, mit "der Abwesenheit von
objektiven Gegebenheiten, die größere Änderungen oder
Durchbrüche der politischen Linie oder unvorhergesehene organisatorische
Wendungen nötig machten". Die Tatsache, daß es in den folgenden
dreizehn Jahren, nachdem dies geschrieben wurde, immer noch nichts gab, was
eine interne fraktionelle Opposition hervorbringen konnte, sollte nachdenklich
stimmen und zur Schlußfolgerung führen, daß irgendetwas
ziemlich falsch im internen Leben der SL laufen muß. Die erste und letzte
internationale Konferenz fand 1979 statt. Das Prinzip der Wahl des
IS/Internationalen Exekutivkomitees ist de facto durch das Prinzip der
Kooptierung ersetzt worden, wobei auf Anordnung der Clique um Robertson
abgesetzt bzw. neue Kandidaten ernannt werden.
Die Degeneration von isolierten, kleinen Propagandagruppen am
Rande der Arbeiterbewegung ist für Marxisten kein neuartiges
Phänomen. Der Führer der amerikanischen Trotzkisten, Cannon, schrieb:
"Eine kleine isolierte Gruppe, auf ihre eigenen Kräfte
zurückgeworfen und dem auf ihr lastenden Druck der gesamten Welt
ausgesetzt, ohne Kontakt zur Arbeitermassenbewegung und nüchterne
Korrektur durch diese, wird sich selbst im günstigsten Fall schwer tun"
(History of American Trotskyism, S. 94). "Auf der Basis einer langen
historischen Erfahrung kann man es als Gesetz ansehen, daß
revolutionäre Kader, die gegen ihr soziales Umfeld revoltieren und
Parteien organisieren, um eine Revolution zu führen, daß diese Kader
- wenn die Revolution zu lange verzögert ist - selbst unter dem
kontinuierlichen Einfluß und Druck desselben Umfeldes degenerieren. ...
Aber dieselbe historische Erfahrung zeigt, daß es auch Ausnahmen von
diesem Gesetz gibt" (The First Ten Years of American Communism, S. 29).
In anderen Publikationen haben wir die Funktionsweise dieser
Organisation detailliert beschrieben (s. Bulletin der Externen Tendenz der IST
(ET) (Vorläufer der Bolschewistischen Tendenz) 3 und 4, sowie 1917 #1, 3,
4, 7, 8). Die IKL-Führung gebraucht Methoden, den Stalinisten und Kulten
entliehen, die jegliche Unabhängigkeit und Eigenständigkeit der
Mitgliedschaft in der politischen Arbeit unterbinden sollen. Kleinste
Mißverständnisse oder Fehler bei der Präsentation der
politischen Linie können zur Extrapolierung hin zu den schlimmsten
politischen und moralischen "Verbrechen" rühren, die der jeweils
"Ausgesonderte" dann zuzugeben hat. Psychodramen von Kritik und Selbstkritik
werden inszeniert. Genossinnen und Genossen, die in Beziehungen leben, werden
unter Druck gesetzt, hundertprozentig der Führung über den Partner zu
berichten. Häufige Umzüge, extrem hohe Arbeitsanforderungen sowie
hohe Beiträge zielen darauf ab, die Mitglieder materiell und emotional
vollständig von der Organisation abhängig zu machen. Die Fehler und
Mißerfolge der IKL werden immer der Mitgliedschaft zur Last gelegt,
während die allmächtige New Yorker Clique ihre Hände in Unschuld
wäscht. Sogar physische Einschüchterungsversuche sind gegen interne
Kritiker, die sich von der IKL lösten, unternommen worden. Verleumdungen,
Lügen, Fälschungen, beleidigende Denunzierungen usw. sollen die
Mitgliedschaft besonders gegen den Einfluß der Internationalen
Bolschewistischen Tendenz immunisieren. Zu diesen Methoden gehört auch die
Inszenierung von Provokationen, um externen Kritikern physische Angriffe
anzuhängen und so eine Linie der Gewalt zu ziehen.
2. Programmatische Abweichungen und Zickzacks
Der Leim, der die IKL zusammenhält, ist ihre Pose, die
"Partei der Russischen Revolution" zu verkörpern und das Erbe des
Marxismus, Leninismus und Trotzkismus zu verwalten. Aber da kein internes
demokratisches Korrektiv existiert, kann Robertson die Politik der Gruppe
jederzeit entsprechend seiner Impulse, seinen sprunghaften Ideen und
Ängsten zurechtbiegen. Während des vergangenen Jahrzehnts hat die
Organisation diverse programmatische Abweichungen vom Trotzkismus gezeigt.
Obwohl die Politik der IKL im Kern impressionistisch ist und einzelne
Positionen oft nur inkonsequent vertreten werden, sind bestimmte Muster
wiederholt aufgetreten. Nachfolgend wollen wir eine sehr kurze Auflistung
einiger der wichtigsten revisionistischen Positionen und Praktiken der IKL
geben, gegen die die Bolschewistische Tendenz, Gruppe IV. Internationale und
Permanent Revolution Group in ihren Zeitschriften und Pamphleten polemisiert
haben.
2.1. Die Stalinophilie der IKL in der Vergangenheit
Zwar hält die IKL weiterhin formal an der trotzkistischen
Analyse der stalinistischen Bürokratie als widersprüchliche Kaste
fest. Aber nicht nur die Intervention der SpAD in der DDR zeigte eine Tendenz
dieser Organisation, einen Flügel in der stalinistischen
Staatsbürokratie auszumachen, auf den sie glaubt, sich bei der
Verteidigung der Arbeiterstaaten verlassen zu können.
Als die vietnamesischen Stalinisten 1983 in Kambodscha
einmarschierten und das Pol Pot-Regime stürzten, veranstaltete die IST
eine Serie von Kundgebungen unter der Parole "Pol Pot
Völkermörder - raus aus der UNO". In ihrem Aufruf sprach sie u.a.
davon, daß Pol Pot die "wirklichen Khmer-Kommunisten" umgebracht habe (WV
338/23.09.83; vergl. im Ggs. dazu die Übersetzung in Spartakist 48/Oktober
83). Sie meinte damit den Teil der stalinistischen Khmer-Kader unter Heng
Samrin, der auf die vietnamesische KP setzte. Stalinisten, egal welcher
Fraktion, sind aber keine "wirklichen Kommunisten". Denn die wirklichen
Kommunisten in Indochina, die Trotzkisten (u.a. Ta Thu Thau), wurden 1945-46
mit Hilfe bzw. direkt auf Befehl Ho Chi Minhs liquidiert. So versuchte die IST
die Blutlinie zwischen Stalinisten und Trotzkisten in Indochina zu verwischen
und ließ die stalinistische Wirtschaftspolitik der Erben Ho Chi Minhs
hochleben ("Es lebe der Wiederaufbau - jetzt haben die kampucheanischen
Menschen eine Zukunft!", Spartakist 48/Oktober 83). Auf ihren Kundgebungen am
27. September 1983 unterließ es die IST bezeichnenderweise die Losung der
proletarischen politischen Revolution in den bürokratisch deformierten
Arbeiterstaaten Indochinas aufzustellen (vergl. dazu ET-Bulletin 2).
Gerade in der Einschätzung der sowjetischen Bürokratie
leistete sich Robertson eine Reihe von "Fehltritten". In Spartakist 62
(Juni/Juli 89) versuchte die IKL, die stalinistische Bürokratie von ihrer
Politik der Auslöschung der "alten Garde" der Bolschewik!, die die
Oktoberrevolution gerührt hatte, reinzuwaschen, als sie schrieb, daß
"nur Stalin und vielleicht ein halbes Dutzend Kumpane (diese wurden im Lauf der
Zeit ausgewechselt) wußte, worum es ging".
Als Juri Andropow, Henker des ungarischen Arbeiteraufstandes von
1956, starb, druckte Workers Vanguard (348/17.02.84) einen schwarz gerahmten
Nachruf, in dem Andropow als Verteidiger der UdSSR betrauert wurde (s. dazu
ET-Bulletin 3). Schon vorher hatten sie während einer Demonstration ein
"Andropow-Bataillon" aufgestellt.
Ein Slogan, der während des letzten Jahrzehnts häufig in
den IKL-Publikationen herausgestellt wurde, lautete: "Der Ku-Klux-Klan
marschiert nicht in Moskau". Begründet wurde diese Position damit,
daß die Kreml-Stalinisten alle Spuren von Faschismus und Rassismus
ausgelöscht hätten. Tatsächlich hat der großrussische
Chauvinismus faschistische, antisemitische Bewegungen wie Pamyat gestärkt.
Pamyat wird nicht nur von Moskau toleriert, sondern hat auch Verbindungen zu
einem Flügel der Bürokratie (s. dazu 1917 #6), wie die IKL heute
selbst zugibt. Die Machthaber des "Sozialismus in einem Lande", per
definitionem nationalistisch, haben überall den Boden für
nationalistische, pogromähnliche Bewegungen bereitet, die in dem
Maße zunehmen, wie das stalinistische Machtmonopol zerfällt. Die TLD
entblödete sich nicht, die Existenz von faschistischen Elementen auch im
"Arbeiterparadies" DDR zu leugnen, besonders dumm in dem Moment, als die Vopos
die ersten Skins in Ostberlin verhafteten: "Daß aber der KKK und der
Kühnen in den USA bzw. hier in Westdeutschland marschieren können,
aber in Moskau oder in Ostberlin nicht, das ist die entscheidende Frage. In
diesen Ländern existiert der Kapitalismus und alle seine Übel nicht"
(Spartakist 46/März 83).
Selbst als Gorbatschow bereits den Rückzug der sowjetischen
Truppen durchführte, setzte die IKL noch vehement die Verteidigung ihrer
Parole "Hoch die Rote Armee in Afghanistan" fort. Dieser Slogan ist Ausdruck
einer politischen Unterstützung der Sowjet-Bürokratie. In
seiner Beschwichtigungspolitik gegenüber dem Imperialismus verriet der
Kreml afghanische Frauen, Linke und andere, die ihr Vertrauen in die UdSSR
gesetzt hatten. Die Ereignisse in Afghanistan bestätigten die
trotzkistische Weigerung, die Politik der Stalinisten und ihre
Militäraktionen "hochleben" zu lassen. Unsere Parole war: "Für den
militärischen Sieg der sowjetischen Truppen gegen reaktionäre
afghanische 'Freiheitskämpfer"'. Die IKL hingegen setzte die Politik der
Verwischung von militärischer und politischer Unterstützung fort, als
sie "internationale Brigaden" unter "Kontrolle und Führung" der
kleinbürgerlich-stalinistischen PDPA unter Najibullah offerierte (s. dazu
Zuerst das Programm!, Gruppe IV. Internationale sowie 1917 #5 und 6).
1981 wurde die TLD auf ihrer September-Notkonferenz gezwungen,
einen eindeutig anti-trotzkistischen Antrag des IS anzunehmen, der eine
politische Unterstützung der Stalinisten im Falle einer Besetzung Polens
durch den Warschauer Pakt beinhaltete: "Wir übernehmen im voraus
Verantwortung für die Idiotien und Abscheulichkeiten - welche auch immer -
die sie (die sowjetischen Stalinisten, Anm. von uns) begehen könnten"
(Konferenz-Antrag des IEK-ZK/TLD). Trotzkisten geben bedingungslose
militärische Unterstützung bei der Niederschlagung einer
internen Konterrevolution oder bei der Verteidigung der bürokratisch
deformierten Arbeiterstaaten gegenüber dem Imperialismus. Das ist etwas
vollkommen anderes als die politische Unterstützung der
Stalinisten. Wir übernehmen nie Verantwortung für die stalinistische
Politik (schon gar nicht für deren Verbrechen gegenüber der
Arbeiterklasse), auch nicht während der Verteidigung des Arbeiterstaates.
Unsere militärische Unterstützung geben wir vielmehr trotz der
Bürokratie. Heute will die IKL ihren polnischen Genossen weismachen,
daß sie 1981 nicht nur Jaruzelski gegen die interne Konterrevolution
verteidigte, sondern "gleichzeitig (!) ... für eine proletarische
politische Revolution (kämpfte), um die parasitäre Bürokratie zu
stürzen" (Spartakist 80/20.11.90).
2.2. Kapitulation vor der US-Bourgeoisie
Die "super-revolutionäre", sowjet-verteidigende Pose der IKL
hat die Robertson-Clique nicht an Versuchen gehindert, den Argwohn des
amerikanischen Staatsapparates zu besänftigen. Unsere These einer Tendenz
Robertsons zur Kapitulation vor dem antisowjetischen und sozialpatriotischen
Druck in den USA läßt sich an folgenden SL/IKL-Positionen belegen:
Als 1983 die UdSSR das koreanische Spionageflugzeug KAL 007
abschoß, vergaß die IKL die Verteidigung der Sowjetunion. Workers
Vanguard schrieb: "Falls die Regierung der Sowjetunion gewußt hätte,
daß das eindringende Flugzeug in der Tat ein Passagierflugzeug war, in
dem 200 und mehr unschuldige Zivilisten saßen ... der Akt es
herunterzuschießen wäre, um die Franzosen zu zitieren, schlimmer als
eine barbarische Grausamkeit gewesen, trotz des militärischen Schadens
einer solch offensichtlichen Spionagemission. Es wäre eine den Israelis
würdige Idiotie gewesen" (WV 337/09.09.83). In ihrem Bulletin 2
erklärte die ET dagegen: "Trotzkisten haben eine andere Haltung. Wir
sagen, daß die Verteidigung der Sowjetunion die Verteidigung ihres
Luftraums einschließt. Der Verlust von unschuldigen Zivilisten war in der
Tat bedauernswert, aber die einzige 'barbarische Grausamkeit" wurde durch die
südkoreanischen und amerikanischen Top-Spionageagenturen begangen, die
diese unglücklichen Menschen als ihre ahnungslosen Geiseln
mißbrauchten".
Als im Libanon 1983 das Beiruter Hauptquartier der US-Marines in
die Luft gesprengt wurde und das US-Militär abgezogen werden mußte,
reagierte der US-Imperialismus auf diese Niederlage mit einem hysterischen
Aufschrei über angebliche "terroristische" Organisationen. Die IKL-Chefs
versuchten zu vermeiden, zur Zielscheibe einer Hexenjagd zu werden, indem sie
mit der Parole "Marines raus aus dem Libanon - sofort und lebend" (WV 341
/04.11.83) in den sozialpatriotischen Chor der veröffentlichten Meinung
einstimmten. Anstatt klar zu sagen, daß dieser Schlag gegen die Elite der
US-Berufssoldaten von Revolutionären verteidigt werden muß, machte
die IKL die patriotische Besorgnis um das Leben dieser Berufskiller zur Achse
ihrer Propaganda (s. dazu ET-Bulletin 3).
Juli 1984 beteiligte sich die Spartacist League nicht an den
Demonstrationen gegen die Demokratische Partei, die ihren Partei-Konvent in San
Francisco abhielt. Vielmehr bot sie der Demokratischen Partei eine Ordnertruppe
von einem Dutzend (!) Gewerkschafter und SL-Unterstützer an, um den
Konvent vor einem herbeiphantasierten rechten "Komplott" zu schützen. Die
Externe Tendenz erinnerte die SL daran, daß die Demokratische Partei eine
der amerikanischen Zwillingsparteien ist, die Rassismus und imperialistischen
Krieg repräsentieren und fragte in einem Brief (11.07.84): "Wer meint Ihr,
ist schwachsinnig genug zu glauben, daß Reagan und Feinstein (die
Bürgermeisterin von San Francisco, Demokratische Partei, Anm. v. uns),
'falls nicht ... das Demokratische Nationale Komitee selbst, gemeinsam
eine Situation herbeiführen, in der eine der Zwillingsparteien des
US-Imperialismus in eine Situation getrieben wird, die einen Angriff von
Ultrarechten erlaubt" (ET-Bulletin 4). Unsere Genossen stellten fest, daß
dieser Versuch, sich mit dem liberalen Flügel der herrschenden Klasse
gegen die angebliche Bedrohung des rechten Flügels zu verbünden, sie
an "Reformisten mit Volksfrontappetiten" erinnerte.
Als das US-Raumschiff "Challenger" 1986 explodierte, kommentierte
Workers Vanguard: "Was wir gegenüber den Astronauten empfinden ist nicht
mehr und nicht weniger als allen Menschen gegenüber, die durch tragische
Umstände ums Leben kommen, wie die neun armen Salvadorianer, die durch ein
Feuer in einem Washingtoner Appartement vor zwei Tagen getötet wurden" (WV
397/14.02.86). Diese jämmerliche Feigheit ist vergleichbar mit der Trauer
der amerikanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (SWP) anläßlich
der Ermordung des US-Imperialistenchefs John F. Kennedy 1963. Tatsache ist,
daß Challenger eine militärische Mission war und sechs der sieben
Astronauten am Star-War-Projekt teilnahmen (die Siebente war eine Lehrerin und
tatsächlich ein unschuldiges Opfer). Aber Revolutionäre können
nicht ,die Zerstörung einer imperialistischen Militärmission als
"tragisch" bezeichnen und vorbringen, daß der Tod dieser Sternenkrieger,
von denen einige am konterrevolutionären Luftkrieg gegen Vietnam
teilgenommen hatten, dem Tod von Flüchtlingen aus der brutalen
Militärdiktatur El Salvadors gleichkomme. Die Explosion von Challenger war
ein wichtiger Rückschlag für Reagans anti-sowjetisches
Star-War-Projekt. Dieses Ereignis bedeutete eine Niederlage für den
US-Imperialismus bei seinem Versuch, die atomare Erstschlag-Kapazität
über die UdSSR zu erlangen. Aus diesem Grunde erklärten die
amerikanischen Revolutionäre der BT: "Kein Desaster für die
Arbeiterklasse" (1917 #2).
3. Minderung der Realitätswahrnehmung, Substitutionalismus
und Sektierertum
Die zunehmende Unfähigkeit der Gruppe, die Realität zu
verstehen oder überhaupt wahrzunehmen, zeigte sich programmatisch, als die
IKL 1989 plötzlich eine sich entwickelnde proletarische politische
Revolution in China konstatierte. Diese Entdeckung machte sie dann später
auch in der DDR, wobei dies, wie ausgerührt, gravierendere Konsequenzen
für die Organisation nach sich zog. Solche Reduktionen der
Realitätswahrnehmung sind das Produkt von Robertsons Voluntarismus und
Impressionismus. Ohne jegliche Verankerung in der Arbeiterklasse, bei 1717
Stimmen und einer fast vollständigen Isolation in der Linken will die IKL
in der Öffentlichkeit als revolutionäre Arbeitermassenpartei
durchgehen. Jedoch noch viel wichtiger für die Einschätzung der
SpAD/IKL ist: Fatalerweise glaubt diese Tendenz selbst an ihr
eigenes Postulat, im Begriff zu sein, die Führung der aufständischen
Arbeiterklasse zu übernehmen! Wie am Beispiel der DDR-Intervention bereits
gezeigt, versteht sich die IKL nicht einfach als ein Element beim Aufbau der
bolschewistischen Avantgardepartei; nein, die IKL ist bereits die
Partei. Als diese Organisation das Angebot an das Najibullah-Regime machte,
internationale Brigaden zu entsenden um Kabul zu verteidigen, fragten wir uns,
was Robertson und Co. denn nun gemacht hätten, wenn ihr "Angebot" wirklich
akzeptiert worden wäre und damit die Hochstapelei selbst von der eigenen
Mitgliedschaft nicht mehr hätte verdrängt werden können!
Dieser Pseudo-Massenanspruch findet sein Pendant im
ausgeprägten Sektierertum dieser Tendenz. Da sie bereits die
Partei ist, hat die IKL immer weniger politisches Interesse an einer
ernsthaften Auseinandersetzung mit Strömungen, die in Konkurrenz zu ihr
stehen. Das Niveau ihrer Polemiken wird immer niedriger und tendiert dazu,
immer mehr auf Verdrehungen und groben Vereinfachungen aufzubauen. Die IKL
reflektiert damit nur ihr internes Leben, oder wie Robertson zynisch zu
bemerken pflegt: Die Organisation wird immer dümmer (mit seiner und seiner
Clique Ausnahme, versteht sich). Die Umgruppierungsperspektive der IST der
siebziger Jahre, durch Fusionen und Spaltungen aus vorgeblich
revolutionären Organisationen die besten Elemente zu gewinnen, hat die IKL
de facto aufgegeben. Denn sie weiß, daß sie Kader anderer
Organisationen nicht integrieren kann. Besonderen Haß entwickelte
die IKL in ihren Polemiken gegen die IBT; psychologisch verständlich, da
Robertson durch uns nicht nur an die Hohlheit seines überzogenen
Partei-Anspruches erinnert wird, sondern wir auch den Revisionismus der IKL
mittels orthodoxer Argumente nachweisen.
Einen Höhepunkt ihrer sektiererischen Politik lieferte die SL
in San Francisco 1984, als sie einem Boykott von Südafrikaladungen durch
Hafenarbeiter die Unterstützung verweigerte und versuchte, diesen zu
sabotieren. Der einfache Grund war, daß Howard Keylor, ein
Unterstützer der damaligen ET, diese Aktion initiiert hatte. Der
Spartacist League-Unterstützer im Hafen, Stan Cow, publizierte einen
Bericht über die internen Diskussionen von Gewerkschaftsmilitanten
über die Boykottaktik, auf dessen Grundlage die Bosse eine Verfügung
der Gerichte erreichen konnten, um diesem historischen, elf Tage dauernden
politischen Streik das Genick zu brechen (s. dazu ET-Bulletin 4).
Aufgrund ihres Sektierertums weigert sich die IKL,
Einheitsfrontaktionen auf nicht-sektiererischer Basis zu organisieren und
tendiert dazu, solche Aktionen und Demonstrationen, die sie nicht selbst
initiiert hat, ohne viel Federlesens als "Volksfronten" zu verdammen.
Während der US-geführten imperialistischen Aggression gegen den Irak
bildeten sich in San Francisco bereits im August 1990 Komitees heraus, die sich
aus verschiedenen linken Organisationen zusammensetzten. Unsere amerikanischen
Genossen der BT argumentierten bei diesen Treffen für ein möglichst
breites Bündnis der Linken und Arbeiterbewegung gegen die US-Bourgeoisie
auf prinzipienfester Einheitsfront-Grundlage. Als Plattform der Komitees
schlugen wir vor: "Kein Krieg für Big Oil/USA raus aus dem Nahen Osten"
sowie "Keine US-Intervention am Persischen Golf, um in der Aktion die
weitergehenderen Forderungen "Imperialisten raus aus Nahost, Verteidigt den
Irak gegen die imperialistische Aggression, Brecht die Blockade" zu verankern
(s. Erklärung der IBT vom 10. September 1990) und die Halbheiten unserer
Bündnispartner einer politischen Kritik zu unterziehen. Die SL/IKL
führte dagegen keinen Kampf um eine Einheitsfront, bezeichnete die
Losung "Brecht die Blockade" als Bedingung für jegliche
Aktionseinheit und war dann schnell bei der Hand, die sich herausbildenden
Komitees zu denunzieren. Zur Kaschierung ihrer politischen Hilflosigkeit griff
Workers Vanguard (511 / 05.10.90) die BT in dem üblich verleumderischen
Stil u.a. als "Pickel der Volksfront" an, die sich weigere, für die Losung
"Brecht die Blockade" einzustehen (s. dazu 1917 #9).
Auch in der BRD konfrontierte die SpAD die Gruppe Spartakus mit
diesem Vorwurf und präsentierte in Berlin auf dem Treffen der "Initiative
gegen einen imperialistischen Krieg am Golf" die Annahme der Losung "Brecht die
Blockade" als Bedingung für ihre Teilnahme an einer Aktionseinheit. Ohne
erklären zu können, warum sie die zuvor angenommene
Aktionseinheitgrundlage "Hände weg vom Irak! Verhindert die
imperialistische Aggression am Golf! Weg mit der Blockade gegen den Irak! Abzug
der imperialistischen Truppen! Schluß mit der deutschen Beteiligung!"
nicht unterstütze, bezeichnete die SpAD diese schlicht als "zu weich"!
Auch in der BRD also die gleiche Angst der IKL-Bürokraten, ihre Mitglieder
dem politischen Kampf mit anderen Organisationen auszusetzen. "Wir hätten
es ihnen vorhersagen können" und "es war vorauszusehen" tönt
Spartakist 82 (Januar 91) über das politische Scheitern der Initiative,
als die Gruppe Spartakus wegen der kapitulantenhaften Inaktivität
einzelner Organisationen ihre Mitgliedschaft in der Initiative aufkündigte
und eigenständig zur Luxemburg/Liebknecht-Gedenkdemonstration mobilisierte
(s. Flugblatt der Gruppe Spartakus/02.01.91).Diese "Avantgardepartei" will
nicht verstehen, daß das, was Kommunisten "vorhersagen" gerade in der
Praxis überprüft werden muß. Dabei bestätigte das
jämmerliche Verhalten der SpAD-Vertreter gegenüber der
Irak-Initiative recht anschaulich unsere These vom Sektierertum der SpAD. Die
vorrangig gegen uns geführte "Polemik" des Artikels "Irak und die 'Linke'
- Saubermänner des deutschen Imperialismus" (Spartakist 82 / Januar 91)
beweist, daß es der SpAD-Führung unmöglich ist, unsere Politik
zu ignorieren.
Die politische Schwäche der SpAD findet ihren Ausdruck auch
in "Argumenten", wie sie z.B. ihre Bundestagskandidatin Dahlhaus als
Repräsentantin der SpAD auf ihrer Wahlveranstaltung in Berlin zum Besten
gab: Die Gruppe Spartakus sei ja nur aus dem Grunde dagegen, daß die
Bundeswehr am Golf aufmarschiere, damit deutsche Truppen nach Polen einfallen
können! Diese Verleumdung zu drucken, das wagte die SpAD/IKL-Führung
dann doch nicht.
Die hier erwähnten Beispiele für Sektierertum,
Substitutionalismus und Impressionismus, generell ausgedrückt: die
sprunghaften politischen Zickzacks und Abweichungen verbunden mit der
trotzkistischen Maskerade der IKL, charakterisieren diese Tendenz als
höchst eigentümliche zentristische Strömung. Wir
verstehen die Politik der IKL als eine Form des politischen Banditentums -
eine besonders zynische Variante des Zentrismus. Dieser Terminus ist in der
aktuellen Diskussion, zumal in der deutschen Linken, wenig gebräuchlich.
"Politische Banditen" sind nicht das gleiche wie Gangster. Der letztere Begriff
bezieht sich auf jene, die Gewalt anwenden bzw. in anderer Art und Weise gegen
die Arbeiterdemokratie verstoßen. Mit "politischen Banditen" sind jene
Linken gemeint, die zwar eine revolutionäre Maskerade aufführen,
jedoch fähig sind, jede Position, die sie angeblich vertreten, aufgrund
von organisatorischen Vorteilen fallen zu lassen. Aus diesem Grunde bestimmen
die vertretenen programmatischen Positionen nicht das Verhalten der
Organisation und werden abrupt abgeändert, sobald sie an irgendeinem Punkt
mit den unmittelbaren Organisationsinteressen in Konflikt zu geraten scheinen.
Die Technik der präventiven Säuberung politischer
Dissidenten sowie die begleitende systematische Einschüchterung der
Mitgliedschaft durch eine immer bürokratischere und unkontrolliertere
Führung rührte schließlich zur Eliminierung des lebendigen
internen politischen Lebens, das nicht nur wünschenswert, sondern
notwendig ist für eine revolutionäre Organisation. Als
Ergebnis wurde die IST in einen Gehorsamkeitskult transformiert, wobei die
"unfehlbare" Führung, die sich um ein Individuum gruppiert, den
bedingungslosen Gehorsam in allen Fragen von der Mitgliedschaft verlangt.
Schließlich wurde dieses politische Monopol zur Erlangung materieller
Privilegien ausgenutzt - besonders von Robertson und denjenigen, die er
protegiert. Vor einigen Jahren schrieben unsere amerikanischen Genossen
über das Regime der SL:
'"Umgeben von Jasagern und Sykophanten sind die korrekten
politischen Positionen des Führers nicht mehr zu unterscheiden von seinen
Irrtümern, und politische Fragen insgesamt beginnen sich mit den
subjektiven Wünschen und Appetiten zu vermischen. Ihm, der nur sich selbst
antworten muß, ist alles erlaubt. Auf dieser Linie liegen die lauschigen
Sommerdomizile, plüsch-verzierten Orgien-Räume, hot-tubs und - um
diese Privilegien zu schützen - die organisatorischen Methoden eines
politischen Banditen" (1917 #4).
Die Geschichte der IKL wie das Debakel, das die IKL jüngst in
der DDR erlitten hat, sollten allen subjektiven Revolutionären deutlich
machen, daß diese Organisation ein Hindernis bei der Wiederschaffung der
IV. Internationale ist. Die Beschreibung ihres internen Lebens während der
zugespitzten Situation in der DDR November 1989-März 1990, die wir im
folgenden Teil geben wollen, dient der Vervollständigung unserer Kritik
der IKL.
Teil III: Zur internen Situation der TLD/SPAD Dezember
1989-März 1990
(Vorbemerkung: Dieser Teil, der einige Aspekte des internen Lebens
der TLD/SpAD behandelt, basiert auf internen Dokumenten sowie auf Berichten von
G. Melt. Nach dem Zusammenbruch des Honecker-Regimes kam Melt im November 1989
in Kontakt mit der TLD, trat am 7. Januar dieser Organisation bei und wurde
Ende Januar 1990 ZK-Mitglied. Von der IKL freigestellt und mitverantwortlich
für Arprekorr / Spartakist, war er als Spitzenkandidat der SpAD zu den
Volkskammerwahlen vorgesehen. Schnell kam Melt in Konflikt mit dem
bürokratischen Regime. Am 4. März 1990 spaltete sich unter seiner
Führung eine Gruppe von DDR-SpAD-Mitgliedern ab und gründete die
kurzlebige Gruppe SpAD/Leninisten, später Leninistisch-Trotzkistische
Partei/DDR.)
Die Spartakist-Gruppen der TLD
Vehikel der "SED-Einheit"-Orientierung waren die
Spartakist-Gruppen, mit der die IKL-Führung versuchte, aus dem Stand
heraus ihren personellen Engpaß zu überwinden. Nichts gegen den
Impuls - nur lehrte Trotzki schon: "Am schlimmsten und gefährlichsten ist
es, wenn ein Manöver der ungeduldigen opportunistischen Bestrebung
entspringt, die Entwicklung der eigenen Partei zu überflügeln und die
notwendigen Etappen des Heranreifens derselben zu überspringen" (Die
internationale Revolution und die Kommunistische Internationale, S. 129). Die
IKL unternahm ein solches Manöver. Die programmatische Grundlage der
Spartakist-Gruppen spiegelt den Opportunismus gegenüber der SED-PDS
wieder. Ihr Credo, der Aufruf '"Was wollen die Spartakisten?" sollte
bewußt keine scharfe Trennungslinie zwischen den Revolutionären
innerhalb wie außerhalb der SED und den diversen revisionistischen
Strömungen dieser Partei ziehen: "Wir stehen auf der Seite all derer, die
Mitglieder der stalinistischen SED sind oder bis vor kurzem waren oder zu den
zahlreichen anderen gehören, die eine sozialistische Welt aufbauen
wollen,..." (APK 1 / 07.12.89). Solche vage gehaltenen Formulierungen
einschließlich der mangelnden Zuspitzung der Organisationsfrage
("leninistisch-egalitäre Partei", "neue KPD") konnten nach links driftende
SED-ler nicht für den Trotzkismus gewinnen, sondern beließen diese
in einer diffusen "antibürokratischen" Stimmung. In ihrem Brief ans IS
spricht Brosius von der Forcierung einer "frühzeitigen Rekrutierung
zur TLD", wobei sie jedoch ungeschminkt das politische Profil der
Spartakist-Gruppenmitglieder folgendermaßen charakterisiert:
"Typischerweise tendieren sie zum Stalinismus, in manchen
Fällen sind sie harte Stalinisten" (Teil IV, Dokument l). Die Resultate
ihrer Politik, u.a. die Organisierung "harter Stalinisten", erkannten sie also.
Die IKL-Führung hoffte, diese Elemente organisch zum "Trotzkismus"
à la Robertson zu biegen. Dabei hätte doch am Anfang jeglicher
organisatorischen Zusammenarbeit die Klärung des prinzipiellen
Unterschiedes zwischen Trotzkismus und Stalinismus stehen müssen,
eingebettet in eine revolutionäre Politik gegen Modrow und Gysi.
Der Hyperaktivismus der Organisation und ihres Umfeldes machte
eine durchgreifende Schulung der neugewonnenen Mitglieder unmöglich. Auch
elementare Grundsatze des Funktionierens einer bolschewistischen Partei, die
Regeln des demokratischen Zentralismus, wurden den
Spartakist-Gruppen-Mitgliedern - wen wunderts - nie nahe gebracht. Die
organisatorischen Beziehungen der Gruppen zur Partei, die Frage der
Wählbarkeit von Verantwortlichen, die Rechte und Pflichten dieser Gruppen,
wurden im Unklaren gehalten.
Sicherlich ist es prinzipiell möglich, Sympathisantengruppen
zur Unterstützung und Verbreitung der Organisationspolitik zu
gründen. Nur muß offen ausgesprochen und festgehalten sein,
daß diese aufgrund ihrer politischen Unerfahrenheit die Partei nur
beraten können. In der politischen Anleitung der TLD/IKL-Führung
waren die Spartakist-Gruppen keine Schule des Bolschewismus, sondern ein
Abklatsch des innerorganisatorischen Lebens der IKL: Hier wurden
Befehlsempfänger gedrillt!
Denkwürdiges zur Gründung der SpAD
Was für die Spartakist-Gruppen galt, galt auch für die
TLD-Mitglieder: Alle Windungen und Wendungen der IKL kommen von oben. So wurde
zu Treptow die Mitgliedschaft vor vollendete Tatsachen gestellt; eine geordnete
Diskussion über die Vorgehensweise (u.a. gegenüber der SDP/SPD und
Organisationen der DDR-Linken) fand nicht statt. Per Telefon wurden in der
Sylvesternacht von der TLD-Führung die schrägen Aktionslosungen
durchgegeben, die sie unmittelbar vorher aus New York erhalten hatte. Die New
Yorker Zentrale schrieb auch die Rede von Dahlhaus; das katastrophale Ergebnis
ist bekannt. Derweil versanken die Genossen vor Ort im organisatorischen Chaos.
New York hatte keine Vorgabe für die Rede der Spartakist-Gruppen gemacht.
Eine halbe Stunde vor Kundgebungsbeginn mußte Melt auf der
Kühlerhaube eines Wagens ein Konzept für den vorgesehenen Redner
entwerfen.
Eine bolschewistische internationale Leitung kann wohl die
allgemeine Richtlinie für nationale Aktionen in Absprache mit dem national
verantwortlichen Gremium festlegen; jedoch kann sie nicht die Umsetzung und
Anpassung dieser Linie an die konkreten Umstände festschreiben. Dazu
bedarf es politisch unabhängiger Genossinnen und Genossen am Ort, die in
freimütiger Diskussion - ohne Angst vor bürokratischen Repressalien -
ihre Erfahrungen einbringen. Ein solcher demokratischer Meinungsaustausch
existiert aber nicht in der IKL. Das machte sich nicht nur bei der
Treptow-Mobilisierung bemerkbar. Keine Ausgabe der Arbeiterpressekorrespondenz
ging ohne vorherige Billigung New Yorks in Druck. Die Zentrale kümmerte
sich einen Dreck darum, daß diese Prozedur oftmals direkt mit den
drängenden Erfordernissen der politischen Entwicklung in der DDR
kollidierte. Den Subalternen, der deutschen "Führung", bleibt dabei nur
die sklavisch genaue Ausführung der vorgegebenen Linie - wen wundert bei
solchen Verhältnissen die politische Unfähigkeit der lokalen Gruppen
in der IKL auf neue Fragen ad hoc zu antworten?
Eine offene Diskussion über die Bilanz der bisherigen
SED-Orientierung gab es in der Organisation nicht. Ebenfalls wurde die
Initiative Robertsons, mit Wolf/Gysi und Snetkov zu konferieren, vorbei an der
Mitgliedschaft und den Führungsgremien durchgezogen. Von Robertson bekamen
Zierenberg und Melt den Auftrag zur Organisierung dieses Treffens - und das
reicht allemal in der IKL! Am 21. Januar 1990 organisierte die TLD zusammen mit
den Spartakist-Gruppen an der Humboldt-Universität eine Schulung über
Lenins "Linken Radikalismus ...". Robertson (mit der randvollen
"Selters"büchse in der Hand) sprach sich bei dieser Gelegenheit für
die Gründung einer Frontpartei aus. Ihr Zweck sollte die Kandidatur zur
Volkskammerwahl sein, wobei die Spartakist-Gruppen und die TLD als Sponsoren
auftreten sollten. "Die Spartakist-Arbeiterpartei (SpAD), gegründet auf
einer Veranstaltung in Berlin am 21. Januar, hat angekündigt, daß
sie mit einem leninistischen Programm an den Wahlen zur Volkskammer am 6. Mai
teilnehmen und dafür Kandidaten aufstellen wird. Vertreter der
Spartakist-Gruppen und der Trotzkistischen Liga Deutschlands gründeten zu
diesem Zweck gemeinsam die SpAD" (APK 20 / 26.01.90). Von einer Auflösung
der TLD war damals also keine Rede. Am 8. Februar 1990 jedoch präsentierte
sich die deutsche Sektion der IKL der verwirrten Öffentlichkeit
gänzlich neu als SpAD (APK 22 / 08.02.90). Ohne irgendeine Erklärung
- die TLD war plötzlich futsch! Was war geschehen? In einem Brief an
Brosius (s. Teil IV, Dokument 4) hatte der Meister kurzerhand diese
Organisation - am Schreibtisch - für "verschwunden" erklärt! Was
kümmern Robertson schon solche Formalien wie Statuten, Konferenzen und die
Diskussion unter den Mitgliedern.
Die TLD-Führung zog auf der folgenden ZK-Sitzung Anfang
Februar nach. Besonders zwei ZK-Mitglieder, Schütz und Zierenberg,
spielten die "Rolle der vom Guru Erleuchteten": Natürlich habe sich die
TLD schon am 21. Januar de facto aufgelöst! Zierenberg stellte dann den
entsprechenden Passus des Robertson-Briefes zur Abstimmung und flugs wurde die
TLD, jetzt auch in Deutschland, begraben. Peinlich blieb nur, daß die
Totengräber 14 Tage brauchten, um die Leiche zu entdecken.
In dieser politisch zwar untergeordneten, aber nichtsdestoweniger
für die IKL wichtigen Frage, wird die ganze bürokratische
Willkür der Führungsclique deutlich. Stalin strich Trotzki aus
der russischen Revolution; die chinesischen Stalinisten retuschierten auf Fotos
die "Viererbande" weg; Robertson muß sich mit Geringerem zufrieden geben:
Egal, was auf der Veranstaltung in der Humboldt-Uni ablief - die TLD wurde am
21. Januar aufgelöst - und damit basta! Nur einige in der TLD/SpAD hatten
es noch immer nicht kapiert. Noch Ende Februar konnte Spartakist als "Zeitung
der TLD" (!) abonniert werden (s. APK 24 / 20.02.90).
Über das menschewistische Funktionieren der TLD/SpAD
In ihrer "durchdringenden Verzweiflung" bei der "Installierung von
Spartacist-Normen in jedem Arbeitsbereich" beklagte sich Brosius über das
"menschewistische Funktionieren der TLD (s. Teil IV, Dokument 1). Kein Wunder
bei diesem menschewistischen Organisationskonzept sowie der opportunistischen
Ausrichtung auf die SED und dem späteren Massenanspruch! Dabei hatte das
organisatorische Desaster nicht erst mit der Organisierung der
Volkskammer-Wahlkampagne begonnen. Paketeweise verschickte die TLD APKs an
Dutzende von angeblichen Sympathisanten. Letztere schickten dieselben jedoch -
oftmals empört - postwendend zurück. Es war nicht nur spaßig,
z.B. den Brief eines achtzigjährigen Rostockers zu lesen, der sich
weigerte, die Zeitung an der Uni zu verteilen.
Die Politik der IKL bestand darin, "Genossen durch Geld zu
ersetzen" (s. Teil IV, Dokument 2). Dieser Zynismus drückte sich einmal im
Verschleißen der wenigen Genossinnen und Genossen bei der Erfüllung
der hochtrabenden Ansprüche der IKL-Führung aus, wobei man sich von
New York dann auch noch Ratschläge zur Verringerung der "Psychose" durch
"Wärme, gut essen und sich ausruhen" gefallen lassen mußte (s. Teil
IV, Dokument 3).
Zum anderen war die Politik "Genossen durch Geld" zu ersetzen die
euphemistische Umschreibung eines verantwortungslosen Umgangs mit anvertrautem
Geld. "Der Ausgang der sich entfaltenden proletarisch-politischen Revolution in
Deutschland steht auf der Kippe. Spenden von Internationalisten werden dringend
gebraucht,..." (Spartakist 68, März 90). Was den Spendern des
Lenin-Liebknecht-Luxemburg-Fonds ("3-L-Fonds") nicht gesagt wurde, war, durch
welche Schlampereien ihre Beiträge zum Fenster hinausgeworfen wurden.
DDR-Mark, zusammen mit Stapeln von APKs, gingen verloren, weil die Genossen
vergaßen, daß nach 24 Stunden die Schließfächer von der
Transportpolizei der DDR geräumt wurden. Melt, der seine Wohnung
vorübergehend der TLD zur Verfügung gestellt hatte, mußte bei
einem Besuch feststellen, daß Verkaufsgelder und Spenden auf dem
Fußboden seiner Wohnung verstreut herumlagen. Auf Initiative der
DDR-Genossen gab es daraufhin Krach in der TLD (s. auch Brosius in Teil IV,
Dokument 1), wobei u.a. die teure Anmietung von Pkws über das Palast-Hotel
(Ostberlin) zur Sprache kam. Wir können nur vermuten, von welchem Geld
Robertson sein piekfeines Hotel und die "ZK-Essen" in den besten Restaurants
Ost- und Westberlins bezahlte. Gesehen haben wir allerdings, wie Dahlhaus nach
der verpatzten Treptow-Rede zur anschließenden TLD-Veranstaltung
statusgemäß in einer schwarzen West-Luxuslimousine vorfuhr. Ein
solches Auftreten der IKL-Führung fiel nicht nur uns auf.
Auf dem Wege zur Spaltung
Ein Großteil der DDR-Genossen war über das
"westlich"-arrogante Auftreten der TLD-IKL-Führung zu Recht empört.
Mit Ignoranz wurde loyalen Vorschlägen, die Organisation voranzutreiben,
begegnet. Eine der wichtigsten taktischen Auseinandersetzungen in der TLD/SpAD
wurde um die Organisierung einer Aktionseinheit gegen die Faschisten in Leipzig
geführt, wie sie Melt und andere forderten. Zur Erinnerung: In dieser
Periode machten sich die Nazis vor allem im Süden der DDR immer breiter
und terrorisierten z.B. im Anschluß an die Montagsdemonstrationen
Immigranten in Gaststätten. Die DDR-ZK-Mitglieder Melt und Bartels
verloren die Abstimmung über ihren Vorschlag; die Mehrheit des ZK
erklärte wahlkretinistisch, eine solche Aktion in Leipzig würde die
Wahlkampagne der SpAD gefährden. Diese für die. IKL so typische
paranoid-hysterische Reaktion wiederholte sich am 3. Oktober 1990:
"Und eine Überschätzung der Kräfte der Reaktion ist
auch dazu benutzt worden, unser Beiseitestehen zu rechtfertigen, wie am 3.
Oktober letzten Jahres, wo wir nicht zu einer Demonstration gegen die
Wiedervereinigung mit starker Beteiligung von Immigranten gingen, weil wir
dachten, die Straßen würden von Ultra-Nationalisten kontrolliert
werden" stellte die SpAD-Führung, natürlich selbstkritisch, fest
(Internes Diskussionsbulletin 16, Februar 1991).
Die Abbügelung der Aktion in Leipzig und anderer Initiativen,
die undurchsichtigen Entscheidungsinstanzen generell und das bürokratische
Gemauschel mit New York, brachten in der SpAD bald das Faß zum
Überlaufen. Als ersten Punkt ihrer politischen Begründung zur Bildung
einer Fraktion schrieben Melt und andere:
"Innerhalb des einzig legitimen Leitungsorgans der SpAD
werden die innerparteiliche Demokratie und die leninschen Normen des
Parteilebens gröblichst mißachtet. In einer leninistisch
egalitären Partei ist eine kollektive Diskussion und
Entscheidungsfindung lebensnotwendig! Es muß grundsätzlich gelten:
Völlige Freiheit der Kritik, völlige Einheit der Aktion. Wie aber
sind die tatsächlichen Zustände innerhalb unserer Partei und
innerhalb des Zentralkomitees? Es gibt kein vom ZK gewähltes
Politbüro, statt dessen gibt es ein 'politisches Schattenkabinett' im ZK,
das offensichtlich in Nacht- und Nebelaktionen sich Entscheidungen
anmaßt. Wer hat z.B. die Genossen Helene, Reuben, AI, Fred, Renate D. und
Phil bevollmächtigt in geheimen Sitzungen Entscheidungen über den
politischen Kampf in unserem Land ohne Hinzuziehung von Genossen aus der DDR
herbeizuführen. Diese Handlungsweise ist autokratisch und hat mit dem
demokratischen Zentralismus nichts zutun. Neuerdings bilden sich unter gewissen
ZK-Vollmitgliedern bonapartistische Verhaltensweisen heraus (z.B. werden
anderen ZK-Vollmitgliedern Befehle und Weisungen erteilt). Wir haben nicht die
stalinistischen Hardliner zum Teufel gejagt, um uns nunmehr von anderen
Parteibürokraten bevormunden zu lassen" (Fraktionspapier/04.03.90).
Als die Fraktionserklärung auf der Berliner
Ortsgruppensitzung am 4. März 1990 verlesen wurde, ließ es die
IKL-Führung zum Eklat kommen. "Saboteure des Wahlkampfs" war noch die
glimpflichste der Beschuldigungen und Verleumdungen, die diese Fraktion bei
ihrer Lektion in Sachen SpAD und Parteidemokratie über sich ergehen lassen
mußte. Schlußpunkt der Auseinandersetzung war ein Streit um einen
vom DDR-Ministerrat für den Wahlkampf ausgeliehenen Lada, den die Fraktion
aus Gründen der materiellen Chancengleichheit (die Mehrheit hatte mehrere
Leih-und Gebrauchtwagen laufen) für sich beanspruchte. Durch eine
physische Attacke wurde Melt von sechs IKLern, u.a. Zierenberg und Brosius, zur
Herausgabe der Wagenschlüssel gezwungen.
In der APK 28 (20.03.90) hieß es dann, getreu der Methode
"Haltet den Dieb": "Um es kurz zu machen, zwei Typen namens Günther und
Dieter und einige ihrer Freunde haben sich aus unserer Organisation
davongemacht, unter Mitnahme verschiedener Vermögenswerte,
einschließlich Autos, Geld von unserem Organisationskonto, an uns
gesandte Post, und Bücher". Festzuhalten ist jedoch: erstens, daß
das gesamte von Fraktionsmitgliedern verwaltete SpAD-Geld (ca. 30.000 M)
über den SpAD-Anwalt B. zurückgegeben wurde; zweitens, daß die
SpAD den besagten Lada, den sie sich (dummerweise ohne Papiere) unter den Nagel
gerissen hatte, der SpAD-L kurze Zeit später wieder überstellte
(diese gab ihn dann der KFZ-Verwaltung des DDR-Ministerrats zurück). Warum
sich die SpAD bis heute über den Staatswagen so ereifert, muß
verwundern, erklärt sie doch scheinheilig: "Gleichzeitig nehmen wir keinen
Pfennig Subvention und nur Geld von denen, die irgendwie ernsthaft mit unserem
Programm übereinstimmen" (Spartakist 78/0ktober90).
Bei all der niveaulosen Dreckschleuderei seitens der IKL gibt
zumindestens St. John den politischen Charakter der Auseinandersetzung
implizit zu, wenn er von einer "Spaltung am 4. März" der SpAD spricht
(Spartacist 45-46, englische Ausgabe).
Wir hielten die SpAD-Fraktion weder für eine trotzkistische
noch haben wir Verantwortung für ihre in der SpAD geäußerten
Positionen übernommen, obgleich ihre Charakterisierung des SpAD-Regimes
ins Schwarze traf. Über einen Vorwurf Robertsons in seinem Brief vom 12.
Juni 1990 an die damalige Gruppe IV. Internationale (ein allerletzter Versuch,
die Fusion unserer Gruppen und die Gründung der Internationalen
Bolschewistischen Tendenz zu verhindern) mußten wir allerdings besonders
lachen. Robertson schrieb: '"Wenn Ihr aufgepaßt hättet über das
was wir schrieben, hättet Ihr gewußt, daß die Ladaisten
(gemeint ist die SpAD-Fraktion, Anm. von uns) widerwärtige Veranlagungen
hatten. ... Jedoch, als Entschuldigung unsererseits, wir wußten nichts
über sie damals. Ihr schon oder zumindest hättet es wissen
können" (der vollständige Wortlaut des Briefes ist in 1917 #9
abgedruckt). Was wir damals, nach der Spaltung der SpAD, kennenlernten, war
eine heterogene Gruppe, die sich in einem Punkt, nämlich der Ablehnung der
IKL-Führung, einig war. Aber erst die folgende Konfrontation mit unserer
revolutionären Politik ermöglichte einen Differenzierungsprozeß
in der SpAD-L zwischen Trotzkismus und Kapitulation vor dem
Wiedervereinigungsdruck. Die IKL und ihr bürokratisches Regime dagegen
waren eine Barriere in diesem Klärungsprozeß.
Teil IV: Dokumentation
Dokument 1 31. Januar 1990
I.S. / New York, Hamburg
Liebe Genossen,
die Punkte, die Jim und andere vorkurzem per Fax gemacht haben
bezüglich der Notwendigkeit einer kohärenten zentralen Führung
am Ort in Berlin, um Entscheidungen zu treffen und auszuführen, weisen
genau auf die Wurzel vieler der Probleme hier. Wenn dies an der Spitze fehlt,
dann sind politische Desorientierung, menschewistisches Funktionieren und
Demoralisierung von oben nach unten unvermeidlich. Wie partiell dies auch
geschafft wurde, in der letzten Periode war dies ein Hauptziel. Ich bin stark
der Meinung, daß Reuben und MAC hier sein .müssen, um das voll
durchzuführen, und ich glaube, als ein Ergebnis der Finanz- und
Anwesenheitsdiskussionen ist ein Weg ausgearbeitet worden, dies
durchführbar zu machen. Anteile von Übergangslösungen
können helfen, aber nicht die Arbeit tun, einschließlich der Arbeit,
die Geschichte von schlechtem Funktionieren in der TLD zu überwinden und
die Sprünge zu machen, die notwendig sind, um die neuen Aufgaben
durchzuführen, die jetzt gestellt sind. Und die Aufgaben, vor denen wir in
den nächsten sechs Wochen stehen, sind atemberaubend. Mit dem
gegenwärtigen Niveau des Funktionierens werden wir es nicht schaffen.
Insofern die Integration der Genossen aus dem Osten erfolgt ist, hat sie sich
als unschätzbar erwiesen. Die Aussicht frühzeitiger Rekrutierung
einiger energischer junger Arbeiter und Studenten, wie die Leute, die wir auf
der FDJ-Konferenz getroffen haben, stellt eine Neubelebung der ganzen Operation
in Aussicht. Dies ist ein Grund, weswegen ich glaube, daß wir die
frühzeitige Rekrutierung zur TLD forcieren sollten, derjenigen, die
mit uns arbeiten wollen, die mit uns schon gearbeitet haben. Dies muß
verbunden werden mit einem Programm der Schulung und Ausbildung im Rahmen
unserer Arbeit.
Der Pegel von menschewistischem Funktionieren, oder schlimmerem,
ist weiterhin entsetzlich. Dies müßte auch aus der Entfernung
offensichtlich sein. Es liegt nicht nur am Druck der Arbeit und fehlenden
Leuten, was einen Eindruck von Überwältigung fördert, sondern
auch an einer durchdringenden Verzweiflung, was die Installierung von
Spartacist-Normen in jedem Arbeitsbereich, auf jeder Eebene unserer Arbeit
angeht -- Buchführung, Büroreinigung, Pünktlichkeit -- und sich
auf entscheidende leninistische Praktiken ausdehnt, wie der vollen Diskussion
politischer Fragen usw., kurz, des demokratischen Zentralismus, der von oben
nach unten eingeführt werden muß. Dieser Bericht handelt von
Problemen, die in den letzten zehn Tagen aufgekommen sind, bevor die
Wahlen vorgezogen wurden, Vor der ZK-Sitzung Freitag müssen wir Plane
für die Kampagne entwerfen.
Das ZK besteht jetzt aus XX Leuten. XX davon ist in New York. XX
sind in Hamburg, und dies sind tendenziell die führenden Genossen. Zwei
kommen aus dem Osten, und die verbleibenden XX sind permanent Westberliner.
Peter ist reichlich qualifiziert als ein weiteres Mitglied, aber er bleibt
vielleicht nicht sehr viel länger. Ich schlage vor, T. hinzuzunehmen, weil
er gute Arbeit geleistet hat, gelesen hat, und das Gelesene auf die Arbeit
anwendet. Wir sollten uns zurücklehnen, un Leute zu integrieren. Ich
würde sagen, daß die fruchtbarsten Kämpfe in den ZK-Sitzungen
stattfanden, und er hat sie verpaßt. Er ist noch jung, aber deswegen wird
er viel von der Last der Rekrutierung und der Entwicklung der SG tragen.
Die aktuellen Zahlen über die Berliner Kräfte: insgesamt
XX permanent oder im Versuch, permanent: zu bleiben, plus etwa XX Besucher (in
der Mehrzahl langfristig wie Ali oder ich). Etwas mehr als die Hälfte kann
Deutsch. Wir können erwarten, kurz nach der Thälmann-Schulung weitere
XX hereinzubekommen . Dieser ganze Prozeß dauert immer noch zu lange.
Das Fehlen einer elementaren Arbeitsteilung niemand
ist verantwortlich" -- ist einer der Gründe für das Chaos und das
lausige Funktionieren und kann ein Mittel sein, um eine Lösung zu
bekommen. Es gibt auch andere politische Probleme, die in dem jetzigen Chaos
schwerer zu lokalisieren und auszukämpfen sind. Die Arbeitsteilung, die
durch eine Reihe von Veränderungen in Sitzungen und informellen
Diskussionen etabliert wurde, ist: ...
Spartakist-Gruppen: Nach einer Menge Diskussion ist die
Harngehensweise an die SG einigermaßen verstanden. Was immer noch
schrecklich hinterherhängt, ist die Anstrengung, die Gruppenmitglieder in
die aktive Arbeit gegenüber der FDJ-Konferenz einzubeziehen. Bei der
regionalen Arbeit wird dagegen systematisch daran gedacht wenn es auch nicht
immer gelingt. Diesen Donnerstag, wo wir das erste Mal einen Wochenplan in der
Hand halten, sollen wir jedes Mitglied für wenigstens einen Verkauf und
ein Kontakttreffen aufschreiben können, zuzüglich allem, was sie
sonst noch tun können. Jedes Mitglied ist zum Kontaktierer gemacht worden.
Aber nur wenige haben ihr erstes Kontakttreffen schon gehabt.
Das politische Profil der Gruppenmitglieder ist sehr breit
gestreut. Typischerweise tendieren sie zum Stalinismus, in manchen Fällen
sind sie harte Stalinisten. Nichtsdestoweniger lesen sie Trotzki, und die Ideen
werden aud den Treffen in ernsthafter Weise diskutiert. Ich bezweifle,
daß es eine andere Zeit gab, in der Trotzkis Werke so eifrig
aufgeschnappt und diskutiert wurden (soweit erhältlich) , jedenfalls nicht
durch Massen in einem stalinistischen Land.
...
Es gibt keine regelmäßigen Verkaufsberichte. Es gibt
keinen Verkaufsverantwortlichen, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, was
Keith sonst tut. Gestern habe ich geschafft, für die letzte Woche eine
gekritzelte und unvollständige Version von Keith zu bekommen, aber
für eine Reihe von Wochen har. es keine gegeben. Es ist unnötig zu
sagen, daß Geld in einer ähnlich nachlässigen Weise gehandhabt
wird. Diese Frage, besonders was Ostgeld angeht, wurde auf der letzten
Ortsgruppensitzung angesprochen. Wir müssen einen Verkaufsverantwortlichen
im Osten und im Westen bekommen. Bis dahin muß Keith. es zusammenhalten,
obwohl wir während der Kampagne, also bald, einen
Verkaufsveranwortlichen brauchen.
"Tägliche" Sitzungen finden normalerweise dreimal die Woche
statt, glaube ich, wegen der Geschwindigkeit der anderen Arbeit.
Und nicht jeder wird in allen Sitzungen sein. Obwohl dies eine
fürchterliche Menge von Sitzungen bedeutet, ist dies jetzt das kleinere
Übel. Die ZK-Sitzungen Freitag abend sind besonders hilfreich gewesen,
obwohl ich diese Woche festgestellt habe, daß Dinge sehr viel ruhiger
waren, als D. außerhalb der Stadt war und mit Fred den Norden bereiste,
was nicht notwendigerweise vorteilhaft war. In der Anstrengung, ein völlig
neues Kollektiv zu schmieden, wird es unvermeidlich eine Menge von Diskussionen
geben, und man kann nie sicher sein, daß Annahmen geteilt werden und
Kurzformen verstanden werden. Es ist besser, Dinge sorgfältig und explizit
auszudrücken. Die Zeit ist es jedenfalls wert. Es hat. einen erkennbaren
Fortschritt bei der Integration der neuen Mitglieder gegeben, obwohl dies
offensichtlich mehr Zeit und gemeinsame Erfahrungen braucht. Sie haben sich
nicht gescheut, ihre Bauchschinerzen zur Sprache zu bringen und mir jedem zu
reden, und sie waren besonders erfreut über Jim's Besuch, glaube ich.
Dieser Prozeß ist viel eher eine Fusion, in der die beiden Seiten von
verschiedenen Weltanschauungen her zusammenkommen, als ein
Rekrutierungsprozeß. Wie in einer Fusion muß man besorgt sein,
daß eine Tendenz entlang der alten Linien wegbricht. Wir haben eine Menge
zu lernen.
...
Fabrikarbeit: Verkäufe sollten regelmäßig sein,
und sie sind auch einigermaßen regelmäßig durchgeführt
worden, obwohl wir die Verkaufsstellen erweitern und dafür sorgen
müssen, daß nicht so viele mißlingen. Peter hat mir Herbert
gearbeitet, Kontakt mit den Leuten herzustellen, deren Kontakt wir verloren
hatten, aber im Moment scheint es, daß diejenigen, die sich entfernt
haben, es so belassen möchten. Die Verkäufe haben als Ergebnis einige
hundert verkaufte Zeitungen jede Woche, vor oder in der Nähe der
Schlüsselbetriebe. Wir haben in den Schlüsselstellungen eine Handvoll
von Namen nachzuverfolgen, die uns an ein oder zwei Plätzen neue Kraft
geben können. Aber die Atmosphäre ist kräftig polarisiert, es
wird eine Plackerei. Wir haben außerdem eine Menge Namen und auch
SG-Mitglieder in anderen Fabriken, die APK verkaufen. Ein Teil der SG-Sitzungen
wird dazu dienen, dies bewußter und angeleitet zu unternehmen,
einschließlich Kontaktierung und Koordination.
Geld: Ich denke, die IS-Entscheidung war großzügig. Wir
müssen jetzt innerhalb dieser Grenzen arbeiten und unsere Auswahl treffen.
Das ist hier ein neues Konzept, auf dem wir beharren müssen, der Vorgang
ist vor allem einzuführen. Das neue Büro ist die größte
Ausgabe, aber D möchte unbedingt einen Lada, um die Anmietungen zu stoppen
(oder wenigstens einige).
...
Wo die Wahlen vorgezogen werden, müssen die oben
auseinandergesetzten Maßnahme unverzüglich umgesetzt werden, um
vorwärtszugehen. Vielen Dank für eure verschiedenenen Briefe.
CGs
[sig] Helene
Dokument 2
Bericht über die Beratung zu IS-Finanzen in New York
William and Robin
02.02.1990
Hier sind Vorschläge zur Finanzierung der Operation in
Deutschland.
Diese Vorschläge sollten als Empfehlungen verstanden werden
und sie sollten baldigst untersucht werden. Man sollte dementsprechend handeln,
wenn es allgemeine Zustimmung gibt.
Alle 3L-Spenden werden durch New York zentralisiert und von hier
aus nach Deutschland geschickt mit einer Ausnahme: wo bisherige oder noch
anstehende deutsche Ausgaben so groß sind, daß wir einen gewissen
Betrag der 3L-Gelder zu ihrer Bezahlung verwenden müssen, um die
Schwächung der IS-Finanzen zu vermeiden
...
Diese Regelung setzt dem Abfluß nach Deutschland, der, wenn
er mit der bisherigen unbegrenzten Rate fortgesetzt werden würde, uns sehr
schnell dazu zwingen würde, alle unsere Reserven aufzulösen und
Hypotheken für einen Teil unseres Vermögens aufzunehmen. Wenn wir
dies tun würden, hieße dies. impressionistisch anzunehmen, daß
es in der Welt keine weiteren Entwicklungen geben wird, in die die IKL
intervenieren will oder muß.
...
Die politischen Schlußfolgerungen sind geradeheraus: Die
Geschichte endet nicht am 18.März. Wir hatten eine operation, wo wir
Genossen durch Geld ersetz haben. Wir haben versucht etwas Geld durch ader zu
ersetzen, amit ist jetzt Schluß. Wir müssen unsere Operation
konsolidieren. Wir müssen uns auf die Betriebe konzentrieren. Ohne eine
Basis wenigstens an einigen Plätzen sind wir erledigt. Wie wir schon
früher diskutiert haben und worüber wir uns schon geeinigt hatten
ist, mehr Organizer und weniger aber bessere Zeitungen zu haben, um dies
zustande zu bringen.(Dies geht von der bisher vereinbarten Erscheinungsfrequenz
aus.) Dies legt. noch dringender die Betonung auf die Notwendigkeit für
eine zentralisiertes und effektives Führungskollektiv in Berlin.
Es scheint angemessen zu sein, für die Zeit nach der Wahl zu
planen, allmählich unseren physischen und technischen Apparat in Berlin zu
konzentrieren. Dabei sollten wir jedoch nicht außer Acht lassen,
daß wir unser Zentrum in Hamburg belassen müssen und wollen, wenn
wir im Norden erfolgreicher sind.
...
Während das Obige Empfehlungen darstellt, hat das Treffen
verlangt, daß definitiv nachgewiesen wird, daß die Telephonrechnung
für die Anrufe aus dem SED-Hauptquartier während der Mobilisierung
für die Treptow-Demo bezahlt worden sind.
...
Dokument 3
Ergänzung zu den berichten von William und Rächet
über die IS-Finanz-Beratung by Lizzy
02. Feb. 1990
Erst einmal sollte man festhalten, daß dies eine beratung
der interim lS-Gruppe gewesen ist mit mehr Teilnehmern als üblich. Es
waren nicht nur die zu dem Zeitpunkt anwesenden IS-Mitglieder da und alle
diejenigen, die informell kooptiert sind, um ein Führungskollektiv zu
vertreten, sondern auch noch einige andere, einschließlich aller
Voll-ZK`ler und Kandidaten, die in der Stadt waren, und einige andere aus der
Zentrale, allea in allem rund 25 Leute.
...
Drittens gab es eine Reihe von politischen Punkten, die zwar nicht
von zentraler Bedeutung waren für die Arbeitsvorschläge des Treffens,
aber nichtsdestotrotz vorgebracht werden sollten:
Jim hat wiederum betont, daß wir damit aufhören
sollten, und so viele Gedanken um die SED zu machen, denn sie löst sich
selbst auf, und das unser Hauptrivale auf der Linken die KPD ist. Nochmals, wir
brauchen Propaganda zu Thälmann, Neumann, Dimtrov (und hinter ihnen
Stalin).
...
Zur Situation im Halkevi: Jim hat bemerkt, daß wir
entsprechend ihrem Codex die Köpfe von drei bekannten Genossen vor ihrem
Büro aufgepfählt hinstellen sollen, zusammen mit einer Note
tiefgehender Entschuldigung und kein Geld) und dann sollten wir
entsprechend ihrem Plan ausziehen.
...
Aufgrund seiner Erfahrungen vor Ort hat Jim in letzter Zeit von
einer Arbeiter- und Polizistenregierung" geredet. Oder um genauer zu sein, eine
Regierung der Arbeiter und der uniformierten Beschäftigten der Regierung.
Scherz beiseite, es ist kein zufalle, daß viele unserer Kontakte in diese
Kategorie fallen. Sie haben unmittelbar am meisten zu verlieren durch eine
kapitalistische Restauration. Und es wichtig zu verstehen, daß
Ostdeutschland kein kapitalistischer Staat ist, die Soziologie ist total
anders von dem, mit dem die IKL bisher zutun hatte. im hatte auch eine Reihe
von Einzeilern zur Stasi-Hetze. Zu "Stasikinder": "Jawohl dein Vater hat meinen
im KZ bewacht" und zu "Die Stasi hat selber das Stasihauptquartier
gestürmt" : "Jawohl , und die Kommunisten haben den Reichstag
angezündet"
Zur Frage der "Einheit mit der SED, Genossen haben das
Gefühl, daß dies nicht nur das Prodkt einer einzeln Person ist, die
sich verhört hatte und fälschlicherweise etwas wiederholt hat, was
Jim erzählt: hat, sondern daß dies teilweise das Resultat der
Erschöpfung der führenden Kader dort war und teilweise die Panik
wiederspiegelt, der viele in der DDR erliegen, angesichts des irren Tempos mir
dem die SPD und die deutsche Bourgeoisie Fortschritte machen ohne auf eine
sichtbare geschlossene Opposition zu treffen. Unter anderem ist das Problem, an
die SED :appeliern, die Situation zu retten, daß genau sie nicht die
Gruppe sind, die das tun kann. (Und vom Standpunkt der Redaktion muß ich
sagen, daß SED-Einheit" exakt das augenblickliche Programm
der herschenden Klasse der USA ist angefangen mit der Kommentarseite der
New York Times über die Einladung von Gysi nach Washington, die
Amerikanische Bourgeoisie will jetzt keine Wiedervereinigung.) Jedenfalls wurde
mehrfach festgestellt, wir wollen Einheit durch revolutionäre
programmatische Umgruppierung, was sich konkret festmachen läßt an
vielleicht rund sechs Punkten: Aufbau revolutionärer Parteien im Westen,
Verteidigung der Sowjetunion; Bruch mit dem Stalinismus in der DDR. Schutz
gesellschaftlichen Eigentums in der DDR; Keine Massenliquidation (keine
"Kollektivschuld") der DDR-Regierung.
Wir wollen einen Beitrag zur Reihe "Haß auf die
Trotzkisten machen aus den zwei Artikeln von den deutschen Northites
(BSA) und den BT. Wir brauchen eine Einleitubg, die auf die offensichtlichsten
ihrer widersprüche eingeht, dabei muß betont werden, daß all
diese Gruppen nicht mit den Widersprüchen fertig werden, die von der
Russischen Revolution hervorgebracht worden sind, und die deshalb vor
den Oktober 1917 zurückgehen wollen und alles noch mal von vorn anfangen
wollen. Ostdeutschlandist wirklich das perfekte Beispiel für die
Behauptung des Dritter. Lagers, das die Bürkratie eine herrschende Klasse
ist - die Bürokratie zerfällt vor unseren augen. Natürlich liegt
in den meisten deformierten Arbeiterstaaten Osteeuropas die die Staatsmacht in
den Händen der Roten Armee (Rumänien ist die große Ausnahme).
Ostdeutschland weicht davon etwas ab: 1)in stärkerem Maße als
irgendwo sonst, mit der Ausnahme von Böhmen und Mähren, dem
industriellen Zentrum des östereich-ungarischen Imperiums, haben die
ostdeutschen Arbeiter vor 1933 an Sozialismus und kommunismus geglaubt;
und 2) es gibt in Ostdeutschland keine nationale Frage, es ist das reine
Beispiel für eine Nation, die durch zwei Klassenkräfte geteilt ist.
Wir haben vor, dieses Pamphlet auf Englisch herauszubringen, und wenn die
deutschen Genossen es reproduzieren wollen, können sie es übersetzen.
Debbie hat den Punkt gemacht, daß der Vorschlag zu Finanzen
recht generös ist (unter der Annahme, daaß ihr MB's und
Vertriebseinnahmen bekommt): die 3L-Kampagne ist bisher recht gut gelaufen, wir
haben in der letzten woche bei Veranstaltungen $ XXX aufgebracht.
...
Jim fügt hinzu:
Wir in der IKL sollenn an demokratischen Zentralismus glauben. Wir
haben diese Vorschlage vorgebracht auf der Basis, daß es in der Tat eine
deutsche Führung gibt. Das letztere scheint jedoch hypothetisch zu sein,
Es gibt genügend belege, die es nahelegen, daß es sowohl an
Demokratie als auch an Zentralismus fehlt bei unserer deutschen Operation.
Deshalb haben wir bei unserem Treffen immer wieder den Punkt betont, wir
brauchen eine zentralisierte Führung in Berlin.
Wir haben das schon anfangs gesagt und ihr tut es immer noch
nicht: Wärme, gut essen und sich auszuruhen trägt dazu bei, die
Psychose zu verringern, an einem gewissen Punkt ist das wichtiger als was ihr
zu tun glaubt. All diese notwendigen Punkte sind euch schon sechsmal
geschrieben worden und schon sechsmal erzählt worden. Weshalb macht ihr
euch also so fertig?
Dokument 4
Februar 1990
Liebe Helene -- nur für Dich bestimmt, gib davon soviel
weiter, wie Du möchtest, hoffentlich an Max und Fred
Ich dachte, Dein langer Brief vom 31. Januar, zusammen mit
verschiedenen anderen Briefen, die wir gestern oder vorgestern erhalten haben,
legen es nahe, daß wir mit der Organisation in Deutschland vielleicht auf
dem Weg über den Berg sind (? We may be turning the corner on
Organisation). Mehrere unmittelbare Dinge lassen mir keine Ruhe.
1. Was ist die "TLD"? Ich dachte, ich bin nach Deutschland geeilt,
um unsere neue pan-deutsche Sektion gründen zu helfen, die SpAPD, und ich
will den gleichen Vorschlag dem Internationalen Exekutivkomitee machen. Und
zwar: wir hatten eine kleine TLD gehabt, die sich wieder als eine
funktionierende Sub-Propagandagruppe in der BRD einführte. Plötzlich
gab es eine riesige amorphe Umwälzung in der DDR, in die wir mit einer
täglichen Aprekorr und mit der Schaffung von Spartakist-Gruppen
intervenierten. Als der Tag für die DDR-Wahlen festgesetzt wurde,
gründeten wir sofort die SpAPD, im wesentlichen als eine legale
Einrichtung, aber in den Grenzen, wie sie in Lenins "Linkem"
Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus, dargelegt ist, d.h.
etwas, das ein bißchen präziser ist als die 21 Bedingungen der Kl.
Ich glaube, daß die TLD damit verschwunden ist, verschmolzen mit reifen
Elementen der Spartakist-Gruppen. Es kann durchaus sein, daß wir
weiterhin Junge Spartakist-Gruppen aufbauen wollen mit anderen Elementen.
Unsere unmittelbaren Wahlchancen liegen anscheinend, wenn
überhaupt, im DDR-Norden (dies sollte uns nicht davon abhalten,
überall etwas aufzubauen, wo wir eine Möglichkeit dazu haben; und
überall beinhaltet insbesondere Arbeiterzellen in Fabriken und
liebenswürdige, frische, gut geschriebene Appelle an die sowjetischen
Soldaten aller Art).
Zum Beispiel, denke ich, hat uns Lenin beigebracht, daß wir
im Falle eines riesigen amorphen Schwarzenaufstands in Amerika eine
vergleichbare Intervention mit massenhafter Propaganda machen sollten und eine
Vereinigung unter den Schwarzen, die für sozialistische Revolution sind,
hoffentlich mit dem Ergebnis einer stark vergrößerten und
beträchtlich veränderten Partei. Jedenfalls ist dies der Text, nach
dem ich gearbeitet habe.
2. Du sagst: "Das ZK besteht jetzt aus XX Leuten und XX sind
in Hamburg, und dies sind gewöhnlich führende Genossen". Mir wurde
erzählt, daß am Lebensende von Breschnjew eine Mehrheit des PBs der
KPdSU zum PB-Treffen auf Tragen gefahren wurde, angeschlossen an Blutkonserven.
Außer Breschnjew gehörte Tschernenko dazu, und der arme Andropow
schien chronische Dialyse zu haben. Suslow war so alt, daß er kaum ein
"Töte" von sich geben konnte. Aber wenigstens wurde, wenn diese Genossen
einen Hauch andeuteten, die Entscheidung ausgeführt, außer bei
Romanow, der zu betrunken war, um zu wissen, was vorging. Nebenbei, all dies
war ein großer Schritt nach vorn weg von Stalin, und die SU, wenn auch
greisenhaft deformiert, konnte es immer noch mit Nohn-Bush aufnehmen. Nun, ich
glaube, diese Genossen waren wahrscheinlich zu alt und krank für ihre
Arbeit, doch ich schlage wirklich vor, Mittel und Wege zu finden, um mehrere
Hamburger Tragen zu motorisieren, in Sauerstoff zelten und mit angezapften
Blutkonserven, und daß sie als Geister"tragen nach Berlin gefahren
werden. Ich schätze, was ich sagen will, ist, daß Ihr eine
autoritative Zentrale haben solltet, wenigstens für die nächsten 10
Wochen oder so. Zum Beispiel, und nur als ein Beispiel, kann MAO 20 Stunden am
Tag in einem verglasten Zimmer verbringen, das nach dem Vorbild eines sauberen
Raums für die EIektronik-Produktion ausgestattet ist.
Um die Bemerkungen von gestern zu wiederholen: erzählt mir
nichts über Probleme, diskutiert sie nicht mit mir, löst sie eben --
mit Lösungen, die nur für die Dauer von ein paar Monaten vorgesehen
sind, d.h. ohne die Möglichkeit einer einfachen Umkehrung zu
verbauen« Wenn Hitler auf Reisen war, meistens mit dem Zug, wurden Mittel
und Wege gefunden, jeden Bahnhof, an dem er anhalten könnte, mit dem
Oberkommando der Wehmacht zu verbinden. Aber er war kein Neulinker. Euer
einziges Problem ist es, dies zu tun ohne Staatsmacht und ohne Geld.
3. Du sagst: Es gibt keine regelmäßigen
Verkaufsberichte, es gibt keinen Verkaufsdirektor, obwohl ich nicht begreifen
kann, was Keith sonst macht." Nun, wir brauchen die regelmäßigen
Verkaufsberichte. Ich denke, die Verkaufszahlen sind auf ein Zehntel dessen
gefallen, was sie vor .sechs Wochen waren Wir brauchen einen Verkaufsdirektor,
der weiß, wie man die richtige Anzahl von Verkäufern kriegt, mit dem
richtigen Material am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Abgesehen von seinem
Deutsch, weiß ich bestimmt, was Keith tut, und er kann es ebenso gut vor
amerikanischen Militärstützpunkten auf den Philippinen tun, wo ich
ihm nicht nur die Hukbalahap garantieren kann, sondern auch eine Reihe
unglaublicher, unheilbarer, sehr rapide fortschreitender
Geschlechtskrankheiten. Es gibt auch den Leuchtenden Pfad, die die Weißen
sogar noch mehr hassen sollen als die Huks. Außerdem ist es sehr schwer,
in 22 000 Fuß (6600 Meter) Höhe zu atmen. Aber bei meiner
mitfühlenden Veranlagung schlage ich vor, daß er diesen
interessanten Abenteuern aus dem Wege geht und wenigstens sechs Stunden an Tag
zubringt, in denen Du weißt (und befürwortest), was er tut. Du bist
dort direkt an Ort und Stelle; wenn Du ihn grausig enden lassen willst,
brauchst Du meine Alternativlösung nicht zu erwähnen. Castro
hätte in Angola General Ochoa das Feld überlassen sollen, und ich
überlasse es Dir.
Mit wirklich brüderlichen Grüßen und Dank für
Deinen warmherzigen Brief,
Jim
übersetzt von Bernd, 3. Februar 1990
Dokument 5
Alameda 1. Februar 1990 IS/PRL Berlin, Hamburg
Liebe Genossen,
hier sind einige der Punkte, die ich heute in einen
Telefongespräch mit William gemacht habe, und auch einige, die ich nicht
gemacht habe:
Ich habe mir Sorgen gemacht über den Hinweis in Rachels
Notizen von Helene (31. Januar) über "Disziplinfälle", die die
ZK-Sitzung aufgreifen sollte. Helene sagt in ihrem Bericht vom 31. Januar :
"Das Ausmaß von menschewistischem Funktionieren oder von schlimmerem
bleibt weiterhin erschreckend. William sagte das gleiche und gab als ein
Beispiel für einen der Disziplinfälle an, daß Kay bei einem
Betriebsverkauf entschied, wegen der rechten Stimmung unter den Arbeitern die
Zeitungen zu verteilen anstatt sie zuverkaufen. Ich denke, daß es in
diesem speziellen Fall eher angesagt ist, einen politischen Kampf zu
führen als organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, besonders da im
allgemeinen Probleme des "Funktionierens" an der Spitze beginnen, in einem
desorganisierten und manchmal politisch desorientierten ZK.
Letzte Woche drückten Helene und Max politische
Desorientierung aus, sie verteidigten, ohne sich darüber klar zu sein,
eine Position der "Einheit der SED", d.h. die Perspektive einer strategischen
Einheitsfront, die rasch impliziert, daß unsere zentrale Rolle als
programmatisch polarisierende leninistische Kraft verschwindet. Aber wenn unser
Programm nicht als zentral angesehen wird, dann bekommt unsere organisatorische
Arbeit, die im wesentlichen nur das Mittel ist, unser Programm
durchzuführen, eine massive Widersprüchlichkeit. Spätere
Korrespondenz sagt, Alison sei der Ursprung dieses "Gerüchts" über
"Jims Position", aber ich denke das ist zu einfach. Vor einem Monat war
"Einheit der SED" die feste Position zum Beispiel der SED-Arbeiter bei Narwa,
die wußten, daß Regierung und Partei ihre Fabrik an die
Kapitalisten verkaufte, die aber darauf bestanden, daß man Modrow und die
SED nicht kritisieren kann, weil das alles ist, was zwischen uns und der ganzen
Scheiße steht, die die Sache übernehmen will. Angst und Verzweiflung
brachten sie dazu, eine Partei zu unterstützen, von der sie wußten,
daß sie sie ausverkauft. Noch wichtiger, sie sahen nicht sich selbst, das
Industrieproletariat, als die entscheidende selbstbewußte Kraft in dem
Kampf um die Staatsmacht. Seither haben sich Ereignisse sehr schnell bewegt und
ich glaube, daß vielleicht diese gleiche Stimmung von Furcht und
Verzweiflung ihren Weg in unsere deutsche Organisation gefunden hat und zum
Ergebnis hatte, daß es einen programmatischen Impuls gab, der dem jener
SED-Arbeiter vor einem Monat sehr ähnlich war. Und wenn die
TLD-Führung - theoretisch die erfahreneren und bewußteren Elemente
-- politische Desorientierung ausdrückt, dann muß dies auch in der
breiteren Mitgliedschaft einen Ausdruck finden.
Zwar hatten wir sicherlich eine Menge organisatorischer Probleme
bei dem Versuch, aus einem sich ändernden Pool von Mitgliedern eine
stabile Organisation zu machen, aber ich denke, man kann argumentieren,
daß diese politische Konfusion -- eher als eine große Anzahl
undisziplinierter Mitglieder -- ein wichtiger Faktor dabei ist, unsere
organisatorischen Bemühungen zu unterminieren, was sich in
"menschewistischem Funktionieren" ausdrückt. Es ist sehr schwierig, ein
neues kohärentes Zentralkomitee zu bilden. In der SL/U.S. ist unser
führendes Komitee das Ergebnis einer mehr als 25jährigen politischen
Selektion durch einen Prozess von Spaltungen, Fusionen (und politischen
Kämpfen, die mehrere unterschiedliche Perioden umfassen. Seit 1974 hat ein
ähnlicher Prozess stattgefunden in dem, was das Internationale
Exekutivkomitee der IKL geworden ist. Aber in Deutschland wurde eine
kürzlich wiedergeschaffene TLD mit historisch wichtigen Aufgaben
konfrontiert. Wo es bisher nur eine Redaktion als zentrale Körperschaft
gab, erfordert die Situation jetzt ein Zentralkomitee in einer Situation von
enormem Drück, das auch neue führende Genossen wie G., D. und T.
umfassen muß. Ein Prozess, der normalerweise Jahre dauert, wird jetzt in
Monate, sogar Wochen komprimiert. Trotzki sagte, das Geheimnis von Lenins
bolschewistischer Partei war politische Festigkeit und organisatorische
Flexibilität. James Patrick Cannon lerntet von Trotzki, daß es
besser ist, für politische Klarheit zu kämpfen, als diesen Prozess
durch organisatorische Maßnahmen vorwegzunehmen. Das ist auch unsere
Geschichte. Angesichts des Ausmaßes von politischen und organisatorischen
Frustrationen, die dort existieren, wäre es ein ernster Fehler,
disziplinäre Maßnehmen zu ergreifen als Ersatz für den
schwierigeren Prozeß, Probleme auf praktische Aufgaben und/oder
politischen Kämpfe zu reduzieren. Außerdem denke ich, solche
Maßnahmen werden die Atmosphäre vergiften besonders für neue
Mitglieder, die von stalinistischen repressiven Maßnahmen die Schnauze
voll haben.
Warum gibt es zwei Organisatoren, einen in Ost- und einen
in Westberlin? Ich sehe, daß zur Zeit Renate Organisator der
Spartakist-Gruppe ist. Aber heißt das, daß Keith der Organisator
für alle anderen ist? Helenes Bericht scheint sich auch auf einen
Verkaufsleiter im Osten zu beziehen im Unterschied zu dem Verkaufsleiter, der
Keith nicht zu sein scheint. In anderen Worten, es scheint so, als gäbe es
zwei parallele organisatorische Strukturen im Osten und Westen, was,
wenn da so ist, nicht viel Sinn macht. Welcher Organisator (oder welche
Organisation) ist zum Beispiel für die Fabrikarbeit zuständig; Was
ist der Sinn eines Kampfes, sich "den Massen zuzuwenden", wie in 1905, und dann
als getrennte Organisationen weiterzumachen? Neben der Tatsache, daß das
politisch falsch ist, schwächt es uns organisatorisch,, indem man eine
geringe Anzahl von Genossen nimmt und die Anzahl dann durch zwei teilt. Mir ist
klar, daß eines der Ziele ist, die Arbeit zu "germanisieren", und damit
stimme ich überein, aber Keith kennt die Lage dieser Ostberliner Fabriken
wie seine Hosentasche, also sollte ein Weg gefunden werden, dieses Wissen zu
nutzen.
Es war falsch, daß Kay ihre eigene Politik bestimmt hat, wie
man Zeitungen verkauft. Aber ich möchte gerne einen Bericht von ihr sehen
über diese rechte Stimmung, auf die sie traf, und welchen Ausdruck das
nahm. In den Faxen steht nur sehr wenig politisches Wissen darüber, wie
die Arbeiter denken. Der Eindruck, den ich habe, ist, daß die einzige
Kraft, die nicht in Bewegung ist, die alte harte Arbeiterbasis der SED
ist. Die politische Aktivität ist hauptsächlich an der Spitze der
Schicht der Intelligenz, die sich vom Modrow-Gysi-Flügel der SED bis zu
den unterschiedlichen "demokratischen Oppositionsgruppen erstreckt, was im
großen und ganzen die gleiche Art von Schicht ist, die Gorbatschows Basis
in der UdSSR darstellt. Niemand will, daß diese Arbeiter irgendetwas tun.
Währenddessen erscheint die SPD an der rechten Flanke des Proletariats und
versucht den Rest zu überrollen, bevor in Westdeutschland Klassenkampf
ausbricht, der ihre verräterische Rolle bloßstellen würde.
Es wäre sehr nützlich, unsere eigene Analyse zu haben,
basierend auf den Kontakten, die wir durch die Fabrikverkäufe haben, und
nicht nur das Gekrächze der bürgerlichen Presse oder das
Händewringen der östlichen Presse.
Jim hat vor kurzem gesagt, Genossen sollten Ruhe, Wärme und
Behaglichkeit bekommen. Ich dachte, die Situation würde sich verbessern,
nachdem wir zurückgesteckt haben zu einer Ausgabe pro Woche anstatt
fünf. Aber offensichtlich ist dieser Rat immer noch ein grausamer Witz.
Zumindest ist das der Eindrucke den ich von Leuten, die kürzlich
zurückkamen, bekam, die sagten, das es immer noch üblich sei, um
Mitternacht angerufen zu werden, um um 5 Uhr morgens einen Verkauf zu machen,
oder daß Genossen nach einem vollen Arbeitstag Stunden in Halkevi warten
müssen auf Termine, die anstehen. Auch die Unterbringungssituation klingt
so schlecht oder schlimmer als zuvor. Es gibt einen Punkt, ab dem Leute nicht
mehr funktionieren können, einschließlich der Führung.
Ich habe keine Übersetzung der Titelseite von APK Nr. 21
gesehen, aber es sieht aus wie ein Aufruf an die Arbeiter, für Sowjetnacht
zu kämpfen. Jim macht kürzlich den Punkt, daß Räte als
Ergebnis eines wie auch immer gearteten Massenkampfes entstanden sind und nicht
einfach, weil Kommunisten sagen, daß das eine gute Idee ist. Warum rufen
wir nicht zu politischen Streiks auf, um den Ausverkauf der DDR zu
stoppen und machen das zu einem zentralen Aufruf unserer Wahlkampagne?
Mit Genossengrüßen Al Nelson
Übersetzt von Barbara, 3. Februar 1990
Dokument 6
"Die Perspektive, einen Kaderstamm von Berufsrevolutionären
aufrecht zu erhalten, motivierte den Beschluß des Internationalen
Sekretariats (IS), der anschließend durch ein offenes ZK-Plenum der
Trotzkistischen Liga Deutschlands bestätigt wurde, die überwiegende
Mehrheit der deutschen Genossen für ungefähr ein Jahr zur Arbeit in
anderen Sektionen zu versetzen. Die Genossen der TLD haben in den letzten
fünf oder sechs Jahren darum gerungen, sich angesichts des
Wiederaufsteigens des bedrohlichen deutschen Nationalismus politisch
umzuorientieren. Die gegenwärtige Bilanz dieses Versuchs, deutsche
Realität in den Griff zu bekommen, ist negativ. Das IEK empfand, daß
ein nicht mehr zu tolerierender Punkt erreicht wurde, als die TLD ebenso wie
die übrige westdeutsche Linke Gründe fand, sich der Teilnahme an dem
jüdisch organisierten Protest gegen Reagans und Kohls obszönen Besuch
der SS-Gräber in Bitburg zu enthalten" (Protokoll der lEK-Tagung der IST
vom 30.11. /Öl.12.85Spartacist 12, deutsche Ausgabe/Winter 86/87).
(Vorbemerkung: Eine nationale Sektion auf Beschluß des
internationalen Sekretariats aufzulösen, ist schon für sich genommen
ein Beispiel des bürokratischen Zentralismus par excellance. Doch welchen
Grad der Zynismus und die Verachtung der IST/IKL-Führung gegenüber
ihrer Mitgliedschaft erreicht hat, ist für Außenstehende wie
für neue Genossen dieser Organisation schwer verstellbar. Die folgende
Übersetzung einer der "Briefe aus dem Lager" stammt aus der Feder des
international bekannten IKL-Führungsmitgliedes Federico Parodi, dessen
Aufgabe es damals war, die "TLD-Abwicklung" für das IS zu organisieren.
Dieser makabere und zynische Bericht an die IS-Sekretärin Helene Brosius
verdeutlicht nicht nur die Geisteshaltung dieser "Kämpfer gegen das Vierte
Reich", er sollte darüberhinaus jedem vor Augen führen, welchen
"Genuß" es bereiten kann, in dieser Organisation Führungspositionen
zu erlangen und sein Spiel mit der "einfältigen" (hier der deutschen)
Basis zu rühren. Wir haben uns entschieden nur diesen ersten Brief zu
übersetzen - es reicht! Daß unsere deutsche Übersetzung nicht
besser sein kann als das Hitler-Englisch des Verfassers rechnen wir ein. Um dem
Vorwurf des "Fälschertums" zuvorzukommen, drucken wir das Original
ebenfalls ab.)
Briefe aus dem Lager (Nummer 1)
von Federico Parodi Lager Nr. 1 (Frankfurt) 12. Juni 1985
Liebe Helene,
mir ist berichtet worden, daß gestern der Gauleiter des
besetzten Deutschlands den TLD-Insassen sagte, der Hauptslogan des Tages sei:
TLD erwache!"
Als das Internationale Sturm Sekretariat (ISS) ihnen sagte,
daß nichts ohne ordentliche Genehmigung getan werden sollte, um
unzeitgemäßes Märtyrertum der Mitglieder zu vermeiden, sagte
gestern keiner der Frankfurter Genossen, die so vehement kämpften, um ihre
Körper auf den nächsten Zug zur Front zu bringen, auch nur ein Wort
darüber. Ein sehr vielversprechender Start dieser Diskussionsrunde im
Zentrum.
Anderswo, d.h. in Berlin und besonders in Hamburg bekommt man
einen Eindruck von Genossen, die kämpfen wollen. Dort herrscht ebenfalls
eine große Erschöpfung und einige Leute sehen schlechter aus als
andere, aber es gibt einigen Widerstand gegen die Kapitulation und/oder
gedankenlosen Aktivismus, der die Organisation durchdringt.
Die ersten Leute werden sehr bald nach Drancy, huch, ich meine
Paris abreisen. Je eher desto besser. Je länger Fred in der Stadt bleibt,
desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß er hier für
immer bleibt.
Das einzige Anzeichen von gesundem Verstand, sozusagen - und
natürlich unter der Annahme, daß nicht nur eine Show inszeniert wird
- ist, daß niemand im Land bleiben will, d.h. es argumentiert niemand,
daß diejenigen, die gehen wollen, verraten. Nicht daß das nicht
auftauchen könnte, sobald es klar ist, daß einige gehen und einige
bleiben.
Es sollten konkrete Pläne gemacht werden, so daß
ungefähr zehn Leute während des nächsten Jahres einige Zeit
außer Landes verbringen - von kürzeren (zwei, drei Monate)
Aufenthalten über den Sommer für einige, bis hin zu den längeren
Rehabilitationsperioden.
Der Hauptgegner dieses Vorschlages für Transfer ist - wie man
sich denken konnte - vollkommen stumm. "Vot ze ISS says is vot ve must do"
stellt für die deutschen Genossen übersetzt kein besonders neues oder
originelles Konzept dar: das "Führerprinzip". Ob es möglich sein
wird, aus Doris' Mund irgendein Wort herauszubekommen, um in der Lage zu sein,
einen klärenden Kampf auszutragen, ist im Moment überhaupt nicht
ausgemacht, aber wir werden es weiter versuchen.
Das Konzept "Arbeit macht frei", das in der TLD so weit verbreitet
ist, zu zerschlagen und es durch das Verständnis zu ersetzen, daß
die Lage wirklich schlecht ist, ist entscheidend. Für Anfänger:
"Ausreise macht frei".
Die Durchdrungenheit mit Deutschtum - wie Du gegenüber Susan
anmerktest, ist es unmöglich die Haltung der Leute innerhalb der
nationalen Grenzen Deutschlands zu verändern - ist hier unbestreitbar.
Wie kommt es, daß so viele Genossen in einem Land, das einen
wesentlich höheren Lebensstandard als Großbritannien hat, krank
sind? Unvorsichtigkeit? Schlechte medizinische Versorgung? Was?
"Kraft durch Freude" - Sandhaus als Mustermitglied: blond, blaue
Augen und kräftig. TLD-Mitglieder werden nach ihren "Qualitäten"
ausgewählt, die Untauglichen fallen in die niedere Kategorie und wir
wissen, was mit "ihnen" passiert. Die Genossen arbeiten extrem hart, einige
schaffen es nicht, was offensichtlich ein Undeutsches Verhalten ist, also
fühlen sie sich schuldig und versuchen härter zu arbeiten.
UNS SIND DIE DEUTSCHEN GENOSSEN WICHTIGER ALS DIE DEUTSCHE
SEKTION! Dies ist schwierig zu verstehen in einem Land, wo die
Mißhandlung von Tieren und Bäumen im öffentlichen
Bewußtsein viel höher rangiert als die "Mißhandlung" von
Menschen.
Jetzt hört folgendes: In Westdeutschland und West Berlin gibt
es viele noch praktizierende frühere KZ-Ärzte. Der Schauer, der mir
über den Rücken läuft bei dem Gedanken, daß ich jemals
krank werden könnte und hier behandelt werden muß, ist Dir - ich bin
mir sicher - sofort klar. "Konzentrationslager-Ärzte"! Mit diesem
Euphemismus werden jene Monster bezeichnet, die taten, was sich nicht einmal
Dante vorstellen konnte!
Nun, man wird darüber natürlich nichts im Spartakist
lesen, einer Zeitung mit der zweifelhaften Besonderheit, die Zeitung zu sein,
welche nichts über Deutschland und die jüdische Frage sagt nein, sie
sagt etwas. Ebenso bestürzend wie es war, herauszufinden, daß der
antisemitische Satz (*), zitiert in Slivia's Brief, tatsächlich schwarz
auf weiß im Spk abgedruckt ist, ist vielleicht die Tatsache, daß
ich keine einzige Antwort auf meine Frage bekommen habe:
Solltet ihr den Verkauf der Zeitung stoppen?
Warum sollten sie auch: "Wir sind genau wie alle anderen", moderne
Version von "Wir befolgten nur Befehle": oder die Kollektivschuld der TLD.
Während es in diesem Fall wahr ist, daß sie alle schuldig sind,
sitzt jedes Individuum individuell in der Scheiße. Kollektivschuld kommt
Absolution gleich. Es tut mir leid, dies ist nicht die katholische Kirche, wie
sehr sie auch das ISS mit Gott identifizieren mögen! Eine Genossin sagte
mir sogar, daß sie es schade fände, daß wir keine Genies in
der Organisation haben, weil das die Dinge sicherlich vereinfachen würde:
"Wir würden nur tun müssen, was er uns sagt zu tun".
Zwölf Jahre Nazismus haben das Bewußtsein und die
Instinkte dieser Leute so tiefgreifend geformt, daß nur eine soziale
Revolution in der Lage sein wird, es auszurotten, und es wird einige Zeit
dauern und bedarf vieler Kreuzungen, und ich meine das wörtlich.
Zerstören wir diese Lüge. Die TLD ist nicht "einfach wie
alle anderen". Was die jüdische Frage anbelangt, hat die westdeutsche
Linke ihr einige Aufmerksamkeit geschenkt, und das ist immer noch so.
Beweis: ein Pamphlet von 1960, hergestellt in Berlin unter der
SPD-Führung, "Nationalsozialistische Judenpolitik -es enthält
alle Informationen, die man über die Periode von 1933-1945 braucht,
inklusive einer Liste jüdischer (Empfänger von) Nobelpreisen, deren
Aktivitäten von den Nazis herabgesetzt wurden. Die Mai- und Juni-Ausgaben
des Arbeiterkampfes (KB-Zeitung) haben viele Artikel und Bilder: KZ's, die
Juden, Nazismus etc. Das sind Dinge, die ich gesehen habe, und mehr oder
weniger zufällig.
Darüberhinaus: Die MG - gegen die wir in der Vergangenheit
polemisiert haben - hatte 1982 eine klar antisemitische Position zu Israel im
Libanon: "Die Juden taten es!" Dies ging bei der TLD durch, mit der mageren
Ausnahme eines Treffens der MGs in Hamburg, wo wir sie dafür angriffen.
Hast Du es jemals im Spartakist gesehen? (Rhetorische Frage, ich weiß.)
Weiter: In der TLD gibt es mindestens vier Mitglieder, die aktive
antifaschistische Arbeit machten, bevor sie eintraten, und einige von ihnen
wurden darüber rekrutiert. Ein anderer organisierte als Juso Besuche in
KZ's! (Er wird einen Bericht schreiben, der mit einem der nächsten Briefe
kommen wird.)
Weiter: Im Januar-Februar 1984 verursachten die Studenten der
Technischen Uni in Berlin großen Stunk in der Stadt, indem sie das
Hauptgebäude nach "Herbert Baum", eine heroische Figur des deutschen
Widerstandes, umbenannten. Ein Jude und Kommunist, er sammelte eine kleine
Gruppe um sich, die für das Inbrandsetzen einer rassistischen,
anti-kommunistischen Ausstellung, "Sowjetische Realität", im Jahre 1942
verantwortlich war. Trepper schreibt etwas über sie. Nun, die ganze IST
ist über die Tatsache beschämt, daß wir nicht nur nichts zu der
Zeit taten - und es wurde in den Zeitungen berichtet und der Berliner Senat
hatte eine Debatte darüber - aber wir taten überhaupt nichts und ...
sein Name ist nicht einmal bekannt. Die W. Berliner Studentenorganisation
brachte im Mai 1984 ein Pamphlet heraus, was vor einem Monat von den Berliner
Genossen gekauft wurde und ich sah es zufällig vor ein paar Tagen im
Berliner Büro. Jetzt, da es in meinen Händen ist, wird es
ordnungsgemäß bearbeitet werden - und es könnte sogar
passieren, daß etwas darüber im Spk gedruckt wird, oh himmlisches
Wunder!
Also, macht die Linke mehr als die TLD tut, aber die
Sektion schiebt ihre mutwillige Ignoranz der Vergangenheit vor, um die
gegenwärtigen Aktivitäten gegen den Holocaust mit
einzuschließen.
Die Aufzeichnungen, die ich während der vergangenen Tage
gemacht habe, werden mich mit weiterem Material versorgen, um Dir darüber
zu schreiben. Im Augenblick nehme ich Abstand davon, irgendetwas Positives zu
sagen und zu zeigen, wie sich die Dinge ändern könnten; ich
fühle mich ziemlich abgespannt.
Anti-faschistische Grüße,
Federico Parodi
Kopie: Paris, persönlich. (Ich lasse hier meine Kopie bei den
Genossen herumgehen, bis Du anderweitig bestimmst.)
P.S.: Um mögliche Mißverständnisse zu vermeiden,
laßt mich folgendes hinzufügen: Ich denke nicht, daß sie den
Verkauf des letzten Spk einstellen sollten, aber der Gedanke sollte ihnen
kommen, und falls jemand darüber streiten wollte, würde ich das gut
finden. Was das impliziert, soweit ich verstehe, ist, daß wir diesen
Satz ausdrücklich widerrufen sollten - welcher darüberhinaus
die Waffen-SS als einfache "Soldaten, die an der letzten Offensive teilnahmen"
erwähnt, blah, blah - d.h., die Selbstkritik kann nicht einfach nur
indirekt vorgenommen werden.
Eine deutsche Zeitschrift, Konkret, hat eine nette Titelseite:
"Contras, Reagans Waffen-SS". Das ist wahr, ich frage mich, ob sie dem
zustimmen oder nicht.
* (Der Satz bezieht sich auf: "Reagan wird trotz der Proteste
amerikanischer jüdischer Organisationen am 5. Mai den Friedhof in Bitburg
besuchen
Posted: 23 May 2006
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